Die Pallischwester: Advent

Auf der Palliativstation wird es Advent. In Waffelduft und Kerzenschein mischen sich bange Fragen nach dem Weihnachtsfest ohne geliebte Menschen, und Dankbarkeit für die Gemeinschaft in schwerer Zeit.

In dieser Kolumne berichtet „Die Pallischwester“ vom Leben auf der Palliativstation, das sie aus eigener Arbeitserfahrung kennt. Die Texte sind über den Zeitraum eines Jahres entstanden. Weil es in ihnen um Erfahrungen geht, die viele Menschen teilen, die als Patient:innen, Angehörige und Mitarbeiter:innen mit palliativer Pflege in Berührung kommen, steht für uns die Aktualität der Schilderungen nicht im Zentrum.

Bei der Schlussredaktion dieser Ausgabe ist uns die Diskrepanz der Schilderungen des Advents auf der Palliativstation zur aktuellen Lage auf den Palliativstationen, in den Krankenhäusern und Pflegeheimen, die durch die Corona-Pandemie bestimmt ist, natürlich aufgefallen. In diesem Jahr gibt es keine Adventsfeier mit Angehörigen, keinen Gesang – und die Einsamkeit im Angesicht des Todes bedroht in diesem Jahr viele Menschen, die an Covid-19 erkrankt sind oder die in Pflegeheimen und Krankenhäusern ohne den Beistand ihrer Lieben auskommen müssen.

Dieser Artikel über den Advent auf der Palliativstation ist aus der Zeit gefallen. Wir bringen ihn trotzdem oder gerade deswegen – weil wir glauben, dass er uns in diesem Corona-Advent etwas zu sagen hat.

Die Eule-Redaktion


„Wie feiert ihr auf der Palliativstation eigentlich Advent?“ Diese Frage habe ich schon häufig gestellt bekommen. Sie stimmt mich immer wieder nachdenklich. Ist der Advent auf einer Palliativstation denn anders als draußen? In mir reifte der Gedanke, dass wir auf Palliativstation im Grunde jeden Tag Advent haben, wie ich in der ersten Ausgabe dieser Kolumne geschrieben habe. Diese Einsicht ist aber, denke ich, den wenigsten auf Anhieb bewusst. Auch ich habe für diese Erkenntnis zweieinhalb Monate der Arbeit auf Station gebraucht.

Der kalendarische Advent aber ist auch hier auf Station eine stimmige und besinnliche Zeit, obwohl es mir manchmal vorkommt, dass die Trauer in diesen Wochen noch tiefer sitzt. Aber eins nach dem anderen.

Waffelduft auf den Fluren

Wir schmücken unsere Station immer jahreszeitlich, das ist im Advent nicht anders. Da leuchten dann Lichter in den Fenstern, kleben Sterne an den Scheiben und an einem Tag strömt Waffelduft über die Flure und klingen Advents- und Weihnachtslieder aus dem Wohnzimmer.

An einem Tag im Advent gibt es eine Adventsfeier, zu der alle eingeladen sind: Alle aus dem multiprofessionellen Team, ehemalige Mitarbeiter:innen, manche bringen ihre Familie mit, Patient:innen und deren Angehörige . Eine festliche Tafel ist gedeckt mit Plätzchen und Kuchen, Kaffee und Punsch – und in der Küche werden frische Waffeln gebacken. Die Musiktherapeutin bringt ein Liederbuch mit und begleitet die Sänger:innen. Die Seelsorger:innen lesen besinnliche Texte. Es wird gegessen, getrunken, gesungen, gelacht.

Wenn möglich, und wenn sie wollen, werden die Patient:innen an die Tafel gebracht, im Rollstuhl oder auch mal im Bett aus dem Zimmer gefahren. Manche:r will lieber im Zimmer bleiben und nimmt bei geöffneter Tür den Waffelduft und die Lieder wahr. Der Duft weckt dann auch bei demjenigen nochmal Appetit, der schon seit einer Woche nichts mehr gegessen hatte.

An diesem Tag sind irgendwie alle fröhlich und entspannt, in sich ruhig, in Gedanken ganz auf Station und bei der Adventsfeier, weniger in eigenem adventlichem Grübeln versunken.

Advent feiern

An diesem Tag wird der Advent gefeiert und vergessen, dass man die Feiertage über Weihnachten eventuell nicht zu Hause sein, geschweige denn überhaupt noch auf Erden sein wird. Dieser Nachmittag ist wichtig für uns alle: Für das Team, für die Patient:innen, für die Angehörigen. Im Fest auf andere Gedanken kommen, weg von den eigenen Traditionen, die so nicht mehr gefeiert werden können, wie die vielen Jahre davor.

Denn am Tag darauf fließen wieder Tränen, wenn der Ehefrau bewusst wird, dass sie dieses Jahr Weihnachten wird alleine feiern müssen, weil der Krankheitsverlauf des Ehemannes annehmen lässt, dass er bis Weihnachten nicht mehr leben wird.

Am Tag darauf beginnen die Überlegungen, wie man die Weihnachtsfeiertage verbringen soll, wenn die Großmutter im Krankenhaus sein wird und es nicht in Aussicht steht, dass sie für wenige Stunden beurlaubt werden könnte. Soll man das Fest ins Krankenhaus verlegen?

Am Tag darauf beginnen die Planungen zu Hause: Wie kann man es schaffen, dass der Vater über die Feiertage nach Hause kommen kann? Wer hält in der Nacht Wache, wenn er versuchen wird aufzustehen? Wer lässt sich zeigen und übt, wie der Verband gewechselt, wie das Stoma versorgt wird?

Am Tag darauf kommen Angehörige zu Besuch, die sich in den Jahren davor auf Station von ihren Lieben haben verabschieden müssen. Sie bringen Geschenke und noch immer tiefe Dankbarkeit dafür mit, dass sie in dieser Zeit nicht allein gewesen sind.