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Kirche

Da muss man doch was gegen tun!

Die neuen Kirchenmitgliedschaftsstatistiken sind veröffentlicht. Es sieht gar gräuslich aus. Die Ratgeber*innen und Untergangsprophet*innen rufen im Chor nach noch mehr entschiedenem Handeln.

Am Freitag veröffentlichten die Kirchen die neuesten Statistiken zur Kirchenmitgliedschaft. Wie erwartet, geht die Zahl der Kirchenmitglieder weiter zurück. Das kann man – wie die EKD – positiv als Bestätigung der eigenen Prognosen framen. Vorherrschend aber sind – wie jedes Jahr – der Katzenjammer und das Selbstmitleid.

Ernüchterndes Zahlenwerk

Kurz zu den Zahlen der evangelischen Kirchen: Mit rund 170 000 Taufen und rund 25 000 (Wieder-)Aufnahmen liegen die Zahlen annähernd auf Vorjahresniveau. Die Zahl der Verstorbenen lag 2018 mit rund 340 000 ebenfalls in vergleichbarer Größenordnung wie im Vorjahr. In vergangenen Jahr sind den evangelischen Kirchen mehr Menschen weggestorben, als in Bielefeld leben. Das kann keine Kirchenreform der Welt wieder einholen.

Drastisch zugenommen hat in diesem Jahr auch die Zahl der Kirchenaustritte, die in den vergangenen Jahren durch Taufen und (Wieder-)Eintritte nahezu aufgewogen werden konnten. Im letzten Kalenderjahr sind sie um 11,6 % angestiegen. 220 000 Menschen verließen die evangelischen Kirchen. So viele Menschen leben in Halle (Saale). Mitglieder in der Größenordnung zweier Großstädte zu verlieren, tut weh.

Und bei den Katholiken bietet sich ein ähnlich ernstes Bild: 216 078 Menschen haben die katholische Kirche verlassen, das sind fast 50 000 mehr als 2017. Der Kirchenaustritt vollzieht sich in ökumenischer Eintracht: Auch die Protestanten leiden unter der Krise der röm.-kath. Amtskirche und den dauernden schlechten Schlagzeilen. Und die katholische Basis wird der evangelischen immer ähnlicher darin, aus mangelnder Bindung an die Kirche auch Konsequenzen bei der Kirchenmitgliedschaft zu ziehen.

Der tiefe Vertrauensverlust der Katholiken zu ihrer Kirche wird auch an anderer Stelle deutlich: Im Erzbistum München und Freising z.B. besuchten im vergangenen Jahr ca. 10 000 Menschen weniger eine der Messen am Wochenende. Alle katholischen Kasualien wurden deutschlandweit weniger nachgefragt – mit Ausnahme der Bestattungen, die ungefähr auf Vorjahresniveau verlieben.

Ritual der Selbstkasteiung

Die Veröffentlichung der Kirchenmitgliedschaftszahlen sind ein jährliches Ritual, das zur Sommerferienzeit Kirchen und Presse vereint. Stets sind sie Anlass zu neuen Untergangsprophetien. Dabei bilden die beiden Kirchen, mit ca. 21 Millionen evangelischen und 23 Millionen katholischen Christ*innen, für sich genommen die mit weitem Abstand größten Religionsgemeinschaften des Landes. Gemeinsam mit weiteren 3 – 5 Millionen Christ*innen anderer Konfession stellen die Christen mit ca. 47 – 49 Millionen Gläubigen noch immer mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung.

Und das, trotzdem die Mitgliedschaft nun schon seit Jahrzehnten freiwillig erfolgt und der Rechtfertigungsdruck zunehmend auf den Bleibenden, nicht mehr auf den Gehenden lastet.

Die jährlichen Kirchenstatistiken sind vielen Kommentator*innen Anlass genug, ihre Deutung der Kirchenkrise(n) zu ventilieren. Naturgemäß bestätigen die Zahlen die eigene Interpretation der Lage. Daran hat sich auch seit 2017 nichts geändert, als ich schrieb:

Manche sehen in der stetig sinkenden Gesamtzahl von Kirchenmitgliedern schlicht die Bestätigung ihrer eigenen (Vor-)Urteile: Sei es, dass die Kirchen völlig aus der Zeit gefallen sind oder dass sie sich dem Zeitgeist übermäßig anbiedern. Die Zahlen sind da interpretationsoffen.

Deutlich werden in den beiden Volkskirchen drei „Lager“, die sich überschneiden und ganz und sich im Denken ähnlicher sind, als sie sich jeweils eingestehen. Da wären die Traditionalisten, die nach einer Kirche der Engverbundenen trachten und meinen, mit der „Anbiederung an den Zeitgeist“ vertreibe die Kirche die Gläubigen. Da wären die Progressiven, die genau in einer solchen Öffnung Hoffnung für die Kirche erblicken. Die Kirche soll sich neuen Lebensstilen und Glaubensgewohnheiten öffnen.

Die dritte Gruppe machen Kirchenleute aus, die gerne Methoden aus der Wirtschaft in Anschlag bringen wollen, um die Institution Kirche zu erhalten. Der inzwischen prominenteste Vertreter dieser Denkrichtung ist kein Oberkirchenrat oder Kirchen-PR-Mann – obwohl unter jenen diese Denke besonders grassiert -, sondern der Bestsellerautor und Christ & Welt-Kolumnist Erik Flügge.

Demut statt Handlungswut

In seiner Kommentierung der neuesten Kirchenstatistiken tritt zu Tage, worum es ihm und vielen in den Kirchen vor allem geht: Den Erhalt einer „Großorganisation“. Viele von Flügges Vorschlägen für eine veränderte Prioritätensetzung innerhalb der Amtskirchen sind durchaus bedenkenswert. Dazu zählt vor allem die Kritik der Jammerei, man schaffe doch so viele qualitativ hochwertige Angebote, es käme nur halt niemand. Flügge schlägt eine aufsuchende Kirche vor, die nicht darauf wartet, dass die Gläubigen mal vorbei kommen. Da ist was dran.

Aber dann verheddert auch Flügge sich – wie die beiden anderen Lager – in der eigenen Perspektive, bleibt – wie sie – seinem Milieu verhaftet. Dass tatsächlich das Neue Geistliche Lied ein triftiges Problem sei, darauf kann man nur aus einer erquicklichen Binnenkirchlichkeit heraus kommen. Überhaupt scheint es – trotz aller gegenläufigen Beteuerungen – allen traditionellen, progressiven und marktliberalen Kritiker*innen vor allem um Äußerlichkeiten zu gehen. Das sei ferne!

Die Rezeption der Kirchenmitgliedschaftszahlen steht andauernd unter dem Vorzeichen des Aktionismus und der Machbarkeit. Da muss man doch was gegen tun! Untersuchungen wie die Projektion 2060 bestätigen Verantwortliche in den Kirchen darin, dass sie selbst noch Einfluss auf die Zukunft ihrer Kirchen haben. Tatsächlich sind beide Kirchen nicht allein dem demographischen Wandel ausgeliefert und ihre Krisen sind hausgemacht. Wer sonst sollte für Vertrauens- und Relevanzverlust verantwortlich sein?

Dass aber die Reaktion darauf immer nur weiterer Aktionismus ist, ernüchtert. Es wird Zeit, dass die Kirchen innehalten, still werden, Dinge sein lassen. Nicht so wie Erik Flügge meint, indem einzelne Aufgabengebiete der Gemeinde entzogen oder ganz abgeschafft gehören. Und ganz bestimmt nicht so, dass der besseren PR wegen Konflikte nur mehr „intern“ und nicht öffentlich ausgetragen werden, wie Flügge ernsthaft und reichlich katholisch empfiehlt. Hektische Betriebsamkeit hat die Kirchen hier her gebracht, sie wird sie sicher nicht aus der Misere herausführen.

Stattdessen braucht es Stille im Sinne eines vertieften Nachdenkens – und Horchens: Was ist unser Auftrag in unserer Zeit? Wo und wie wollen wir uns in unserer kirchlichen Gemeinschaft von Gott dienen lassen? Wozu treibt uns das Evangelium heute an? Eine solche Stille ist notwendig eine demütige Stille. Demut, nicht Handlungswut ist es auch, was die Gläubigen von ihren Kirchenoberen fordern. Eine Demut, die zur Selbstentäußerung führt, nicht in Selbstbezüglichkeit verharrt.