Un-schlagbar!
What would Jesus do? Ist es ok, Kinder zu schlagen, wenn man es „in Liebe“ tut? Daniela Albert sagt als Erziehungswissenschaftlerin, Mutter und Christin: „Nein!“
War das nicht ein absurder Monat bisher? Lockdown light. Die US-Wahlen und die lange „Election Night“, die mich in Summe etwa 48 Stunden Schlaf gekostet hat. Bizarre Tweets des noch amtierenden Präsidenten und nicht zuletzt eine ganze Reihe schräger Videos, in denen Christen in Gottes Namen sehr zweifelhafte Dinge von sich geben.
Eins davon hat nichts mit den Wahlen in den Vereinigten Staaten zu tun und liegt mir besonders schwer im Magen: Es beschäftigt sich mit der Frage, ob Jesus Kinder schlagen würde.
Wer dachte, die Antwort auf diese Frage sei im Jahr 2020 sehr einfach „Nein!“ und bedürfe keiner weiteren Diskussion, der wird immer mal wieder negativ überrascht. So auch letzte Woche, als ein junger YouTuber dieses Thema auf seinem Kanal aufgriff und zu dem Schluss kam, Jesus würde seine Kinder, wenn diese es als Lerneffekt benötigen würden, in Liebe und Kontrolliertheit auf den Hintern oder die Finger hauen.
Diese Idee macht mich als Mutter, Erziehungswissenschaftlerin und Familienberaterin in vielerlei Hinsicht fassungslos. Nun hat sich glücklicherweise Tobias Faix auf Facebook schon eingehend mit den theologischen Aspekten dieser Aussage befasst, doch ich möchte dem als Pädagogin ein paar Punkte hinzufügen.
Die Annahme, dass Kinder Schläge als Lerneffekt benötigen könnten, ist schlicht falsch und ich stelle mir die spannende Frage, wieso der YouTuber, der sich selbst als Pädagogikstudent ausgibt, das nicht weiß. Er spricht davon, dass es bei einem Schlag auf den Hintern nicht zu starken körperlichen Schmerzen kommt, dafür aber zu einem äußerst lehrreichen Gefühl von Demütigung.
Falsche Lehre(n)
In der Tat – dieses Gefühl, besonders wenn es Kindern im Laufe ihres Aufwachsens häufig zugefügt ist – ist lehrreich für Kinder. Es lehrt sie, dass sie es nicht wert sind, anders behandelt zu werden. Es lehrt sie, dass ihre Gefühle und Empfindungen falsch sind. Es lehrt sie, dass es in Ordnung ist, Macht, die man besitzt, auch zu missbrauchen. Es lehrt sie, dass ihre eigenen körperlichen Grenzen verletzt werden dürfen. Es lehrt sie, die körperlichen Grenzen anderer zu verletzten. Es lehrt sie, die Person, die sich um sie kümmert zu fürchten, statt ihr zu vertrauen.
Was Kinder wirklich in Situationen brauchen, die für uns Erwachsene anstrengend und für die Kinder vielleicht sogar gefährlich sind, dass sind Eltern oder Erziehende, die präsent sind und Verantwortung übernehmen. Menschen, die mutig in eine Situation gehen. Klar und deutlich mit den Kindern kommunizieren, wenn Grenzen überschritten werden und den Kindern helfen, sich in schwierigen Situationen wieder zu beruhigen.
Kinder brauchen Erwachsene, die Wut und Traurigkeit begleiten und mit ihnen nachher in Ruhe über das Geschehene reden. Kinder brauchen die Erfahrung, dass Dinge schieflaufen dürfen. Sie brauchen das Gefühl, mit allem, was sie mitbringen, angenommen zu sein und wenn sie Mist bauen, müssen sie Vergebung erfahren können.
What would Jesus do?
Was Kinder aber darüber hinaus brauchen, sind reflektierte Erwachsene. Solche, die mit ihren eigenen Erziehungserfahrungen, die sie als Kind gemacht haben, im Reinen sind. Sie brauchen Menschen an ihrer Seite, die wissen, dass Gewalt niemals die Lösung ist – auch dann nicht, wenn sie es selbst in der Kindheit anders erfahren haben.
Die eigenen Erziehungserfahrungen kritisch zu hinterfragen und dennoch in Liebe mit seinen Eltern verbunden zu sein, kann ein schwieriger Prozess sein. Und doch ist er nötig, wenn wir Kinder heute gewaltfrei ins Leben begleiten wollen. Es ist jedenfalls besser, als die Schmerzen und Demütigungen, die man selbst erfahren hat, zu verteidigen, weiterzugeben und so zu tun, als würde Jesus genauso handeln.
Ich wünsche jedem, der diesen Prozess noch vor sich hat, viel Kraft, Mut und ein weiches, liebendes, vergebendes Herz. So eines, wie Jesus hatte.