Abermals Israel – Die #LaTdH vom 11. August

Fromme Ideen für die Lösung des Nahostkonflikts unter Antisemitismusverdacht. Außerdem: Läuten muss es am Sonntag, eine biographische Predigt und queerer Sand im Erinnerungsgetriebe.

Debatte

Abromeit sieht Überidentifikation der Deutschen mit dem Staat Israel (idea.de)

Knapp nach dem Redaktionsschluss der letzten Ausgabe der „Links am Tag des Herrn“ entwickelte sich ausgehend von diesem Bericht der evangelikalen Idea über einen Vortrag von bald Ex-Bischof Hans-Jürgen Abromeit aus Greifswald bei der Jahrestagung der Evangelischen Allianz (DEA) eine erneute Diskussion über christlichen Antisemitimus und den Umgang mit dem Staat Israel.

Abromeit, der unter seinen Bischofskolleg*innen qua Frömmigkeit und politischer Verortung heraussticht, mag „mit letzter Tinte“ gesprochen haben, im September wird er als Regionalbischof der Nordkirche (@nordkirche_de) für den Sprengel Mecklenburg und Pommern abgelöst. Trotzdem hat sein Vortrag und die mediale Aufnahme desselben in der Idea deutliche Kritik nach sich gezogen:

Der WDR-Journalist und Buchautor („Kann Kirche Demokratie?“) Arnd Henze (@arndhenze) meint auf Twitter:

„Ein Bischof, der über deutsche Schuldkomplexe schwadroniert, den Juden ihre Geschichte erklärt – und Israel mit kruden Bibelzitaten das Existenzrecht abspricht: so etwas sollte im Raum der ⁦@EKD absolut inakzeptabel sein!“

Das Befremden gegenüber der von Idea kolportierten Inhalte des Vortrags war einhellig und reichte von den religionspolitischen Sprechern der Grünen und SPD über Vertreter*innen aus den evangelischen Kirchen, schließlich bis zur Landesbischöfin der Nordkirche, die sich explizit gegen die Formulierung von der „Überidentifikation der Deutschen mit dem Staat Israel“ verwahrte.

„Zwei Völker – ein Land“: Der umstrittene Israel-Vortrag von Bischof Abromeit (zeitzeichen.net)

Am Montag dieser Woche veröffentlichte das evangelische Magazin Zeitzeichen das Manuskript des Vortrags, auf dass sich Kritiker*innen und Berichterstatter*innen auf dessen vollständigen Inhalt und nicht mehr allein auf dessen Repräsentation durch Idea und/oder der BILD (kompletter Artikel ebenfalls unter diesem Link einsehbar) bezögen. Der hochgradig „missverständliche“ Absatz in des Bischofs Vortrag lautet:

„Aus dem Schuldbewusstsein der Deutschen folgt eine Überidentifikation mit dem Staat Israel. Es wird bewusst nicht unterschieden zwischen dem biblischen Israel und dem heutigen Staat Israel. Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland gehen so weit, das Eintreten für die Sicherheit des Staates Israels zur Staatsraison für Deutschland zu erklären. Da sich der Staat aber als Jüdischer Staat versteht, folgt daraus prinzipiell die Benachteiligung der Palästinenser und eine Zurücksetzung ihrer berechtigten Sicherheitsinteressen.“

Es handelt sich bei diesen Sätzen um hochaufgeladene Statements, die je für sich bestritten werden können. Zum Beispiel: Die Wahrnehmung, aus der Schuld der Deutschen leitete tatsächlich ein signifikanter Teil der Bevölkerung eine (Über-)Identifikation mit dem Staat Israel ab, hat der Bischof zwar nicht exklusiv, doch findet man diese Mär sicher nicht im faktengetränkten Diskurs, sondern eher in verschwörungsgläubigen Milieus, die meinen, „die Deutschen“ übertrieben es mit der Solidarität mit „den Juden“ grundsätzlich.

Da der Bischof im Vortrag selbst so eloquent von „Narrativen“ der Palästinenser und Israelis spricht, wäre ihm deutlich mehr Sensibilität gegenüber dem eigenen Aufsitzen auf antisemitischen „Narrativen“ zu wünschen.

Im Nachgang hat Bischof Abromeit eine solche Interpretation seines Vortrags bedauert:

„Ich bedauere außerordentlich, dass offensichtlich einige der aus dem Zusammenhang meines Vortrages herausgenommenen Formulierungen Anlass zu Missverständnissen gegeben haben. Insbesondere liegt es mir fern, die aus der deutschen Schuld und der christlichen Mitschuld gewachsene Verantwortung für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Israels oder das Existenzrecht Israels infrage zu stellen. Ich tue das in meinem Vortrag und auch sonst mit keinem Wort.“

Nun da der gesamte Text des Vortrags der Öffentlichkeit zugänglich ist, wird jedoch auch deutlich, dass dessen Zuspitzung durch Idea und die BILD (Oh Wunder!) übertrieben war und ursächlich für die harrsche Kritik und klare Distanzierung durch die Kirchenleitung der Nordkirche. Was lässt sich daraus für kommende Anlässe der „Krisenkommunikation“ lernen?

Abromeit deutet in seinem Vortrag Geschichte. So weit ich das sehen kann, bedient er sich dabei keiner unredlichen Methoden, wenngleich man selbstverständlich durch Hinzunahme weiterer Quellen oder einen – aus meiner Sicht auch dringend gebotenenen – Perspektivwechsel weg von einem christlich-biblischen Prisma, durch das Nahost-Konflikt, christliche Beteiligung daran und sowohl die Geschichte des Zionismus wie die des Heiligen Landes betrachtet werden, zu ganz anderen Schlüssen kommen kann. Selbstreflexion ist eben etwas anderes als Selbstreferenzialität.

Immer wieder Israel!

Bleibt zum Schluss noch die Frage, ob nicht schon die permanente instruierende Beschäftigung mit Israel und dem Nahostkonflikt durch deutsche Protestanten selbst ein Zeichen für eine anhaltende Tradition christlichen Antisemitismus‘ ist – wie z.B. der Berliner Kirchengeschichtler Christoph Markschies (@markschies) nahelegt.

Abromeit und seinen frommen Zuhörer*innen wollen wir einmal unterstellen, dass sie sich für das Schicksal von Juden und Palästinensern unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit, aus den hehren Motiven ihrer eigenen religiösen Tradition heraus interessieren. Aber das Zauberwort hier ist nun einmal „instruierend“. Niemand will Christ*innen innerhalb und außerhalb Israels eine Auseinandersetzung mit der komplexen Lage Israels verwehren. Enthielte man sich doch wenigstens guter Ratschläge!

Zu einer „ausgewogenen“ Auseinandersetzung sollte allerdings, anders als in Abromeits Vortrag, auch eine intensive Beschäftigung mit der muslimischen Deutung des Konflikts gehören, zumal der Bischof mehrere jüdische Geschichtsdeutungen referiert. Nach Lektüre des Vortrags kann man sehr wohl zum Urteil kommen, am Nahostkonflikt wären die Juden mit ihrer „seltsamen“ Geschichtstheologie schuld.

Für christliche Theolog*innen stellt sich als Aufgabe weniger die Intervention in das Tagesgeschehen, sondern das Vorantreiben des interreligiösen Dialogs. Dazu aus ganz anderem Zusammenhang:

Dieser könne schwierig sein, da es in der Religion immer um Wahrheitsfragen gehe. Wichtig aber sei: „Dialog zielt nicht in erster Linie darauf ab, den Dialogpartner zu ändern, sondern eigene Defizite zu erkennen.“

nachgefasst

Der langsame Abschied vom Sonntag – Franziska Hein (evangelisch.de, epd)

Ich gebe zu, dass mich die ausdauernden Diskussionen der Evangelen um den Sonntagsgottesdienst vor allem anöden. Ich bin hier auf drei Wochen Urlaub und habe aus guten Gründen keine Notwendigkeit gesehen, irgendeinen dieser allsonntäglich vollzogenen Pflichttermine wahrzunehmen. Trotzdem ist mir bewusst, dass es nicht darum gehen kann, den Sonntagsgottesdienst „einfach abzuschaffen“. Eine Forderung, die so auch niemand erhoben hat.

Franziska Hein (@franzi_hein) hat nun für den epd weitere Stimmen aus Theologie und Kirche zur Gottesdienst-Studie des Liturgischen Instituts von Julia Koll et al. (s. #LaTdH vom 21. Juli) zusammengetragen. Ob die das Papier auch gelesen haben? Der „Cheftheologe“ des Kirchenamts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Thies Gundlach, meint jedenfalls:

Jede Gemeinde könne und müsse daher „in theologisch begründeter Freiheit“ selbst entscheiden, wie viel Kapazität sie für einen regelmäßigen Sonntagsgottesdienst aufwendet und wie viel für andere Gottesdienste. Natürlich geht es nicht darum, den Gottesdienst aufzugeben. Stattdessen wächst die Bedeutung anlassbezogener und zielgruppenspezifischer Gottesdienste, um mehr Menschen zu erreichen.

Es ist ja nicht so, dass nur das Niveau der Kirchenbesucher*innenzahlen auf bescheidenem Niveau verharrt. Der Bonner Theologe Michael Meyer-Blanck verlangt jedenfalls, dass jeden Sonntag die Glocken läuten sollen – auch wenn er selbst gemütlich am Frühstückstisch bliebe. Man schenke dem Mann diese CD und schreite fröhlich voran!

Vielleicht helfen dabei die Worte der Theologin Emilia Handke, die im Zentrum „Kirche im Dialog“ der Nordkirche arbeitet, aus diesem auch sonst lesenswerten Interview:

Das sind traurige Abbruchprozesse, die auf uns zukommen – ich will die nicht schön- und auch nicht kleinreden. Aber wenn man darin eine Chance sehen möchte, dann die, dass unsere Formen beweglicher werden müssen – Prof. Dr. Thomas Klie hat von einem auch „ambulanten“ im Gegensatz zu einem rein „stationären Christentum“ gesprochen –, und dass wir wissen, wir können nicht mehr 20 Jahre warten, bis eine neue Ordnung für irgendetwas beschlossen wird.

Vergebung? So nicht! – Matthias Albrecht (Kreuz & Queer, evangelisch.de)

Auf dem verdienstvollen „Kreuz & Queer“-Blog bei evangelisch.de kommentiert Matthias Albrecht noch einmal die Bitte um Vergebung, die Bischof Otfried July im Namen seiner Evangelischen Landeskirche in Württemberg (@elkwue) an LGBTQ*-Christ*innen gerichtet hat. Dieser Bitte könnten viele nicht nachkommen, weil sie nicht aus einer ehrlichen Selbstkritik der Kirche entstanden ist.

Wie ernsthaft ist ihm das Anliegen, das Vergangene aufzuarbeiten, damit es nicht weiter wirken kann? Hat es in den 1980ern, den 1990ern und darüber hinaus keine Diskriminierung von kirchlichen Mitarbeiter_innen auf Grund ihrer homosexuellen Begabung seitens der Landeskirche gegeben? Was ist mit den Pfarrer_innen, die nicht mit ihren gleichgeschlechtlichen Partner_innen ins Pfarrhaus einziehen duften? […]

Wie steht der Bischof dazu, dass sein Bildungsreferent, als es darum ging, die Repräsentation von nicht- heterosexuelle Identitäten im Lehrplan von Baden-Württemberg zu verankern, von „Ideologisierung und Indoktrination“ gesprochen und damit die Überwindung von Diskriminierung aktiv behindert hat? Wo hat die Kirchenleitung öffentlich widersprochen, wenn zu sog. Konversionstherapien geraten wurde? Wo wenn Homosexualität mithilfe der Bibel abgewertet wurde?

All diese Punkte bleiben in der Bitte um Vergebung unerwähnt. Es klingt so, als wäre es einfacher, über die Diskriminierung in der länger zurückliegenden Vorzeit zu reden. Das aber ist keine echte Aufarbeitung.

Buntes

Fauler Zauber – Wolf Lotter (taz.futurzwei)

In der apokalyptischen und deutsch-endzeitlichem Denken selbst nicht abholden taz.futurzwei schreibt Wolf Lotter (@wolflotter) über Digitalisierungskritik und die Übernahme des Digitalisierungs-Diskurses durch extremistische „Aluhüte“. Seine Polemik enthält ein, zwei grundsätzliche Anfragen auch an die Kirche im digitalen Raum, die man sich durchaus gefallen lassen kann:

Wo der Glaube an Mechanismus groß wird, wird sogar Intelligenz selbst zur Frage der Technik, zu einem lösbaren mechanischen Problem, wie die kritiklose Bejubelung des Begriffs der künstlichen Intelligenz beweist. Die Forschung kann zwar die Frage, was Intelligenz ist, nicht annähernd beantworten, aber IT-Unternehmen bauen sie bereits in künstlicher Version in ihre Mobiltelefone ein. Wer die Spracheingabe seines Smartphones für intelligent hält, beweist eigentlich nur, dass er selbst es nicht ist.

Glaube im Wahlkampf – Gregor Krumpholz (KNA, domradio.de)

Für die KNA hat sich Gregor Krumholz die Landtagswahlprogramme einiger Parteien für die kommenden Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg im Hinblick auf die Religionsgesetzgebung angeschaut und in ihnen einen deutlichen Beweis für unsere plurale, demokratische Gesellschaft gefunden.

Über Religion und Politik diskutieren wir mit einem Podium interessanter Gäste am 29. August in Dresden, u.a. mit der sächsischen Landtagsabgeordneten Sarah Buddeberg (DIE LINKE).

Predigt

Wir Weltverbesserer: 30 Jahre danach – Philipp Gessler (Deutschlandfunk)

Für den Deutschlandfunk hat Philipp Gessler über ein besonderes „Klassentreffen“ nach 30 Jahren berichtet. Eine Reisegruppe politisch bewegter Christ*innen brach damals nach Brasilien auf und trifft sich nun in einem Tagungshaus im Hessischen wieder.

Was Gessler protokoliert ist ein Bild einer Generation, die unsere Kirchen bis heute zutiefst prägt. Und es ist auch eine Predigt. Nicht nur der sommerlichen Formfreiheit wegen, sondern weil es um den Traum von einer besseren Welt geht.

Die Frage kommt kurz auf: Sollen wir uns wieder enger vernetzen, eine neue Aktion der Solidarität wie damals planen, vielleicht etwas kleiner, abgeklärter? Dazu können wir uns nicht aufraffen. Uns fehlt wohl der Mut. Und es erscheint uns auch unrealistisch, vielleicht sogar etwas verlogen. Immerhin entscheiden wir uns, einen Brief an „unsere“ brasilianischen Freunde von damals zu verfassen, ein freundlicher Gruß, mehr nicht.

Ein guter Satz

„Die Stunde der Einheit wird kommen, und zwar nicht in einer unerreichbaren fernen Zukunft einiger Jahrhunderte, sondern in unserer Zeit.“

– Matthias Türk, persönlicher Referent des Würzburger Bischofs Franz Jung und früher im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen, anlässlich des Augsburger Friedensfestes