Alles neu – Die #LaTdH vom 16. Oktober

In Köln ruft ein Muezzin zum Gebet, in Frankreich dürfen nackte Brüste nun doch in Kirchen gezeigt werden und eine Mainzer Theologin plante die Entführung von Karl Lauterbach. Außerdem: Ehrenamt und interreligiöser Dialog.

Herzlich Willkommen!

Alles auf Neuanfang heißt es heute bei uns in der Debatte. Denn die Zentralmoschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld, die Diözese Rottenburg-Stuttgart und auch wir bei der Eule gehen neue Wege – wenn auch sehr verschiedene.

Außerdem lernen wir diese Woche die Dominikanerin Hannah-Rita aus Riga kennengelernt und verstehen hoffentlich (endlich), dass jüdisch sein nicht automatisch bedeutet, auch religiös zu sein.

Viel Spaß beim Lesen wünscht
Jacqueline Depta

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Debatte

Alles neu macht der Oktober? So könnte man denken, wenn man die kirchlichen und religiösen Themen dieser Woche so anschaut. In Köln kann ein Muezzin jetzt mit Lautsprechern zum Gebet rufen. Die Eule hat einen neuen Podcast am Start. Und in der Diözese Rottenburg-Stuttgart können bald Laien und damit auch Frauen die Taufe spenden.

Muezzin darf ab heute in Köln rufen –  Philipp Wundersee (tagesschau.de)

In Zimmerlautstärke und nur einmal in der Woche darf seit dieser Woche der Muezzin der Zentralmoschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld rufen. Zwei kleine Lautsprecher übertragen den Ruf zum Gebet. Kritik an dem Modellprojekt gibt es von einigen Nachbarn und auch vom Berliner Islamismus-Forscher Ahmad Mansour (@AhmadMansour__):

„Das ist eine Machtdemonstration des politischen Islam“, sagt Mansour. Er hält DITIB für den verlängerten Arm der türkischen Religionsbehörde in Ankara und erinnert daran, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan die Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld persönlich eröffnet habe.
„Es ist verheerend, wenn ausgerechnet dieser Organisation jetzt eine derartige öffentliche Anerkennung zuteil wird“, sagt Mansour. Beim Glockengeläut gehe es um Klang, beim Muezzinruf um konkrete religiöse Botschaften und Ideologie.

Demgegenüber steht Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (@HenrietteReker), die das Modellprojekt befürwortet. Es zeige, dass in Köln Vielfalt geschätzt und gelebt werde. Und auch Abdurrahman Atasoy von der Türkisch-Islamischen Union DITIB (@DITIBkoln) freut sich über die Möglichkeit des Lautsprecher-Rufs. Der öffentliche Gebetsruf sei ein Zeichen für die Beheimatung der Muslime in der Stadt.

Zwei Jahre lang ruft nun also der Muezzin jeden Freitag in Köln-Ehrenfeld per Lautsprecher zum Gebet. So lange läuft das Modellprojekt.

Riskant, aber richtig – Claudia Keller (Chrismon)

In ihrem Kommentar zum Muezzin-Ruf in Köln schreibt die stellvertretende Chefredakteurin von Chrismon, dass die Entscheidung richtig sei.

Das ist ein mutiger Schritt, und er ist richtig. Die Religionsfreiheit des Grundgesetzes gilt für alle. Kirchengemeinden rufen durch Glockenläuten zum Gebet, Moscheegemeinden durch den Muezzinruf.

Auch befürwortet Keller, dass die Stadt Köln den Ruf mit Auflagen einschränkt und ihn beispielsweise nur einmal in der Woche in der Mittagszeit erlaubt. Sie glaubt, dass das Modellprojekt funktionieren kann. So wie in Düren. Dort ruft der Muezzin seit mittlerweile 20 Jahren zum Gebet – große Proteste gab und gibt es dagegen nicht.

EHRENSACHE (1): Eine Studentin in der EKD-Synode – Henriette Greulich im Gespräch bei Lisa Menzel (Die Eule)

Auch wir bei der Eule haben diese Woche etwas Neues gestartet. Nämlich unseren Podcast „EHRENSACHE“. In der neuen Audio-Serie spricht Lisa Menzel (@papierfliege) mit verschiedenen Menschen, die sich ehrenamtlich in der Kirche engagieren.

In der ersten Folge ist Henriette Greulich zu Gast. Sie studiert in Dresden Politik und Verfassung und hat in der dortigen Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) eine neue Heimat gefunden. Außerdem ist Greulich als Vertreterin der Studierendengemeinden in die 13. Synode der EKD berufen worden.

Um die Arbeit in der Synode geht es natürlich im Podcast. Außerdem um notwendige Partizipation von jungen Menschen, ungeschriebene Gesetze im Synodenalltag und dass Klimaschutz als Thema der Kirche endlich ernst genommen wird. Bis Weihnachten wird es sechs Folgen unseres neuen Podcasts geben, der von ruach.jetzt produziert wird.

Katholische Kirche im Bistum erlaubt nun auch Frauen die Taufe (SWR)

Auch das Bistum Rottenburg-Stuttgart geht neue Wege. Diese Woche wurde bekannt, dass in Zukunft auch Laien und damit auch Frauen das Sakrament der Taufe spenden dürfen. „Wir sehen dies als wichtiges Signal und Ermutigung, dass Wandel und Veränderung in der Kirche möglich sind“, sagt Ursula Renner. Sie ist Vertreterin der Berufsverbände der Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und -referenten in der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Grundlage für die Neuregelung ist ein Dekret von Bischof Gebhard Fürst, das zum 1. November in Kraft tritt. Die Motivation des Bischofs sei es gewesen, „um der Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche willen alles zu tun, was in seiner Macht steht, diese Geschlechtergerechtigkeit zu fördern“, sagte Weihbischof Karrer. Bislang dürfen nur geweihte Männer – Priester oder Diakone – die Taufe vollziehen. Der Ortsbischof hat laut Kirchenrecht die Möglichkeit, diesen Kreis zu erweitern.

Ab November beraten die Kirchengemeinde- und Pastoralräte, bis Ostern 2023 soll dann klar sein, wie die Entscheidung konkret umgesetzt wird. Die ersten Laien können dann wohl im frühen Herbst 2023 in der Diözese Rottenburg-Stuttgart das erste Mal taufen. In den evangelischen Kirchen ist die Sakramentsverwaltung (Taufe und Abendmahl) den Ordinierten, also zumeist Pfarrer:innen, vorbehalten.

nachgefasst

Urteil: Nackt-Protest in katholischer Kirche von Grundrechten gedeckt – Tobias Glenz (katholisch.de)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat diese Woche einer Femen-Aktivistin aus Frankreich Recht gegeben. Sie hatte 2013 mit nackten Brüsten in einer Pariser Kirche gegen das katholische Abtreibungsverbot protestiert. Dafür verurteilte sie ein Gericht wegen „sexueller Zurschaustellung“ zu einem Monat Haft auf Bewährung. Außerdem musste sie 2.000 Euro an die Pfarrgemeinde zahlen.

Die Straßburger Richter verwiesen darauf, dass auch das Recht auf ungestörte Religionsausübung bei der Entscheidung der französischen Gerichte eine Rolle spielte; weil aber die Anklage auf Exhibitionismus lautete, mussten die Gerichte keine Abwägung zwischen den Grundrechten Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit vornehmen.

Der Gerichtshof für Menschenrechte urteilte nun, dass die Klägerin 2.000 Euro für immateriellen Schaden bekommt, sowie 7.800 Euro Auslagenersatz für Gerichts- und Reisekosten.

„Terror-Oma“: Radikalisierung einer Theologin – Philipp Greifenstein (Die Eule)

Am Donnerstag wurde Elisabeth R. von der Polizei in Sachsen festgenommen. Der Generalbundesanwalt klagt sie an, weil sie mit einer Gruppe weiterer Verschwörer den Umsturz der Regierung und die Entführung des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach geplant haben soll. Die Festnahme der 75-jährigen Seniorin, die sich u.a. als Theologin, Mediatorin und Studienleiterin bezeichnet, hat einige Aufregung produziert. Eule-Redakteur Philipp Greifenstein (@rockToamna) hat den kirchlichen Werdegang von R. recherchiert.

Angesichts einer so abenteuerlichen Radikalisierung fragen sich Beobachter:innen immer wieder, wie gerade akademisch gebildete Personen so „abrutschen“ können. Dabei stehen intellektuelle Fertigkeiten und Verschwörungsglauben nicht per se im Widerspruch zueinander. Vielmehr kann die Überzeugung, man würde Zusammenhänge besonders gut verstehen, einem Selbstbild als „erwachte“ Einzelkämpfer:in oder Minderheit Vorschub leisten.

Buntes

Mit dem Orden von Mondorf nach Riga – Benjamin Lassiwe (Bonner General-Anzeiger)

Sie ist Dominikaner-Schwester und bereits seit zehn Jahren in der lettischen Hauptstadt Riga tätig. Im Bonner General-Anzeiger porträtiert Benjamin Lassiwe (@lassiwe) die in Niederkassel geborene Hannah-Rita. Als Jugendliche wurde sie gehänselt und gemobbt, hatte sogar Suizidgedanken. Dass sie den Weg zu einem bejahenden Leben gefunden hat, verdankt sie ihrer Taufe und den Dominikanerinnen.

Diese Erlebnis möchte die 39-Jährige durch ihre Arbeit auch anderen Frauen ermöglichen. „Es geht darum, dass niemand über seine Vergangenheit festgelegt wird, und jeder eine zweite Chance bekommt“, sagt Hannah-Rita. In Riga ist vieles anders, als in ihrer Heimat, damit musste sich die Ordensfrau auch erst einmal anfreunden, wie sie berichtet.

In manchen Kirchen wird die Messe immer noch mit dem Rücken zum Volk zelebriert. Die Priester benutzen weiterhin den Hochaltar, der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil nie umgebaut wurde. Manchmal fehlten schlicht die finanziellen Mittel oder der Platz dafür, sagt Schwester Hannah-Rita.

Auch der kleine Konvent der Dominikanerinnen in Riga ist auf Unterstützung aus Deutschland angewiesen, etwa über Spenden, die das Bonifatiuswerk, das Diaspora-Hilfswerk der deutschen Katholiken, für die Letten sammelt. Und auch Mädchen als Messdienerinnen gibt es in der katholischen Kirche Lettlands nicht.

„Aber es ist auch bemerkenswert, wie respektvoll die jungen Leute, die durchaus wissen, dass das geht, die Ansichten der älteren Generationen behandeln, weil das die Leute sind, die den katholischen Glauben durch die Unterdrückung der Sowjetzeit getragen haben.“

Nachdem Hannah-Rita nun zehn Jahre in Riga lebt und arbeitet, kann es sein, dass sie bald zurück nach Deutschland kommt. Sie ist nämlich im Gespräch als neue Novizenmeisterin und würde dann die Nachwuchs-Schwestern ausbilden.

Welche Religion, Baby?! – Debora Antmann (Missy Magazin)

Sie ist jüdisch aber nicht religiös. Das macht Debora Antmann (@DontDegradeDebs) in ihrem neusten Text für das Missy Magazin (@Missy_Magazine) ganz deutlich. Warum? Weil sie andauernd Anfragen dazu bekommt, Texte über Religion zu scheiben oder sich vor einer Kamera oder einem Mikrophon über Religion zu äußern. Und das nervt sie. Das merkt man in ihrer Kolumne deutlich.

Aber sobald „jüdisch“ draufsteht, ist für die meisten Menschen „Religion“ drin und das ist ein Problem. Nicht nur für mich, sondern so ganz strukturell und grundsätzlich und mit Blick darauf, wie Judentum, Jüdischsein, Jüdischkeit und jüdische Menschen in dieser Gesellschaft wahrgenommen werden. Breaking news: Nicht jedes Obst ist ein Apfel, nicht alle Jüd*innen sind religiöse Jüd*innen.

Das Problem sieht Antmann auch darin, dass für viele Jude = Jude bedeute. Mit Medienanfragen dieser Art würde sich außerdem ein stereotypisches Bild von Jüd:innen verfestigen, denn die daraus resultierenden Texte, Videos und Audios seien eindimensional. Ihr Fazit:

Ich bin eine kulturelle, eine politische, eine wütende, eine säkulare, eine sozialisierte, eine an manchen Tagen vor Jüdischkeit strotzende, eine durch und durch mit ihrem Jüdischsein identifizierte Jüdin. Aber eines bin ich nicht: eine religiöse Jüdin.

In die Geschichten abtauchen – Mario Keipert (Die Eule)

Wie starte ich eine Erzählung? Wie wird eine Figur konkret? Über das Handwerk des Schreibens am Beispiel der „russischen Meister“ hat George Saunders ein feines Buch geschrieben, das Mario Keipert (@mkeipert) hier in der Eule vorstellt:

Schwer zu sagen, was nun unterhaltsamer, beeindruckender ist: die Lektüre der sieben russischen Erzählungen oder die detaillierten Ausführungen von George Saunders. Der beste Weg, die russischen Meister für sich zu entdecken, dürfte gegenwärtig der über Saunders sein.

Theologie

Bibel und Koran: mehr gemeinsam als vermutet – Sabine Dörfel (Evangelische Zeitung)

Dann habe ich noch einen kleinen Buchtipp für Sie: Wolfgang Reinbold ist Professor für Neues Testament an der Uni Göttingen und hat in seinem neuen Buch die 114 Suren des Koran mit biblischen Texten verglichen. Das Ergebnis: Der Koran und die Bibel haben mehr Gemeinsamkeiten als viele gedacht haben. „Mehr als zwei Drittel des Korans enthalten Bezüge zu biblischen Geschichten, Figuren und Begriffen“, so Reinbold in der Evangelischen Zeitung der Nordkirche (@Evangelische).

Viele Menschen verbänden mit dem Islam Terror, das Fehlen von Demokratie und die Unterdrückung von Frauen. Doch es gebe auf beiden Seiten zugleich das Bewusstsein dafür, dass sich Christen und Muslime in ihren religiösen Erzählungen auf den einen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs beziehen. „Allerdings legen wir die Geschichten jeweils anders aus“, sagt Reinbold. Und da gebe es sowohl Gemeinsamkeiten als auch deutliche Unterschiede.

Wer sich mit dem Thema vertiefend beschäftigen möchte, kann das knapp 1.000-seitige Buch „Koran und Bibel: Ein synoptisches Textbuch für die Praxis“ lesen.

Ein guter Satz