Der Prozess hält, was er verspricht

Nicht mehr, aber auch nicht weniger als der Synodale Weg versprochen hat, haben die Delegierten während dieser Versammlung in Frankfurt (Main) bisher geliefert. Ein Kommentar.

„Wir tragen Verantwortung für den Prozess, die Texte und die Menschen“, betonten immer noch schwer getroffen von den Ereignissen des Donnerstagabends am gestrigen Morgen die beiden PräsidentInnen des Synodalen Weges, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing (Limburg), und die Präsidentin des Zentralkomitees der Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp.

Stetter-Karp drehte die Reihenfolge sogleich auf den Kopf – oder, wie sie meinte, auf die Füße: Zuerst müsse es um die Menschen, dann um die Texte und zuletzt um den Prozess gehen. Die erfreulichen Ergebnisse des Freitags allerdings zeigen: Nur Vertrauen in den Prozess bringt die Teilnehmer:innen des Synodalen Weges an irgendein Ziel.

Unter der schroffen Abweisung des Grundtextes des vierten Synodalforums für eine „erneuerte Sexualethik“ am Donnerstag leiden LGBTQI* in der katholischen Kirche. Nicht nur diejenigen, die an der Versammlung teilnehmen. Es war ein fatales Signal dafür, dass noch ein weiter Weg zu gehen ist, bevor LGBTQI* in der römisch-katholischen Kirche frei und selbstbestimmt leben können. Als größter Hinderungsgrund für eine Zustimmung durch die Bischöfe stellte sich das Festhalten an nicht-heteronormativen Vorstellungen von Sexualität, Gender und Geschlecht im Dokument heraus. Nur etwas mehr als die Hälfte der Bischöfe stimmte dem Antrag zu.

Schmerz im Reformlager

Es ist richtig, dass LGBTQI* – insofern es sich bei ihnen nicht um Homosexuelle handelt – damit unter die Räder gekommen sind. Doch wäre es zu kurz gesprungen, die Ablehnung des Grundtextes durch die Bischöfe allein auf die Missachtung queerer Lebensformen zurückzuführen. Auch die Qualität des Textes, die Präsentation vor der Versammlung und vor allem die Gleichrangigkeit so unterschiedlicher und unterschiedlich kontroverser Themen im Dokument haben eine Rolle gespielt. Hinzu kommen Formalia der Sitzungsgestaltung, über die im Nachgang dieses Wochenendes auch zu reden sein wird.

Besonderen Schmerz im Reformlager, das 90 % der Versammlung umfasst, löste am Donnerstagabend aber nicht allein das Ergebnis der Abstimmung aus, sondern der Stil, in dem es zustande gekommen war. Kaum einer der ablehnenden Bischöfe hatte sich vor der Versammlung erklärt. Das wurde dann in langen, zum Teil schmerzhaften Aussprachen im Anschluss an die Abstimmung und auch am gestrigen Vormittag nachgeholt.

Bei der Aussprache zum Grundtext des Synodalforums 3 „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ am Freitag hatten die Bischöfe dazugelernt. Lang und breit erklärten sie in der Aussprache vor der Abstimmung ihre Zustimmung – oder Ablehnung. Der Ton war dabei durchweg respektvoll. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass nicht allein die Bischöfe endlich in eine dialogische Haltung gefunden, sondern auch so manche:r unter den restlichen Delegierten sich endlich dazu durchgerungen hatte, höflich formulierten Dissens zu würdigen. Für beide Lernfortschritte hat es offenbar die bittere Erfahrung des Donnerstagabends gebraucht.

Es geht, so sieht es die Satzung des Synodalen Weges vor, nicht ohne die Bischöfe. Außenstehenden und nicht-katholischen Beobachter:innen ist es schwer begreiflich zu machen, warum ein kleiner Kreis älterer, weißer,zölibatär lebender Herren eine solche Machtfülle genießt, aber es ist nun einmal so. Das ZdK hat diesem Verfahren 2019 zugestimmt, das neben einer 2/3-Mehrheit der gesamten Versammlung auch eine 2/3-Mehrheit der anwesenden Bischöfe für die Verabschiedung eines Antrages vorsieht. So ungerecht das alles klingen mag: Es entspricht dem verabredeten Prozess.

Eine „Kirche der zwei Geschwindigkeiten“

Deshalb muss man jene Einlassungen des DBK-Vorsitzenden Bätzing mit Sorge hören, in denen er widersinnig ankündigte, den gescheiterten Grundtext des Synodalforums 4 doch irgendwie in die Gespräche mit Papst Franziskus und die Beratungen der Bischofskonferenz einzubringen sowie in seinem Bistum daran anzuknüpfen. Nur letzteres steht ihm zu. Auf diesen Umstand musste ausgerechnet der konservative Bischof von Passau, Stefan Oster, den Vorsitzenden seiner Bischofskonferenz hinweisen. Wenn es wirklich „nicht auf die konkreten Beschlüsse der Beratungen“ ankäme, bräuchte man sich in der Tat nicht zusammensetzen.

Eine Teilnehmerin sprach davon, man müsse sich auf eine „Kirche der zwei Geschwindigkeiten“ bei diesem Thema einstellen. So sei es ja bei den evangelischen Kirchen schließlich auch (gewesen). Darauf deuten jedenfalls die Statements mehrerer Bischöfe hin, die den Grundtext in ihren Bistümern (z.B. Essen, Dresden-Meißen) mit Leben füllen wollen.

Der Synodale Weg krankt an seiner mangelnden Lehrbefugnis, an der Zementierung klerikaler Macht durch die doppelte Stimmmacht der Bischöfe, am gewöhnungsbedürftigen Tagungsstil, am Bedeutungsschwindel, dem nicht wenige Delegierte erlegen sind. Tief enttäuscht sprachen Teilnehmer:innen im Plenum im Anschluss an Norbert Lüdecke (hier & hier in der Eule) von „Beteiligungssimulation“.

Den Todesstoß aber würde man dem Projekt mit seiner ohnehin begrenzten Reichweite verpassen, indem man die einmal formulierten Regeln aufgäbe, die immerhin beide Seiten binden. Das „Deutungsmonopol der Gerontokraten“ würde so nur abermals betoniert. Mitverantwortlich dafür wäre das Zentralkomitee der Katholiken. Wer auf dem Synodalen Weg etwas „für die Menschen“ erreichen will, muss zum Prozessualen stehen.

Auf dem Weg zur Synodalität

Denn „der Prozess“ und die Sorge um die eigene Macht waren es am Ende, die dem DBK-Vorsitzenden Bätzing Beine machten. In „Fraktionssitzungen“ mit seinen Bischofskollegen vor den Schlussabstimmungen am Freitag versicherte er sich endlich der Zustimmung einer ausreichenden Mehrheit unter den Bischöfen, erarbeitete Kompromisse wie beim Grundtext zur Frauenfrage. Bestürzend war und ist teilweise noch immer der Mangel an strategischem, politischen Handeln der Akteur:innen. Zumindest Bätzing und Stetter-Karp, die sich noch am Donnerstagabend nur mit Drohungen zu helfen wussten, fanden am Freitag ins diskursive Handeln, das Synoden nun einmal auszeichnet.

Zur vielbeschworenen Synodalität gehört ganz sicher, wie Stetter-Karp forderte, dass die Bischöfe sich offen und ehrlich erklären. Eine Erklärung ihrer Position, ob nun Pro oder Contra, sind sie den Menschen in ihren Bistümern sowieso schuldig. Zur Synodalität gehört aber eben auch der Kompromiss, die Suche nach Konsens, das Spiel mit der Geschäftsordnung und der faire Handel.

Den Bischöfen musste am Freitag klar sein, dass sie nur durch eine Zustimmung ausgerechnet zum Frauentext ihren Platz am gemeinsamen Tisch Synodaler Weg würden behalten dürfen. Dafür hatte die windschiefe Dramaturgie der Versammlung gesorgt. Man mag es geradezu für folgerichtig halten, dass der Schwur der Bischöfe bei jenem Thema erfolgen musste, dessen Beratung das ZdK 2019 wider die Bischöfe zur Bedingung für den Start eines gemeinsamen Synodalen Weges gemacht hatte.

Eine Formalität sorgt für den Durchbruch

Als Argument gegen das Dokument, das u.a. eine erneute Prüfung der Frage nach der Weihe für Frauen durch den Vatikan erbittet, wurde vor allem das von Johannes Paul II. autorisierte Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“, das die Debatte ein für alle mal für beendet erklärt hatte, vorgebracht. Da Papst Franziskus bis zur nächsten und letzten Synodalversammlung im Frühjahr 2023 davon sicher nicht Abstand nehmen wird, hätte sich am Gewicht dieses Arguments für die Gegner des Grundtextes auch durch eine Vertagung nichts geändert. Das erkannten im Verlauf des Tages auch jene, die auf eine 3. Lesung im Frühjahr spekuliert hatten.

Als zweites Gegenargument wurde von konservativer Seite vorgebracht, im Text sei nicht klar genug formuliert, dass er eine Bitte um Prüfung der Frauenfrage an Rom sei. Eine entsprechende Passage des Textes, in der genau das bereits formuliert war, wurde dann auf Betreiben Bätzings und anderer reformwilliger Bischöfe dem gesamten Dokument als Teil der Einleitung vorangestellt. Noch deutlicher wollten allerdings die Progressiven ihre Bittsteller-Position gegenüber dem Papst nicht formulieren.

Es war also klar: Entweder die Synodalversammlung springt nun, auch auf die Gefahr hin, wieder Schiffbruch zu erleiden, weil nicht genügend Bischöfe zustimmen, oder aber man vertagt auf das Frühjahr – und wäre dann vor dem gleichen Problem gestanden. An der Abstimmung entschied sich also wirklich – und nicht nur aufgrund der Drohung Stetter-Karps, das ZdK würde sich einen Verbleib auf dem Synodalen Weg andernfalls noch einmal überlegen – die Zukunft des ganzen Unterfangens. Am Ende stimmten 45 von 60 anwesenden Bischöfen zu, die 2/3-Mehrheit wurde deutlich erreicht (gesamte Versammlung: 182 Ja, 16 Nein, 7 Enthaltungen).

Dazu bedurfte es eines „Jas“ aller Beteiligten zu den einmal verabredeten Regeln, so defizitär sie auch erscheinen mögen, und der aus ihnen erwachsenen Notwendigkeit von Fairness im bischöflichen Handeln sowie Kompromissfähigkeit, Schläue und einem gerüttelten Maß an Selbstverleugnung auf beiden Seiten. Im Rahmen des Möglichen hat der Synodale Weg am gestrigen Abend seine Funktionsfähigkeit bewiesen. Auch durch die Verabschiedung zweier Handlungstexte aus der Feder des am Donnerstagabend noch abgestraften Synodalforums IV:

Sowohl die „Lehramtliche Neubewertung von Homosexualität“ als auch ein Entwurf für die „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ wurden mit großen Mehrheiten auch unter den Bischöfen verabschiedet. In ihnen finden sich übrigens Teile des völlig überladenen Grundtextes wieder, der am Vorabend keine Mehrheit unter den Bischöfen fand. Schade eigentlich, dass man sich dem erst einmal nicht mehr prozessual nähern kann.