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Beziehungsstatus: Es ist kompliziert

Maria 2.0 ist ein Protest von Frauen, die der Kirche hochverbunden sind. Vielleicht ist genau das ihr Problem? Warum wagen viele Frauen den Balanceakt zwischen Gehen und Bleiben?

Der „Kirchenstreik“ von „Maria 2.0“ rüttelt die Kirche auf. Die Aktion hatte Anfang Februar ausdrücklich mit einer Petition (einer Bittschrift also) an Papst Franziskus begonnen – wer die Hierarchie höflich anfragt, erwartet selbstverständlich auch von dort die Antwort. Der eigene, selbst zugeklebte Mund verweist daher möglicherweise eher auf die eigene Sprachlosigkeit als auf ein Sprechverbot „von oben“.

Ein Aufstand, der doch stattfindet?

Es war auch keine revolutionäre feministische Gruppe, sondern ein Lesekreis römisch-katholischer Frauen der Heilig-Kreuz-Gemeinde Münster, in der Anfang Januar „die Stimmung kippte“:

Den sieben Frauen, die sich einmal im Monat trafen, um „Evangelii Gaudium“ („Die Freude des Evangeliums“) zu lesen, das Apostolische Schreiben von Papst Franziskus aus dem Jahr 2013, war gar nicht nach Freude zumute,

berichtete Agathe Lukassek (@AMLukassek). Der papsttreue Lesezirkel beschloss, vom 11. bis 18. Mai keine Kirche zu betreten und keinen Dienst zu tun. In ihrem Aufruf, der via Facebook und eigener Website schnell die Runde machte, heißt es:

„Wir alle wissen, wie leer dann die Kirchen sein werden und wie viel Arbeit unerledigt bleiben wird. Wir bleiben draußen! Wir feiern die Gottesdienste auf den Kirchplätzen, vor den Kirchentüren.“

Anlass für den „Kirchenstreik“ sei „das Grauen des Missbrauchs, das immer mehr sichtbar wird, und die andauernde Ausgrenzung von Frauen in der Kirche“, sagte eine der Initiatorinnen im Gespräch mit der Kirchenzeitung Kirche+Leben. Die Diskussionen über Missbrauch und Vertuschung, vor allem aber über die Diskriminierung der Frau sind zwar nicht wirklich neu – diese Themen wurden aber in den eher tradionellen Milieus der Kirche bisher offenbar kaum thematisiert.

Macht und/oder Dienst?

Bereits vor zwei Jahren veröffentlichte die Journalistin Christiane Florin (@ChristianeFlori) ihren Bestseller „Der Weiberaufstand“ – nach Aussage der Autorin „ein Buch über einen Aufstand, der nicht stattfindet“. In ihrem Standpunkt auf katholisch.de monierte Theresia Kamp (@TheresiaKamp) damals, „in jüngster Zeit“ sei die Forderung nach der Priesterweihe für Frauen erneut laut geworden, sowohl durch Stellungnahmen der Dogmatikerin Johanna Rahner als auch durch Florins Buchveröffentlichung:

„Geht es dabei nur um Gerechtigkeit oder auch um Einfluss und Macht in der Kirche? (…) Sieht man sich einmal die Sprache an, in der Rahner, Florin und ihre Mitstreiterinnen für das Amt der Frau in der Kirche eintreten, begegnet nicht selten ein mit scharfem Vokabular angereicherter Machtdiskurs. Nicht umsonst lautet der Untertitel des „Weiberaufstands“: „Warum Frauen in der katholischen Kirche mehr Macht brauchen“.“

Es gehe den Frauen um „Macht“, so der bekannte Vorwurf, dabei sei doch alles in der Kirche „Dienst“. Dass Frauen alternativ „dienen“ oder „zuhören“ sollten, klingt als Modell „Maria und Martha 1.0“ bereits aus der Bibel vertraut.

Heute tragen Frauen bei Pfarrfest und Altenkaffee, bei Erstkommunion-Vorbereitung und Firmkatechese, als Lektorinnen und Kommunionhelferinnen, in Pfarrgemeinderat, Caritas und einer Vielzahl von Verbänden und Vereinen die Hauptlast der ehrenamtlichen Arbeit in den Gemeinden vor Ort. Bereits ein „Kirchenstreik“ über mehrere Wochen, der flächendeckend organisiert wäre, würde daher in der Tat wesentliche Teile des organisierten kirchlichen Lebens lahmlegen.

Der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier sieht im Interview mit katholisch.de keine Chance für einen Erfolg der Forderung von „Maria 2.0“ nach Einführung der Frauenordination:

„Der Papst und das authentische Lehramt verstehen das 1994 veröffentlichte Schreiben ‚Ordinatio sacerdotalis‘ von Johannes Paul II. eindeutig als letztverbindlich und endgültig. Der Papst sprach von einer definitiven Lehraussage der Kirche, die sich nie mehr ändern könne. Papst Franziskus hat sich dem mehrmals angeschlossen und gesagt, dass die Tür an dieser Stelle geschlossen ist.“

Der von manchen befürchtete „Machtdiskurs“ und daraus ggf. folgender „Weiberaufstand“ bleibt – zumindest für Außenstehende nicht nachvollziehbar – bisher aber aus. In einem Blog-Beitrag von Christiane Florin heißt es selbstkritisch:

„Warum, zum Teufel, geben wir diesem Laden immer wieder eine Chance? Das fragen die Katholikinnen und Katholiken in meiner facebook-Blase. Das frage ich mich auch. (…) Als Journalistin bleibe ich an der katholischen Kirche dran, denn je mehr diese Institution zur  Sonderwelt wird, desto größer wird die Gefahr, dass der Machtmissbrauch unbeobachtet bleibt. Aber als Katholikin? Warum bist du noch dabei, werde ich immer häufiger gefragt. Ich stammle dann etwas von Nostalgie und Biografie. Aber eigentlich denke ich ganz böse: Wir Geduldigen sind Komplizen.“

Es lohnt, in diese Richtung weiterzudenken.

Gehen oder bleiben?

In einem Beitrag im Theologischen Feuilleton feinschwarz.net schildert die feministische Theologin Doris Strahm, wie sie sich am Schluss eines Interviews mit der Frage überrumpelt fühlte, weshalb sie eigentlich nicht aus der Kirche austrete, das wäre doch die logische Konsequenz ihrer Kritik:

„Beim Versuch, darauf eine ehrliche Antwort zu geben, wurde mir einmal mehr bewusst, wie sehr ich mir in den letzten Jahren Gründe zurechtgelegt hatte, um drin zu bleiben, obwohl ich die Hoffnung auf eine Reform der römisch-katholischen Kirche längst aufgegeben hatte. Eine meiner Begründungen war, dass es Unbequeme in der Kirche brauche, die Klartext sprechen und den Finger auf die Wunden legen. Eine weitere, dass die katholische Kirche nicht mit der römischen Amtskirche identisch sei und ich den alten Männern dort nicht die Definitionsmacht überlassen wolle zu sagen, was „katholisch“ ist.“

Im November 2018 trat sie dennoch – zusammen mit fünf anderen bekannten Schweizer Frauen – aus der römisch-katholischen Kirche aus:

„Wir wollten damit ein Zeichen des Protestes setzen und nicht still und heimlich verschwinden. Jahrelang haben wir zu dieser Kirche gehalten, haben uns engagiert und auf Veränderungen gehofft. Doch nichts hat sich zum Besseren geändert, was die Frauenfrage in der römischen Kirche betrifft, im Gegenteil. Wir wollten zeigen: Jetzt reicht es! Unsere Geduld ist zu Ende! Wir lassen uns die tief sitzende Frauenfeindlichkeit der Klerikerkirche nicht länger gefallen!

Unter den in der Kirche engagierten Frauen scheinen solche radikalen Konsequenzen bisher aber eher die Ausnahme zu sein. „Die Kirche ist unsere Heimat“ – heißt es immer wieder, „ein Leben ohne Kirche kann ich mir gar nicht vorstellen.

Auch die Gedanken von Andrea Voß-Frick, einer der Initiatiorinnen von „Maria 2.0“, kreisen ab und an um einen möglichen Austritt aus der Kirche: „Wäre die Kirche ein Verein oder eine Partei, wäre ich längst weg“, sagt sie. Aber Kirche ist für sie „Heimat für die Seele„, wie sie sagt, „ins Exil zu gehen, würde mich zerreißen“. Woher kommt diese spezifisch römisch-katholische Sehnsucht nach Geborgenheit im „Schoß von Mutter Kirche“?

In seinem Beitrag „Mehr Geschlecht als Recht? Zur Stellung der Frau nach Lehre und Recht der römisch-katholischen Kirche“ stellt der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke „drei im Einzelnen sehr verschieden ausgeprägte Varianten“ vor, die Gläubigen als Handlungsalternativen im System der römisch-katholischen Kirche zur Verfügung stehen:

1. Der kämpferisch-emanzipatorische Weg transzendiert das römisch-katholische System und führt zwingend aus ihm heraus. (…)
2. Der evolutiv-reformerische Versuch bleibt in der Methode systemimmanent, setzt auf Überzeugungsarbeit den Verantwortlichen gegenüber. Am Ziel „Gleichberechtigung“ hält er aber fest und ist insoweit illusionär. Er blendet den geltungstheoretischen Status lehramtlicher Aussagen, einschließlich irreformabler wie etwa die Unmöglichkeit der Priesterweihe für Frauen, aus. (…) Letztlich handelt es sich um eine uneingestandene oder anonyme Identifikation.
3. Der explizit identifikatorische und konfessorische Weg ist der einzig kirchenamtlich legitime und gewünschte.

Die Geschichte römisch-katholischer Reformgruppen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil kennt fundierte strukturelle Analysen und kreative Formen eines „zivilen Ungehorsams“ wie die „Umwidmung von Kirchensteuern“ oder den Versuch, ökumenische „Basisgemeinden“ aufzubauen. Sowohl in der „Kirchenreform-Szene“ als auch in vielen Pfarrgemeinden und römisch-katholischen Verbänden begegnet man aber immer wieder auch Menschen mit einem masochistisch gepflegten „Leiden an der Kirche“, einem fast pathologisch gewendeten sentire cum ecclesia.

„Kleine Tragödien des schwachen Gewissens“

Die „uneingestandene Identifikation“ dieser unerwiderten „Liebe zur Kirche“, biographisch häufig noch verbunden mit dem „verträumten Blick zurück“ (etwa auf den „Mythos Konzil„), verhindert meist einen konsequenten Abschied von dem als repressiv empfundenen (und oft verbalradikal kritisierten) System.

Der römisch-katholische Kirchenrechtler Hans Barion (dokumentiert in Werner Böckenförde [Hg.], Kirche und Kirchenrecht. Gesammelte Aufsätze von Hans Barion, Paderborn u.a. 1984) bezeichnete diese oft lebenslänglichen Fixierungen bereits vor Jahrzehnten zynisch, aber treffend als „kleine Tragödien des schwachen Gewissens“, die dort vor sich gingen,

„wo die objektive Eindeutigkeit der kirchlichen Lehre und die Härte des ihren dogmatischen Gehalt schützenden kanonischen Rechts mit seinen Strafen auf einen Verstand und Willen treffen, die weder die Kraft haben, das eigene Ich mit seinen subjektiven Meinungen und Strebungen in die objektive Gemeinschaft der katholischen Kirche einzufügen, noch die entgegengesetzte Kraft, das eigene Gewissen über die Lehre der Kirche zu stellen, wenn es von ihr abweicht.“

Norbert Lüdecke erklärt dieses paradox anmutende Verhalten damit, man würde „die biographische Fernbindekraft der soziologisch immer noch erfolgreichen ‚Sinnagentur‘ römisch-katholische Kirche unterschätzen“. Diese Analyse wird bestätigt durch den Befund des römisch-katholischen Religionssoziologen Michael N. Ebertz (Freiburg), der die Möglichkeiten der „Dissonanzreduktion“ insbesondere für römisch-katholische Frauen, die trotz aller Akzeptanzprobleme ein hohes Maß an ehrenamtlichem Engagement und emotionaler Verbundenheit mit der Kirche aufweisen, in seinem Beitrag über „Frauen und die katholische Kirche in Deutschland“ (erschienen in M. Klöcker / U. Tworuschka [Hg.]: „Handbuch der Religionen„) erläutert:

So würde das „Eigentliche des Glaubens“ von kirchenoffiziellen Lehren getrennt oder zwischen „Kirche“ und Pfarrgemeinde unterschieden; kognitive Dissonanzen könnten „durch liberale Einstellungen in der Pastoral ‚vor Ort‘ reduziert werden“. Auch „spezielle kirchliche Rituale“ in der Frauenseelsorge, die „Träume und Visionen (…) pflegen“, würden „Störungen der Beziehung zur kirchlichen Institution“ auffangen.

Wichtig sei auch die „Ventilfunktion“ der römisch-katholischen Verbände, solche Orte seien „durchaus in der Lage, genügend Gratifikationen bereit zu halten, Kirchenkritik zu absorbieren und über die Vermittlung zumindest von ‚voice‘-Fiktionen den Exit von Frauen in größerem Ausmaß zu verhindern“. Statt das kirchliche System durch den dauerhaften Entzug ihres ehrenamtlichen Engagements (etwa einem „Kirchenstreik“) zu schwächen, haben die Verbände aus Ebertz’ Sicht

„die Funktion einer institutionalisierten Dauerreflexion übernommen, in der auch und gerade in der Kommunikation der Differenz zu den lehramtlichen Äußerungen der katholischen Kirche soziale Nähe zu ihr und Bindung an sie gesteigert werden soll, jedenfalls Kirchendistanz vermindert und die Chance zum Kirchenaustritt reduziert werden soll.“

Die für solche „postmodernen Balancierungen“ erforderliche Frustrationstoleranz bringen allerdings jüngere Menschen kaum noch auf. „Der Frust sitzt tief“ heißt es ein Artikel im Kirchenboten, der Wochenzeitung für das Bistum Osnabrück, der Hoffnung auf Veränderungen werden gleichwohl wenig Chancen eingeräumt:

„Vielleicht beruhigen sich die Wogen wieder, auch ohne große Reformen. Weil viele Katholiken sich mit ihrer Kirche arrangiert haben. Für viele andere Gläubige, vor allem jüngere, wird sie dann aber noch mehr an Bedeutung verlieren.“

Empörung reicht nicht!“ – meinte Norbert Lüdecke bei einer Veranstaltung zu „offenen Fragen nach der Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz“ Ende Oktober 2018 in Trier:

„Sie müssen entscheiden, was für Sie mehr zählt – Ihre kirchliche Vernabelung und persönliche Sympathien oder der Druck, den Kardinal Marx als notwendig anzeigt. Wenn Sie aber effektive Mittel scheuen, etwas an dem zu ändern, über das Sie sich empören, dann sollten Sie auch damit aufhören und sich mit der „Übergriffigkeit des Systems“ abfinden. Wir alle werden die Kirche haben, die wir verdienen.

Es ist kompliziert.