Feiern, trotz allem
Es mehren sich die Stimmen, die meinen, das Reformationsjubiläum sei schon jetzt gescheitert. Dabei ist die Kritik häufig der Perspektive geschuldet. Vier Hinweise zur Bewertung des Reformationsjubiläums.
Nach Ralph Bollmanns Artikel in der FAZ (s. Links am Tag des Herrn vom Sonntag) gibt es einen weiteren vielgelesenen Artikel, der sich kritisch mit dem vermuteten Misserfolg des Reformationsjubiläums auseinandersetzt.
Der von mir sehr geschätzte Erik Flügge, vor einem Jahr mit seinem Buch „Der Jargon der Betroffenheit“ (Rezension von mir auf theologiestudierende.de) erfolgreich, meint, dass der Misserfolg vor allem daran läge, dass die evangelische Kirche Luther zwar feiern, aber nicht sein wolle.
„Ja, dieses Reformationsjubiläum hätte spannend werden können. Es hätte wie Luther sein können. Wie Luther nur im Jahr 2017: Streitsüchtig, starrsinnig und mediengeil. Es war nur leider nix davon.“
Was erst einmal überspannt wirkt, unterfüttert Flügge in seinem Beitrag mit nicht von der Hand zu weisenden Beobachtungen. Wie Bollmann wird jedoch auch Flügge Opfer seiner eigenen Perspektive.
Es ist ja nicht verboten, rein aus der eigenen Erfahrung zu schreiben. Allein, man erliegt halt dadurch den gleichen Einschränkungen, die jede persönliche Perspektive so mit sich bringt. Deshalb erlaube ich mir mal vier Hinweise, die wir beim Blick auf das Reformationsjubiläum im Hinterkopf behalten sollten:
Hinweis 1: Das Jubiläum ist Provinz
Bollmanns journalistischer Blick geht an den vielen lokalen Initiativen, Ideen und Veranstaltungen vorbei, die das Jubiläum erst sinnvoll und gut machen. Ohne dass das Jubiläum irgendwie vor Ort aufgenommen worden wäre, hätte man es tatsächlich als gescheitert bezeichnen müssen.
Doch landauf und -ab finden, die zum Teil possierlichsten, Dinge statt. Da schreibt eine Gemeinde ein eigenes Luther-Schauspiel, dort finden nach Jahren wieder theologische Diskussionsrunden über Kerninhalte lutherischen Glaubens statt, hier wird lang vergrabene Musik der Reformationszeit wieder aufgeführt, von den Kindermusicals gar nicht zu sprechen. Und die Ausstellungen!
Liest man sich einmal aufmerksam durch die Kirchennachrichtenmeldungen, muss man den Eindruck gewinnen, dass hunderte Ausstellungen unterschiedlichen Themenzuschnitts auf Besucher warten. Sicher, nicht jede davon wird der museumspädagogische Hit sein. In viele ist stattdessen ehrenamtliches Engagement und amateuriger Eifer geflossen.
Doch warum sollte man davon ausgehen, dass es diesen kleinen Ausstellungen so ergeht, wie den Sonderausstellungen in Berlin und Wittenberg? Dass großaufgehängte Events hinter ihren hochgesteckten Besucherzielen zurückbleiben, ist nur für den überraschend, der vorher dem Marketing des Jubiläums-Vereins auf den Leim gegangen ist.
Das Prinzip der Subsidiarität wurde vor allem bei der Planung des Jubiläumssommers sträftlich ignoriert. Kurz: Die Leute vor Ort wissen fast immer besser Bescheid, was geht und was eben nicht geht, als manch großkopferter Planer. So haben z.B. schon im Vorfeld der besuchertechnisch misslungenen „Kirchentage auf dem Weg“ die Beteiligten vor Ort Alarm geschlagen. Sie wurden nur nicht gehört.
Das Reformationsjubiläum ist Provinz, in ihrer ganzen Bedeutungsvielfalt. Es wird dort gefeiert, wo Menschen eigene Anknüpfungspunkte finden und selbst etwas auf die Beine stellen. So ist es fast immer bei Kirchens. Schade, dass das von den Planern „da oben“ vergessen wurde.
Hinweis 2: Das Jubiläum ist alt
An Flügge und mir geht viel des Jubiläumstrubels vorbei. Das hat einen Grund: Wir sind noch viel zu jung dafür. Schaue ich mir die Reisegruppen an, die Lutherstadt Eisleben seit Monaten fest im Griff haben, findet sich dort vor allem viel angegrautes Volk. Sie schleppen sich herbei aus allen Himmelsrichtungen und besuchen im Jubeljahr Wittenberg, Eisenach, Erfurt und Eisleben, statt dass die Reisebusse wie gewohnt nach Speyer, Worms und Trier brausen.
Und das ist doch prima. Ältere Menschen fragen stärker nach ihrem Herkommen, nach der Geschichte des Glaubens, den sie schon so lange (und so la la) leben. Gerade Rentner haben auch mal Zeit für einen Wochenendtrip durch die östlichen Provinzen – „da waren wir ja auch noch nie“.
Allein die Gemeindereisegruppen, häufig begleitet von hoch motivierten Pfarrerinnern und Pfarrern, die sich kaputt freuen, mal etwas von dem gesammelten Lutherwissen aus dem Studium an den Mann und die Frau bringen zu können, waren es doch wert. Für diese Zielgruppe muss man Luther und die Reformation nicht künstlich aufhippen, die interessiert sich für Geschichte.
Doch es feiern nicht nur die älteren Semester: Tausende Konfis werden es am Ende gewesen sein, die in Wittenberg dieses Jahr auf Rüstzeit waren. Und ohne die Hundertschaften ehrenamtlicher Jugendlicher und junger Erwachsener wäre schon längst alles flöten gegangen.
Dass man sich als Millennial nicht so richtig zugehörig fühlt, hat tiefere Gründe als das Jubiläumsprogramm, wie man nicht zuletzt in Flügges Buch (s.o.) nachlesen kann.
Hinweis 3: Das Jubiläum ist Luther
Erik Flügge hat Recht, wenn er sagt, dass ein toter Luther nicht so zieht wie ein lebendiger Papst. Das Problem ist allerdings nicht das Verblichensein des Reformators, sondern dass sich die deutschen Protestanten ihres Reformators schämen.
Keine Erwähnung Luthers, ohne dass auch auf seine verwerflichen Meinungen über Juden, Muslime, Frauen etc. hingewiesen wird. Die Privatwirtschaft mit ihren Luther-Socken, -Kuchen und -Knackern hat ein deutlich unverkrampfteres Verhältnis zu Luther hinbekommen, weil sie Luther einfach als Schablone für ihre Interessen gebraucht. Stattdessen versuchen die Protestanten hierzulande sowohl Luther als auch den Zeiten gerecht zu werden. Das hat noch niemanden zum tanzen und feiern animiert.
Zehn Jahre Reformationsdekade haben nicht genügt, Luther ein für alle Mal zu historisieren. Das wäre der feine, intellektuell redliche Weg gewesen. Luther ist tot. Punkt. „Wie weiter?“ Das wäre die Frage gewesen.
Jetzt bleibt uns der weniger feine, habituell eher katholische Weg übrig: Feiern, trotz allem.
Die Scham über Luther haben die deutschen Protestanten zum Glück exklusiv. Vor meinen Fenstern, durch die man auf die Taufkirche Luthers schaut, streben seit Monaten US-Amerikaner, Niederländer, Schweizer und Schweden dem Taufstein Luthers zu. Der ist genauso wenig „original“, wie das, was von Luthers Theologie auf den Kanzeln noch übrig ist. Es schert halt nur keinen der internationalen Gäste.
Zur eigentümlichen Lutherscham gehört auch, dass unbedingt noch gesagt werden musste, dass „wir das Reformationsjubiläum als ökumenisches Christusfest“ feiern wollen. Für mich geht dieser Slogan nah am Bullshit vorbei.
Wie soll ich denn im Takt der Reformationsfreude tanzen, wenn ich die ganze Zeit fürchten muss meinem katholischen Tanzpartner auf die Füße zu treten? Wir sollten uns auch mal darauf verlassen, dass die ihre Zehen schon weg ziehen, wenn es ihnen zu stürmisch wird.
Die zehn langen Jahre Vorlauf haben aber auch ihr Gutes: Zu Luthers Schattenseiten ist alles gesagt. Zu allen „Luther und …“-Kombinationen wurde unendlich viel geschrieben, diskutiert, es wurde aufgearbeitet, bedauert, eingeordnet. Jetzt dürfte eigentlich getanzt und gefeiert werden.
Hinweis 4: Das Jubiläum ist jetzt
Reformationsdekade und Reformationssommer inkl. Kirchentag hin oder her, das 500. ist erst am 31. Oktober. Es war ein Fehler, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft über zehn Jahre zu strapazieren. Aber was soll’s: Wer feiern will, der wird es zum Reformationstag machen.
Einen Misserfolg des Jubiläums schon vor dem Jubiläum festzustellen, dafür braucht es schon eine ordentliche Prise Protestantismus. Das Zweifeln und Herummäkeln gehört zur DNA der Evangelen. Gut so. Und nach dem Jubiläum im Oktober sollten wir über vieles gründlich nachdenken:
Müssen wir uns anderen so aufdrängen oder wäre es nicht günstiger, sich auch mal suchen zu lassen? War es so clever, noch jedes Thema irgendwie mit der Reformation und Luther zu verknüpfen, oder hätte es sich gelohnt, eine einzige reformatorische Hauptthese in den Raum zu stellen?
Was bleibt eigentlich vom Jubiläum, z.B. an nachhaltigen Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaft? Wir haben Bildung beredet, hat sich da was getan? Wir haben die Eine Welt besprochen, was bleibt?
Fragen, die ich mir ganz sicher nicht stellen werde, sind, ob Wittenberg auch genug Besucher abgekriegt hat oder ob das Planungskomittee mit uns Gästen und Teilnehmern auch zufrieden gewesen ist.
Wir sammeln in den kommenden Tagen und Woche Beispiele für Reformationsfeierlichkeiten „in der Provinz“. Du hast eine schräge, interessante oder liebevolle Jubiläums-Aktion jenseits der großen Events erlebt? Dann melde Dich bei uns!