Bild: Montage Filmplakate
Kultur

Die Macht bewegter Bilder

„Verteidiger des Glaubens“ im Kino: Aus bekannten Bildern fügt der Dokumentarfilmer Christoph Röhl ein schlüssiges Panorama des Lebens von Papst em. Benedikt XVI. zusammen.

Der Kirchenfilm ist ein Erfolgsmodell. Historienfilme wie „Luther“ und aktuell „Zwingli – Der Reformator“, der von der Reformierten Kirche in der Schweiz kofinanziert wurde, füllen Kinosäle und ziehen Zuschauer*innen vor dem heimischen Fernseher in ihren Bann. Doch der Erfolg des Kirchenfilms ist nicht auf Einschaltquoten und das Klingeln der Kinokasse beschränkt. Die katholische Kirche durfte in jüngster Zeit gleich mehrfach in den Genuss der aufklärerischen Kraft der bewegten Bilder kommen:

Zu verdanken haben wir die Welle der filmischen Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche wohl dem Erfolg des US-amerikanischen Dramas „Spotlight“, in dem die Geschichte der Boston Globe-Journalist*innen erzählt wird, die 2001/2002 den bis dato größten Missbrauchsskandal der Kirche in den USA aufdeckten. „Spotlight“ wurde bei den Academy Awards 2015 als bester Film ausgezeichnet.

2018 erschütterte das Drama „Kler“ („Klerus“) das positiv-autoritative Kirchenbild der polnischen Bevölkerung. Ebenfalls in Polen löste 2019 der Dokumentarfilm „Sag es niemanden“ von Tomasz Sekielski, der auf YouTube veröffentlicht wurde, eine Debatte um den lange verschwiegenen Missbrauch in der katholischen Kirche aus. Der französische Spielfilm „Gelobt sei Gott“ (2019) hingegen erzählt die Geschichte eines französischen Missbrauchsopfers, der Jahre nach seinen eigenen Missbrauchserfahrungen um Gerechtigkeit für Täter und Opfer kämpft – weil er nicht glauben kann, dass sein Peiniger immer noch mit Kindern arbeiten darf.

In der Arte-Dokumentation „Gottes missbrauchte Dienerinnen“ wird den Geschichten von Nonnen nachgegangen, die in Orden und geistlichen Gemeinschaften geistlichen und sexuellen Missbrauch erlebten. An diesem Film, weiteren Dokumentationen und an dem bemerkenswerten Fernsehgespräch mit Kardinal Christoph Schönborn wirkte Doris Wagner mit. Die ehemalige Schwester der geistlichen Gemeinschaft „Das Werk“ ist die prominenteste Kämpferin für die Rechte missbrauchter Frauen in der katholischen Kirche.

In „The little Hours“ (2017) schließlich spielt die erste Riege der Komödiendarsteller*innen Hollywoods in einer modernen Adaption von Boccacios „Das Dekameron“ zutreffend nur als abgefuckt zu bezeichnende Nonnen und Kleriker. Mit genügend Mut kann man sich dem Sujet also durchaus auch satirisch nähern. Die Katholische Liga in den USA nannte den Film „reinen Müll“.

Gänzlich ohne Ironie, dafür mit viel Pathos porträtierte Wim Wenders den aktuellen Papst in seiner Dokumentation „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ (2018). Es ist eine Huldigung des Papstes „vom Ende der Welt“, die des Papstes Widersprüchlichkeit unter geschmeidigen Bildern beerdigt. Während im Spielfilm unterschiedliche Perspektiven miteinander koexistieren, pendelt der katholische Dokumentarfilm zwischen gefühligem Papstporträt und investigativer Missbrauchsdokumentation.

Bekanntes neu sehen lernen

Beide Genres treten in Christoph Röhls Dokumentation „Verteidiger des Glaubens“ über den emeritierten Papst Benedikt XVI. zusammen, die letzte Woche in den deutschen Kinos anlief.

Plakat „Verteidiger des Glaubens (Realfiction)

Von investigativen Reportagen wie „Sag es niemanden“ unterscheidet der Film sich dadurch, dass sein Inhalt, die im Film von seinen Kindheitstagen an nachvollzogene Lebensgeschichte Joseph Ratzingers, Beobachter*innen der Kirche und gläubigen Katholik*innen sattsam bekannt ist. Vom salbungsvollen Ton von Wenders Papstfilm hebt sich „Verteidiger des Glaubens“ durch seine kritische Perspektive auf dessen Wirken ab.

Es ist keine Huldigung, aber auch keine kämpferische Verurteilung, die Röhl in bewegte Bilder verpackt. Kamera, Musik und Montage werden zurückhaltend eingesetzt. Die Geschichte erzählt sich fast von allein, sie besticht gerade durch ihre zurückhaltende Konstruktion. Die Biografie des Konzilstheologen, Professors, Erzbischofs, langjährigen Präfekten der Glaubenskongregation (1981 – 2005) und schließlich Papstes (2005 – 2013) wird von Begleitern und Kritiker*innen gleichermaßen kommentiert.

Schon tausendmal gehört hat man unter ihnen die Apologien Georg Gänsweins, der Ratzinger stets ein guter Diener war und bis heute ist. Ebenso erwartbar sind kritische Einordnungen von Priestern, die Opfer der Paranoia der Glaubenskongregation unter Ratzinger wurden. Dass diese in den Jahren seiner Wirksamkeit unter Klerikern auf der ganzen Welt gefürchtet war, Denunziationen belohnte und Abweichler von der reinen Lehre gnadenlos abstrafte, während sie dem tausendfachen Missbrauch gegenüber blind blieb – auch das ist bereits seit Jahren bekannt, wissenschaftlich belegt und journalistisch aufgearbeitet.

Hir sind besonders die Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen zu nennen, die unter der Nase des „Papstbruders“ Georg Ratzinger, seinerzeit als Domkapellmeister musikalischer Leiter des Chores, und in Regensburg und Umgebung, in der Heimat seines Herzens, geschahen. Von all dem will Joseph Ratzinger nichts gewusst haben.

Was macht also die besondere Qualität des Films aus, die er zweifelsohne besitzt? Es ist die stille Erzählweise, die das Geschehen als zwangsläufig erscheinen lässt. Dadurch knüpft dieser Dokumentarfilm einen Erzählfaden, der eines Spielfilmes würdig ist: Konnte der Sohn aus ultra-behütetem katholischen Elternhaus gar nicht anders, als das Ideal der Kirche seiner Kindheit mit allen Mitteln zu verteidigen? Ist es nicht völlig klar, dass aus seiner Konfrontation mit der Moderne – Stichwort „Studentenrevolte“ – eine Obsession für die reine Lehre erwuchs? Ist nicht auch die monumentale Selbsttäuschung des Papstes über den wahren Zustand seiner Kirche nur eine logische Folge seiner Erziehung, Ausbildung und Tätigkeit im System katholische Kirche?

Doris Wagner formuliert es in der Mitte des Films treffend: Ratzinger mag für das Amt des Papstes ungeeignet gewesen sein, aber kein Amt passte besser zu diesem weltabgewandten und furchtsamen Charakter. Im Auge des Sturms herrscht trügerische Ruhe.

Das Kartenhaus fällt zusammen

Eindrücklich schildert ein ehemaliger Priester der geistlichen Gemeinschaft „Legionäre Christi“ sein Empfinden, als ihr Gründer und prophetengleicher Führer Marcial Maciel von Papst Benedikt endlich und viel zu spät aufgrund vielfachen Missbrauchs ins kirchliche Abseits gestellt wurde: Er musste lachen.

Lachen über die Doppelmoral Maciels und der Kirchenfürsten, allen voran Papst Johannes Paul II., die um seine Verfehlungen wussten, aber an ihm festhielten, ihn belobigten und herzten, weil er der kranken Kirche frische junge Männer für das Priesteramt in Hundertschaften zuführte. Der einfachste Trick im Buch der Missbrauchstäter: Mach Dich unverzichtbar!

Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI., Foto: Giuseppe Ruggirello (Wikipedia), CC BY-SA 3.0

Lachen, weil mit der Offenlegung der Sünden Maciels auch die Last von seinen eigenen Schultern fiel, dem strengen Kodex der Gemeinschaft zu genügen. Nicht einmal der Star-Priester hatte den von ihm aufgerichteten Forderungen Genüge getan! Mit den Lügengeschichten Maciels fielen auch seine Illusionen über die Kirche und sein bisheriger Lebensplan in sich zusammen wie ein Kartenhaus.

Ratzinger hatte sich schon als Kardinal darum gedrückt, dem Erzpriester der Niedertracht Maciel zu huldigen. Gleichwohl konnte er seinen Papst Johannes Paul II. nicht davon überzeugen, Maciel fallen zu lassen. Als Papst wurde Ratzinger abermals mit den Folgen dieses außergewöhnlichen Falles und des tausendfachen geistlichen und sexuellen Missbrauchs in seiner Kirche konfrontiert, den er bereits als Präfekt der Glaubenskongregation zu bekämpfen hatte.

Es ist eine Stärke des Films, dass spürbar wird, wie sehr Ratzinger unter dem Missbrauch des von ihm geheiligten Priesteramtes durch die Täter litt, und ebenso deutlich, wie er sie gewähren ließ, unzureichend verfolgte und stets Gnade vor Recht ergehen ließ. „Verteidiger des Glaubens“ macht fasslich, warum Ratzinger aus seiner Biografie heraus nicht anders konnte, als den Schutz der Institution Kirche – seiner großen Lebensliebe -, vor den der Opfer zu stellen, aber er entschuldigt das Wegsehen und Wegducken nicht mit einem Wort, mit keinem Bild.

Der Papst im Exil

Am Ende der anderthalbstündigen Dokumentation erscheint der historische Rücktritt des Papstes als zwangsläufiger Akt des Eingeständnisses, wenn nicht von Schuld, dann doch von Machtlosigkeit gegenüber dem System des klerikalen Katholizismus, dessen Verteidigung Joseph Ratzinger sein gesamtes Leben gewidmet hat.

Christoph Röhl porträtiert einen Mann, der den Glauben seiner Kindheit wohl intellektualisieren, aber nicht transformieren konnte. Einen Mann, der zu spät den Zusammenhang zwischen der, von ihm so heiß geliebten, äußeren Form der katholischen Kirche und der in ihr wütenden geistlichen Verwahrlosung erkannte.

Einen Mann, dem es wohl einfach auch an Menschenkenntnis ermangelte, der von einigen Menschen getäuscht wurde, sich von vielen betrogen sah und vielleicht auch darum der Welt, wie sie sich uns heute zeigt, nur mit Verachtung gegenüber treten konnte. Einen Mann, der zum Schluss seines Lebens dort angekommen ist, wo er in dieser Welt allein sicher aufgehoben ist: Im vatikanischen Exil.


„Verteidiger des Glaubens“ läuft deutschlandweit in ausgewählten Kinos.