Newsletter #LaTdH

Johannes 8, 32 – Die #LaTdH vom 14. Juli

Evangelische Missbrauchsaufarbeitung inkl. katholischer Erfahrungswerte und Schwierigkeiten. Außerdem: Reichsbürger-Theologie, Handwerker*innen Gottes und ein befohlener guter Satz.

Debatte

Der lange Kampf der Jule Wolf um Anerkennung als Opfer – Petra Boberg (hessenschau.de)

Jule Wolf ist ein Pseudonym. Die Frau, die sich auf diese Weise vor einer agressiven Öffentlichkeit schützen will, kämpft seit über 20 Jahren darum, von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) als Opfer sexuellen Missbrauchs anerkannt zu werden. Jule Wolf wurde von ihrem Vater, einem hessischen Pfarrer, und einem Küster missbraucht. Zuletzt ist in den Fall Bewegung gekommen, wie Petra Boberg (@bobergp) in ihrem Beitrag beschreibt:

[…] denn der Kirchenpräsident der EKHN, Volker Jung, glaubt ihren Schilderungen. Das sei ein unendlich befreiendes Gefühl, betont Wolf. Das angezweifelt werden im eigenen Erinnern sei für sie eine unerträgliche, kräftezehrende Situation gewesen, die nun nach 20 Jahren endlich beendet sei. Volker Jung hatte mit Wolfs Eltern ein seelsorgerisches Gespräch geführt. In diesem Gespräch erklärte der Kirchenpräsident, dass er die Meldung der Tochter über den sexuellen Missbrauch durch den Vater und den Küster glaubt. Der Vater leugnet den Missbrauch bis heute.

Im Interview mit hr-iNFO bestätigt Volker Jung das Gespräch mit den Eltern. Die EKHN werde auch einen Teil der Therapiekosten übernehmen, insgesamt 5.000 Euro. Um ihre traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten, hat Jule Wolf in den vergangen 20 Jahren rund 30.000 Euro ausgegeben. Auch wenn sie das Geld der Kirche als nicht angemessen bezeichnet, ist es für sie das vorläufige Ende eines jahrzehntelangen Kampfes.

Solche vermeintlichen „Einzelfälle“ weisen in immer häufigerer Schlagzahl auf den Missbrauch in den evangelischen Kirchen hin. Im vergangenen Herbst hatte die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) elf Punkte als Richtschnur für den weiteren Umgang mit Missbrauchsfällen beschlossen. Sie hatte sich damit dem Rat der EKD und der Kirchenkonferenz (die leitenden Theolog*innen und Jurist*innen der EKD-Gliedkirchen) angeschlossen.

Punkt 3 sieht eine „wissenschaftliche Gesamtstudie der Evangelischen Kirche in Deutschland“ vor. Dazu gab es bereits im Juni Neuigkeiten:

Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ist beauftragt, eine öffentliche Ausschreibung auszuarbeiten. Bis Ende 2021 sollen erste Ergebnisse vorliegen. „Besonders wichtig finden wir, dass auch Betroffenen eine bedeutsame Rolle im Rahmen der Aufarbeitung zukommen soll“, sagte Professor Ingo Schäfer, […] der auch das Studienprojekt betreut. Außerdem berieten die Expertinnen und Experten über eine ebenfalls geplante Dunkelfeldstudie.

Die anvisierte Dunkelfeldstudie entspricht dem 4. Punkt auf der gemeinsamen EKD-Agenda. Denn das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs in den Kirchen ist – so hatte es katholischerseits die MGH-Studie im Herbst 2018 klargestellt – vermutlich deutlich größer, als es bisherige Studien offenlegen konnten.

Eine Ulmer Forschungsgruppe hatte sich im Frühjahr mit atemraubenden Hochrechnungen an die Öffentlichkeit gewandt:

Es sei von etwa 114.000 Betroffenen sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester und noch einmal so vielen durch Pfarrer und Mitarbeiter in evangelischen Kirchen auszugehen, heißt es in der Untersuchung der Universität Ulm.

Ob die Ulmer Hochrechnung eine korrekte Annäherung an das Dunkelfeld des Missbrauchs darstellt, kann nur eine nach höchsten wissenschaftlichen Standards und kirchenunabhängig durchgeführte Dunkelfeldstudie zeigen. Diese wollen DBK und EKD gemeinsam in Auftrag geben, so jedenfalls bisherige Willensbekundungen.

Eine offene Frage in den evangelischen Kirchen ist nach wie vor die Organisation von Entschädigungszahlungen an die Opfer. Eine zentrale Frage, wie selbst schon der Blick auf die bisher publik gewordenen „Einzelfälle“ deutlich macht:

Behandlungs- und weitere Folgekosten wie die Kompensation von Arbeitsausfall übersteigen häufig die von den Kirchen gewährten Entschädigungen. Katholischerseits werden im Regelfall maximal 5000 € „in Anerkennung zugefügten Leids“ zugesprochen. Opfervertreter hatten darum bereits im Mai Entschädigungszahlungen von 300 000 € pro Opfer gefordert.

Die Höhe der Zahlungen ist das eine, die Komplexität und Pein der Beantragungsverfahren das andere Problem an der bisherigen Praxis. Missbrauchsopfer werden während der Verfahren häufig dazu genötigt, ihre Missbrauchserfahrungen erneut zu durchleben, wenn sie den Missbrauch vor Kirchenverantwortlichen schildern.

Welchem Missbrauchsopfer ist es zuzumuten, mit Einzelrechnungen in der Hand bei jenen Kirchen als Bittsteller aufzutreten, die eben auch Täterorganisationen sind? Wer setzt die Höhe von Entschädigungen fest, so dass zumindest die finanziellen Nachteile der Missbrauchsopfer bis hin zur Alterssicherung ausgeglichen werden? Wer vermag Leid mit Geld aufzurechnen?

Nach dem Wunsch der Betroffenenvertreter soll künftig eine interdisziplinäre Expertenkommission über die Gewährung der Einmalzahlungen entscheiden.

„Ich habe meinen Glauben verloren“ – Susanne Höll (Süddeutsche Zeitung)

In der Süddeutschen Zeitung berichtet Susanne Höll von einem Treffen von Missbrauchsopfern mit dem Trierer Bischof Stephan Ackermann, dem Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Nach dem Treffen bleibt hängen, dass solche Gespräche viel zu lange versäumt wurden und einen kleinen – aber nicht unwichtigen – Beitrag zum weiteren Leben der Kirche mit ihrer Missbrauchsgeschichte leisten können.

Denn neben wissenschaftlicher Aufarbeitung und konsequenter strafrechtlicher Verfolgung geht es auch um die Anerkennung des Leids der Opfer im persönlichen Kontakt. Darum, dass die Institution Kirche Geschichten anhört und aushält und sich nicht verweigert.

[…] Ackermann sei immerhin gekommen und habe sich die Pein der Menschen angehört. „Es war keine verlorene Zeit“, fügt er hinzu. Und auch die Bischof und die MissBIT-Vertreter erklären sich zum Schluss zu weiteren Treffen bereit. Warum solche Gespräche nicht schon viel früher stattgefunden haben, bleibt indes offen an diesem Abend in Trier.

Zentrale Anlaufstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie

Seit Juli gibt es nun eine zentrale, unabhängige Anlaufstelle für Missbrauchsopfer im Raum der EKD (Punkt 5 des EKD-Beschlusses, s.o.). Dazu arbeitet die EKD mit der Fachberatungsstelle Pfiffigunde Heilbronn e. V. zusammen. Die Zentrale Anlaufstelle ist hier zu finden: anlaufstelle.help.

Die Zentrale Anlaufstelle.help ist bundesweit kostenlos und anonym erreichbar unter der Rufnummer 0800 5040 112 und per E-Mail an zentrale@anlaufstelle.help. Terminvereinbarungen für telefonische Beratungen sind möglich montags von 16.30 bis 18.00 Uhr sowie Dienstag bis Donnerstag von 10.00 bis 12.00 Uhr.

nachgefasst

Nach Predigt-Eklat: Bischof Genn entzieht Zurkuhlen alle Befugnisse (katholisch.de)

Bereits letzte Woche hatte die Predigt von Pfarrer Zurkuhlen hohe Wellen geschlagen, in der er – nach eigener Aussage – sein Unverständnis darüber bekundete, warum „die Kirche“ den Missbrauchstätern nicht vergebe (s. „Was hat euch bloß so ruiniert?“). Nach weiteren Einlassungen des 78-jährigen Priesters in der Regionalpresse hat der zuständige Bischof Felix Genn nun die Reißleine gezogen und den Priester in den Ruhestand versetzt. Kleiner Tipp: So etwas geht in diesem Alter auch als Präventivmaßnahme!

Vergebung für Missbrauchstäter?

Zwei interessante Texte befassen sich im Nachgang der Causa Zurkuhlen mit der Theologie hinter der Vergebung: Mathias Albracht (@Moorus_) beantwortet die Frage, ob es ein Recht auf Vergebung und Versöhnung gibt. Und über „Vergebung in Zeiten der Missbrauchskrise“ schreibt Till-Magnus Steiner (@TillMSteiner) auf Dei Verbum:

Gottes Vergebung kann man sich nicht verdienen – die Kirche kann im Angesicht Gottes nur hoffen, dass Gott ihr die Taten der Priester vergibt. Aber gemäß dem Matthäus-Evangelium ist die zwischenmenschliche Vergebung eine notwendige Bedingung für den Empfang der göttlichen Vergebung.

Buntes

Sorry I’m not sorry – Floh Maier (Flohs Welt)

Floh Maier (@flohmaier) nimmt auf seinem Blog die „Bitte um Entschuldigung für begangenes Unrecht an Homosexuellen“ von Bischof Otfried July auf der Synode der württembergischen Landeskirche (ELKWUE) kritisch auseinander.

Also lieber Bischof July: Danke für Ihren Versuch. Aber es gibt leider noch einige Lücken in Ihrer Bitte um Vergebung. Und solange aktive Missstände offen sind, ist diese Bitte meiner Meinung nach nichts wert. Gehen Sie die Probleme an. Und dann versuchen Sie es mit einer erneuten Entschuldigung. Diesmal inklusiver. Diesmal vielleicht auch mit und unter Menschen die das betrifft. Nicht Pressetauglich auf einer Synode. Sondern auf einem CSD-Gottesdienst mitten unter uns.

Handwerkskurse für Hipster – Jonas Vogt (Der Standard)

Jonas Vogt (@L4ndvogt) schreibt über einen Töpferkurs, der übelst freshX-mäßig – aber ohne Kirche – unter Wiener Hipstern begeistert angenommen wird. Mehr Dinge miteinander machen, statt im Stuhlkreis auf gestaltete Mitten zu starren, das wäre auch was für Kirchgemeinden. Besonders für jene, die sich ernsthaft fragen, wie andere Leute in der Gemeinde einen Platz finden können, als das Standardpublikum. Vielleicht ja sogar ein paar dieser ominösen #jungenLeute?

Dabei ist das Rezept gar kein Neues, nur die Verpackung. Stichwort: Landfrauengruppe. Die „Kirche als Verein“ ist eventuell doch nicht so tot, wie allenthalben behauptet, solang man vom Projekt aus denkt:

Die Freizeitgestaltung in der westlichen Welt hat sich verändert, sagen zumindest Trendforscher. Weg von reiner Erholung von der Arbeit, hin zu einer aktiven, aber loseren Gestaltung. „Mit der Individualisierung (…) werden die Lebensentwürfe dabei immer individueller und flexibler: Statt des einen lebenslangen Hobbys werden Freizeitinteressen und -aktivitäten häufiger gewechselt, oft auch parallel verfolgt, dafür aber weniger dauerhaft und verbindlich“, wie es das Zukunfts institut im Jahr 2018 schrieb. […] Hobbys werden nicht mehr jahrelang wöchentlich mittwochs um 18.30 Uhr ausgeübt, sondern zu kurzweilig interessanten Ereignissen, die auch auf Instagram entsprechend präsentiert werden können. In Verbindung mit dem Verfall der klassischen Statussymbole und demografischen Veränderungen […] ist es nicht verwunderlich, dass den Anbietern von Kursen die Türen eingerannt werden.

Gottesstaat Deutschland: Die Religion der Reichsbürger – Christian Röther (Deutschlandfunk)

Was glauben Reichsbürger? Und welche Elemente des Christentums werden in ihren Händen missbraucht? In einem ausführlichen Beitrag für den Deutschlandfunk ist Christian Röther (@c_roether) dieser Frage nachgegangen. Was sich auf den ersten Blick aberwitzig anhört, ist nichts anderes als eine esoterische Variante des Christentums in das andere Pseudoreligionen untergemischt werden. Im Kern:

„Letztlich kann man sagen, dass diese religiösen Elemente das Königreich zum einen legitimieren und zum zweiten stabilisieren, das heißt stützen. Das sind die zwei zentralen Funktionen, die man diesen religiösen Elementen zuschreiben kann.“ Es erinnert an voraufklärerische Zeiten: Damals behaupteten weltliche Herrscher, sie und ihre Reiche seien direkt von Gott eingesetzt worden. Und das behauptet auch heute wieder so mancher selbsternannte König, Kaiser oder Reichskanzler.

Predigt

Folge 7: Birgit Mattausch – Frischetheke-Podcast

Im Frischetheke-Podcast sprechen Katharina Haubold (@wegwaerts) und Rolf Krüger (@rolfkrueger) mit „Menschen quer durch die Republik, die frische Ideen [für die Kirche] haben und sie schon ganz konkret umsetzen“. Eine solche Erdenbewohnerin ist die verehrte und in den LaTdH vielgelobte Birgit Mattausch (@FrauAuge), mit der sie vor allem über das Predigen sprechen.

Ein guter Satz