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Brandstifter statt Brandmauer – Die #LaTdH vom 2. Februar

Die gedeihliche Zusammenarbeit von CDU/CSU und Kirchen steht auf dem Spiel, weil Friedrich Merz nach Rechts schielt. Außerdem: Aufarbeitungsgesetz beschlossen und Hinweise zum Rechtspopulismus.

Herzlich Willkommen!

Über eine Viertelmillion Menschen sind an diesem Wochenende bereits gegen den Rechtsruck in Deutschland auf die Straße gegangen. In Stuttgart (44.000) in Hamburg (65.000) und in vielen weiteren großen und kleineren Städten. Die Demos richten sich gegen die AfD – und klarer noch als im vergangenen Jahr gegen die CDU, insofern sie die sog. „Brandmauer“ zu den Rechtsextremen einzureißen bereit ist. In dieser Woche gab es für solche Befürchtungen mehr Anlässe, als uns allen lieb sein kann.

Im Deutschen Bundestag führte die Union am Mittwoch gemeinsam mit FDP und AfD einen Entschließungsantrag zur Verschärfung der Migrationspolitik zu einer Mehrheit. Am Freitag dann unternahm die CDU/CSU-Fraktion den Versuch, gemeinsam mit Stimmen aus FDP, BSW und AfD ein sog. „Zustrombegrenzungsgesetz“ zu verabschieden. Über diesen letztlich gescheiterten Versuch und seine politischen Hintergründe wurde bereits reichlich geschrieben und geredet. Seine Folgen werden uns nicht nur im übrigen Bundeswahlkampf, sondern viele Monate (gar Jahre?) beschäftigen.

Auch die Kirchen haben in dieser intensiven politischen Woche eine gewichtige Rolle gespielt. Die „Kirchenbotschafter“ bei der Politik, die PrälatInnen Anne Gidion und Karl Jüsten, haben sich mit einem Brief und einer gemeinsamen Stellungnahme zum Geschäft des Deutschen Bundestages verhalten. So wie es ihre Aufgabe ist. Mehr dazu in der „Debatte“ dieser #LaTdH.

Nicht zuletzt demonstrieren abermals viele tausende Christ:innen mit, sprechen Kirchenvertreter:innen auf den kleinen und großen Demos. Sie treibt die Entrüstung darüber an, dass die Christdemokratie „gemeinsame Sache“ mit den Rechtsextremen macht. Bereits am vergangenen Wochenende fasste die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, das auf der „Lichtermeer“-Demo in Berlin so zusammen:

„Bleibt bei der Wahrheit und verdreht keine Fakten. Verratet nicht Menschen, die Schutz suchen. Achtet Recht und Gesetz. Dient dem Gemeinwohl. Und hört endlich auf zu hetzen. Hass ist gottlos. Alle reden von Brandmauer, zuallererst brauchen wir Anstand. Wer Anstand hat, macht keine Sache mit Rechtsextremen. Wer Anstand hat, hält Abstand. Und zwar den größtmöglichen. Im Parlament und überall.“

„Verratet nicht die Menschen, die Schutz suchen.“ Ein guter Satz. Würden auch ohne den Tabubruch von Union und FDP so viele Menschen auf die Straßen gehen, einfach nur, weil die nächste Runde an Verschärfungen in der Flüchtlings- und Migrationspolitik ansteht? In der aufgeheizten Bundestagsdebatte am Freitag verteidigten SPD und Grüne ihre migrationspolitische Bilanz: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wies auf die „Erfolge“ der Regierung hin: Es kommen deutlich weniger Menschen nach Deutschland und von denen, die da sind, wurden mehr abgeschoben. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verteidigte das neue europäische Asylsystem (GEAS), das die bisherige Bundesregierung in voller Härte umsetzen will, inklusive Haft für Migrant:innen und ihre Familien an den EU-Außengrenzen.

Es ist nicht undenkbar, dass SPD und Grüne den von der Union vorgeschlagenen Maßnahmen im Entschließungsantrag und im Gesetzesentwurf zum „Zustrombegrenzungsgesetz“ doch noch zustimmen. Vielleicht nach der Bundestagswahl, wenn sie – möglicherweise sogar beide – mit der Union eine Koalition bilden werden, weil es nun mal auf die Kompromissfähigkeit der Demokrat:innen ankommt. Wären die CDU/CSU-Anträge nicht so schlampig erarbeitet, verfassungsrechtlich unsauber, unnütz und unsinnig gewesen – vielleicht wäre SPD und Grünen das „Nein“-Sagen schon in dieser Woche noch schwerer gefallen.

Es ist gut, dass viele Menschen in diesen Tagen die Politiker:innen daran erinnern, dass es neben den Umfragen, in denen sich viele Menschen eine härtere Gangart in der Migrationspolitik wünschen, auch noch weitere Faktoren im politischen Geschäft gibt. Es ist gut, Wahrhaftigkeit und Anstand einzufordern. Soll das alles aber nicht allein der Selbstberuhigung dienen, mit „denen da“, den Rechtsextremen, nichts am Hut zu haben, gehört dazu auch die Wahrheit, dass die Migrationspolitik von der Ampel-Regierung bereits massiv verschärft wurde. Wir haben es in den letzten Monaten nicht zuletzt am Kampf um das Kirchenasyl doch beobachten können (wir berichteten).

Die Menschen, die Schutz suchen, drohen in diesen Tagen zur Verschiebemasse der Politik zu werden. Es geht um Politik als politics und den Demonstrant:innen um polity, aber wo bleibt die policy? Wer kümmert sich in diesem Zyklus der Politik um die inhaltliche Dimension? Wer ist tatsächlich mit Problemlösung befasst? Die Anträge der Union waren daran erkennbar nicht interessiert. Die AfD zündelt ohnehin nur zum Eigennutz. CDU/CSU, FDP und BSW haben sich in der zurückliegenden Woche mit den Brandstiftern arrangiert.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Über Ansinnen und Motivation des CDU-Vorsitzenden und Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, die Migrationspolitik nach der Gewalttat von Aschaffenburg zum zentralen Wahlkampfthema zu erheben, über das Handeln und Scheitern der Unions-Fraktion im Deutschn Bundestag, und die Reaktionen der weiteren politischen Akteur:innen wird in diesen Stunden und Tagen reichlich gesprochen und geschrieben. Erhellend fand ich bisher die Kommentierung von Stephan Detjen, der sich im Deutschlandfunk um die „bürgerliche Mitte“ sorgt, und den Kommentar von Stefan Kuzmany im SPIEGEL (€). Kuzmany schreibt u.a.:

[D]ie allgemeine Empörung, Verunsicherung und Ablehnung hätte Friedrich Merz vorhersehen müssen, wäre er nicht so sehr damit beschäftigt gewesen, starr geradeaus zu blicken. […] Was Friedrich Merz da getan hat, ist auch ein faszinierend vollständiges politisches Desaster. Ungläubig reibt man sich die Augen: Wie kann sich einer, der doch gefühlt schon Kanzler war, solche Fehler erlauben? Noch haben die Patzer des Friedrich Merz vor allem Unterhaltungswert. Einen Bundeskanzler jedoch, der es schafft, in wenigen Tagen solche Wagenladungen Mist anzuhäufen, kann niemand wollen, dem an einer klugen Regierung gelegen ist.

Und damit will ich es an dieser Stelle mit der Manöverkritik auch bewenden lassen und mich stattdessen der kirchen-politischen Dimension der Vorgänge zuwenden. Da wäre zunächst die Einrede durch die PrälatInnen der beiden großen Kirchen, die es nicht nur in die Regierungserklärung des Bundeskanzlers geschafft hat, sondern auch innerkirchlich für Diskussionen sorgt. Desweiteren die Frage, inwieweit Union und Kirche eigentlich noch zur Kooperation in der Lage sind. Und zuletzt die Frage, welche Bedeutung kirchliche Positionen eigentlich für Politiker:innen haben, die sowohl in der Kirche als auch in der Union wirken.

Überrascht nicht, interessiert doch – Philipp Greifenstein (Die Eule)

Über die gemeinsame Stellungnahme der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Anne Gidion, und ihres katholischen Kollegen Karl Jüsten habe ich bereits am Mittwoch ausführlich in der Eule geschrieben. Die gemeinsame Stellungnahme, die vor allem mit juristischen Argumenten gegen einige von der Unionsfraktion in ihren Anträgen formulierte Anliegen in der Migrationspolitik aufwartet, gibt es inzwischen auch auf der Website des Katholischen Büros und als PDF.

Der Erklärung beigestellt haben Gidion und Jüsten ein kurzes Schreiben, das der Kanzler im Deutschen Bundestag einen „Brandbrief“ nannte und dessen Inhalt noch mehr als die sachlichen Einwände der gemeinsamen Erklärung in der (katholischen) Kirche zu Debatten führte. Im Brief heißt es:

„Zeitpunkt und Tonlage der aktuell geführten Debatte befremden uns zutiefst. Sie ist dazu geeignet, alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten zu diffamieren, Vorurteile zu schüren und trägt unserer Meinung nach nicht zur Lösung der tatsächlich bestehenden Fragen bei. Die nun vorgeschlagenen Verschärfungen sind nicht zielführend, vergleichbare Taten zu verhindern und tragfähige Antworten auf das öffentliche Sicherheitsbedürfnis zu geben.

Außerdem sind in dem Gesetzentwurf und in den Anträgen Punkte enthalten, die unserer Auffassung nach rechts- bzw. verfassungswidrig sind oder geeignet erscheinen, die Grundpfeiler der Europäischen Union zu erschüttern. So verstoßen dauerhafte Grenzkontrollen und eine Abweisung von Schutzsuchenden an den deutschen Außengrenzen gegen geltendes EU-Recht. Die EU beruht im Wesentlichen darauf, dass für gemeinsame Schwierigkeiten gemeinsame Lösungen gefunden werden, nationale Alleingänge zerstören auf Dauer das Fundament der Europäischen Union. Auch das Ansinnen einer dauerhaften Inhaftierung von Ausreisepflichtigen, wenn eine Abschiebung absehbar nicht durchgeführt werden kann, verstößt gegen verfassungsrechtliche Garantien.

Die Fraktionen haben sich mit der Auflösung der Ampelkoalition darauf verständigt, keine Abstimmungen herbeizuführen, in der die Stimmen der AfD ausschlaggebend sind. Wir befürchten, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt, wenn dieses politische Versprechen aufgegeben wird.“

Aus dem Schreiben der PrälatInnen und der gemeinsamen Erklärung zitierten mehrere Medien, denen die Schriftstücke vorlagen, weil Abgeordnete des Deutschen Bundestages sie weitergaben und veröffentlichten. Das ist bei den Stellungnahmen der „Kirchenbotschafter“ zu Gesetzgebungsverfahren eigentlich unüblich.

Zu wichtigen Vorgängen veröffentlichen die Kirchenbüros selbst ihre Einschätzungen und die Stellungnahmen in verschiedenen Anhörungsprozessen des Deutschen Bundestages und der Regierung (z.B. in Ausschüssen, Enquete- und anderen Kommissionen) werden natürlich protokollarisch erfasst, aber erregen nur ganz selten die öffentliche Aufmerksamkeit. Dass ausgerechnet Olaf Scholz (SPD), der den Kirchen gegenüber sonst häufig kaltschnäuzig auftritt, sich in einer entscheidenden Regierungserklärung vor dem Bundestag auf ihre Stellungnahme beruft, darf erstaunen.

Die PrälatInnen jedenfalls vertreten inhaltlich exakt das, was zur Migrationspolitik und zur politischen Kultur Abstimmungsstand in ihren Kirchen und Konsens zwischen den Kirchen ist. Dazu gehören nicht nur die Mahnungen in der Migrationspolitik, insbesondere zum Familiennachzug, der völlig unsinniger Weise ohne jeden Anhaltspunkt in der Sache von der Union in ihrem Entwurf eines sog. „Zustrombegrenzungsgesetzes“ problematisiert wurde, sondern auch Mahnungen zur vertrauensvollen politischen Zusammenarbeit der demokratischen Parteien.

RE: Januar 2025 – CDU vs. Kirche, Budde-Predigt & ForuM-Jahrestag – Michael Greder, Philipp Greifenstein (Die Eule)

Wie ich schon in der aktuellen Episode des „Eule-Podcast“, unserem Monatsrückblick „RE:“ für den Januar 2025, geschildert habe, agieren sowohl Gidion als auch Jüsten mit ihrem Brief an die Abgeordneten des Bundestages selbstverständlich in den Grenzen ihrer jeweiligen Vollmachten. Natürlich müssen kirchliche Bevollmächtigte die Expertisen aus Kirchensicht, die sie in Berlin, in Brüssel oder bei den Ländern vortragen, nicht vollständig und en detail von anderen kirchlichen Dienststellen absegnen lassen, solange sie inhaltlich das vertreten, was ihnen aufgegeben ist.

In der römisch-katholischen Kirche jedoch gab es über Brief und Stellungnahme eine kleinere Auseinandersetzung, weil sich die Bischöfe von Regensburg und Eichstätt, Rudolf Voderholzer und Gregor Maria Hanke, von Prälat Jüsten nicht vertreten fühlten. Dem Magazin COMMUNIO sagte Voderholzer:

„Ich halte die parteipolitische Positionierung von Bischöfen für falsch und bin verärgert über das Vorgehen des Katholischen Büros. Die aktuelle Stellungnahme gegen einen Gesetzentwurf der CDU/CSU spricht nicht in meinem Namen. Ich distanziere mich in aller Form davon. Leider kann die DBK nicht mehr mit einer Stimme sprechen, wie es das Papier vorgibt.“

Nun muss man in der Sache nicht allzu sehr bekümmert sein um den Dissens in der Bischofskonferenz (DBK): Von Bischöfen wie Voderholzer und Hanke, die kein Problem damit haben, mit Rechtsradikalen zu demonstrieren (wir berichteten), muss man Ratschläge zur politischen Landschaftspflege nicht entgegennehmen. Mit dem Inhalt der gemeinsamen Erklärung haben sich die beiden offenbar weder befasst oder sogar womöglich überhaupt kein Problem. Ihre Kritik richtet sich gegen den öffentlichen Widerspruch gegen die Union während des Wahlkampfs.

Die Generalsekretärin der DBK, Beate Gilles, hielt es darum für geboten, per Brief (PDF) klarzustellen, dass beim „Ständigen Rat“ der DBK Anfang der Woche „mehrheitliche Meinung“ war, es sei „nicht sinnvoll“, „in die Debatte und damit in den Wahlkampf öffentlich einzugreifen“. Sollte die Bischofskonferenz im demokratischen Ernstfall etwa verstecken, was sie genau vor einem Jahr bekannte? Ist eine Stellungnahme gegenüber den Abgeordneten eine öffentliche Parteinahme?

Die langsame Entfremdung – Benjamin Lassiwe (Weser-Kurier)

Unter der Woche wurde die Einrede der Kirchen von CDU/CSU-Politikern schroff zurückgewiesen („Überrascht nicht, interessiert nicht“). Bei der Bundestagsdebatte am Freitag bezog sich kein:e Abgeordnete:r der Union auf die kirchlichen Stellungnahmen, auch nicht auf die Kritik der EKD-Synoden-Präses Anna-Nicole Heinrich oder irgendein Wort eines Leitenden Geistlichen, von denen es in dieser Woche eine Reihe gab.

Apropos: Auch in der Evangelischen Kirche teilen sicher nicht alle Akteur:innen die Kritik an Stil und Inhalt, wie sie von Anne Gidion vorgetragen wurde. So beschreiben es Reinhard Bingener und Daniel Deckers in ihrem Bericht für die FAZ (€) sicher zutrefffend, ohne jedoch außer dem EKD-Ratsmitglied Thomas Rachel (s.u.) weitere Zeugen anzuführen. Doch wer die Stellungnahmen der Landesbischöfe Ernst-Wilhelm Gohl (Württemberg), Christian Kopp (Bayern, Predigt zum Trauergottesdienst in Aschaffenburg) und des rheinischen Präses (EKiR) Thorsten Latzel aus den vergangenen Tagen liest, dem wird bei all diesen – keineswegs „linksgrünen“ Akteur:innen – auffallen, wie tief das evangelische Einverständnis im Unverständnis gegenüber den Manövern des CDU/CSU-Kanzlerkandidaten und seiner Fraktion ist.

Benjamin Lassiwe sieht in den Vorgängen dieser Woche die Zuspitzung einer „langsamen Entfremdung“ zwischen Union und Kirchen: „Es scheint, als hätten sich die Kirchen und die C-Parteien nicht mehr allzu viel zu sagen.“ Der Dissens in der Migrationspolitik ist dafür zentral. Unionspolitiker:innen, nicht alle gleichwohl, werfen der evangelischen Kirche mangelnden Realitätssinn vor (wir berichteten). Konservative Positionen geraten auch in den Landeskirchen dort ins Hintertreffen, wo man sich von Kulturkampfrhetorik und Rechtspopulismus konsequent distanziert.

Während die Kirchen bei Themen wie dem Klimaschutz, der Bewahrung der Schöpfung und im Fall der Protestanten auch der Gleichstellung der Geschlechter eher liberal und progressiv unterwegs sind, interpretiert die CDU ihr „C“ im Parteinamen eher konservativ. Der Kampf gegen Abtreibungen, der Schutz verfolgter Christen in islamischen Ländern – und die damit verbundene Kritik am Islam –, restriktive Regelungen in der Sterbehilfe oder der Stammzellforschung sind Themen, bei denen sich die Unionsparteien gerne auf das „C“ berufen.

Doch gerade diese Themen und die von der CDU dazu bezogenen Positionen sind in den Kirchen oft die Stimmen einer Minderheit. In den Synoden haben CDU-Politiker, etwa der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe oder der Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU, Thomas Rachel, oft einen schweren Stand: Man respektiert die aufrechten, aus einem starken persönlichen Glauben getragenen konservativen Haltungen der Christdemokraten. Man nimmt sie zur Kenntnis. Aber man teilt sie oft nicht.

Lassiwe wünscht sich einen „ergebnisoffenen Dialog“, gerne auch auf offener Bühne (wie es dem Protestantismus sowieso angemessen ist), vielleicht ja beim Kirchentag in Hannover Ende April / Anfang Mai 2025. Dort soll Friedrich Merz wieder eine Bibelarbeit halten, aber eine große Diskussionrunde mit ihm ist nicht vorgesehen.

Die wechselseitige Entfremdung reicht jedoch tiefer: Seit vielen Jahren schon ist es in den evangelischen Kirchen nicht mehr unbedingt erforderlich, sich mit der Christdemokratie gut zu stellen oder gar selbst CDU-Mitglied zu sein, um Karriere zu machen. Zugleich bedeutet ein Engagement in der Kirche für christdemokratische und -soziale Politiker:innen nicht automatisch, von dort auch Unterstützung für eigene Anliegen zu erhalten. Markus Söder war mal Landessynodaler in Bayern.

Die Abgeordneten Gröhe und Rachel gehören zu einer Generation, die sich noch selbstverständlich in der Kirche beheimatet sieht. Insbesondere bei jüngeren Politiker:innen sieht das anders aus. Das Interesse an den Kirchen hat merklich nachgelassen und insbesondere die Bereitschaft von CDU/CSU- und FDP-Politiker:innen sich innerhalb der Kirchen an den Meinungsbildungsprozessen zu beteiligen. Was für evangelische Synoden gilt, kann man übrigens ebenso in den Gremien der (Erz-)Bistümer und in den katholischen Lai:innenorganisationen beobachten. Die Entfremdung ist wechselseitig.

Der Entfremdung insbesondere auf Bundesebene, steht die gute Zusammenarbeit in den Ländern und vor allem in den Kommunen gegenüber, die es zwischen Kirchengemeinden und CDU/CSU-Akteur:innen häufig genug gibt. Wie wir erst im „Wahlcheck Religionspolitik“ im „Eule-Podcast“ wieder eindrücklich beschrieben haben, ist eine gedeihliche Kooperation mit der Christdemokratie für die Kirchen schon aus Eigennutz angezeigt. Und man geht wohl nicht zu weit, wenn man in der Achse Union-Kirchen einen der entscheidenden Stabilitätsanker unserer Republik sieht.

Auch wenn man sich in der Sache uneins ist, braucht es dafür aber grundlegenden Respekt im Miteinander. Die Verunsicherung über den Kurs des Kanzlerkandidaten reicht bis weit in die Christdemokratie hinein. Soll wieder heil werden, was an Vertrauen angekratzt ist, braucht es mindestens einmal ein deutliches Zeichen der Parteiführung um Friedrich Merz, das über die papierenen Würdigungen im Wahlprogramm hinausgeht.

Trotz Mahnung!

Ein bemerkenswertes Dokument für die Entfremdung ist das Abstimmungsverhalten kirchennaher Abgeordneter aus Union und FDP in dieser Woche. Einige Abgeordneten der „bürgerlichen Parteien“ hielten es nämlich für geboten und offenbar auch möglich, den Anträgen am Mittwoch und dem Gesetzesvorhaben am Freitag wenigstens durch Absenz bei der Abstimmung (oder gar „Nein“-Stimme wie Antje Tillmann (CDU)) nicht zuzustimmen. Doch sowohl das EKD-Ratsmitglied Thomas Rachel als auch die EKD-Synodalen Hermann Gröhe und Linda Teuteberg (FDP, s. auch dieses bemerkenswerte DLF-Gespräch) stimmten jeweils zu, als ihre Fraktionen eine Mehrheit mit AfD und BSW zustandebrachten / -bringen wollten.

Auf katholischer Seite brachten das u.a. auch die CDU-Abgeordneten Anja Karliczek, Martina Engelhardt-Kopf und Mechthild Heil übers Herz. Alle drei sind in hervorgehobenen Positionen in katholischen Frauenverbänden engagiert. Doch sowohl die Mahnung der PrälatInnen als auch ein Offener Brief von katholischen Akteurinnen (Text) brachte sie von ihrer Zustimmung und Fraktionsdisziplin nicht ab. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, hatte unter der Woche noch gehofft:

„Es ist gut zu sehen, dass es innerhalb der Union auch erste Widerstände gegen diese Linie gibt. Das betrifft auch Personen, die sich ehrenamtlich im ZdK engagieren.“

Nun sind evangelische und katholische Abgeordnete, auch solche die gerne mal betont kirchennah auftreten oder als Politiker:innen in den evangelischen und katholischen Kirchen wirken, selbstverständlich nicht an den Inhalt kirchlicher Stellungnahmen gebunden. Sie sind in ihrer Mandatsausübung frei – und doch verpflichtet, das Mandat „nach bestem Wissen und Gewissen zum Wohle der Menschen in Deutschland“ auszuüben. Gerade in diesen Tagen, da sich Friedrich Merz bei seinem wilden Ritt nach Rechts auf sein „Gewissen“ beruft, wie nicht nur Jürgen Kaube in der FAZ aufgefallen ist, wünscht man sich eine intensive und öffentliche Selbstprüfung der Christ:innen in der Politik, ob ihr gegenwärtiges Handeln diesem hohen Anspruch gerecht wird.

nachgefasst I: Bundestag gegen (sexualisierte) Gewalt

Bundestag beschließt UBSKM-Gesetz

Kurz vor Ende der Legislatur hat der Deutsche Bundestag endlich das „Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ verabschiedet. Es ist ein Erfolg der aktuellen Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Kerstin Claus (Grüne), dass das Gesetzvorhaben nun abgeschlossen ist. Claus zeigte sich erleichtert:

„Ich bin sehr erleichtert, dass es den demokratischen Fraktionen im Bundestag doch noch gelungen ist, das UBSKM-Gesetz zu verabschieden. Es zeigt, dass der Kampf gegen sexualisierte Gewalt und damit der Schutz von Kindern und Jugendlichen in Deutschland auch in Zeiten des Wahlkampfes fraktionsübergreifend Priorität hat. Gerade für Betroffene ist dies – exakt 15 Jahre nach dem Beginn des sogenannten Missbrauchsskandal – ein immens wichtiges Zeichen politischer Verantwortungsübernahme.“

Damit ist klar, dass es – unabhängig von der Regierungskonstellation – in der nächsten Legislatur des Deutschen Bundestages regelmäßig Berichte der oder des UBSKM vor dem Parlament geben wird. „Eine Grundlage für den Bericht werden kontinuierlich erhobene Zahlen zum Ausmaß sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche heute sein“, hofft Claus. Sie verweist vor allem auf das neue „Zentrum zur Prävalenzforschung“.

Und das bringt uns doch dahin, was dieses neue UBSKM-Gesetz eben nicht leistet, auch weil die Haushalter mehrerer Fraktionen dafür keinen Spielraum sahen: Eine deutschlandweite Dunkelfeldstudie ist nicht ausfinanziert. Von einer Bundesstiftung für Betroffene und der eigentlich dringenden Novelle des Opferentschädigungsrechts ist man weit entfernt. Die Sprecher:innen von Betroffenen und KirchenvertreterInnen im Beteiligungsforum der EKD (BeFo) lobten die Verabschiedung des Gesetzes trotzdem.

Kompromiss gefunden – Luisa Faust (taz)

Ebenfalls am Freitag verabschiedete der Bundestag nach einer hakeligen Kompromissfindung zwischen SPD, Grünen und Union auch ein neues Gewalthilfegesetz. Frauenhäuser und Beratungsstellen sollen deutlich besser finanziert werden, der Bund stellt dafür 2,6 Milliarden Euro bereit, schreibt Luisa Faust in der taz. Sind „die Parteien der demokratischen Mitte“ also doch gemeinsam handlungsfähig, wie Friedrich Merz am Freitagabend mit Verweis auf dieses Gesetz, für das er sich auch persönlich sehr stark eingesetzt habe, behauptete?

Vom verbesserten Gewaltschutz ausgeschlossen sind Trans, inter und non-binäre Personen – auf ausdrücklichen Wunsch der Union. Das ist völlig unsachgemäß, „denn sie sind besonders häufig von Gewalt betroffen“. Ist dieses Beharren der Union auf der Exklusion nicht einfach rechtspopulistischer Anti-Genderismus?

nachgefasst II: Missbrauch evangelisch

Über den Stand der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche und Diakonie ein Jahr nach Veröffentlichung der „ForuM-Studie“ sprechen Michael Greder und ich ebenfalls in der aktuellen Episode des „Eule-Podcast“ – und zwar ausführlich, bevor wir uns der Predigt von Bischöfin Mariann Budde im Angesicht Donald Trumps, dem Streit zwischen Union und Kirchen und „der guten Nachricht des Monats“ zuwenden. Hören Sie rein!

Im Artikel zur Podcast-Folge finden Sie auch weitere Lese- und Medienhinweise: Zur Aufarbeitung in der Evangelischen Kirche zum Beispiel die Folge „Ein Jahr nach der ForuM-Studie – Sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche“ des Podcasts „vertikal.horizontal“ der Religionsredaktion des NDR (45 Minuten) und die Fernseh-Dokumentation „Missbrauch · Aufarbeitung oder Stillstand?“ aus der Reihe „STATIONEN“ des BR (29 Minuten).

Theologie

Topoi und Netzwerke der religiösen Rechten – Herausgegeben von Hans-Ulrich Probst, Dominik Gautier, Karoline Ritter, Charlotte Jacobs (transcript Verlag, 402 Seiten)

Rechtsextreme Vorstellungen wie identitärer Nationalismus, die Verbreitung von Verschwörungserzählungen, Anti-Genderismus und Anti-Umweltschutz bauen häufig auf Begründungsmustern auf, die ihren Ursprung in der christlichen Religion haben. Kirche und Theologie müssen sich hier verantwortlich zeigen, auch wenn Rechtsextreme nicht explizit als Christliche Rechte auftreten.

In diesem brandneuen wissenschaftlichen Aufsatzband schreiben eine Reihe von Autor:innen (u.a. Regina Elsner, Karoline Ritter (Podcast „Bildstörungen“), Maria Hinsenkamp (s. #LaTdH vom 22. Dezember 2024), Samuel Epp und Charlotte Jacobs) über verbindende Feindbilder zwischen extremer Rechter und Christentum. Das Buch steht im Open Access zur Verfügung, kann als PDF kostenfrei heruntergeladen werden. (Die Printversion ist bereits „leider vergriffen“.)

Die Rhetorik der Rechten: Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick – Franziska Schutzbach

Wesentlich kürzer (143 Seiten) und auch allgemeinverständlicher ist das Buch „Die Rhetorik der Rechten: Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick“ von Franziska Schutzbach. Wem an einer Unterscheidung zwischen Konservatismus, Rechtspopulismus und Rechtextremismus gelegen ist, dem*der sei dieses Buch ausdrücklich ans Herz gelegt. Ich empfehle zum Beispiel das Unterkapitel „Emotionen statt Argumente“ (S. 51 ff.), um sich einen Reim auf diese Woche zu machen. Die Autorin stellt das im Handel vergriffene Buch als kostenloses PDF zur Verfügung.

Der Aufschwung rechter Positionen ist nicht nur ein Phänomen an den extremen Rändern der Gesellschaft. Er findet auch in der gesellschaftlichen Mitte statt. Und zwar aufgrund von gezielten Kommunikationsstrategien, die rechte und rechtsextreme Positionen als vernünftige Meinung inszenieren, als Ausdruck des sogenannt gesunden Menschenverstands.

Ein guter Satz

„Die Entscheidungsbedarfe wachsen, die Entscheidungsfähigkeit schwindet.“

– Steffen Mau, Soziologe („Triggerpunkte“, „Ungleich vereint“) im Interview bei Markus Decker vom RND über die Frage der Problemlösungskompetenz der (Parteien-)Demokratie


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