Kirche

Die Kirche gleicht einem Fitness-Studio

Die evangelischen Landeskirchen und römisch-katholischen Bistümer veröffentlichen ihre Mitgliedschaftszahlen für 2020: Beide großen Kirchen schrumpfen weiter. Corona verringert die Zahl der Kasualien.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die römisch-katholische Kirche schrumpfen weiter. Jeweils 220 000 Menschen sind aus den evangelischen Landeskirchen bzw. den römisch-katholischen Bistümern ausgetreten. Das entspricht einem Rückgang der Kirchenaustritte von 18 % im Vergleich zum Jahr 2019. Die EKD gibt an, die Evangelische Kirche sei im Jahr 2020 um 2,3 % geschrumpft.

In der römisch-katholischen Kirche waren 2020 nach Informationen der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) 22,2 Millionen Menschen Mitglied, das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 26,7 %. Die EKD-Gliedkirchen umfassen 20,2 Millionen Menschen, was einem Bevölkerungsanteil von 24,3 % entspricht. Zusammen bringen es die beiden großen christlichen Kirchen auf ca. 50 % der Bevölkerung. Die ca. 45 Millionen Christen bilden die bei weitem größte Religion des Landes.

Beachtlich ist erneut die Zahl der Verstorbenen, die die Mehrzahl der Abgänge aus den kirchlichen Statistiken ausmacht. Die Evangelische Kirche zählt 355 000 Verstorbene, die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat in den Bistümern 236 000 Bestattungen gezählt. Den Austritts- und Sterbezahlen stehen im ersten Corona-Jahr 2020 allerdings deutlich weniger (Wieder-)Eintritte und Taufen gegenüber als sonst. In der Evangelischen Kirche hat sich die Zahl der Taufen auf nur noch 81 000 im Vergleich zu 2019 fast halbiert.

Zeichen der Krise: Weniger Taufen, weniger Priester, weniger Kirchenbindung

Ein Blick auf die anderen Kasualien (kirchlichen Amtshandlungen) zeigt, dass sich hier die Auswirkungen der Corona-Pandemie besonders bemerkbar machen. Die Erstkommunions- sowie Firmungs- und Konfirmationszahlen sind teils heftig gesunken, die Zahl der kirchlichen Trauuungen ist geradezu eingebrochen. Dass auf evangelischer Seite die Taufe als Sakrament am Lebensanfang deutlich stärker vom Rückgang betroffen ist als in der katholischen Kirche, verweist auf ihre geringere religiöse Bindungskraft. Auch die Taufe wird hier als – im Zweifel aufschiebbares – Familienfest empfunden.

Spannend zu beobachten wird sein, ob die Zahl der Kasualien im Jahr 2021 wieder ansteigt und ob die Ausfälle aus 2020 sogar kompensiert werden können. Ob Familien die ihnen entgangenen kirchlichen Feste nachholen werden, hängt allerdings nicht zuletzt vom Engagement der kirchlich Handelnden vor Ort ab. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung durch beide Kirchen zu Ende geht.

Dazu erschrecken erneut die Zahlen aus der katholischen Kirche: Die Zahl der Priester ist im Vergleich zu 2019 um gut 400 auf 12 565 zurückgegangen. Im Jahr 2020 arbeiteten davon 6 303 als Pfarrseelsorger (-157 zu 2019). Nur noch 56 Welt- und 11 Ordenspriester konnten neu geweiht werden. Dem Priestermangel begegnen die Bistümer vor allem mit dem Zusammenlegen von Pfarreien. Angesichts der fortschreitend geringen Zahl an Priesterweihen aber bleibt die Frage akut, ob man nicht mehr derjenigen Menschen weihen sollte, die sich durchaus zum Priesteramt berufen fühlen.

Trotz der erneut hohen Austrittszahlen fällt die Mitgliedschaftsstatistik 2020 in beiden großen Kirchen nicht so schlimm aus, wie befürchtet. Die Austrittswelle, die vor allem mit den Querelen im Erzbistum Köln in Verbindung gebracht wird, ist offenbar noch nicht angekommen. Deutlich ist jedoch wie schon in den Vorjahren: Skandale und insbesondere die Missbrauchskrise tragen auf das Konto beider Kirchen ein.

Warum treten Menschen aus der Kirche aus?

Die evangelischen Landeskirchen in Württemberg (ELKWUE) und Westfalen (EKvW) haben mit einer eigenen Untersuchung seit dem Herbst 2020 nach den Gründen für Kirchenaustritte gefragt. Insgesamt wurden 464 Telefoninterviews mit Menschen geführt, die kurz zuvor aus der Kirche ausgetreten waren. Die Befragung wird weiter fortgesetzt und wissenschaftlich vom Siegener Professor für Praktische Theologie Dr. Ulrich Riegel ausgewertet.

Die meisten Befragten würden keinen konkreten Anlass für ihren Austritt nennen, so Fabian Peters, der in der württembergischen Landeskirche für die Statistik zuständig ist: „Vielmehr erscheint der Kirchenaustritt als Ergebnis eines längeren Prozesses beziehungsweise als Konsequenz aus grundsätzlichen Motiven.“ Man beobachte jedoch, dass Ausgetretene über 40 ihre Entscheidung häufiger mit konkretem kirchlichen (Nicht-)Handeln begründen, z.B. schlechten Erfahrungen mit der Gemeinde vor Ort, den Missbrauchsverbrechen oder auch politischen Fragen.

Menschen unter 40 würden hingegen aufgrund von Glaubensverlust austreten und weil eine Kirchenmitgliedschaft ihnen bei einer Kosten-Nutzen-Abwägung als nicht ausreichend wichtig erscheint. „Für mich ist es mit der Kirche wie mit einem Fitness-Studio, für das ich Beitrag zahle, aber nie hingehe“, äußerte demzufolge eine der Befragten. Frühere Befragungen und Untersuchungen hatten ergeben, dass besonders junge Menschen und Berufseinsteiger:innen aus der Kirche austreten.

Innere Distanz zum christlichen Glauben und die Kirchensteuer seien häufig genannte Motive für einen Austritt aus Kirche, fassen die ELKWUE und EKvW die Ergebnisse der aktuellen Befragung zusammen. Der Finanzdezernent der württembergischen Landeskirche, Oberkirchenrat Dr. Martin Kastrup, setzt daher auf bessere Informationen zur Kirchensteuer, Gedankenspielen zu Kirchensteuerrabatten erteilte er eine Absage.

Die Frage nach neuen und anderen Mitgliedschaftsmodellen jedoch bleibt aktuell, weil sie sich demographisch stellt. Familien mit Kindern werden in Deutschland steuerlich bevorzugt, was sich auch in der Erhebung der Kirchensteuer, die sich an der Einkommenssteuer bemisst, niederschlägt. Singles und Alleinstehende sind daher für die Kirchen zwar attraktive Kirchensteuerzahler:innen, finden sich aber in den Angeboten der Kirchgemeinden kaum wieder.