Austritt und Erneuerung – Die #LaTdH vom 9. Dezember

Abschiede im Advent: Angela Merkel übergibt den Staffelstab an AKK, dem deutschen Islam wird eine Absage erteilt & Menschen verlassen ihre Kirchen.

Jetzt ist „AM“ also nicht mehr Vorsitzende der CDU. Ihr folgt AKK nach. Wo die Meisten nur „Kontinuität statt Experiment“ erkennen können, offenbart sich ein spannender Wechsel: Von der evangelischen Pfarrerstochter zum Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Wahrscheinlich ist das aber auch nur für uns im kirchlichen Feuilleton ein Thema.

Debatte

Reaktionen nach AKK-Wahl: Eine Brückenbauerin (Idea)

Zumindest die idea hebt auf den konfessionellen Umbruch an der Spitze der CDU ab und befragt Leitende der Evangelischen Allianz und des Katholischen Büros zu ihren Einschätzungen. Beide wissen, AKK für sich zu vereinnahmen. Die Ablehnung von Abtreibung und Ehe für alle?

„Positionen, die auch die Deutsche Evangelische Allianz vertritt“ – Uwe Heimowski

Auch für Prälat Karl Jüsten vom Katholischen Büro Berlins gebe Kramp-Karrenbauer ähnliche Antworten auf Fragen, „wie wir sie als Kirche geben“.

Bleibt abzuwarten, wie lange sich AKK die Gunst der unzimperlichen idea erhalten kann. Vielleicht reicht es, wenn sie weiterhin regelmäßig vom „C als Leitstern“ spricht.

Eine Frau folgt auf eine Frau – Ludwig Greven (Publik-Forum)

Auch von der anderen Seite des christlichen Journalismus‘ kommt AKK Anerkennung entgegen: Nicht für ihre gesellschaftspolitischen Positionen, aber für ihr Verdienst, sich gegen zwei Männer durchgesetzt zu haben, die eine Rückbesinnung wünschten. Ludwig Greven traut es Kramp-Karrenbauer zu, die unterschiedlichen Traditionen der CDU zu vereinen und daraus Stärke zu ziehen. Anders als Merz „als strukturkonservativer Mann der 90er-Jahre und Freund der Wirtschaft“ es vermocht hätte.

Ein Hauch von Matriarchat – Bernd Ulrich (ZEITonline)

Zwar greift der Titel – wo ist das CDU-Matriarchat? – daneben, aber ansonsten liegt Bernd Ulrich mit seiner Analyse zur Wahl von Kramp-Karrenbauer sehr richtig: Merkel zeigte eine Größe, die wenige ihrer männlichen Vorgänger hatten und lieferte eine Abschlussrede ohne Schnörkel und Larmoyanz. Unter der neuen Vorsitzenden habe die CDU nun die Möglichkeit, eine Politik des 21. Jahrhunderts zu entwickeln und Ökologie und Digitalisierung als Grundlage aller Politik in diesem Jahrhundert zu begreifen. Denn:

„Nach dem CDU-Parteitag besteht nun erneut die Chance, dass die Republik ihre Probleme nach Größe und nicht nach Erregungspotential priorisiert.“

Ob das bei drei kommenden Landtagswahlen in Ostdeutschland so sein wird, wo der stärkste Rivale nicht grün oder rot, sondern blau trägt? Auch die AfD weiß, dass Erregung wohl ihr einziges Potential ist. Also besser weiter über den Migrationspakt schimpfen und hoffen, dass sich die WählerInnen nicht ernsthaft mit der blauen Sozialpolitik beschäftigen.

Die neue Dirigentin – Berthold Kohler (FAZ)

„Nach dieser Vorsitzendenkür muss man feststellen: Es ist noch reichlich Leben unter dem Blei.

Das meint Berthold Kohler, Mitherausgeber der FAZ. Auch er würdigt Merkels Leistung, selbstbestimmt und würdevoll die Macht aus der Hand zu geben. Zwar bewertet auch er den Wechsel des Vorsitzes als Kontinuität, sieht aber im knappen Wahlergebnis auch eine Gefahr für die Partei, die Anhänger Merz‘ zu verlieren.

„Wo steht hier Deutschland? Nirgends. Wo steht hier Zukunft? Nirgends. Typisch Merkel“

Angela Merkel verabschiedet sich und trägt manchmal selbstironisch, oft trocken vor, wie sie die vergangenen 18 Jahre einschätzt. Und am Ende scheint es fast, als werden ihre Augen feucht.

nachgefasst

Streit um Blutwurst – Peter Sieben (DerWesten)

Es geht um die Blutwurst. Zumindest bei Mehmet Ünal, der sich so über seinen CDU-Parteifreund Ali Ertan Toprak erboste, dass er sich zu Beschimpfungen auf Facebook hinreissen ließ und nun die CDU verlassen hat/musste.

Reaktionen auf die 4. Deutsche Islamkonferenz – Serdar Güneş (Blog)

Alles, was tatsächlich berichtenswert ist, fasst Serdar Güneş, Islamwissenschaftler in Frankfurt, in seiner fulminanten Linkliste zusammen. Wirklich: Alles.

Die Neuen bei der Islamkonferenz – Ayca Tolun (tagesschau.de)

In dieser Linkliste findet sich deshalb auch die übersichtliche Zusammenfassung der Tagesschau. Dort kommt Erol Pürlü, derzeit Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, zu Wort:

„Es gibt die Religionen: Das Christentum, den Islam, das Judentum. Und wir sprechen nicht vom deutschen Christentum, vom deutschen Judentum. Das gleiche gilt auch im Zusammenhang mit dem Islam.“

Ein guter Punkt. Warum sollte ausgerechnet im Islam, aller Pluralität zum Trotz, eine einheitliche, national gefärbte Prägung möglich sein?

Wiederauflage der Deutschen Islam Konferenz – Mission „Deutscher Islam“ – BR2

Bei BR2 kommt Serdar Güneş selbst zu Wort und fordert im Beitrag, dass die DITIB rasch ihre Loyalität klärt – muslimische Glaubensgemeinschaft oder türkische Behörde? Zudem kritisiert der Islamwissenschaftler (zurecht) den Wunsch nach einem „deutschen Islam“, denn so „wird natürlich der Wunsch transportiert, dass diese Menschen sich integrieren“ – obwohl das längst Alltag ist. Leider ist derzeit nur das Manuskrip des Radiofeatures verfügbar.

Buntes

Große Wissenslücken – Interview mit Prof. Dr. Stephan Lehnstaedt (detektor.fm)

Entgegen dem Raunen von Rechts reden GeschichtslehrerInnen wohl nicht deutlich genug von der Shoa: In Deutschland wissen rund 40% der 18- bis 34-Jährigen wenig oder nichts von der systematischen Ermordung der Juden in Europa. Gleichzeitig offenbart sich eine unheimliche kognitive Dissonanz: 25 Prozent der Deutschen glauben, dass ihre Vorfahren im Widerstand waren. Die tatsächliche Zahl der Deutschen im Widerstand liegt bei unter 0,1 Prozent. Stephan Lehnstaedt,  Professor für Holocaust Studies and Jewish Studies in Berlin:

„Ich glaube, dass sich Respekt vor dem Fremden auch aus historischem Wissen speist.“

Fehlt deshalb der Respekt?

Deutschland: Kirchenaustritte – ZEITmagazin

Schon in der vorigen Woche zeigte das Magazin der ZEIT in ihrer Deutschlandkarte aufschlussreich, wo es in den Kirchen gerade brennt. Eine Grafik, die zu einer Gemeinschaft der Leidenden führt – in der Ökumene und in der deutschen Einheit. Wo man hinschaut: Woanders ist auch nicht besser.

„Dem Herrn laufen seine Anhänger davon.“

Adieu Kirche – Vortrag von Evelyne Baumberger (IGW)

Apropos Austritte: Evelyne Baumberger erzählt persönlich davon, wie sie die Kirche ihrer Eltern verlassen hat und allgemein davon, wie (Frei)Kirchen sich gegenüber Ausgetretenen und Austrittswilligen verhalten sollten. Während der schweizerische Zungenschlag an Leo Bigger und sein ICF erinnert, hebt sich der Inhalt angenehm vom schweizerischen Freikirchen-Export ab.

Was Baumberger den angehenden GemeindeleiterInnen zum Umgang mit Austretenden empfiehlt, sollte common sense sein und zum sozialen Standardrepertoire gehören. Dass dem nicht so ist, weist Baumberger in ihrer (nichtwissenschaftlichen, nichtrepräsentativen) Umfrage nach. Stellt sich die Frage: Gibt es in angesichts der unverändert hohen Austrittszahlen eine Abschiedskultur in den Volkskirchen? Und: Wie kann eine solche aussehen? Hoffentlich nicht so wie hier.

Karl Barths Leben zu dritt – Klaas Huizing (evangelisch.de)

Theologen-Klatsch. Wer seine Lehrer – gemeint sind männliche Theologen – gerne als Helden verehrt, liest je nach Interessenlage zugegeben oder uneingestanden gerne von deren Sex- und Liebesleben. Dass nicht nur Karl Barths Ehe, die bis zu seinem Tod währte, sondern auch seine Theologie von der Geliebten Lollo von Kirschbaum beeinflußt wurde, beschreibt der Theologe Klaas Huizing. Dieser hat zudem einen Roman über die Dreiecksbeziehung und Hausgemeinschaft verfasst.

Vor 50 Jahren, am 10. Dezember 1968, verstarb Karl Barth. Noch ein schweizerischer Kirchen-Exportschlager.

Rechtspopulismus in der Diakonie – Ulrich Lilie (Auf ein Wort)

Auch schon von letzter Woche, aber m.E. noch nicht ausreichend gewürdigt, ist die Handreichung der Diakonie Deutschland für ihre Mitarbeitenden zum Umgang mit Rechtspopulisten. Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, stellt diese in seinem Blog vor. Beispiele, weshalb eine solche Broschüre dringend gebraucht wird?

„Ein Kollege hetzt auf Facebook gegen Flüchtlinge. Eine Erzieherin stößt beim Wickeln eines Kindes auf einen Hakenkreuz-Body. Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer werden bedroht. Die Bewohnerin eines Pflegeheims fordert, nur von deutschen Pflegekräften versorgt zu werden.“

In der Handreichung, die hier zum Download steht, finden sich u.a. Formulierungshilfen für die Hausordnung diakonischer Einrichtungen, Informationen über rechtspopulistische Medien und Argumentationshilfen für Führungskräfte.

Predigt

Das Leben als Exodus –Siggi Zimmer (Jesustreff Stuttgart)

Wie kann man den Exodus für einzelne Menschen deuten, ohne dabei im Banalen zu enden? Worthaus-Gründer Siggi Zimmer – ein streitlustiger und streitbarer Geist der Post-Evangelikalen – gelingt das mit einer Coming-of-Age-Predigt, in der sich vielleicht auch die oben genannte Evelyne Baumberger wiederfinden kann.

Ein guter Satz

Und nochmal:

„Haben wir dann aber auch bitteschön die Tradition, mal wieder in den Gottesdienst zu gehen oder ein bisschen bibelfest zu sein oder ein Bild in der Kirche erklären zu können.“

– Angela Merkel hier im Herbst 2015