Digitale Gottesdienste: Lohnt sich das Streamen?
Die Corona-Krise hat zu einem rasanten Wachstum digitaler Gottesdienst-Formate geführt. Was ist entstanden und wie haben sich die digitalen Gottesdienste in dieser Zeit verändert? Wie kann es weitergehen?
Das vorübergehende Verbot öffentlicher Gottesdienste aus Infektionsschutzgründen hat die Kirchen vor große Herausforderungen gestellt. Viele Gemeinden haben darauf mit digitalen Gottesdienstangeboten reagiert. Bei der großen Anzahl an neuen digitalen Angeboten ist es schwer, den Überblick zu behalten. Vor allem in der Zeit vom 15. März bis Ostern sind viele neue digitale Formate entstanden.
Vielfalt digitaler Formate
Die digitalen Gottesdienstformate sind sehr unterschiedlich. Es gibt Gottesdienste in der gewohnten Länge von circa einer Stunde. Diese entsprechen dem üblichen Sonntagsgottesdienst in der jeweiligen Gemeinde und werden oft gestreamt. Ein Beispiel hierfür sind die Gottesdienste der evangelischen Lutherischen Kirche Wihelmsburg, die von den zwei Kirchengemeinden Kirchdorf und Reihersteig zusammen gefeiert werden.
Neu sind digitale Kurzgottesdienste, wie sie seit Mitte März vor allem auf YouTube zu finden sind. Das sind Gottesdienste mit einer Länge von 15 bis 45 Minuten, deren Liturgie ein bisschen auf das Videoformat angepasst wurde. Häufig wurden sie vor der Veröffentlichung mit einem Team aufgezeichnet. Ein schönes Beispiel für einen Kurzgottesdienst ist der Gottesdienst zum Sonntag Misericordias Domini aus der Christuskirche in Prien. Es gibt auch Formate, die sich speziell an besondere Zielgruppen richten, so sind Kurzgottesdienste für Senioren oder für Pflegende entstanden.
Wohnzimmergottesdienste greifen die besondere Situation auf, indem sie die meisten Aufnahmen für den Gottesdienst nicht in der Kirche oder draußen, sondern in Wohnungen aufnehmen. Dadurch bekommen die Gottesdienste eine andere Stimmung und die Zuschauer feiern mit dem meist sitzenden Gottesdienstteam auf Augenhöhe. Besonders bekannt ist der Wohnzimmergottesdienst von Gunnar Engel, den er gemeinsam mit seiner Familie und der Wanderuper Gemeinde gestaltet.
Ein weiteres digitales Gottesdienstformat sind Audiogottesdienste oder Gottesdienste als Podcasts. Je nach Gestaltung ähneln sie entweder Radiogottesdiensten oder Hörspielen. Ein Beispiel hierfür sind die Gottesdienste der Gemeinden St. Ansgarii und Unser Lieben Frauen in Bremen, die teilweise mit Bildern unterlegt sind.
Es sind aber nicht nur Angebote für Erwachsene entstanden, sondern auch für Kinder. So bieten einige Gemeinden jetzt digitale Kindergottesdienste an. Besonders bekannt wurden die Kindergottesdienste von Hannah Detken, in denen Handpuppe Lotta jede Woche etwas mit Hannah erlebt.
Mehr Interaktion durch Live-Formate
Die genannten Gottesdienstformate sind meist nicht besonders interaktiv, da sie in vielen Fällen vorher aufgezeichnet wurden und – um die Hygieneregeln einhalten zu können – meist nur von einem kleinen Team gestaltet werden.
Anders ist es bei sogenannten Zoom-Gottesdiensten, bei denen gemeinsam per Videokonferenz gefeiert wird. Dieses Format bietet mehr Möglichkeiten für Interaktion und Austausch innerhalb der Gottesdienstgemeinde. Durch die Corona-Krise sind auch Gottesdienstformate auf Instagram entstanden. Beispiele hierfür finden sich bei pfarrerausplastik und bei Selma Dorn.
Auffallend ist, dass viele der digitalen Gottesdienste von mehreren Pfarrpersonen gestaltet wurden und dabei keine oder kaum Ehrenamtliche in den Gottesdiensten zu sehen sind. Es zeigt sich auch, dass neue Formate zwar Möglichkeiten für Experimente bieten, es jedoch auch einen Drang zu gewohnten Formaten gibt. So kristallisierte sich ab Ostern immer mehr ein neues Standardgottesdienstformat auf YouTube heraus: Die Anzahl an Kurzgottesdiensten nahm zu und die Zahl anderer Gottesdienstformate ab.
Es entwickelte sich auch eine Art Standardliturgie für die Kurzgottesdienste. Meist starten sie mit einem Vorspiel, in dem auch Außenaufnahmen der Kirche zu sehen sind. Nach Begrüßung und Votum folgt entweder ein Lied oder es geht direkt mit der Ansprache zur Predigt oder zu einer Lesung und der Predigt weiter. Auf die Predigt folgt ein weiteres Lied. Nach dessen Ende kommen die Fürbitten und das Vaterunser. Daran schließt sich meist direkt der Segen an. Der Gottesdienst endet fast immer mit einem Lied.
Digitale Gottesdienste kommen an
Werden diese neuen Gottesdienstformate angenommen? Eine erste quantitative Auswertungen von Christian Sterzik (@C_Sterzik), Leiter der Stabsstelle Digitalisierung der EKD, die auf der YouTube-Playlist der Nordkirche basiert, zeigt, dass die dort gesammelten Videos 250 000 Mal aufgerufen wurde.
Weitere Analysen, die Caro Klatschmohn (@Klatschmohn_92) auf Twitter geteilt hat, zeigen, dass der Median der Aufrufe einer Playlist mit über 400 deutschsprachigen Gottesdiensten und Andachten auf YouTube bei 387 liegt – also deutlich über der durchschnittlichen Zahl an Gottesbesuchern der meisten Gemeinden.
Das bedeutet nicht, dass diese digitalen Gottesdienste auch genauso häufig vollständig angesehen wurden. Aber es sagt aus, wie oft sie angeklickt wurden und dies zeigt, dass ein deutliches Interesse an digitalen Gottesdienstangeboten vorhanden ist. Inwieweit dieses Interesse auch anhält, wenn wieder flächendeckend physische Gottesdienste stattfinden, wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen.
Wie weiter?
Wie werden sich die digitalen Gottesdienste weiterentwickeln? Immer mehr Gemeinden feiern wieder physische Gottesdienste. Wie es mit den digitalen Gottesdiensten weitergehen wird, ist momentan unklar. Aktuell lässt sich feststellen, dass die Anzahl der landeskirchlichen Gemeinden abnimmt, die digitale Gottesdienste anbieten, da viele Gemeinden mit dem Start der physischen Gottesdienste die digitalen Angebote einstellen.
Aber einige Gemeinden feiern zum Beispiel aufgrund kleiner Kirchengebäude weiterhin nur digitale Gottesdienst und andere Gemeinden, wie zum Beispiel die Alt – und Mittelstadtgemeinde in Karlsruhe, bieten aktuell physische Gottesdienste und digitale Gottesdienste an.
Es bleibt zu hoffen, dass Gemeinden und Kirchen sich die Zeit nehmen, um zu schauen, was in dieser Krise entstanden ist. Noch nie wurden so viele digitale Gottesdienste in so kurzer Zeit produziert und veröffentlicht. Das ermöglicht einen unkomplizierten Blick in andere Gemeinden und macht es so leichter, von anderen Gemeinden zu lernen. Die Menge des Gottesdienst-Materials schafft außerdem neue Möglichkeiten der Analyse von Gottesdiensten.
Es ist wichtig, dass jetzt reflektiert wird, was wir aus den neuen Erfahrungen mit digitalen Formaten lernen können. Formate, die sich jetzt bewähren und auch weiterhin beliebt sind, sollten fortgeführt werden können. Dies ist besonders wichtig bei Gottesdiensten, um die eine neue Gemeinschaft entstanden ist – wie zum Beispiel beim „liveline-Gottesdienst“ des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg. Die Kirche verändert sich gerade und wir können nicht einfach zum kirchlichen Alltag vor Corona zurückkehren.