Aufgewärmt – Die #LaTdH vom 25. März
Horst Seehofer ist doch zu etwas nütze: Was ist an Deutschland eigentlich christlich und was hat es mit der „Islamkritik“ auf sich? Außerdem: Papst Franziskus, Johannes Hartl und Kurt Tucholsky.
Wir befinden uns noch in der Fastenzeit. Folgt man dem Trend zum Social-Media-Fasten, ergibt sich eine Schwierigkeit: Wie lässt sich ohne Twitter an der Debatte teilnehmen? Horst Seehofer löst das Problem für mich, indem er eine alte Debatte so aufwärmt, dass sie auch außerhalb der Filterblasen diskutiert wird.
Debatte
Seehofer: Der Islam gehört nicht zu Deutschland (Süddeutsche Zeitung)
Jetzt diskutiert Deutschland also schon wieder darüber, ob der Islam nun dazugehört oder nicht. Horst Seehofer kann eben auch nicht aus seiner Haut fahren und polarisiert nun nicht mehr im bayerischen Kabinett, sondern in der Bundesregierung. Bereits am 15. März diktierte er der BILD:
Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt. Dazu gehören der freie Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale, wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten. […] Die bei uns lebenden Muslime gehören aber selbstverständlich zu Deutschland. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir deswegen aus falscher Rücksichtnahme unsere landestypischen Traditionen und Gebräuche aufgeben.
Müssen wir noch ernsthaft darüber reden, ob der Islam zu Deutschland gehört? Zurecht erfährt Seehofer parteiübergreifende Kritik dafür, überwundene Gräben wieder aufzuwerfen. Auch von der Chefin gab es einen Rüffel; in ihrer Regierungserklärung erklärt sie dem Innenminister die Spielregeln:
Doch als Bundesregierung, meine Damen und Herren, haben wir eine übergeordnete Aufgabe, eine ganz bestimmte Verantwortung, nämlich die, alle Diskussionen so zu führen, dass am Ende durch konkrete Politik, durch konkrete Entscheidungen der Zusammenhalt in unserem Land größer und nicht kleiner wird, also der Zusammenhalt aller, die dauerhaft in Deutschland leben, ob mit oder ohne Migrationshintergrund.
Vielleicht hätte der Heimatminister seine Geisteskraft besser darauf verwendet, den Namen seines Ministeriums anständig ins Englische zu übersetzen?
Religion als Kulisse und Horst Seehofers Bibelwissen – Ann-Kristin Tlusty (ZEITonline)
Ungleich spannender ist der Diskurs, den Seehofer indirekt anstieß: Wie christlich ist Deutschland eigentlich? Auf ZEITonline startete Ann-Kristin Tlusty (@nouvelle_wagnis) einen interessanten Austausch über die Bedeutung der christlichen Wurzeln für die heutige Bundesrepublik. Die Beiträge reichen von „Lest mehr Ratzinger!“ bis hin zu differenzierten Aussagen über Nächstenliebe, Kirchensteuer und positives Recht:
Ich bin kein Christ, finde aber den Wert der bedingungslosen Nächstenliebe etwas grundsätzlich Erstrebenswertes. Ich zahle nach wie vor die Kirchensteuer, weil ich regional erlebe, dass Kirchen sinnvolle Funktionen für andere Menschen in Bereichen der Seelsorge und Jugendarbeit übernehmen, da dies für christliche Menschen enorm wichtig ist. Gerade die christliche Sterbebegleitung war für meine Großeltern enorm wichtig. Im Zuge der Gesetzgebung sollten allerdings andere Wertgrundlagen gelegt werden, da das Christentum eben nur einen Teil der Gesellschaft direkt betrifft und nicht alle. Positives Recht baut auf Werten auf, die man hat und aus denen man im Idealfall Gesetze ableitet, die man für richtig und notwendig hält.
– AlexB1985
Mit einem Filter lassen sich Meinunge nach „Atheist“ und „Christ“ sortieren. Ganz nebenbei zeigt Tlustys Artikel, dass auch auf in großen Medien gehaltvolle Online-Diskussionen geführt werden können – man muss nur gute Fragen stellen (und ein bisschen moderieren).
Islamfeindlichkeit. Rassismus unter dem Deckmantel der Religionskritik – Yasemin Shooman (feinschwarz.net)
Am selben Tag an dem Merkel ihrem Innenminister mitteilte, der Islam gehöre sehr wohl zu Deutschland, veröffentlichten die KollegInnen von feinschwarz.net dieses ausführliche Stück über die rassistischen Wurzeln im Diskurs um den Islam. Zwar überrascht das Argument nicht, dass bei PEGIDA keine differenzierte Religionskritik geübt, sondern Rassismus verbreitet wird. Trotzdem lohnt die Lektüre des Beitrags von Yasemin Shooman: Durch die gründliche Erörterung der Argumente von „Islamkritikern“ zerbröselt deren Gehalt zu Staubkörnern. Wischt man diesen zur Seite, tritt das rassistische Ressentiment offen zutage.
Welchen Stellenwert nimmt aber die Religion im antimuslimischen Rassismus ein? Es fällt auf, dass eine rhetorische „Umwegkommunikation“, die vorgeblich nur den Islam angreift, mitunter als Argumentationsfigur bemüht wird, um dem Rassismusvorwurf zu entgehen. Deutlich wird dies beispielsweise in der Selbstbezeichnung rechtspopulistischer Akteure als „Islamkritiker“. Die Wortschöpfung dient ihnen zur Rechtfertigung antimuslimischer Ressentiments als Form der Religionskritik, wobei schon der fehlende Gebrauch analoger Komposita wie „Christentumskritiker“, „Judentumskritiker“ oder „Hinduismuskritiker“ darauf hindeutet, dass der Islam herausgegriffen wird und es nicht um eine generelle Kritik an Religionen geht.
Die Autorin kennt sich durch ihre Studien am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin bestens aus mit der „Umwegkommunikation“ der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit – des einen „Israelkritik“ ist des anderen „Islamkritik“.
nachgefasst
Eine Flut an Eindrücken und vertanen Chancen – Thomas Andonie (katholisch.de)
Vor einer Woche versammelten die #LaTdH drei Beiträge zum fünfjährigen Amtsjubiläum von Papst Franziskus. Zwar steht wohl auch Thomas Andonie dem argentinischen Papst eher wohl gesonnen gegenüber; anlässlich der Vorsynode, die diese Woche in Rom stattfand, kritisiert der Bundesvorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) jedoch die dortige Gesprächskultur:
Das „Gespräch“ mit Papst Franziskus schließt sich an. Anders als erwartet geben einzelne, offenbar vorher ausgewählte junge Menschen ein Statement mit einer anschließenden Frage ab; Reizthemen sind nicht dabei. Die Delegierten selber haben keine Möglichkeit, zu fragen, sind nur Gäste. Eine Chance, die vertan wurde: Hier hätten die Delegierten als Expertinnen und Experten ihrer eigenen Lebens- und Glaubenswelt Papst Franziskus und der Kirche als Beraterinnen und Berater helfen können.
Die Vorsynode bereitet die Bischofssynode im Oktober mit dem Titel „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“ vor. Ob eine „Vorsynode“ der richtige Ort ist, Jugendlichen in ihrer eigenen Lebenswelt zu begegnen und ihre Hoffnungen, Wünsche und Sorgen zur Kirche zu hören? Papst Franziskus braucht den kritischen Dialog mit den jungen Menschen seiner Kirche nicht zu fürchten – dafür ist er zu cool und zu schlagfertig. Er müsste sich nur geeignete Orte zum Austausch suchen.
Buntes
Interview mit einem Ketzer – Jakob Friedrichs und Gofi Müler (Hossa Talk, Podcast)
Der Talk zwischen den beiden Post-Evangelikalen und dem bekennenden Atheisten Matthias Krause liefert altbekannte Argumente – und unterhält trotzdem. Denn zum einen berühren die persönlichen Erfahrungen und Geschichten, mit denen jeweils der eigene (Un-)Glaube begründet wird. Und zum anderen lässt sich das Schmunzeln schwer unterdrücken, wenn Matthias Krause den Manifest-Missionar Johannes Hartl süffisant in den Kakao schubst:
Johannes Hartl, der hat ja so ein Video gemacht, dass man sicher sein kann, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Das wollte ich mal zerlegen – aber bei Hartl ist es immer so geballter Unsinn, dass es schwierig ist, sich nicht zu verzetteln. Hartl macht ja nichts Originelles, aus meiner Sicht kaut er nur Sachen wieder, die andere längst vorgekaut haben.
Richard Rohr zum 75. Geburtstag
Am 20. März 2018 feierte Richard Rohr seinen 75. Geburtstag. Der Franziskanerpater aus den USA hat mit seinen Vorträgen und Büchern Millionen Christen auf dem Weg zu einer neuen Spiritualität begleitet. Im Zentrum seiner Arbeit steht eine neue Männerspiritualität, die er in Büchern wie „Der wilde Mann“ und „Adams Wiederkehr“ beschreibt. Anlässlich seines Geburtstages bringen wir ein Richard-Rohr-Special.
Bibel
Das zersägte Testament – Carsten Dippel (Deutschlandfunk, Text oder Audio)
Seit gut vier Jahren schwelt der Streit, welchen Stellenwert das Erste Testament, das Alte Testament, für die christliche Theologie hat. Eine hervorragende Übersicht liefert Carsten Dippel, der sowohl historische Entwicklungen – von Markion über Harnack – aufzeigt als auch aktuelle Stimmen zu Wort kommen lässt.
Auslöser der Debatte waren die Thesen des Berliner Theologen Notger Slenczka. In dessen Befund – „Es gibt Gemeinden, die behandeln das Alte Testament wie eine Apokryphe“ – sieht sein Leipziger Kollege einen Auftrag an Kirchengemeinden und Theologie:
Es ist wichtig, den Standort und die Bedeutung des Alten Testaments wieder zu bedenken. Ist es überhaupt sinnvoll, die Bibel so klar nach Altem und Neuem Testament zu sortieren, wie das in dieser Debatte immer wieder so geschieht? Das ist ja fast, als stünden da zwei Monolithen nebeneinander – Altes und Neues Testament – und die haben nichts miteinander zu tun. Ich würde dafür plädieren, dass wir einen Sinn für Biblische Theologie zurückgewinnen, sowohl in der Forschung wie auch in der Lehre und vielleicht auch in den Strukturen der Universität.
Ein guter Satz
„Im übrigen sagen alle, man würde Christus, wenn er heute wieder käme, kreuzigen.
Das halte ich für falsch. Man würde ihn interviewen.“