„Terror-Oma“: Radikalisierung einer Theologin

Eine promovierte Theologin und Pfarrerin soll die Entführung des Bundesgesundheitsministers und den Sturz der Regierung geplant haben. Was über Elisabeth R. bekannt ist:

In den Schlagzeilen ist von einer „Terror-Oma“ (BILD) oder „Terror-Theologin“ (t-online) die Rede: Am Donnerstag nahm die sächsische Polizei in Flöha (Landkreis Mittelsachsen) die 75-jährige Elisabeth R. fest. Sie steht im Verdacht, „Rekrutierungsgespräche mit möglichen Interessierten für einen Umsturz geführt zu haben. Außerdem soll sie in die Beschaffung von Waffen und Sprengstoff eingebunden gewesen sein und drängte wohl auf rasche Taten“, berichtet t-online.

Die von Elisabeth R. angeführte Gruppe soll einen „Blackout“ und die Entführung des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach geplant haben. Wie weit die Pläne der Gruppe vorangeschritten waren, ist Gegenstand von Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft.

Über Elisabeth R. ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt und so gab es in den Stunden seit ihrer Festnahme und dem spektakulären Transport mittels Hubschrauber nach Karlsruhe, wo sie in Untersuchungshaft genommen wurde, reichlich Spekulationen. Wie die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens (EVLKS) bereits am Donnerstag gegenüber t-online angab, ist Elisabeth R. dort unbekannt.

Von der Uni in die Schule

Tatsächlich stand Elisabeth R. nie in Diensten der sächsischen Landeskirche, sondern war von 1972 1976* bis 1992 als Pfarrerin im Schuldienst in Mainz tätig, wie Recherchen der Eule ergeben haben. In dieser Zeit stand sie in einem Dienstverhältnis mit der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Aus ihrer Dienstzeit bei der hessen-nassauischen Landeskirche sind keine Beschwerden oder Dienstvergehen bekannt, teilte die EKHN auf Nachfrage der Eule mit.

Ab 1992 war R. dann im Staatsdienst als Fachleiterin für den evangelischen Religionsunterricht beim Land Rheinland-Pfalz tätig. Wie Lars Wienand für t-online berichtete, erhält R. allerdings kein Ruhegehalt. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz hatte erst in März diesen Jahres geurteilt, R. habe auf diese Leistungen keinen Anspruch, da sie „sich im Ruhestand aktiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigt hat“. Hierbei bezog sich das Gericht auf die umfassende Autorentätigkeit R. in der Reichsbürger-Szene.

Eine intellektuelle „Rädelsführerin“ der Reichsbürger?

Dort wird sie auch heute noch gerne zitiert, man schmückt sich mit ihren akademischen Meriten. R. promovierte in Heidelberg und wurde später im Fach Praktischen Theologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz habilitiert. In der Reichsbürger-Szene wird sie gelegentlich als „Prof. Dr. Elisabeth R.“ angekündigt. Hinweise auf eine akademisch-theologische Wirksamkeit von R. haben sich bei der Recherche der Eule jedoch keine gefunden.

In den Autorenbiogrammen einiger ihrer im Selbstverlag erschienenen Bücher bezeichnet sich R. als „Pfarrerin, Evangelische Theologin, Autorin, Mediatorin, Studiendirektorin“. Trotzdem Reichsbürger die Existenz der Bundesrepublik als Staat bestreiten, haben akademische Meriten, die von staatlichen Universitäten zugesprochen wurden, in der Szene Bedeutung, validieren sie doch scheinbar die Expertise von Autoren und Rednern.

Was R. in ihren Pamphleten und Büchern schreibt, ist jedoch wenig originell und liegt ganz auf der Linie der üblichen Reichsbürger-Phantasien: Die Bundesrepublik Deutschland sei kein souveräner Staat, vielmehr bestünde das Deutsche Kaiserreich weiter, außerdem beklagt R. „Genderismus“ und hängt weiteren rechtsradikalen Verschwörungsmythen an.

Altersradikalisierung und Umsturzphantasien

Angesichts einer so abenteuerlichen Radikalisierung fragen sich Beobachter:innen immer wieder, wie gerade akademisch gebildete Personen so „abrutschen“ können. Dabei stehen intellektuelle Fertigkeiten und Verschwörungsglauben nicht per se im Widerspruch zueinander. Vielmehr kann die Überzeugung, man würde Zusammenhänge besonders gut verstehen, einem Selbstbild als „erwachte“ Einzelkämpfer:in oder Minderheit Vorschub leisten.

R.s Wirken in der Reichsbürger-Szene, so weit es öffentlich nachzuvollziehen ist, deutet auf eine Radikalisierung nach Beendigung ihrer Berufstätigkeit hin. In vergleichbaren Fällen finden sich jedoch fast immer Anzeichen für eine Vulnerabilität für Verschwörungsgläubigkeit und rechte Überzeugungen bereits Jahre vor dem Beginn einer öffentlichen Zuwendung zu rechtsradikalen Szenen.

Die als hochindividuell verkauften „Bekehrungsgeschichten“ weisen immer wieder Parallelen und Muster auf, die allen Radikalisierungsbiographien eigen sind: Persönliche Enttäuschungen mit (staatlichen und kirchlichen) Arbeitgebern, verletztes Ehrempfinden, persönliche Kontakte mit und Loyalitäten gegenüber Personen, die rechtsradikalen Gruppen angehören, ein allgemeines Unverstandensein oder das Gefühl, wegen rechter Überzeugungen marginalisiert zu werden. Schlussendlich weisen Untersuchungen darauf auch darauf hin, dass manche Menschen aufgrund ihrer psychischen Disposition besonders anfällig für Verschwörungsgtheorien sind.

Nur die wenigsten Verschwörungsgläubigen allerdings betätigen sich so eifrig selbst als Verschwörungstheoretiker wie es Elisabeth R. getan hat. Ob und wie aus ihrer Autorentätigkeit tatsächlich die Mitwirkung an einem terroristischen Komplott erwachsen ist, werden die weiteren Ermittlungen zeigen.


Alle Eule-Beiträge zum Schwerpunkt „Kirche und Rechtsradikalismus“.


* Nach nochmaliger Überprüfung seitens der EKHN haben wir die Jahreszahl korrigiert. Das Dienstverhältnis begann 1976 nicht schon 1972.