Das Gottesdienstverbot in Deutschland im März 2020 hat vielerorts dazu geführt, dass Kirchgemeinden Gottesdienste auf YouTube oder ähnlichen Plattformen zur Verfügung gestellt haben. Dabei sind unterschiedliche Formate entstanden. Vielfach wurde diese durch äußere Umstände entstandene Digitalisierung als „Hype“ oder Digitalisierungswelle bezeichnet.
Wie ging es nach dem ersten Lockdown mit den digitalen Gottesdiensten weiter? Gab es wirklich nur einen kurzen Hype um digitale Gottesdienste oder bieten Gemeinden jetzt regelmäßig auch online verfügbare Gottesdienste an? Und was machen die Kirchengemeinden jetzt, wo wir uns in der zweiten Welle der Pandemie befinden?
Eine ökumenische Stichprobe
Um diese Fragen zu beantworten lohnt sich ein Blick auf die digitalen Gottesdienste im Verlauf des Jahres 2020. Dazu habe ich aus einer großen Liste an Gemeinden und Kirchenbezirken mit YouTube-Kanal, fünf Gemeinden, die einer Landeskirche angehören, fünf römisch-katholische Gemeinden und fünf evangelisch-freikirchliche Gemeinden ausgewählt, so dass ich am Ende 15 Gemeinden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen hatte, die sich in Hinblick auf ihren Ort, auf ihre Konfession und auch in anderen Aspekten unterscheiden.
Bei diesen Gemeinden habe ich rückblickend geschaut, ob sie Gottesdienste oder Andachten auf YouTube angeboten haben. Dabei habe ich in verschiedenen Monaten jeweils das dritte Wochenende im Monat betrachtet, nur im Dezember war es das zweite.
Zu Beginn des Jahres, im Januar, also bevor die Corona-Pandemie den Alltag von Kirchengemeinden veränderte, stellten zwei der 15 Gemeinden Teile ihrer Gottesdienste digital zur Verfügung oder streamten den Gottesdienst. Diese zwei Gemeinden sind beides Freikirchen, die zumindest regional bekannt sind und in Großstädten liegen.
Der Großteil der betrachteten Gemeinden (13/15) hat erst mit der Pandemie angefangen, Gottesdienste oder Teile der Gottesdienste auf YouTube zu stellen oder zu streamen. In der ersten Märzhälfte 2020, also kurz vor dem Verbot von Präsenzgottesdiensten in Deutschland als diese noch eingeschränkt möglich waren, wurden nur vereinzelt Gottesdienste und Andachten online gestellt. In der Woche vor dem Gottesdienstverbot stellten zwei von fünf Gemeinden aus den evangelischen Landeskirchen Gottesdienste oder Andachten zur Verfügung und vier von fünf freikirchlichen Gemeinden boten einen Gottesdienst im Livestream an und/oder stellten danach die Aufzeichnung der Predigt zur Verfügung.
Die katholischen Gemeinden in meiner Stichprobe stellten in diesen Wochen noch keine Gottesdienste oder Andachten auf YouTube. Zu Beginn des Gottesdienstverbots stieg die Zahl der katholischen Gemeinden, die Gottesdienste auf YouTube anboten, dann schnell von zwei auf sechs an. Ein Großteil der betrachteten Gemeinden begann am ersten Sonntag nach dem Gottesdienstverbot Ende März damit, Gottesdienste digital zur Verfügung zu stellen.
Digitales Ostern
An Ostern erfolgte dann eine Explosion der Angebote. Mit Ausnahme einer Gemeinde meiner Stichprobe, die ihren YouTube-Kanal erst im Herbst gestartet hat, boten alle Gemeinden mindestens einen digitalen Gottesdienst an den Osterfeiertagen an.
Auffallend ist hier der starke Anstieg an Angeboten der katholischen Gemeinden. Alle fünf katholischen Gemeinden haben an Ostern zwei oder sogar noch mehr Angebote auf YouTube gemacht. Auch die landeskirchlichen Gemeinden und die Freikirchen boten teilweise noch ein zweites Angebot an, zum Beispiel für Kinder.
Mit Abflachen der ersten Welle der Corona-Pandemie im deutschsprachigen Raum wurden wieder Präsenzgottesdienste möglich. Was hat sich durch die Möglichkeit geändert, mit Hygienekonzept wieder Gottesdienste in Präsenz zu feiern?
Hybride Gottesdienste?
Im Juni boten 8 der 15 untersuchten Gemeinden Gottesdienste auf YouTube an, drei davon waren landeskirchlichen Gemeinden, zwei katholisch und drei freikirchlich. Eine der freikirchlichen Gemeinden hat zu diesem Zeitpunkt auch angefangen, zusätzlich zu ihrem Gottesdienst auch Kindergottesdienste für Kinder von 4-8 Jahren zur Verfügung zu stellen.
Ein Großteil dieser Gottesdienste wurde jetzt live gestreamt oder nachträglich online gestellt. Durch den Wiederbeginn der Präsenzgottesdienste vereinheitlichten sich außerdem die Formate. Andachtsformate wurden nicht mehr regelmäßig angeboten und die Gottesdienste wurden in der Regel nicht mehr extra für YouTube, sondern hybrid gefeiert.
Hybrider Gottesdienst bedeutet zumeist allerdings nur, dass die Gottesdienstteilnehmer:innen, die per Stream dabei sind, extra begrüßt werden und dass es Möglichkeiten für digitale Spenden gibt. Ob solche Gottesdienste wirklich als hybrid bezeichnet werden können, ist fraglich. Einen Schritt weiter gehen hier die Gemeinden, die durch eigene Präsenz im Chat während des Livestreams in den Dialog mit den Stream-Teilnehmer:innen treten.
Der digitale Trend verstetigt sich
Vor und in den Sommerferien haben sich viele haupt- und ehrenamtlich Engagierte aus Kirchengemeinden die Zeit genommen, um die vergangenen Monate zu reflektieren und zu überlegen, wie es weitergeht. Schließlich wurde die Digitalisierung des Gottesdienstes bis dahin unter hohem Zeitdruck unternommen. Einige, darunter auch ich, erwarteten, dass die Zahl der digitalen Angebote nach den Sommerferien zurückgehen würde, da viele Angebote, die Corona bedingt ausgefallen waren, wieder anlaufen sollten.
Doch zumindest im Hinblick auf die Gottesdienste auf YouTube erstaunen die Zahlen: Im September boten alle fünf freikirchlichen Gemeinden, eine der katholischen Gemeinden und zwei der landeskirchlichen Gemeinden Gottesdienste auf YouTube an. Insgesamt waren 8 der 15 Gemeinden, mehr als die Hälfte der Stichprobe also, weiterhin mit digitalen Gottesdiensten dabei.
Diese Gemeinden sind größtenteils mit jenen Gemeinden identisch, die schon im Juni Gottesdienste anboten, so dass man sagen kann, dass es eine nicht unerhebliche Anzahl an Gemeinden gibt, die seit dem ersten Lockdown regelmäßig Gottesdienste auf YouTube anbieten. Im Herbst konnte ich also überhaupt keine Reduktion des Angebots an digitalen Gottesdiensten feststellen.
Die zweite Welle
Der Advent brachte nicht nur ein neues Kirchenjahr, sondern auch eine erneute Diskussion um die Sicherheit von Präsenzgottesdiensten mit sich. Das machte die Frage, wie Weihnachten gefeiert werden kann, immer dringlicher.
Das lässt sich auch anhand des Gottesdienstangebots auf YouTube zeigen: Am dritten Advent boten vier der Freikirchen, vier der katholischen Gemeinden und vier der evangelischen Landeskirchen Gottesdienste auf YouTube an. Eine weitere Gemeinde hat außerdem schon den Livestream einer Christmette angekündigt. Das Advents-Aufkommen wurde bisher nur von Ostern übertroffen. Für Weihnachten rechne ich mit einer noch größeren Explosion der Angebote als an Ostern.
Wie wird gefeiert?
Bisher überwiegen in den katholischen Gemeinden die Messfeiern deutlich, im Vergleich zu anderen Formaten, wie Wortgottesdiensten oder Andachten. Alle an den ausgewählten Wochenenden -Ostern einmal ausgenommen – von den Gemeinden angebotenen Gottesdienste waren Messfeiern, die live gestreamt wurden.
In den Landeskirchen und Freikirchen überwiegen seit Ostern die Livestreams oder Videoaufzeichnungen von öffentlichen Gottesdiensten, die dem gewohnten liturgischen Ablauf innerhalb des Gemeindebundes bzw. der Landeskirche folgen. Mehr als kleine Anpassungen an die besondere Situation eines digitalen oder hybriden Gottesdienstes sind bisher nicht festzustellen.
Spannend bleibt, wie es im nächsten Jahr und vor allem nach Ende der Pandemie weitergeht. Wird das regelmäßige Angebot an Gottesdiensten auf YouTube weiterhin bestehen bleiben? Wird es weiterhin außerhalb der Feiertage eher wenig katholische Angebote auf YouTube geben? Werden die Formate stärker als bisher digitale beziehungsweise hybride Möglichkeiten für die Gestaltung der Gottesdienste aufnehmen? Und wird es auch nach der Pandemie, besonders an hohen Feiertagen, mehr Gottesdienste, Andachten und weitere Angebote auf YouTube geben?
Ein Kommentar zum Artikel
„Werden die Formate stärker als bisher digitale beziehungsweise hybride Möglichkeiten für die Gestaltung der Gottesdienste aufnehmen?“ – Das ist m.E. die entscheidende Frage, vielen Dank für Ihren Einblick und Ihre Analyse.
Es ist dabei weniger wichtig, ob Ihre Schlussfolgerungen auf Grund von 17 oder 1700 Gottesdiensten erfolgen. Denn wir sind mit der Digitalität – da haben Sie völlig recht – in einer neuen Epoche. Das Neue besteht darin, dass ich faktisch alles digitalisieren kann: Texte, Bilder, Musik, Kunstwerke, Filmaufnahmen usw. Daraus ergeben sich vielfältige Möglichkeiten schöpferisch zu werden. In digitalen Gottesdiensten kann ich alles Digitalisierte in Beziehung setzen – in bekannte, aber auch überraschende, nie dagewesene. In großen Kirchengebäuden z.B. mit einen reichen theologischen Programm gäbe es die Möglichkeit dieses in Kommunikation zu bringen mit Lesungstexten, Liedversen oder Teilen der Predigt oder Teilen der Liturgie. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, meinen Sie das mit „hybrid“. Gute Fernsehgottesdienste (es gibt (leider) auch lausig schlechte) können das in Teilen schon gut und gelegentlich sehr gut – da fühlt man sich auch als Zuschauer sehr mitgenommen. Nun kommen, wie sich das gehört, zwei Einschränkungen, die nicht (!) gegen Ihren Bericht sprechen:
1. Es braucht dafür Ressourcen (Talent (!), Zeit, Geld, Gelegenheit.
2. „Digital“ ist zwar in Teilen das neue „Analog“. Aber digital ist nicht analog.
Punkt 1 ist meine Anfrage an die Leitungsgremien (Kirchengemeinderat, Kirchenbezirke, Landeskirche) ob man diese neuen Chancen nicht nur in der Not ergreift, sondern daraus systematisch, und das heißt auch in Haushalten eine Tugend auf Dauer macht.
Punkt 2 ist meine Erfahrung (als Pfarrer und als Gemeindeglied): Analog ist in mancher Hinsicht durch nichts zu ersetzen. Das gebetete Vaterunser macht uns zu Geschwistern ebenso wie das leibhaftige Abendmahl, im Singen des Kanons, der Liturgie erfährt sich eine Gemeinde als Subjekt und im Kirchenschwatz nach dem Gottesdienst entsteht Nähe, Vernetzung und manche gute Idee.
Analog und digital: bitte keine falschen Alternativen! Aber gern – wie Sie sagen -ein neues Hybrid, neue Synthesen.
Zu Ihrem letzten Satz deshalb: Hoffentlich. Und gute.