Die Kirchen und Corona: Es nützt ja nichts!

Zu Ostern sollen keine analogen Gottesdienste stattfinden, wünschen sich die MinisterpräsidentInnen und die Bundesregierung. Die Kirchen sind davon kalt überrascht. Was willste machen?!

„Es nützt ja nichts“, beliebe ich recht häufig zu sagen, wenn es an das Erfüllen lästiger Pflichten geht. Müll runterbringen: „Es nützt ja nichts!“ Buchhaltung: „Es nützt ja nichts!“ Klo putzen: „Es nützt ja nichts!“ Ich füge mich in das Unvermeidliche, weil ich ja weiß: Am Ende nützt es doch.

Wird die Absage von analogen Gottesdiensten zu diesem Osterfest der Pandemiebekämpfung nützen? Eine Erinnerung ans Weihnachtsfest: Regional höchst unterschiedlich reagierten damals die Kirchen in Deutschland und an nicht wenigen Orten fanden analoge Gottesdienste unter strengen Hygienebedingungen statt. Einen Effekt auf die Corona-Statistiken hatten weder Absagen noch die Hygienegottesdienste.

Vielleicht haben die Unannehmlichkeiten bei einigen wenigen dazu geführt, die Lage rund um die Feiertage wieder ernster zu nehmen. Dafür haben dann im Januar allerdings mit größerer Vehemenz die Sterbezahlen gesorgt, die fast im Wochentakt 10 000 Tote mehr als in der Vorwoche verzeichneten.

Was sollen die Kirchen also tun, wenn nun dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz folgend die Landesregierungen anklopfen? Bemerkenswert: Im Vorfeld gefragt wurden sie bei dieser Runde nun gar nicht mehr. So viel zur Sensibilität der Christdemokratie in Kirchenfragen. Dass Feiertage eben nicht nur freie Tage sind, scheint auch den Christ:innen unter den Politiker:innen entfallen zu sein.

Feiertage sind mehr als freie Tage

Dass nun schon zum zweiten Mal nach dem Weihnachtsfest ein christliches Hochfest als Orientierungsmarke für eine kollektive Kraftanstrengung zur Pandemieverlangsamung herhalten muss, gereicht niemandem zur Zierde. Wenn wichtige kulturformende Daten nur noch aufgrund dessen gebraucht werden, weil man an ihnen eine weitgehende Privatisierung der Gesellschaft inszenieren kann, sagt das mehr über den Zustand unserer fragmentierten Gesellschaft, als uns lieb sein kann.

Es bedeutet zum Beispiel, dass unsere Regierungen, des vermutlich geringen Widerstands aus den Kirchen wegen, ihren kurzen, harten Lockdown an Tagen durchführen lassen wollen, an dem das Geschäftsleben ohnehin weitgehend ruht. Das ist sehr arbeitgeberfreundlich und liegt damit ganz auf Linie dessen, was die Christdemokratie hierzulande tatsächlich als Heilige Kuh verehrt.

Ein paar Tage alles dicht zu machen, dürfte epidemologisch etwas Druck aus dem Kessel nehmen. Aber ich verstehe die Obsession nicht, für so was immer Feiertage und Ferien abwarten zu müssen, weil da ja eh niemand arbeitet und zur Schule geht. Sinnvoller wäre diese Woche gewesen oder die anstehende Karwoche vor Ostern. Aber: „Es nützt ja nichts!“

Oster-Vorbereitungen 2021

Nicht nur die Verfassungsorgane und Verwaltungen brauchen ein paar Tage Vorlauf, um die Verabredungen der Bundesregierungs-MinisterpräsidentInnen-Runde umzusetzen (oder kaputtzureden). Wenn tatsächlich auch der Lebensmittel-Einzelhandel eingeschränkt wird, braucht auch die Bevölkerung ein wenig Zeit, sich darauf einzustellen. In deutschen Kaufhallen herrscht vor Feiertagsbündeln ohnehin schon immer Goldgräberstimmung, nun ist wieder mit sehr unentspannten Zeitgenoss:innen zu rechnen, die Angst davor haben, sich über Ostern in die Hosen zu machen.

Den Kirchen bleibt nichts anderes übrig, als dem Wunsch der Politik zu entsprechen: „Es nützt ja nichts!“ Auch wenn die Hygienegottesdienste zu Ostern ja nicht mehr, sondern weniger gefährlich sind als zu Weihnachten, weil schlicht weniger Menschen in die Kirchen kommen, würde ein trotziges Versperren in dieser Phase der Pandemie vor allem das Zeichen aussenden, dass man egoistisch am Eigenen festhält, statt dem allgemeinen Wohl zu dienen.

In der Praxis wird das so ausschauen: Einige wenige evangelische Landeskirchen und Kirchenbünde werden ihre Compliance öffentlich kommunizieren. Vielleicht auch ein, zwei (Erz-)Bistümer wie München-Freising oder Limburg. Der Großteil der evangelischen Landeskirchen und römisch-katholischen Diözesen wird sich so durchlavieren. Es wird ein paar Tage brauchen, wahrscheinlich bis Montag nächster Woche, bis die Mehrheit von ihnen ihren Gemeinden und der Basisbelegschaft konkrete Handlungsanweisungen (r.-k.) oder Empfehlungen (ev.) gibt. Diese Tage in der Schwebe sind für die Beteiligten auch nach einem Jahr Pandemie immer noch am nervigsten: „Es nützt ja nichts!“

Und es wird natürlich auch Bistümer geben, zum Beispiel in Bayern, die jetzt Front machen, weil sie um die Zustimmung bei der Tradi-Fraktion fürchten oder weil die Bistumsleitung selbst tief im traditionalistisch-unkreativen Sumpf steckt (*räusper* Regensburg). Auch in einigen Regionen und Gemeinden der evangelischen Kirchen wird es analoge Gottesdienste geben, auch wenn das nicht an die große Glocke gehangen wird.

Hängt den Segen raus!

Sollten Sie mit den Gottesdienstabsagen vor Ort unzufrieden sein, liebe Leser:innen, dann lassen Sie ihrem Zorn freien Lauf! Aber schauen Sie, dass sie als Adressat:innen die Richtigen erwischen. Pastor:innen und haupt- und ehrenamtliche Kirchenmitarbeiter:innen können nämlich weder was für die Corona-Pandemie noch für den Wankelmut der Regierenden. Sollten Sie allerdings vor Ort zum wiederholten Male nach Weihnachten weder ein digitales, noch ein analoges Ausweichangebot finden, dann richten Sie ihre Unzufriedenheit doch in Form eines konstruktiven Feedbacks an die Gemeinde, den Kirchenkreis oder die LandesbischöfIn.

Denn gut haben die Arbeiter:innen im Weinberg des HERRn gehandelt, die mit einer Absage von analogen Gottesdiensten wenn nicht gerechnet, so doch geplant haben. Es ist ja auch viel mehr möglich, als „nur“ zum Gottesdienst-Stream oder Rundfunkgottesdienst einzuladen! Erstens ist es zu Ostern nicht so bitterlich kalt wie in der Heiligen Nacht: Osterspaziergänge, Quell-Besuche und Offene Kirchen für die persönliche Andacht sollten kein Problem darstellen und werden von den Pandemie-Regeln gedeckt.

Zweitens haben sich Gemeinden und Basisarbeiter:innen nun ein Jahr lang in kreativen digitalen und analogen Pandemie-Formaten geübt. Hängt den Segen raus! Lasst die Segensworte an den Kirchenzäunen und Schaukästen flattern! Die Audio- und Bildandachten durch die Messenger-Gruppen flitzen, die Videos- und Streams rauschen, die Glocken den Ostermorgen einläuten!

Die Karwoche ist in der Osterliturgie die Zeit, in der Jesus und die Jünger:innen lernen, sich in das Unvermeidliche zu fügen. „Es nützt ja nichts“, könnte auch der Heiland geflüstert haben, als er im Garten Gethsemane betete. Frust und Angst und Sorgen – das alles muss raus und irgendeinen Kanal finden. Das Gebet scheint mir dafür nicht der schlechteste zu sein. Gebet ist eben nicht nur Meckern, sondern ein Anhängen unserer Trübsal an Gott.

Es nützt ja nichts!

Vielleicht gehört ein Jahr nach Beginn der Pandemie in Deutschland zu einem ehrlichen Gebet auch die Einsicht, dass man es trotz vielem gutem Wollen eben nicht besser vermochte. Elisabeth Raether vergleicht in der ZEIT nicht nur die Corona-Politik Deutschlands mit der anderer Länder, sie kommt auch zu einem bemerkenswerten Zwischenfazit: „Die Wahrheit könnte aber sein, dass Teile des politischen Führungspersonals zwar versagt haben, die Misere jedoch trotzdem nicht verschulden.“

Es könnte sein, dass – so legen es die Corona-Statistiken immer wieder nahe – unser Einfluss auf das Pandemiegeschehen vielleicht generell geringer ist, als wir alle das glauben wollen. Fakt ist: Es hat bis hierhin einfach nicht gereicht und es ist nicht so, dass die Leute „nicht mehr wollen“ oder sie generell unvernünftig geworden wären – man schaue auf die demokratisch-stabilen Wahlergebnisse vom vorletzten Wochenende. Die Pandemiepolitik krankt an ihrer Marktförmigkeit und an der Furcht vor dem Dammbruch nach Rechts. Sie rechnet mit schlechteren Bürger:innen, als „wir“ es in der Tat sind.

Die Ambiguitäten unserer Zeit auszuhalten, zu schauen, was man konstruktiv tun kann, Frust und Trauer Raum zu geben – das hört sich für mich alles sehr nach Ostern an. Nach der ersten Hälfte von Ostern. Der Hälfte, in der die Jünger:innen vor dem Kreuz fliehen und sich vor der Welt in ein Kämmerlein einschließen. Wir können gut darauf vertrauen, dass der Christus auch trotz verschlossener Türen in unserer Mitte aufkreuzt.


Alle Eule-Artikel zu „Kirche und Corona“. Über die Schwierigkeit, analoge Gottesdienste abzusagen, schrieb Pfarrerin Heike Stöcklein kurz vor Weihnachten hier in der Eule.