Dialog? – Die #LaTdH vom 25. August
Ist ein Dialog über die „Ehe für alle“ und Genderfragen überhaupt möglich? Außerdem: Bitten um Debattenfokussierung in Sachen Zukunft und Gottesdienst, Maria und Nathan und Immanuel.
Debatte
Ehe für alle: Biblische Perspektiven – Bernd Berger (diesseits)
Die Bibel ist nicht nur eine Hilfe, sich nicht dem Zeitgeist zu unterwerfen. Der Zeitgeist kann ebenso eine Hilfe sein, unser Bibelverständnis zu überprüfen. Und aus guten biblisch-theologischen Gründen sollten wir dann dem Zeitgeist widersprechen (egal wie die Mehrheiten sind) oder aber die Zeichen der Zeit verstehen und neue Erkenntnisse und Einsichten in unser Bibelverständnis aufnehmen.
meint Pfarrer Bernd Berger aus dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) auf dem diesseits-Blog der Reformierten Kirche Zürich. Wie auch in anderen Kirchen wird derzeit in der Schweiz um die Haltung der Kirchen zur „Ehe für alle“ gestritten. Berger setzt sich für eine grundsätzliche und deutliche Bejahung durch seine Kirche ein:
Mindestens so wichtig wie die Neubeurteilung der kritischen Stellen und die Beachtung der Stellen, in denen gleichgeschlechtliche Zuneigung positiv konnotiert ist, scheint mir aber ein Blick auf die grossen Linien der Botschaft der Bibel […].
Es dürfte keinen Streit darüber geben, dass die Gottes- und Nächstenliebe im Zentrum der biblischen Botschaft steht und in allem das oberste Kriterium darstellt. Ebenfalls unumstritten sollte hoffentlich sein, dass jegliche Form der Diskriminierung nicht mit dem biblischen Zeugnis vereinbar ist.
Und eindeutig scheint mir auch, dass die Zuwendung Gottes zu den Menschen nicht an irgendwelche Vorbedingungen gebunden ist. All diese biblischen Grundsätze gelten auch und uneingeschränkt für gleichgeschlechtlich Liebende und Begehrende.
Damit könnten wir es – wieder mal – bewenden lassen. Die theologischen Argumente pro und contra „Ehe für alle“ sind nun wirklich alle ausgetauscht. Das eigentliche Dialog-Problem liegt in der Leugnung einer gemeinsamen Diskussionsgrundlage (s.o.). Wer „den Zeitgeist“ für alles Schlechte („Frühsexualisierung“, Missbrauch, Scheidungen, etc.) verantwortlich macht und eine wissenschaftliche Exegese ablehnt, den erreichen solche Argumente leider nicht.
Es handelt sich dabei nicht einfach um eine andere Position im Meinungsspiel, sondern um einen Verschwörungsglauben (s. Michael Blume unten). Und der blüht, wo auch andere Verschwörungsmythen wuchern.
Polens Bischöfe: Notfalls Abmeldung vom Sexualkundeunterricht (katholisch.de, KNA)
Darum fordern in Polen die Bischöfe der röm.-kath. Kirche: „Stoppt die moralische Zersetzung bei Kindern und Jugendlichen!“, und rufen Familien auf, ihre Kinder von Sexualkundeunterricht abzumelden. Ohne überhaupt aufzuführen, welche Inhalte einer Anti-Diskriminierungsschulung die Kirche ablehnt, stellt die Bischofskonferenz „betroffenen“ Eltern ein Musterschreiben zur Beschwerde bei den Schulen zur Verfügung. Geht so Seelsorge?
… und er schuf sie nicht als Mann und Frau. – Rolf Krüger (Auf’n Kaffee mit Rolf Krüger)
Die Hoffnung auf Besinnung gerade der evangelikalen Christ*innen in Genderfragen hat Rolf Krüger (@rolfkrueger) erkennbar nicht aufgegeben. Auf seinem Blog schreibt er – im meistgelikten Beitrag der christlichen Blogosphäre dieser Woche – über ein anderes Verständnis der für die Dualität der Geschlechter zentralen Bibelstelle in der Genesis.
Das also ist das Geheimnis von Mann und Frau: die Geschichte von zwei unterschiedlichen Prinzipien, die Welt zu erleben und zu prägen, die in jeder Person in einer einzigartigen Mischung präsent sind und die in den zwei unterschiedlichen anatomischen Varianten des Menschen kumulieren, die wir „Mann“ und „Frau“ nennen.
Weil Krüger sich auf seine Leser*innen wirklich einlässt und von seiner eigenen Denkgeschichte in dieser Frage schreibt, ist der Text ein gutes Beispiel dafür, wie Dialog (s.o.) doch gelingen kann. Vielleicht kann eine solche Personalisierung des Dialogs Brücken auch über den garstigen Graben der Verschwörungsgläubigkeit bauen.
nachgefasst
Einbruch oder Aufbruch: Warum Menschen aus der Kirche austreten und was dagegen gemacht werden kann. Ein Einblick in die aktuelle Diskussion. – Tobias Faix (tobiasfaix.de)
Tobias Faix (@tobiasfaix) beschäftigt sich als an der Empirie interessierter Wissenschaftler mit der Abwanderung aus den Kirchen. Außerdem ist er für das Thema „Jugend“ auch Ratgeber der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sein Artikel ist vielleicht so etwas wie ein vorläufiger Schlussstrich unter die seit Wochen hart geführte Kirchen-Zukunfts-Diskussion. Eine gute Zusammenfassung jedenfalls ist er.
Warum ich mir den „Schlussstrich“ hier wünsche? Weil die Diskussion immer wieder auf eigene Wahrnehmungen zurückschnippst. Die sind wichtig und Lösungen vor Ort gibt es nur durch bessere Beobachtung der Situation vor Ort (s. nachgefasst Nr. 2). Aber sie können nicht der Maßstab einer Diskussion sein, die die Kirchen als große Organisationen führen müssen. Also an dieser kurzen Zusammenfassung der Erkentnisse vorbei bitte nicht weiter diskutieren!
Pro und Contra: Sonntagsgottesdienst aufgeben? – Julia Koll & Michael Meyer-Blanck (Publik-Forum)
In der alt-ehrwürdigen Publik-Forum (@publikforum) diskutieren Julia Koll und Michael „Glockengeläut“ Meyer-Blanck noch einmal die Zukunft des Sonntagsgottesdienstes (s. #LaTdH vom 11. August). Mir leuchtet Blancks „Contra“, also „Pro“ Sonntagsgottesdienst, immer weniger ein. Vielleicht tut es doch Not althergebrachte Standardargumente zu überprüfen?
Dass der Gottesdienst z.B. wirklich „öffentlich“ ist, weil er als solches behauptet wird, obwohl er doch nur von einer Minderheit der „Christengemeinde“ besucht wird und so wenig für die „Bürgergemeinde“ austrägt, ist jedenfalls begründungsbedürftig.
Von Julia Koll stammen diese Sätze, an denen diese Debatte – die ebenso wie diejenige um die Zukunft der Kirchen von persönlichen Eindrücken dominiert wird – bitte nicht vorbeigehen sollte:
Wir brauchen also viele verschiedene Weisen, Gottesdienst zu feiern – und nicht überall dasselbe. Vor Ort sollte man sich fragen: Worin steckt am meisten Energie? Welches Format verspricht welche lebensweltliche Reichweite? Wie machen Menschen heute Resonanzerfahrungen? Das geistliche Gebot der Stunde: viel genauer wahrnehmen und dann Experimente wagen – ohne den Anspruch, gleich einen neuen Klassiker etablieren zu müssen. (Hervorhebungen von mir)
Kardinal Pell
Der australische Kardinal Pell wurde in zweiter Instanz wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt. Er wird wohl nicht weiter gegen das Urteil in Berufung gehen. Auf katholisch.de fordert Redakteurin Gabriele Höfling (@EleHoefling),
jetzt das kirchenrechtliche Verfahren, das ja eh unabhängig ist von den ‚weltlichen‘ Gerichtsprozessen, entschlossen voranzutreiben. Auch weitreichende Konsequenzen dürfen nicht gescheut werden – bis hin zur Aberkennung des Kardinalstitels oder gar der Entlassung aus dem Klerikerstand.
Es sind wohl solche für die röm.-kath. Kirche mutigen Forderungen an die Kirchenhierarchen auf dem DBK-eigenen Kanal katholisch.de, die Kritiker wie Tobias Klein (@MonsignoreCorpa, u.a. Tagespost) dazu treiben, katholisch.de anhaltend als häretisch.de zu verunglimpfen. Guter Stil ist diese katholische Variante des „Lügenpresse“-Vorwurfs von der direkten Konkurrenz jedenfalls nicht. Was er wohl zu folgender Meldung zu sagen hat?
Buntes
Abtreibungsgegner dürfen vor Praxen nur noch begrenzt demonstrieren (katholisch.de, KNA)
Dem Treiben von Abtreibungsgegnern, die vor Praxen und Beratungsstellen ihren Protest lauthals kundtun, setzt das Innenministerium in Hessen nun als erste zuständige Landesbehörde Grenzen:
Der Erlass des Innenministeriums, der der KNA vorliegt, wurde bereits am 20. August an die Regierungspräsidien verschickt. Zuvor hatte die „Frankfurter Rundschau“ (Donnerstag) berichtet, dass Schwangere in Hessen nicht mehr durch Demonstranten behelligt werden dürfen, wenn sie Beratungsstellen oder Arztpraxen aufsuchen. Demonstrationen oder Mahnwachen seien nur dort zu genehmigen, wo „kein Sicht- oder Rufkontakt mit der Beratungsstelle besteht“,
Wieder N wie Nathan statt N wie Nordpol? Zum Weiterwirken von NS-Traditionen – Michael Blume (Natur des Glaubens)
Der Religionswissenschaftler und baden-württembergische Landesbeauftragte gegen Antisemitismus, Michael Blume (@BlumeEvolution), schreibt in seinem neuen Blogbeitrag über die Buchstabiertafel als ein Beispiel für das Fortwirken von NS-Traditionen. Mehr dazu gibt es auch in Blumes neuem Antisemitismus-Buch, für das der Patmos-Verlag ein sehenswertes Video produziert hat (im Beitrag).
Ich spreche mich dafür aus, in die DIN 5009 wieder David und Nathan aufzunehmen. Es handelt sich dabei nicht nur um bedeutende, biblische Gestalten und etablierte Namen, sondern im Fall von Nathan auch um den Protagonisten in einem der bedeutendsten Werke der deutschsprachigen Literatur: “Nathan der Weise” von Gotthold Ephraim Lessing (1779).
Selbstverständlich lässt sich alleine mit der Wiederherstellung der Buchstabiertafel nicht der NS-Antisemitismus überwinden. Dafür braucht es neben einer Vielzahl politischer Entscheidungen Abertausende Schritte von Millionen Menschen.
Maria, eine ziemlich moderne Frau – Veronika Fehle im Gespräch mit Theresia Heimerl (Katholische Kirche Vorarlberg)
Die Philologin und Theologin Theresia Heimerl findet Maria nicht „so langweilig und asexuell, wie das Frauen- und Marienbild lehramtlicher Schreiben“ und in diesem Interview erhält die geneigte Leser*in einige Anhaltspunkte für diese Wertschätzung, auch wenn davon nicht alle exegetisch haltbar sind (Mutter eines Kindes?).
Maria sitzt ja nicht einfach da und lässt den Engel machen. Sie sagt aktiv „Ja“. Auch sonst würde ich Marias Auftreten in den Evangelien nicht als passiv bezeichnen, eher als das einer Mutter, die viel Vertrauen in ihren Sohn hat und weiß, dass sie ihn nicht zuhause einsperren kann. Maria tut, was im Rahmen ihrer Lebenswelt möglich ist.
Natürlich ist das weit weg von dem, was wir heute als selbstbestimmtes Leben bezeichnen würden. Aber dieses Ja zum Engel bzw. zu Gott – das ist in diesem historischen Kontext mehr, als viele ihrer Altersgenossinnen zu sagen hatten und vielleicht auch gesagt hätten aus Angst vor der Konvention.
In eigener Sache:
Ein guter Satz
„Es ist höchst bedauerlich, dass das elfte Gebot „Habe Mut, Dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ von auf die Sünde fixierten Theologen, die meinten, die Neugierde sei Ausdruck der Sünde, gestrichen worden ist.“
– Magnus Striet, in diesem Gespräch mit den Blogger*innen von y-nachten.de