Zeitenwende in der digitalen Kirche?
Nach „Zeitenwende“, Corona-Pandemie und Trump-Wiederkehr tritt die digitale Kirche in eine neue Phase ein. Über Abbrüche und Neuanfänge einer Bewegung, die sich vom Silicon-Valley lösen muss.
An allen Ecken und Enden der digitalen Kirche ist momentan die Ernüchterung mit Händen zu greifen. Nach der Hochzeit digitaler Formate und Arbeitsprozesse während der Corona-Pandemie ist das digitale Engagement in den Kirchen an vielen Stellen wieder eingeschlafen. Das gilt nicht nur für digitale Verkündigungsformate, sondern auch für das vernetzte und orts- und zeitsouveräne Arbeiten innerhalb der kirchlichen Strukturen.
Hinzu kommen Umwälzungen in der Social-Media-Landschaft, die auch kirchliche und christliche Medienschaffende vor neue Herausforderungen stellen. Manche von ihnen reichen unmittelbar in den Bereich unserer (persönlichen) Sicherheit und Daseinsvorsorge. Die Digitalisierung hat längst ihre Anmutung als Hobby oder Orchideen-Fach verloren und ist zum zentralen Schauplatz von Politik, Kulturkampf (Meta-Politik) und Kriegsführung geworden.
Allen Mikroblogging-Nutzer:innen sind diese Entwicklungen spätestens seit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk und die darauf folgenden Veränderungen an der Plattform geläufig, die heute X heißt. Doch auch auf anderen Plattformen, auf denen Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft – kurz: die Angelegenheiten der res publica – nicht so deutlich im Vordergrund stehen, sind ähnliche Dynamiken bereits erkennbar bzw. kündigen sich an. Für solche Enwicklungen muss auch eine Kirche, die zumeist weiß, reich und multi-privilegiert ist, sensibel werden, auch wenn sie nicht zu den ersten Opfern neuer (Plattform-)Politiken gehört, sondern sogar zu den umworbenen Partnern von Autokraten, Rassisten und Faschisten.
Seit dem zweiten Amtsantritt von Donald Trump überschlagen sich Entwicklungen in der digitalen Welt, die direkten Einfluss auf unser digitalisiertes Leben haben. Anordnungen und Vorhaben der US-Regierung sowie der vorauseilende Gehorsam der großen Tech-Firmen lassen es nötig erscheinen, in Europa und Deutschland schnellstmöglich eigene verlässliche digitale Infrastrukturen zu bauen. Dabei gilt es zu beachten, den privat-wirtschaftlichen Tech-Giganten nicht einfach staatliche Infrastrukturen entgegenzustellen, die bei Übernahme der Regierung durch eine rechtsradikale Partei selbst zu Werkzeugen eines autoritären oder gar totalitären Staates werden könnten.
Die Herausforderung besteht, wie in diesen Tagen ausführlich berichtet wird, nicht allein bei Satelliten-Netzen und Cloud-Diensten, sondern auch bei Social-Media-Plattformen. Jenseits der konkreten Kriegsführung in der Ukraine, die ohne Elon Musks Satellitennetz Starlink kaum in dieser Form stattfinden könnte, steht deutlich vor Augen, wie angreifbar sich Europa für Desinformation und Propaganda durch die Nutzung großer Social-Media-Plattformen macht. Der inzwischen revidierte Wahlbetrug in Rumänien ist dafür nur das offensichtlichste Beispiel.
Wie Ingo Dachwitz und Sven Hilbig in ihrem neuen Buch „Digitaler Kolonialismus: Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen“ (C.H. Beck 2025) detailliert beschreiben, hat unser Leben mit den Social-Media- und Tech-Giganten verheerende Auswirkungen nicht nur für die Demokratien des Westens, sondern vor allem für den Globalen Süden. Die Ausbeutung von Daten und menschlicher Arbeit reicht dabei weit über die Sphäre der Content-Moderation auf Social-Media-Plattformen. Dachwitz und Hilbig verfolgen ihre Spur in der Landwirtschaft, beim Abbau wertvoller Rohstoffe und in Sicherheits- und Anti-Migrationspolitiken.
Christliche Kirchen, die sich seit Jahrzehnten häufig gegen den Widerstand der Regierungen ihrer Länder und wider den (digitalen) Zeitgeist für eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit einsetzen und auf globale Ungerechtigkeit beharrlich hinweisen, müssten wohl eigentlich einen Erfahrungs- und Erkenntnisvorsprung haben, wenn es um die Bekämpfung digitaler Ausbeutung geht. Im krassen Widerspruch dazu jedoch verlassen sich die Kirchen des Globalen Nordens selbst auf die Dienste und Kanäle der Tech-Giganten. Obwohl ihnen nicht zuletzt das europäische und kirchliche Datenschutzrecht einen anderen, besseren Weg weist, nutzen Christ:innen und Kirchen häufig unreflektiert Social-Media-Plattformen, Cloud-Dienste und Software, die heute zur globalen Ungleichheit und ihren Folgeproblemen beiträgt und morgen schon die persönliche Sicherheit gefährden kann.
Das Netz und insbesondere Social-Media-Plattformen sind längst Schauplatz der hybriden Kriegsführung von Autokraten gegen die freiheitliche Gesellschaft, auf deren Boden der demokratische Rechtsstaat überhaupt nur gebaut werden kann. Christliche Kirchen, die sich dem Gemeinwohl und zur Mitgestaltung einer demokratischen Gesellschaft verpflichtet sehen, müssen sich in dieser Phase der Digitalisierung neu orientieren. Dabei können sie auf bereits Bestehendes aufbauen und eigenes Erfahrungswissen in die gesellschaftliche Debatte selbstbewusst einspeisen. Einige Irrtümer müssen sie jedoch auch korrigieren.
Was ist christliche Digitalisierung?
Eine solche Neuorientierung im digitalen Wandel fällt dann leichter, wenn man sich der inhaltlichen Prinzipien sicher wird, die Digitalisierung in den Kirchen leiten sollten. Sie stehen seit jeher in der Gefahr, von immer neuen Hypes und Trends verdrängt zu werden, sind aber gerade darum der Erinnerung wert. Zwei wichtige Grundparadigmen sollen darum hier umrissen werden:
Erstens: Digitalisierung in der Kirche dient der Kommunikation des Evangeliums. Die wechselseitige Kommunikation des Evangeliums ist das der Digitalität angemessene Paradigma kirchlichen Handelns „im Netz“. Die Digitalisierung von Arbeitsprozessen (z.B. digitale Meetings, Finanzverwaltung und Büroorganisation) und Verkündigungsformen (z.B. digitale Gottesdienste, Online-Gemeinden, Social-Media-Arbeit) sind kein Selbstzweck, Hobby oder Add-On zur bisherigen (analogen) Arbeit in den Kirchen, sondern in einer digitalisierten Gesellschaft notwendige Querschnittsaufgabe. Eine Kirche in der Digitalität wird notwendigerweise immer auch digitale Kirche sein, will sie mit den Menschen gemeinsam pilgernde Kirche sein. (Lumen Gentium 50)
Zweitens: Digitalisierung in der Kirche ist in Form und Inhalt dem Gemeinwohl verpflichtet. Mittels digitaler Werkzeuge nehmen die Kirchen als Partikularorganisationen durch Kommunikation in verschiedenen Öffentlichkeiten an der Gestaltung der pluralen, demokratischen Gesellschaft teil – in der allein sie selbst nur gedeihen können. Diese inhaltliche Vorbestimmung hat auch Bedeutung für die Gestaltung der digitalen Werkzeuge, derer sich die Kirchen bedienen. Solche, die dem Anliegen einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft nicht entsprechen, können von den Kirchen nicht oder nur unter Bauchschmerzen genutzt werden. In jedem Fall bleibt eine Nutzung wider die eigenen Kernüberzeugungen erklärungsbedürftig und begründungspflichtig.
Das christliche Ethos und die spezifischen Ethiken der Kirchen, z.B. die katholische Soziallehre, weisen kirchliche und christliche Akteur:innen in Richtung von Open-Source- und Open-Data-Lösungen. Christliche Digitalisierung denkt auch die Verantwortung für Schwache und Diskriminierte mit. Auch digital sollen wir unserer Geschwister Hüter:innen sein. Es ist also sowohl an die Sicherheit digitaler Werkzeuge und Kanäle – und die damit unweigerlich notwendigen Freiheitsbeschränkungen – zu denken als auch an die nachhaltige Nutzung von digitalen Werkzeugen im Rahmen der sozio-ökologischen Transformation.
Eine Kirche in der „Zeitenwende“ wird auch prüfen müssen, inwieweit sie einen Beitrag zur gesellschaftlichen Resilienz gegenüber hybrider Kriegsführung leisten kann. Und wie ein solches Bemühen mit den weiterhin notwendigen kritischen Interventionen und Einsprüchen gegenüber einer digitalisierten, in den Alltag der Menschen hineinreichenden Militarisierung und Rüstung zusammengebracht werden kann.
Mitgliederkommunikation und gesellschaftliche Verantwortung
Wie können diese beiden oben skizzierten Paradigmen zur Orientierung der digitalen Kirche in neuer Zeit beitragen? Für die Nutzung digitaler Kanäle und Werkzeuge ist nicht maßgeblich „was alles geht“, sondern was den Menschen als Prosumenten des Evangeliums dient. In diesem Sinne muss die #digitaleKirche den Grundanliegen des Web 2.0 auch in einer Social-Media-Welt der neuen Entertainmentplattformen (TikTok, YouTube etc.) treu bleiben.
Im Sinne einer konsequenten Empfänger:innenorientierung der christlichen Verkündigung, die mit der Mitwirkung der Hörer:innen am Kommunikationsgeschehen nicht nur rechnet, sondern diese als konstitutives Element jeder christlichen Verkündigung ernstnimmt, ist das Vorhandensein und die aktive Pflege von Rückkanälen unverzichtbar. Wo nur gesendet, aber nicht empfangen, wo nur gepredigt, aber nicht gehört, wo nur ermahnt, aber nicht gelernt wird, ist keine christliche Predigt in der Digitalität.
Für die Kirchen und kirchliche Medienunternehmen bedeutet dies, in den Ausbau von Communitymanagement und Nutzer:innen-Betreuung zu investieren. Dadurch würden die Kirchen auch einen Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden leisten, den sie unter der Chiffre des „Zusammenhalts“ so häufig beschreiben. Digitale #Verständigungsorte brauchen eine andere Infrastruktur als Social-Media-Plattformen aus den USA und China. Hier müssten sich die Christ:innen und Kirchenvertreter:innen in den Aufsichtsgremien des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks und in der Politik sehr viel stärker als bisher für den Aufbau gemeinnütziger Infrastrukturen einsetzen.
Für die Kommunikation im Auftrag der Kirchen bedeutet konsequente Empfänger:innenorientierung auch einen Schwenk in Richtung Mitgliederkommunikation, die in Zeiten abnehmender Kirchenbindung und -Mitgliedschaft sowieso angezeigt ist. Es geht vornehmlich nicht darum, immer mehr oder effizienter zu senden, um geschicktere Zweitverwertung von analogem und digitalen „Content“, sondern um ein Investment ins Zuhören, in die Erreichbarkeit, in konkrete analoge und digitale Begegnungen.
Insbesondere auf Instagram ist jedoch zu beobachten, wie sich christliche Medien und Medienschaffende ganz in die Plattformdynamiken ergeben haben, insofern sie ihre Inhalte den jeweils (anscheinend) geltenden Regeln und Moden anpassen. Im Vordergrund steht viel zu häufig die Orientierung an Likes und Reichweite, christliche Sinnfluencer:innen betreiben engagement und rage bait ebenso routiniert wie ihre nicht-christlichen Counterparts (wir berichteten). Auch christliche Akteur:innen sind im Netz egoistisch der eigenen Markenbildung verpflichtet: Sie sind weitgehend der Kommodifizierung in Plattformlogiken erlegen, die doch im krassen Widerspruch zur ihnen eigentlichen aufgegebenen Botschaft stehen.
Christliche Ethik als Maßstab des Handelns: Prüffall „KI“
Am Beispiel: Auf der Tagung „Evangelische Publizistik- wohin?“ Anfang März 2024 in der Evangelischen Akademie Tutzing erzählte Stefanie Schardien, die neue theologische Geschäftsführerin des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (gep) und Medienbeauftragte des Rates der EKD, von ihrer bisherigen Mitarbeit am „Wort zum Sonntag“. In dieser ältesten Verkündigungssendung im deutschen Fernsehen versuchen Personen (zumeist Geistliche) aus den Kirchen jeden Samstagabend im Hauptprogramm der ARD ihren Zuschauer:innen Orientierung aus je persönlich verantworteter christlicher Perspektive zu bieten.
Nach jeder Sendung melden sich viele, wirklich sehr viele Menschen bei der Redaktion oder direkt bei den Sprecher:innen mit Lob, Kritik und Nachfragen. Kritisch wird es vor allem dann, wenn die Sendungen polarisieren, wie zuletzt während eines „Wort zum Sonntag“ während des Wahlkampfs (wir berichteten).
Für die zeit- und kraftintensive Beantwortung dieser Nachrichten und das vertiefte und vertiefende Gespräch aber fehlen den Sprecher:innen und der Redaktion schnell die Ressourcen. Die Unterstützungsstrukturen für Sprecher:innen sind nicht im nötigen Ausmaß vorhanden, vor allem auf katholischer Seite nicht. Nur ein konkretes Beispiel dafür, wie oft die Kirchen sich ihnen bietende Kommunikationschancen nicht wahrnehmen. In Tutzing wurde daher auch der Einsatz von „KI“ für die Erledigung der Zuschauer:innen-Fragen diskutiert.
Solange die „KI“ als Werkzeug für Community-Management eingesetzt wird, um persönliche digitale und analoge Kontakte überhaupt zu ermöglichen, ist daran nichts auszusetzen. Felix Stalder hat genau dies mit Algorithmizität als eine der Grundformen der Digitalität bereits 2016 beschrieben. An die Stelle menschlicher Gesprächspartner:innen aber kann die „KI“ nicht treten, will die Kirche dem Grundparadigma der Kommunikation des Evangeliums nicht untreu werden. Der Einsatz von „KI“-Rechenmodellen stellt gegenüber den etablierten digitalen Werkzeugen außerdem vielfach eine Ressourcenverschwendung dar. Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sind auf anderen Feldern der christlichen Ethik wichtige Werte, sie müssen auch in eine digitale Ethik eingeschrieben werden.
Vom Einschlafen und Aufwachen
Die Grundparadigmen der digitalen Kirche bieten auch im Umgang mit neuen digitalen Werkzeugen wie der sog. „KI“ und angesichts des Wandels von Social Media weiterhin Orientierung. Gleichwohl ist damit der Abschied vom hyperventilierenden Wachstumsdenken mitgemeint, das sich die digitale Kirche in den vergangenen fünfzehn Jahren vom Silicon Valley abgeschaut hat. Digitale Kirche kann diesen Abschied als Chance sehen, sich ihrer Verortung innerhalb des kirchlichen Auftrags und in der freiheitlichen digitalen Gesellschaft bewusst zu werden. Längst ist überdeutlich geworden, dass mit dem Silicon-Valley-Denken mehr und anderes gemeint ist als eine fröhliche, unternehmerische Digitalisierung.
Mit dem Disruptions-Denken und dem Tech-Kapitalismus des Valleys müssten die Kirchen eigentlich auf Kriegsfuß stehen. Digitale Kirche wächst nicht um ihrer selbst willen, sondern funktioniert vielmehr zirkular und/oder wellenförmig, weil sie an den tatsächlichen Bedürfnissen realer Menschen und nicht an den Profiterzielungsinteressen großer Digitalunternehmen orientiert ist – und sein muss!
Digitale Infrastrukturen und Kommunikation der Kirchen in Deutschland verdanken sich heute vor allem der Finanzierung durch die Kirchensteuer. Sie sind nicht auf die Monetarisierung beim digitalen Endkunden angewiesen. Daraus ergibt sich ein großer Freiheitsraum für die Gestaltung der Digitalisierung und für die kirchliche Medienarbeit. Auch wenn die Kirche nach Innen aus Effizienzgründen durchaus unternehmerisch agieren sollte, ist ihr statt Medienkonzernen und kommerziellen Plattformanbietern das öffentlich-rechtliche System (ÖRR) das sinnigere Vorbild.
In umgekehrte Richtung können ÖRR und Kirchen mit ihren Ermöglichungsstrukturen, die durch einen verbindlichen finanziellen Beitrag der Bevölkerung bzw. Kirchenmitgliedschaft überhaupt erst möglich werden, als Vorbild für die zu schaffenden europäischen digitalen Infrastrukturen dienen.
Im eigenen Rhythmus
Für #digitaleKirche-Akteur:innen in den Gemeinden, Verbänden und Vereinen der Kirche bedeutet der Abschied vom Silicon-Valley-Wachstum ein Einüben in die Lebensrhythmen der Menschen, mit denen konkret gearbeitet wird, sowohl als Sender:innen als auch als Empfänger:innen. In diesem Sinne durften digitale Angebote in unseren Kirchen nach Corona gerne auch „einschlafen“, insofern damit immer auch mitgemeint ist, dass man sie bei Bedarf wieder auf(er)wecken kann.
Ohnehin empfiehlt sich eine Arbeit in Projekten und in der Schrittlänge der Menschen, mit denen man gemeinsam in der Digitalität lebt. Dazu raten Hanno Terbuyken und ich auch in unserem Buch „Vernetzt und zugewandt – digitale Gemeinde gestalten“, das vor genau einem Jahr erschienen ist. Nicht alles muss jederzeit digital gemacht werden, aber wir haben während der Pandemie gesehen, wie stützend und wichtig digitale Gemeinschaft für viele Menschen sein kann.
Emphatische und empathische digitale Gemeinschaft kann auch einen Beitrag dazu leisten, Radikalisierungsdynamiken und Gewaltspiralen zu unterbrechen. Solche Angebote zielgenau und rhythmisch, z.B. zu geeigneten Zeiten des Kirchenjahres, anzubieten, zeugt von Digitalkompetenz. Wenn digitale Kirche ihre eigenen ideellen Grundlagen ernst nimmt, kann sie ihren Erfolg nicht an den plattformimmanenten Kennzahlen von Klicks und Likes messen. Sie geht von einem anderen Wachstumsbegriff aus, der auch das Pausieren und Maßhalten positiv zu fassen vermag und eben nicht als „Abbruch“ missverstehen muss.
Gruß geht raus an alle bretinas und bres die immer davon reden alles anzuzünden aber halt nie was anzünden sondern insta reels machen
— Tomimackakroni (@tomimackakroni.bsky.social) 10. März 2025 um 07:49
Auch eine Abkehr von gewohnten digitalen Pfaden, eine Umkehr von evangeliumswidrigen Wegen und ein dauerhafter Abschied von gefährdenden Infrastrukturen wird auf diese Weise denkbar. Viele Menschen vollziehen einen solchen Abschied, z.B. von den Social-Media-Plattformen, für sich privat bereits schon, während kirchliche Akteur:innen stur in ihnen feindlich gesonnenen, gesundheitsgefährenden und politisch mindestens fragwürdigen Habitaten weitersenden.
Insbesondere christliche Influencer:innen „zwingen“ so auch ihr Publikum zum weiteren Ausharren auf den Plattformen, statt gemeinsam andere Wege zu suchen. Ein fast schon zynisches, mindestens einmal paradoxes Geschehen: Während sich ihre Zuschauer:innen auf Instagram & Co. in para-soziale Beziehungen mit ihnen begeben, nutzen Influencer:innen die Plattformen professionell in einem rein funktionalem Sinn. Wo sich Zuschauer:innen tiefe Beziehungen erwarten, haben die Sender:innen längst abgeschaltet.
Abschied vom Valley
Es wäre würdig und recht, heilsam und billig obendrein, wenn die digitale Kirche aus ihren Silicon-Valley-Träumen aufwacht. Die Interessen der digitalen Kirche und von christlichen Medienschaffenden sind nicht identisch mit denen der Tech-Giganten.
„So oft haben wir die großen Versprechen vom digitalen Fortschritt durch Digitalisierung gehört – von Befreiung, Nachhaltigkeit und Wohlstand für alle – , dass viele sie nicht mehr hinterfragen“, schreiben Ingo Dachwitz und Sven Hilbig in ihrem Buch „Digitaler Kolonialismus“. „Doch nicht alles, was Veränderung bringt, ist eine Revolution. Oder hat die Digitalisierung der Welt etwa Freiheit, Gleichheit und Solidarität gebracht?“
Dachwitz und Hilbig sehen in der Digitalisierung im Fahrwasser des Silicon Valley eine Fortschreibung des europäischen Kolonialismus. Eine woke Kirche kann daran nicht begeistert teilnehmen. Nicht allein gemeinsame Werte und geteilte Vorstellungen von einem guten Leben in Freiheit und Verantwortung verbindet die Kirchen eigentlich mit der digitalen Zivilgesellschaft, die sich gegen die Macht des Valleys positioniert. Ingo Dachwitz war Jugendsynodaler der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und hat an der Digitaldenkschrift der EKD mitgewirkt und Sven Hilbig ist Referent für Handelspolitik und Digitalisierung beim evangelischen Hilfswerk „Brot für die Welt“. Hören wir auf unsere eigenen Expert:innen?
Ingo Dachwitz, Sven Hilbig
Digitaler Kolonialismus
Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen
C.H. Beck 2025
351 Seiten
28,00 € (Hardcover), 21,99 € (E-Book)
Philipp Greifenstein, Hanno Terbuyken
Vernetzt und zugewandt
Digitale Gemeinde gestalten
Neukirchener Verlag 2024
221 Seiten
24,00 € (Softcover)
Alle Eule-Beiträge zum Themenschwerpunkt #digitaleKirche.
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