Kolumne Die Pallischwester

Die Pallischwester: Ohnmacht

Auf Palliativstation werden Symptome gelindert, doch manchmal helfen auch starke Medikamente nicht gegen die Schmerzen. Dann versucht es die Pallischwester mit anderen Mittelchen.

Heute ist wieder mal so ein Tag, an dem ich mich einfach nur ohnmächtig fühle. Nicht in Anbetracht der Krankheiten und der vielen Menschen, die in den vergangenen Tagen bei uns haben sterben dürfen. Ich bin dankbar dafür, dass die Menschen haben sterben dürfen und dass sie bei uns haben sterben dürfen.

Ich weiß, dass ich keine Macht gegen die Krankheiten und gegen den Gesundheitszustand der Patienten habe, die zu uns kommen. Sie kommen ja auch nicht aufgrund der Krankheiten und um von diesen geheilt zu werden. Die Patienten kommen wegen der Symptome, die mit ihrer Krankheit einhergehen. Schmerz, Übelkeit, Appetitlosigkeit, Antriebslosigkeit, Atemnot, etc. Und gegen diese haben wir Mittel und Wege der Linderung.

Schmerzen lindern

Vor einigen Tagen kam eine Patientin zu uns auf Station, die sehr schmerzgeplagt war. Kein Wunder, alles Calcium war aus ihren Knochen gezogen und sie waren im Grunde nicht mehr kräftig genug, den Körper zu tragen. Wir mobilisierten sie nicht mehr aus dem Bett raus und lagerten sie nur minimal, so dass die angegriffenen Knochen nicht auch noch brechen. Sie bekam dauerhaft Schmerzmittel venös über einen Perfusor. Dadurch und aufgrund weiterer Mittelchen kam die Patientin nach wenigen Tagen wieder zu sich und konnte sich mit ihren Angehörigen wieder unterhalten.

Alle waren glücklich: Die Patientin, weil die Schmerzen weg waren. Die Angehörigen, weil sie nicht still und händchenhaltend am Bett einer im Delir liegenden Mutter und Oma sitzen mussten. Wir Mitarbeiter:innen, weil wir Rückmeldung bekamen, wann die Schmerzen doch wieder stärker wurden, oder sie eine bestimmte Bewegung nicht vertrug.

Heute Abend änderte sich das. Die Patientin ist wach und ansprechbar und ruft unentwegt „Hallo!“. Sie hat wieder Schmerzen. Ich gebe ihr Schmerzmittel und bleibe bei ihr, nehme ihre Hand, die sie mir entgegen streckt, in meine. Sie klagt und weint, dass der Schmerz nicht mehr auszuhalten sei. Also bekommt sie ein weiteres Mittelchen, das ihr etwas Ruhe bringen soll, bis das zusätzliche Schmerzmittel Wirkung zeigt. Sie kommt aber nicht zur Ruhe. Ich sitze an ihrem Bett, halte ihre Hand und sie ruft weiter „Hallo!“. Wir beten und singen und doch streicht sie sich immer wieder über den Bauch und gibt Schmerzen an und ist das Gesicht ganz in Schmerz verkrampft.

Ein Mittelchen hilft

Ich erinnere mich an einen Dienst im letzten Jahr, als ich eine junge Patientin betreute, die ebenso über nicht weniger werdenden Schmerz klagte. Ich probierte es mit Lagern. Brachte sie alle 10 Minuten in eine neue Position, mal auf die eine Seite, mal auf die andere Seite, mal überschlagene Beine, mal angezogene Beine, mal sitzend, mal nach vorne gebeugt.

An diesem Nachmittag wurde mir bewusst, wie viele Lagerungspositionen ich kannte, und wie viele mir meine Kolleg:innen noch zeigen konnten. Erst unter dem beruhigenden Mittelchen konnte sie mal etwas länger in einer Position liegen, immerhin 30 Minuten, und dann musste diese wieder geändert werden.

Diese Lagerungen kann ich mit meiner Patientin heute nicht durchführen, ich darf sie nur minimal bewegen, sonst wird der Schmerz erst recht unerträglich. Kaum vorstellbar, so wenig wie sie ihren aktuellen Schmerz schon nicht mehr aushalten kann. Solche Tage gibt es mal, da scheint kein Mittelchen zu wirken. Und diese Tage machen mich fertig, lassen mich ohnmächtig zurück. Dann merke ich, wie sehr mir selbst alles weh tut: Der Rücken, die Beine, das Herz. Dann weine ich, das befreit und löst.

PS: Am Tag drauf fanden wir das Mittelchen, das ihr den Schmerz nahm, sie jedenfalls soweit von ihm ablenkte, dass er für sie in einem ertragbaren Rahmen blieb: Seit diesem Tag tönte aus ihrem Zimmer immer wieder Panflötenmusik vom CD-Spieler.

Neue Kolumne – Die Pallischwester

Unsere Kolumnistin arbeitet als Gesundheits- und Krankenpflegerin auf einer Palliativstation. In unserer neuen Kolumne „Die Pallischwester“ berichtet sie von ihren Erfahrungen, ihren Erlebnissen und Begegnungen – denn auf Palliativstation ist viel Leben! Wir schützen die Privatssphäre von Patient:innen, Mitarbeiter:innen und Angehörigen durch eine weitgehende Anonymisierung der Personen und Orte.