Die Pfarrer der Neuen Rechten

Kirche

Die Pfarrer der Neuen Rechten

Die Erklärung 2018 erlaubt den Blick in die rechte Parallelgesellschaft am Rand der Kirchen. Pfarrer und Theologen sympathisieren offen mit der Neuen Rechten. Eine Recherche.

Am Telefon spricht Pater Georg Fischer vom Deutschen Orden ruhig und besonnen: „Jeder hat das Recht, seine Meinung kundzutun. Ich bin äußerst kritisch gegenüber der „Seelenmassage“ der Mainstream-Kirchen, nur eine Richtung, die Regierungsamtliche, als christlich zu bezeichnen.“ Und der evangelische Pfarrer Sebastian Wohlfarth meint: „Für meine Arbeit als Pfarrer spielen meine politischen Überzeugungen zunächst keine Rolle.“

Der Thüringer Land- und Jugendpfarrer und Ordensmann Fischer gehören zu der kleinen Gruppe Geistlicher und Theologen, die die Erklärung 2018 unterzeichnet haben. Die Kirchen in Deutschland distanzieren sich ausdrücklich von rechtem Gedankengut, von Nationalismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Seit Jahren engagieren sich Tausende ihrer Mitglieder für Geflüchtete. Wer von dieser Linie abweicht, der schweigt häufig in der Öffentlichkeit.

Doch es gibt sie: Geistliche und Theologen, die Zuwanderer und Muslime vor allem als Gefahr sehen, die der Regierung „Rechtsbruch“ vorwerfen, den „Mainstream“-Medien und auch den Kirchen Komplizenschaft bei der Abschaffung Deutschlands zur Last legen.

Eine der seltenen Gelegenheiten diese Minderheit zu Gesicht zu bekommen ist die Erklärung 2018, die auf Initiative der CDU-Politikerin und ehem. DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld entstanden ist. Erstunterzeichner sind u.a. Thilo Sarrazin, Matthias Matussek und Henryk M. Broder. Wie DIE ZEIT berichtet, gehören sie zu einem rechten Salon, der sich bis dato im Geheimen versammelte und mit der Erklärung das erste Mal öffentlich agiert. Zur Unterzeichnung eingeladen waren ausdrücklich „Autoren, Publizisten, Künstler, Wissenschaftler und andere Akademiker“.

Unter ihnen befinden sich 32 Personen, die sich als Pfarrer und / oder Theologen zu erkennen geben.

Die Erklärung

Die Erklärung 2018 bestand zu Beginn aus nur zwei Sätzen, die es aber in sich haben:

„Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“

Zum Inhalt der Erklärung und den in ihr vertretenen politischen Überzeugungen genügt es festzuhalten, dass in der Erklärung ein Rechtsbruch behauptet wird, der nicht stattgefunden hat: Weder findet illegale Einwanderung in nennenswerter Zahl statt (s. #LaTdH vom 13. Mai), noch ist die rechtsstaatliche Ordnung des Landes an den Grenzen zerstört. Zuletzt hat dies Daniel Thym im Tagesspiegel allgemeinverständlich und im Verfassungsblog ausführlich juristisch begründet.

Mit Erreichen von 2 018 Unterschriften wurde die Erklärung zu einer „Massenpetition an den Deutschen Bundestag“ umgewandelt und durch weitere Forderungen ergänzt. Inzwischen unterstützen nach Aussage der Initiatoren 154 000 Personen die neue Fassung. Grundlage dieser Recherche ist jedoch die Liste der 2 018 Akademiker, welche die Originalerklärung gezeichnet haben. Wir identifizieren nur diejenigen Personen mit Klarnamen, die bereits zuvor in der Öffentlichkeit durch politische Äußerungen im Sinne der Neuen Rechten hervorgetreten sind oder Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten haben.

Solidarität mit der Neuen Rechten

Die Unterzeichner solidarisieren sich mit denjenigen, die auf den Straßen des Landes für Grenzschließungen und gegen eine Regierung auftreten, der sie Verrat vorwerfen.

Die gemeinten Demonstranten sind unschwer als Akteure der Neuen Rechten zu identifizieren: von der populistischen Pegida-Bewegung und ihren regionalen Ablegern, über die Identitäre Bewegung (IB) und der mit ihr gemeinsam auftretenden und organisierten Bewegung Ein-Prozent von Götz Kubitschek und Jürgen Elsässer, bis hin zur AfD – der parlamentarischen Repräsentantin der Neuen Rechten.

Die Erklärung 2018 beschränkt sich auf die Kritik der „Masseneinwanderung“. Mit dieser Konzentration ist sie ganz offenbar anschlußfähig auch für intellektuelle Kreise und bis weit in das Bürgertum hinein. Sie führt vor Augen, dass Islamfeindschaft und Nationalismus keine Eigentümlichkeiten des vermeintlich abgehängten Prekariats sind, sondern Unterstützer unter den „Dichtern & Denkern“ des Landes finden. Gerade dafür – den „Schulterschluss“ mit der Intelligenzija – wird die Erklärung 2018 in rechten Kreisen bejubelt.

Obwohl die Erklärung nicht alle für die Neue Rechte maßgeblichen Überzeugungen aufnimmt, können die Unterzeichner diesem Phänomen zugerechnet werden. Das bestätigte die Recherche, indem sie offenlegte, dass die Unterzeichner weitere Anliegen der Neuen Rechten unterstützen.

Neue Rechte und Rechtsextremismus

Die Neue Rechte nimmt rechtsextremes Gedankengut auf, sie kleidet es in exotische, ungewohnte, intellektuell-angehauchte Sprache.

Nach Samuel Salzborn konstituiert sich Rechtsextremismus durch das Teilen mehrerer spezifischer Überzeugungen (Rassismus, Homophobie, Antisemitismus, etc.) und die Teilnahme an entsprechenden Handlungen (Demonstration, Wahlentscheidung, Gewalt, Terror, etc.).

Das durch die Recherche aufgedeckte Bild der Neuen Rechten Geistlichkeit ist äußerst vielfältig. So finden sich unter den Zeichnern emphatische Unterstützer Israels ebenso wie „Israel-Kritiker“, die unverhohlen antisemitisch argumentieren. Vor allem in der Sprache unterscheiden sich die Theologen von anderen Unterstützern der Erklärung 2018. Sie bedienen sich einer eigenen Binnensprache, die durchaus radikal ist, aber nur selten ins Völkische abtriftet. Eine klare Zuordnung der Gruppe zum Rechtsextremismus ist nicht möglich.

Statistische Erkenntnisse

Trotzdem es sich um eine kleine Personengruppe handelt, lassen die Rechercheergebnisse doch einige Schlüsse auf die Gesamtheit der Neuen Rechten Geistlichkeit zu.

Auffällig ist zuerst einmal die geringe Zahl von 32 Personen, die sich unter den 2 018 Unterzeichnern als Theologen und / oder Geistliche zu erkennen geben. Die Angabe des beruflichen und akademischen Backgrounds war in dieser Phase der Unterschriftensammlung verbindlich. Andere Berufsfelder sind deutlich stärker vertreten.

Auch wenn davon auszugehen ist, dass sich unter den jetzt über 154 000 Unterzeichnern weitere Theologen, Geistliche und Kirchenmitarbeiter finden, so steht am Beginn der Recherche die Feststellung, dass nur 1,5 % der 2 018 Akademiker sich als Theologen bzw. Pastoren, Pfarrer oder Priester, Gemeindereferenten oder Religionslehrer identifizierten.

Unter den 32 Personen befindet sich nur eine Frau. Dies kann daran liegen, dass erkennbar weniger Frauen als Männer die Erklärung unterzeichnet haben. Es deutet aber auch darauf hin, dass signifikant weniger Theologinnen und Pastorinnen mit der Neuen Rechten sympathisieren, was im Hinblick auf die unter konservativen Christen weitverbreitete Geringschätzung von Frauen im geistlichen Amt und die von Rechten häufig vorgetragene Kritik an der „Genderideologie“ nicht verwundern muss.

Dreizehn der 32 untersuchten Personen sind katholischer Konfession, darunter auch Mitglieder der Pius-Bruderschaft und drei zwei ehemalige röm.-kath. Priester. Neunzehn Unterzeichner gehör(t)en evangelischen Kirchen an, darunter auch ein evangelisch-freikirchlicher Pastor im Ruhestand aus dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG).

Konfession und Geschlecht der Unterzeichner

Zehn Personen haben ihren Lebensmittelpunkt in Ostdeutschland (inkl. West-Berlin). Der Osten ist unter den rechten Pfarrern im Hinblick auf die Gesamtbevölkerung überproportional vertreten. Besonders die im Vergleich zur alten Bundesrepublik geringere Zahl von ev. und kath. Geistlichen mit Lebensmittelpunkt im Osten fällt hier ins Gewicht. Eine Aussage über die Herkunft der Personen ist damit nicht getroffen.

Die Recherche lässt keine detaillierte Aussage zur Altersstruktur der Neuen Rechten Geistlichkeit zu, jedoch ist unter den Unterzeichnern keine Person jünger als 45 Jahre alt.

Die Erklärung 2018 lässt jedoch Rückschlüsse auf den Berufsstand der Unterzeichner zu. Elf Personen befinden sich derzeit als Festangestellte im Dienst einer Kirche oder eines kirchlichen Werks, vierzehn Personen leben im Ruhestand, vier Personen sind als freie Theologen tätig. Über drei Personen konnten keine genauen Angaben zum Berufsleben gefunden werden.

Berufsstand und Lebensmittelpunkt der Unterzeichner

Bekannte und unbekannte Gesichter

Einige der Unterzeichner sind bereits zuvor öffentlich für politisch rechte Überzeugungen eingetreten. Dazu zählen der kath. Publizist und ehemalige Priester David Berger, der evangelisch-lutherische Pfarrer Frank-Georg Gozdek aus Braunschweig, der Journalist und ehemalige Idea-Chef Helmut Matthies und Pastor i.R. Erhard Räth, der in einer dpa-Meldung zu seiner Unterstützung Stellung genommen hat und für die AfD in Mecklenburg aktiv ist.

Ein weiterer „Promi“ ist der katholische Publizist Wilfried Puhl-Schmidt, der mit seinem eigenen Verlag und der Bürgerbewegung Pax Europa seit über zehn Jahren gegen den Islam Front macht. In zahlreichen Beiträgen und Vorträgen warnt er vor dem „politischen Islam“, der aufgrund seiner Bezugnahme auf den Koran gar nicht anders könnte, als gewalttätig und diktatorisch aufzutreten (Video von 2009).

Der Großteil der Unterzeichner ist aber bisher nicht durch politische Betätigung im engeren Sinne aufgefallen. Die Recherche ergab trotzdem bei einer Reihe von Personen ein Engagement für Anliegen der Neuen Rechten wie Kritik am „Genderwahn“ oder Solidaritätsbekundungen mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin. Die weltanschauliche Klammer um die heterogene Gruppe bildet die Islam- und Einwanderungs-„Kritik“, die auch der Erklärung 2018 zu Grunde liegt.

Es finden sich teils Personen mit überraschender weltanschaulicher Orientierung: Z.B. ein ehemaliger Landespolizeipfarrer und aktiver CDU-Kreisrat, der sich für Jugendliche und Behinderte engagiert. Und ein ehemaliger Priester, der als freier Theologe und Gestalttherapeut tätig ist und gemeinsam mit seiner Frau eine Tantra-Schule leitet.

Exkurs: Alternative für Deutschland

Unter den 32 Personen finden sich jedoch auch drei Personen, die Mitglied der Partei Alternative für Deutschland (AfD) sind, drei weitere Personen haben öffentlich für die Partei geworben. Unter den häufig parteiungebundenen Theologen und Geistlichen ist die Anzahl der AfD-Sympathisanten auffällig. Offensichtlich hat das Politikangebot der Partei an konservative Christen durchaus verfangen.

Deutlich wird das im Falle eines kath. Theologen, der im Erzbistum Paderborn in der Erwachsenenbildung tätig ist, sich für Familien mit Christus engagiert und für die AfD im Vorstand eines Kreisverbandes aktiv war. Der Schutz traditioneller Familienkonstellationen gehört zum geteilten Politikinteresse von konservativen Christen und AfD, die sich gerne als letzte verbliebene Verteidigerin der „natürlichen Familie“ geriert.

Die zugleich frommen und russlandfreundlichen Gedankengänge, die ein weiterer Unterzeichner in einer Publikation des Gemeindehilfsbundes verfolgt, verweisen auf eine weitere Verbindung von AfD und konservativem Christentum. Der Pfarrer i.R. ist seit Jahrzehnten führend in der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in der heutigen Nordkirche engagiert.

Er meint zwischen Putins Russland und der EU nur graduelle Unterschiede ausmachen zu können („Gelenkte Demokratien sind in unterschiedlichem Umfang beide.“). In seinem Beitrag fließen Bewunderung für Putin und die russische Orthodoxie, Kritik an „Genderwahn“ und Homosexualität, und EU-Kritik zusammen. Eine aus der AfD bekannte Kombination politischer Überzeugungen.

Die Gretchenfrage

Wie halten es die Unterzeichner mit der Religion, welchen Frömmigkeiten und theologischen Richtungen sind sie zuzurechnen?

Aus den von Constantin Klein zusammengetragenen sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen ergibt sich, dass eine Frömmigkeit, die andere religiöse Auffassungen abwertet, die eigenen Überlieferungen wörtlich versteht und Glaubensinhalte für unverhandelbar und ewig hält, häufiger mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit korreliert als eine aufgeklärte „vorurteilsfreie“ Religiosität. (s. „Das Fremde akzeptieren“, Sonja Angelika Strube (Hg.), Herder 2017)

So finden sich unter den katholischen Unterzeichnern mehrere Befürworter der Tridentinischen Messe, drei der Pius-Bruderschaft zugehörige bzw. nahestehende Priester, sowie zwei Personen, die an dezidiert theologisch konservativen Ausbildungsstätten tätig sind. Mehrere Personen sprechen sich offen gegen Ergebnisse des 2. Vatikanischen Konzils aus.

Unter den evangelischen Unterzeichnern überwiegt die Gruppe derer, die sich mit dem Pietismus und Evangelikalismus identifizieren, sich als bibeltreu und konservativ bezeichnen. Aus ihrer Bibellese entnehmen sie die Ablehnung der Homosexualität und die Verteidigung der „natürlichen Schöpfungsordnung“ im Verhältnis von Männern und Frauen. Vier Unterzeichner sind in Leitungspositionen bibeltreuer Bewegungen bzw. Organisationen tätig (gewesen).

Allerdings: Zu den Unterzeichnern gehört auch ein promovierter „Radikalkritiker“ der biblischen Schriften, der die sieben echten Paulusbriefe für Fälschungen aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. hält. Er arbeitete bis 2009 als Pfarrer in Berlin.

„Suche Frieden!“

Wenig überraschend finden sich gerade in der Gruppe der Ruheständler auch „gedrehte 68er“, ehem. Friedensaktivisten (West) und Bürgerrechtler (Ost), von denen sich einige über Jahrzehnte für politischen Wandel, Friedens- oder Umweltfragen engagiert haben. Einer der Gründe ihrer Hinwendung zur Neuen Rechten ist sicher in der Enttäuschung vormaliger Hoffnungen zu finden, die vor allem mit der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung der 1980er-Jahre verbunden waren.

Mit den eher religiös motivierten Unterzeichnern haben die ehemaligen Friedensaktivisten die Ablehnung des Islam gemein. Mehrere Personen aus dieser Gruppe bezeichnen den Islam als Ideologie, weshalb Muslime keinen Anspruch auf die grundgesetzlich verbürgte Religionsfreiheit hätten. Diese Form von „Islam-Kritik“, die sich häufig an einer wortwörtlichen Koranlesart festmacht, stammt aus der Kritik fundamentalistischer Religiosität und scheint anschlussfähig an Befürchtungen des liberalen Bürgertums, das um Freiheitsrechte und Wohlstand fürchtet.

In Amt und Würden

Auch wenn Ruheständler die größte Gruppe unter den Unterzeichnern bilden, steht doch ihre Mehrheit im Berufsleben. Ein Dutzend Personen arbeitet regelmäßig für Kirchen und angeschlossene Werke. Was verbinden jene mit ihrer Unterschrift, die im Dienst von Landeskirchen und Bistümern stehen, die als Pfarrer für die Leitung von Gemeinden zuständig sind, in der Seelsorge und auf der Kanzel im Auftrag ihrer Kirche handeln?

Pater Georg Fischer (*72) versteht seine Unterschrift als Demonstration für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit: „Mir ging es vor allem um das Demonstrationsrecht, das ich beim ‚Marsch der Frauen‘ und anderen Nichtmainstreamdemonstrationen ohne Migrationsbezug als nicht gewahrt wahrgenommen habe. Hier wurde Recht gebrochen.“

Darüber, ob es tatsächlich einen Rechtsbruch gegeben habe, könne man sicher streiten, „vor allem aber ist das Vorgehen der Regierung illegitim, weil sie den wirklich Hilfsbedürftigen die Grundlage entzieht.“ Pater Fischer ist in der Suchtkrankenhilfe des Deutschen Ordens tätig, die Mittel für diese Sozialarbeit sind häufig knapp bemessen. Hat es denn aufgrund des erhöhten Engagements für Geflüchtete und Migranten Einschränken in seinem Arbeitsbereich gegeben? „Nein, Kürzungen deswegen sind mir noch nicht bekannt. Bei Verhandlungen mit Kommunen aber sieht man schon, dass kein Geld da ist. Aber eine Kausalität da herzustellen, geht wohl zu weit. Ich bin aber überzeugt, dass es so kommen wird.“

Die Unterzeichner solidarisieren sich mit den Demonstranten auf der Straße. Foto: Jahrestag PEGIDA, strassenstriche.net (Flickr), CC BY-NC 2.0

Geflüchtete und Migranten

In Frankfurt a. M. erlebe er das Zusammenleben mit Geflüchteten und Migranten häufig als problematisch: „Schon seit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts von 2012 in Sachen Hartz IV für Asylbewerber, ist die Zuwanderung in die Sozialsysteme sprunghaft gestiegen und obendrein vor allem aus den Nordafrikanischen Staaten auch der von Kriminellen. In der Debatte werden nun alle die kommen, einfach als Flüchtlinge bezeichnet. Das geht so nicht.“

Das Bundesverfassungsgerichts hatte 2012 geurteilt, dass die seit 1993 nicht angepassten staatlichen Geldleistungen gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verstießen und eine Anhebung beschlossen, die sich an den Leistungen für Empfänger von „Hartz IV“ oder Sozialhilfe orientierte.

Das Bahnhofsviertel in Frankfurt ist seit den 1980-Jahren als Drogen- und Kriminalitätsschwerpunkt bekannt. Nach Berichten von SternTV hat es in den letzten Jahren einen Anstieg von Verbrechen gegeben, der durchaus mit dem Zuzug von Kriminellen aus Nordafrika in Verbindung gebracht werden kann.

Fischer geht es um einen „Vertrauensbruch der Regierung gegenüber denjenigen, die ihr anvertraut sind.“ Doch kann das Land nicht beides leisten: Unterstützung für die Benachteiligten innerhalb der Mehrheitsbevölkerung auf der einen Seite und Sorge um Geflüchtete und Integrationshilfen auf der anderen? „Die erste Pflicht der Regierung“, meint Fischer, „ist die Sorge für die eigene Bevölkerung. Man muss sich auch fragen, mit welchem Hintersinn Gesetze einmal geschrieben wurden, in der Asylfrage genauso wie bei anderen Themen wie der Ehe. Darüber wird einfach hinweggegangen.“

Vertraut den neuen Wegen?

Im Gespräch mit Pater Fischer bestätigt sich, was der Recherche nach alle Unterzeichner bewegt: Grenzen werden überwunden oder eben „eingerissen“, alte Zuordnungen stimmen nicht mehr. Das gilt für das traditionelle Familienbild wie für die Nationalstaatlichkeit.

„Ich sehe den Nationalstaat nach wie vor als politische Kerngröße“, bekennt Pfarrer Sebastian Wohlfarth, „und halte es für notwendige Kennzeichen staatlicher Souveränität, Grenzen zu kontrollieren und Einreisen, Aufenthalte und Identitäten von Nicht-Staatsbürgern weitgehend verläßlich zu überblicken. Dies ist derzeit kaum gegeben.“ Dass nicht mehr allein das deutsche Asylrecht, sondern Europäisches Unionsrecht zur Anwendung kommt, scheint unbekannt oder wird trotzig ignoriert.

„Im Bundestag wurde auch nicht grundlegend darüber debattiert und abgestimmt,“ meint Wohlfarth. Das Gefühl von Neuerungen überrollt zu werden speist sich vor allem aus dem Mangel an Erklärung des Regierungshandelns. Dafür wird die Bundesregierung harrsch kritisiert. „‚Das Fass zum Überlaufen‘ brachte bei mir [Wohlfarth] die Aussage des nordrheinwestfälischen Innenministers Reul zur gestiegenen Anzahl von Messerangriffen: ‚Bürgerinnen und Bürger werden einfach sensibler sein müssen. Man muss nicht unbedingt Menschen nah an sich heranlassen.‘“.

Sebastian Wolfarth (*69) ist in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) tätig, als Pfarrer in Stepfershausen und als Jugendpfarrer für den Kirchenkreis Meiningen (Thüringen). Er ist einer „der Gottesdienste hält, das Abendmahl austeilt, Babys und Erwachsene tauft, Kinder unterrichtet, Jugendliche konfirmiert und Tote begräbt, und sich dabei weder in zeitgeistiger Konturlosigkeit noch in traditionserstarrten Wortgeflechten verlieren will“. Wie schaut es nun aus mit seinen politischen Überzeugungen in der Praxis? „Natürlich werden sie dann und wann teilweise zum Vorschein kommen“, meint Wohlfarth, „z.B. im Religionsunterricht, wenn etwa das historische Verhältnis von Staat und Kirche oder der Islam Unterrichtsthemen sind. Doch gebe ich (wenigstens nach meiner Wahrnehmung) keine politischen Leitlinien vor.“

Die Neue Rechte Geistlichkeit

Innerhalb und am Rande der Kirchen in Deutschland hat sich eine Minderheit von Geistlichen und Theologen der Neuen Rechten zugewandt. Unter den gemeinsamen Anliegen sticht vor allem die Kritik am Islam hervor, die der Anknüpfungspunkt für die in der Erklärung 2018 vertretene Ablehnung von Geflüchteten und Migranten ist.

Weitere gemeinsame Anliegen von Neuen Rechten und christlichen Konservativen sind die Kritik am „Genderwahn“, die Ablehnung von Homosexualität, das Festhalten am traditionellen Familienbild und an der Exklusivität der Ehe zwischen Mann und Frau. Aber sind die Geistlichen und Theologen Teil der politischen Sphäre der Neuen Rechten?

Zum Austausch werden von den Unterzeichnern vor allem christliche Medien genutzt, z.B. Mitgliederzeitschriften von bibeltreuen und pietistischen Verbänden, Nachrichtenmagazine wie Idea und populistische Plattformen wie kath.net. Nur einer der Unterzeichner kommentierte auf der Website der Sezession, einem Leitmedium der Neuen Rechten, sonst bleiben die Geistlichen unter sich. Gleichwohl haben sich in Medien wie Idea und kath.net, sowie in einer großen Zahl von Blogs, beide Sphären längst vermischt – allzumal in den Kommentarbereichen.

Die AfD erhält von den Unterzeichnern erhebliche Unterstützung, trotzdem in ihr längst völkische Nationalisten den Ton angeben, Antisemiten und Rechtsextreme geduldet und hofiert werden. Trägt die Anbiederung der Partei an das christlich-konservative Wertegerüst der Bibeltreuen wirklich so weit? Nur eine Minderheit betätigt sich bisher explizit politisch. Durch die Arbeit in der Jugend- und Erwachsenenbildung – beispielsweise als Referenten zum Thema Islam – beeinflussen sie aber die politische Meinungsbildung in ihren Gemeinden und Verbänden.

Insofern stellt die Erklärung 2018 durchaus eine Grenzüberschreitung dar: Sie ist für die Mehrzahl der Unterzeichner die erste politische Stellungnahme im engeren Sinne.

In der Mitte der Gesellschaft

Die akademische Bildung und die zum Teil erstaunliche publizistische und wissenschaftliche Tätigkeit der Unterzeichner stellen die gängige Behauptung in Frage, die Nähe zu rechtem Gedankengut wäre vor allem ein Problem bei sozial benachteiligten Menschen. Die Unterzeichner stehen in der Mitte der Gesellschaft, sie sind zum Teil hochgeschätzte Mitglieder ihrer Gemeinden und Organisationen.

Für die kirchennahe Friedensbewegung, wie für die evangelikale Szene und den Pietismus stellt sich die Frage, wie mit dem Hereintragen neu-rechten Gedankenguts umgegangen werden soll. Wie reagieren, wenn langjährige und bewährte Mitarbeiter ihre Position zur Agitation gegen Geflüchtete und Minderheiten nutzen?

Wie kann eine wirksame Abgrenzung zur neu-rechten Sphäre von Verschwörungstheoretikern, Populisten und Rechtsextremen gelingen? Bringen die Verbände und Organisationen den dafür notwendigen Willen auf? Wie positionieren sich Medien und Blogs, die auch für die auf ihren Webseiten geäußerten Kommentare verantwortlich sind?

Waren es bis vor wenigen Jahren Einzelgänger, die gelegentlich für Entrüstung in ihren Kirchen sorgten, so ist nun davon auszugehen, dass sich eine christliche Neue Rechte formiert, die sich über eigene Nachrichtenkanäle informiert und austauscht und die bestehende Organisationslandschaft gezielt zur Vernetzung nutzt.