Landesbischof Carsten Rentzing, Foto: Ghostwriter123 (Wikipedia), CC BY-SA 4.0

Carsten Rentzing: Warum der Bischof zurücktritt

Gestern ist der Sächsische Landesbischof Carsten Rentzing zurückgetreten. Er hat als junger Student für eine Zeitschrift der Neuen Rechten gearbeitet. Wie kam es zum Rücktritt des Bischofs?

In den vergangenen Tagen ist es für Carsten Rentzing eng geworden. Wochenlang hatte der Bischof Vorwürfe, die sich auf seine Vergangenheit beziehen, nur scheibchenweise zu entkräften versucht. Am Freitag hat er seinen Rücktritt vom Amt des Landesbischofs der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens erklärt.

Seine bis heute bestehende Mitgliedschaft bei einer schlagenden Studentenverbindung und ein Vortrag in der neurechten „Bibliothek des Konservatismus“ wurden im Anschluss an einen Artikel in der Sächsischen Zeitung kontrovers diskutiert. Eine Petition, die den Bischof zu einer umfassenden Erklärung und Distanzierung von rechten Ideologien auffordert, wurde von über 800 Kirchenmitarbeiter*innen und Gemeindegliedern gezeichnet.

Doch der Bischof tritt nicht zurück, weil er bis heute Alter Herr einer studentischen Landsmannschaft ist. In vielerlei Hinsicht hat die Diskussion dieser Mitgliedschaft vom eigentlichen Skandal abgelenkt. Nicht nur die Öffentlichkeit, auch zahlreiche Journalisten.

Auch die Petition und die Berichterstattung in den Medien sind nicht ursächlich für den Rücktritt. Kein Internet-Mob und keine innerkirchlichen Kritiker der konservativen Theologie des Bischofs sind für seinen Rücktritt verantwortlich. Es hat, soviel ist in den vergangenen Tagen deutlich geworden, niemand so viel zu seiner Misere beigetragen, wie der Bischof selbst.

Lebenslauf als Fragment

Bereits die erste Stellungnahme des Bischofs zur Berichterstattung der Sächsischen Zeitung vom 14. September ließ mehr Fragen offen, als sie beantwortete. Wie passt die Mitgliedschaft bei der Hercynia mit seinen sonstigen Studienaufenthalten zusammen? Wann soll er Zeit gefunden haben für die aufwendige Vorbereitung seiner vier Mensuren? Und: Passt das überhaupt zu dem Carsten Rentzing, wie er sich als Bischof seinen Glaubensgeschwistern darstellt?

Genaue Aussagen zu seiner bis heute fortbestehenden Mitgliedschaft, zu den gefochtenen Mensuren, zu seinem Verhältnis zur Verbindung, hat der Bischof erst in einem Interview mit der Leipziger Internet Zeitung am 6. Oktober gemacht.

Von den meisten Beobachter*innen und Kommentator*innen unbemerkt, enthielt schon die erste Stellungnahme Rentzings Widersprüche zu seiner offiziellen Biographie und den Schilderungen im Artikel. Widersprüche, die zu erkennen wohl nur denjenigen möglich war, die wie Rentzing selbst Kenntnis vom Leben innerhalb einer Studentenverbindung haben, und jenen, die sich die Mühe machten, die unterschiedlichen Zeitangaben ernst zu nehmen.

Zwischen der vom Bischof immer wieder in Anschlag gebrachten Bekehrung zum Glauben, seiner Aktivenzeit bei der Hercynia und seiner Studienzeit liegen je nach Wortmeldung des Bischofs Jahre. Diese Jahre lagen im Dunkeln und der Bischof hat in den vergangenen Wochen keine Notwendigkeit gesehen, von sich aus Licht in seine Vergangenheit zu bringen. Wie sich nun zum Schluss herausstellt, hat sich Rentzing in diesen Jahren in neurechten Kreisen engagiert.

fragmente

Als junger Student war Rentzing als Redakteur der neurechten Zeitschrift fragmente tätig. Dort arbeitete er u.a. mit Wolfgang Fenske zusammen, dem heutigen Leiter der „Bibliothek des Konservatismus“. Rentzing hatte bereits vor Wochen eingestanden, über den persönlichen Kontakt zu Fenske zur Vortragsveranstaltung in der Bibliothek gelangt zu sein, die Natur ihres Verhältnisses allerdings nicht weiter erklärt. Dass beide als neurechte Publizisten Seit an Seit arbeiteten, verschwieg der Bischof.

In den Wochen nach dem Sächsische Zeitung-Artikel verlegte sich die veröffentlichte Aufmerksamkeit fast vollständig auf die Mitgliedschaft Rentzings bei der schlagenden Studentenverbindung. Tatsächlich datiert seine Mitarbeit bei fragmente aus der Zeit vor seiner Aktivität bei der Hercynia.

fragmente erschien zwischen 1989-1992 und war eines der zahlreichen, kleinen Medien der neurechten Szene, die sich in der Tradition der „Konservativen Revolution“ der Weimarer Republik sieht. Die „Neue Rechte“ ist eine Form des intellektualisierten bürgerlichen Faschismus, die heute vor allem vom Sezession-Kreis um Götz Kubitschek und in Teilen der AfD vertreten wird.

Eine Tätigkeit in der Szene und für die Zeitschrift hatte Rentzing in den vergangenen Wochen, als die Recherchen zu seinem Auftritt in der „Bibliothek des Konservatismus“ längst liefen, weder eingeräumt noch erklärt. Auch in der Vergangenheit – z.B. vor seiner Wahl zum Landesbischof – hat sich Rentzing zu seiner Vergangenheit nicht öffentlich geäußert.

Rentzing vertrat Ethnopluralismus und schrieb gegen die Demokratie

Der Eule liegt Material vor, das die Redakteurstätigkeit Rentzings erwähnt. Es stammt aus dem Buch „Was Rechte lesen“. Darin wird auch erwähnt, dass Rentzing für die Zeitschrift zumindest einen Artikel zum Thema Protestantismus und Konservatismus geschrieben haben soll. Außerdem liegt der Eule ein Interview vor, das Rentzing für fragmente mit dem Historiker Ernst Nolte geführt hat.

Die Dokumente wurden mehreren Mitarbeitern der Landeskirche von einer Quelle zugespielt, der von ihnen Anonymität zugesichert wurde. Es ist nicht das erste Mal in der „Affäre Rentzing“, dass eine anonyme Quelle den Anstoß zu weiteren Recherchen gibt. Auch die Mitgliedschaft in der Landsmannschaft wurde bereits im Juni von einem im Verborgenen agierenden Akteur in den Wikipedia-Artikel des Bischofs eingefügt.

Aus einem fragmente-Artikel Rentzings zitiert heute auch die Sächsische Zeitung. Darin wird deutlich, dass Rentzing damals der ethnopluralistischen Ideologie der Neuen Rechten nahestand. Im typischen pseudo-intellektuellen Duktus der Neuen Rechten schreibt Rentzing über die Bedrohung durch Linke und ethnische und weltanschauliche Heterogenität.

Arnd Henze zitiert für tagesschau.de aus den fragmente-Artikeln Rentzings: „Dass ein Staat, (…) in dem Feigheit vor Tapferkeit, Selbstverwirklichung vor Freiheit, Leben vor Ehre gilt, dem Untergang geweiht ist, dürfte kaum bezweifelt werden.“ An anderer Stelle schreibt Rentzing, das demokratische System vermenge „die jeweils klassischen Entartungsformen“.

Das Material zur Mitarbeit bei fragmente lag auch der Kirchenleitung vor, die sich am Freitag zu ihrer Sitzung getroffen hat. Im Anschluss an die Sitzung veröffentlichten Landeskirche und Rentzing jene Rücktrittserklärung, die offen lässt, worin genau der „letzte Tropfen“ besteht, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat. Nun ist klar geworden: Die Salamitaktik der Eingeständnisse des Bischofs hat dazu geführt, dass er sich den Vorwurf gefallen lassen muss, öffentlich gelogen zu haben.

„Du sollst nicht falsch Zeugnis reden“

Die Leipziger Internet Zeitung (LIZ) befragte den Bischof am 6. Oktober zu seinem Verhältnis zur „Bibliothek des Konservatismus“, explizit nach einer Bekanntschaft mit deren Mäzen. Offen blieb seine Freundschaft mit dem gegenwärtigen Leiter Wolfgang Fenske. Bischof Rentzing muss also sehr wohl bewusst gewesen sein, wie sich die Bibliothek verortet und welcher Szene sie angehört, wer sie finanziert und welche Rolle in alldem sein alter Studienfreund Fenske spielt.

Wolfgang Fenske ist ein Multifunktionär der Neuen Rechten. Der Bischof hat bis heute sein Verhältnis zu ihm nicht offengelegt und erklärt. Das erstaunt, weil durch die Andeutung eines persönlichen Verhältnisses in vorausgegangenen Berichten gleichzeitig Anlass für weitere Recherchen bestand.

Warum fällt es dem Bischof bis heute schwer, sich von Verbindungen zu Akteuren der Neuen Rechten zu distanzieren? Die Eule hat beim Pressesprecher der Landeskirche nach einer Stellungnahme des Bischofs nachgefragt, jedoch keine Antwort erhalten. Bischof Rentzing sei in den Urlaub gefahren, berichtet die Sächsische Zeitung.

Rentzing bestand im Interview mit der LIZ darauf: „Mein ganzes Leben lang ist mir nationalistisches, antidemokratisches und extremistisches Denken immer fremd geblieben.“ Dazu steht seine Mitarbeit bei fragmente vor 30 Jahren im krassen Widerspruch. Diesen Widerspruch will Carsten Rentzing offenbar nicht aufklären. Gelegenheit dazu hatte er nicht erst seit Gestern, sondern seit Bekanntwerden seines Auftritts in der „Bibliothek des Konservatismus“. Diese Verweigerung lässt die Beteuerungen des Bischofs, er hätte heute mit der Neuen Rechten nichts am Hut, in fahlem Licht dastehen.

Das den Bischof inkriminierende Material ist seit mehreren Tagen in der Landeskirche im Umlauf. Es bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen, wie lange andere Mitglieder der Kirchenleitung schon von Rentzings Vergangenheit in der Neuen Rechten wussten. Auch, ob er manche seiner Weggefährten schon vor seiner Wahl zum Bischof eingeweiht hat. Ein Mitglied der Kirchenleitung bat heute Morgen gegenüber der Eule um Verständnis dafür, dass man momentan nur sagen könne, dass man „die Entscheidung des Landesbischof mit Respekt gehört“ habe.


Mehr: Lesen Sie auch den Kommentar von Philipp Greifenstein zum Rücktritt des Sächsischen Landesbischofs: Das Missverständnis.