St. Nikolaus, Kalisz (Polen), Foto: Soroush Karimi (Unsplash)

Droht der Kirche eine neue Reformation?

Wie überall auf der Welt kämpfen in der katholischen Kirche in Polen konservative Katholiken um die Deutungshoheit in der Kirchenkrise. Ihre Argumente und Ziele hat Theo Mechtenberg aufgezeichnet:

„Wir schlagen Alarm, wir möchten die katholischen Herzen erreichen und zeigen, dass sich die Dinge wahrlich schlecht entwickeln; sich dies bewusst zu machen, ist der erste Schritt zu einer Veränderung.“

Dieser Satz findet sich in der Einleitung des kürzlich erschienenen Buches „Alarm dla Kościoła. Nowa reformacja?“.1 Herausgegeben haben es Paweł Milcarek und Tomasz Rowiński, zwei mit der konservativen Quartalschrift Christianitas verbundene Publizisten. Der Band enthält die Gespräche von einem Dutzend bekannter polnischer Autoren, Priester wie Laien, die das, was heute in der Kirche vor sich geht, aus ihrer Sicht kritisch beleuchten und vor einer neuen Reformation warnen. Wenngleich sie zu allererst die Situation in ihrem Land im Blick haben, so verstehen sie doch die von ihnen ausgemachte Krise als ein gesamtkirchliches Phänomen.

Der Mitherausgeber und Chefredakteur der Christianitas Paweł Milcarek gab dem Tygodnik Powszechny bereits 2016 ein Interview, in dem er seine Absichten näher erläutert.2 Er stellt klar, dass die Autoren die „neue Reformation“ nicht als eine Protestantisierung begreifen, sondern als eine die Einheit der Kirche auflösende Fragmentarisierung. Dieser Entwicklung gehe eine präreformatorische Phase voraus, in der sich die Kirche gegenwärtig befinde, wobei sich bereits Übergänge zu einer „neuen Reformation“ zeigen würden.

Kirchliche Krisenphänomene

Es verwundert nicht, dass Milcarek die klerikalen Missbrauchsfälle als erste Krisenerscheinung erwähnt. Schließlich sind sie es, die derzeit die Kirche auch in Polen erschüttern. Auch wenn man, wie er meint, die konkreten Zahlen bezweifeln könne, so sei doch die Schuld der Täter offenkundig. Aber ihre mediale Vermittlung habe – vor allem durch den Dokumentarfilm der Brüder Sekielski – dazu beigetragen, dass diese Krise ihren Siedepunkt erreicht hat. Von ihr sei jede kirchliche Ebene bis hinauf zum Papst betroffen. Besonders schlimm sei es, dass klerikale Pädophile bis in höchste Ämter aufsteigen konnten, wie der Fall des Kardinals McCarrick zeige.

Der Argumentation von Milcarek ist eine deutliche Relativierung dieser mit einem enormen kirchlichen Glaubwürdigkeitsverlust verbundenen Problematik anzumerken. Bei der Aufdeckung der Missbrauchsfälle geht es seiner Meinung nach vor allem um solche der Vergangenheit, so dass „das Schlimmste wohl hinter uns liegt“. Zudem habe Papst Benedikt XVI. (nicht Papst Franziskus?) in dieser Sache viel unternommen, u. a. durch den äußerst deutlichen Brief an die Kirche in Irland sowie durch den Austausch vieler Bischöfe.

Bezeichnend ist, dass der Chefredakteur von Christianitas zwischen den Missbrauchsfällen und den kirchlichen Strukturen offenbar keinen Zusammenhang sieht und Fragen des Interviewers nach der Dringlichkeit institutioneller Reformen entweder nicht beantwortet oder ihnen ausweicht. Dass es sich bei den Missbrauchsfällen um einen Machtmissbrauch geistlicher Amtsgewalt handelt, blendet er aus.

Auf diese Weise gerät für die Autoren des Buches der von Papst Franziskus als Wurzel allen kirchlichen Übels gebrandmarkte Klerikalismus erst gar nicht in den Blick, dessen Überwindung weitreichende strukturelle Konsequenzen erfordert, um die sich gegenwärtig in weiten Teile der Kirche die Diskussion dreht (Synodalität). Gegen eine derartige innerkirchliche Auseinandersetzung wollen sich die konservativen Laien, Priester und Bischöfe offensichtlich abschirmen. Sie tragen damit selbst zu der von ihnen beklagten Fragmentarisierung kirchlicher Einheit bei.

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Als ein weiteres Krisenphänomen benennt Milcarek die bereits von Papst Benedikt XVI. monierte Verweltlichung der Kirche. Die Transzendenz des Glaubens würde im Alltag förmlich verdunsten, so dass er heute als ein „weltanschauliches Konstrukt“ verstanden werde. Die Konsequenzen seien in den unterschiedlichsten Lebensbereichen der Kirche spürbar, in einer Verbürokratisierung der Hierarchie, in einer Veräußerlichung der Liturgie, in einer kaum mehr christlich fundierten Erziehung.

In diesem Zusammenhang beklagt Milcarek in deutlicher Absetzung von den Nationalkatholiken die Politisierung der polnischen Kirche. Sie zeige sich im öffentlichen Leben darin, den weltlichen Machthabern einen kirchlichen Glanz zu verleihen. Statt den Politikern die christliche Botschaft zu verkünden, würden Priester und Bischöfe zu ihren Weggefährten.

„Der eine Bischof mit dem Weißen Adler auf dem Ornat ‚verherrlicht‘ in einem Festgottesdienst den Patriotismus, ein anderer Bischof, oder auch ein Priester in Garnitur, spricht als Referent auf einer Veranstaltung im Sinne der Europäischen Union über die Grundvoraussetzungen der Demokratie. Äußerst selten sind Aussagen, in denen wir es mit einem wahren Christentum zu tun haben, solche, denen die Kraft eigen ist, gesellschaftliche Phänomene im Lichte der Offenbarung zu beurteilen, mit dem Katechismus in der Hand.“

Verweltlichung eines Postchristentums

Nach Ansicht der mit Christianitas verbundenen Autoren ist die präreformatorische Phase durch die Verweltlichung eines Postchristentums bestimmt. Milcarek bezieht sich hier, ohne einen einzigen Namen zu nennen, auf deutsche Theologen, die im Übrigen einen großen Einfluss auf Papst Franziskus ausüben würden. Sie seien der Auffassung, man müsse sich eines Teils der kirchlichen Morallehre entledigen, der sich ohnehin nicht in der heutigen Zeit realisieren lasse. Worum es sich bei dieser „Entledigung“ im Einzelnen handelt, sagt er nicht, wobei er hier wohl in erster Linie an die kirchliche Sexuallehre gedacht haben mag.

Weiter meint Milcarek, dass die Verweltlichung der Kirche ihre Ursache darin habe, dass die Theologie zu stark unter den Einfluss der Geschichtswissenschaft und der Soziologie geraten sei und es dadurch zu einer Verwischung des genuin Christlichen mit dem Außerchristlichen komme. Das sich daraus ergebende Problem sei die Uminterpretation des Christlichen.

„Viele Ideologien unserer Epoche sind auf diese Weise konstruiert. Sie haben christliche Wurzeln, unterziehen diese aber einer Umwertung. Das nennen wir Postchristentum: Die Bemächtigung eines Elements des Christentums, vielleicht eines, das in der Vergangenheit vernachlässigt wurde, doch eben nur dieses eine, seine Absolutierung.“

Damit würde eine Ähnlichkeit mit dem Christlichen vorgetäuscht, ihm einen anderen, zu ihm in Widerspruch stehenden Sinn gegeben. Dies betreffe beispielsweise christliche Schlüsselbegriffe wie Person, Freiheit oder (soziale) Gerechtigkeit. Diese These ist in der Tat diskussionswürdig. Sie ließe sich vor allem an der des Kommunismus verifizieren.

Dazu eine Erinnerung aus meiner Zeit in der DDR: Als mein damaliger Bischof von seinem Vorgänger das Amt übernahm, hatte ihm dieser den Rat gegeben, niemals das Wort „Frieden“ in den Mund zu nehmen. Und dies obgleich es zum zentralen Bestand christlicher Botschaft gehört und im Vollzug der Liturgie gar nicht zu vermeiden ist. Aber es war ideologisch so vereinnahmt, dass es für die Verkündigung nicht mehr als brauchbar erschien.

Doch statt dem Rat jenes Bischofs zu folgen, gelang es ökumenischen Kreisen, den christlichen Sinn von „Frieden“ bewusst zu machen und gegen die ideologische Verfälschung zu behaupten. Die Friedensbewegung in der DDR, die wesentlich zum Ende des kommunistischen Systems beigetragen hat, verdankt ihre Existenz und Wirkung dieser in den 1960er- und 1970er-Jahren geleisteten Entideologisierung zur Rückgewinnung des christlich fundierten Friedensbegriffs.

Die gleiche Herausforderung stellt sich auch der „postchristlichen“ säkularen Gesellschaft des Westens. Und sie wird ja auch angenommen, indem es im öffentlichen Diskurs durchaus das Bemühen gibt, die christlichen Wurzeln und Inhalte zentraler Begriffe, auch die von Milcarek angeführten, bewusst zu machen und unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen umzusetzen.

Die 2015 durch Bundeskanzlerin Merkel verfügte Nicht-Schließung der deutschen Grenzen und die dadurch ermöglichte Aufnahme von hunderttausenden Flüchtlingen ist nur eines von zahlreichen Beispielen, welche die Umsetzung christlicher Werte in politische Entscheidungen unter Beweis stellen.

Auseinandersetzung um das Verständnis der Offenbarung

Ob christliche Werte säkular umgesetzt oder durch ihre Umsetzung verfälscht werden, das ist auch eine Frage, deren jeweilige Beantwortung durch das Verständnis christlicher Offenbarung bestimmt wird. Milcarek stellt in diesem Zusammenhang zwei theologische Denkweisen einander gegenüber:

„[Die eine sähe] in den übernatürlichen Quellen der Kirche den Ausgangspunkt für ihr Weltverhältnis, die andere geht von der Herausforderung der Welt aus und impliziert eine Reinterpretation überlieferter Offenbarungsquellen. In dem Fall ist man überzeugt, dass die Offenbarung einer mehr historischen als metaphysischen Interpretation bedarf, also heute mehr gemäß dem durch die historische Entwicklung bedingten Zeitgeist als durch ihre Quelle zu uns spricht.“

Der Chefredakteur der Christianitas beruft sich in diesem Zusammenhang auf den unter konservativen Katholiken allgemein beliebten Joseph Ratzinger, der in seiner Theologie gegen einen durch die Orientierung am Zeitgeist bedingten Traditionsbruch die unbedingte Wahrung der Kontinuität der Überlieferung bei der Interpretation der Offenbarungsquellen betont.

„Die Kontinuität ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass ein aus dem depositum fidei resultierender Inhalt Bestand hat, erhalten bleibt. Sie lässt sich nicht mit der Feststellung, der Zeitgeist führe woanders hin, beiseiteschieben.“

Auf eine einfache Formel gebracht schlagen Milcarek und die Autoren des Buches Alarm, weil ihrer Meinung nach das im Glauben Unveränderliche durch den Weltbezug des Glaubens verändert werde. Doch was ist im Glauben unveränderlich? Die Frage ist nicht schon – wie Milcarek offenbar glaubt – durch den bloßen Hinweis auf eine jahrhundertalte Überlieferung durch die Kirchenväter, die mittelalterlichen doctores ecclesiae und das Magisterium beantwortet.

Ihre Aussagen sind schließlich historisch bedingt, sind das Produkt einer, wenn man so will, Auseinandersetzung mit dem damaligen Zeitgeist. Sie bedürfen der Untersuchung des historischen Kontextes, der Intention der Autoren sowie der literarischen Gattung. Ohne eine derartige Erschließung der Quellen unterliegt man leicht der Täuschung, etwas für ein unveränderbares Glaubensgut zu halten, was in Wahrheit seine Form betrifft. Und eine solche theologische Aufklärung ist nicht ein für alle Male getan, sondern entsprechend der historischen Entwicklung stets neu zu leisten.

Milcarek begibt sich zudem in die Nähe eines theologischen Fundamentalismus, wenn er die Bedeutung aktueller wissenschaftlicher Erforschung der Offenbarungsquellen, insbesondere durch wissenschaftliche Bibelkommentare, herunterspielt.

Zeichen der Zeit vs. Zeitgeist

Die Gedenkmünze, die zur dritten Session des Zweiten Vatikanums an die Konzilsväter verteilt wurde, zeigt jene biblische Szene (Mt 14, 22-33), in der anschaulich berichtet wird, wie Petrus das Boot verlässt, Jesus auf den Wellen entgegengeht und von ihm gehalten wird. Sie steht in einem deutlichen Bezug zu der während dieser Sitzungsperiode behandelten Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“:

Der Anruf Christi ist auch außerhalb der Kirche, inmitten der Welt, zu vernehmen, und es gilt, ihm ungeachtet der damit verbundenen Gefahren im Vertrauen auf den Herrn zu entsprechen. Seit nunmehr über 40 Jahren verstummt in der Kirche nicht die beunruhigende Frage, ob die Währung dieser Gedenkmünze gedeckt ist, ob das Experiment des Glaubens tatsächlich gewagt wird, dieser Exodus zur Welt auf Christus hin, ob wirklich die Diener mit dem Volke Gottes in dieser Erfahrung solidarisch werden oder ob sie, Sicherheit suchend und das Wagnis fürchtend, lieber doch im Boot verbleiben.

An dieser Frage scheiden sich die Geister: Während die Konservativen in der Rolle der Mahner auftreten und – so auch Milcarek – mit Vorliebe den zur Verweltlichung der Kirche führenden „Zeitgeist“ beschwören, operieren die Vertreter eines weltoffenen Katholizismus mit dem konziliaren Begriff der „Zeichen der Zeit“.

Um die Zeichen der Zeit zu erkennen, bedarf es eines Perspektivwechsels. Nicht nur in der Welt, sondern auch in der Kirche. Er kann gelingen, indem man nicht gleich von der Offenbarung her denkt und urteilt, sondern zunächst die das kirchliche Handeln herausfordernde Problematik wahrnimmt und analysiert, um sie einer zweiten, am Evangelium orientierten Reflexion zu unterziehen, woraus gemäß dem Dreischritt sehen, urteilen, handeln das Handlungsgebot resultiert.

Papst Franziskus hat in seinem Pontifikat in der Nachfolge des Petrus außerhalb des Bootes in diesem Sinn so manches Beispiel gegeben, so als er kurz nach seiner Wahl Lampedusa und Jahre später die griechische Insel Lesbos aufsuchte und damit der Kirche wie der Welt ein Zeugnis gab gegen das bis heute anhaltende Sterben von hilflosen Flüchtlingen im Mittelmeer.

Vorbehalte gegenüber Papst Franziskus

Wo immer Milcarek in seinem Interview Papst Franziskus erwähnt, geschieht dies in einem eher negativen Kontext. So nennt er ihn zwar einen „guten, sympathischen Menschen“, der wie alle charismatisch begabten Führer die Nähe zu den Menschen suche, die ihn „als einen der ihren erkennen, als den besten und mächtigen Mann der Vorsehung, fähig, den Lauf der Geschichte zu ändern.“

Was die Änderung des Laufs der Geschichte betrifft, so habe sich unter seinem Pontifikat lediglich die kirchliche Krise verschärft. Wo weltoffene Katholiken anerkennen, dass Papst Franziskus die Zeichen der Zeit wahrnimmt, dass er auf seine Art um eine neue Gestalt der Kirche kämpft, da sehen die Konservativen die Kirche in Gefahr. Sie selbst fühlen sich an den Rand gedrängt.

„Ich fürchte, es wird immer mehr unter der Obdachlosigkeit leidende Gemeinschaften geben. Die Fragmentarisierung der Kirche ist unter Papst Franziskus bereits im vollen Gange. Die gegensätzlichen Positionen innerhalb der Kirche stehen zueinander in Spannung, insbesondere in Situationen aggressiver Polemik. Es bildet sich auf beiden Seiten eine ähnlich in sich geschlossene Haltung heraus, die zu gegenseitigen Anklagen führt und nicht zu dem gemeinsamen Versuch, die Lage zu verbessern.“

Der jetzige Papst, unter dem dies alles geschehe, sei nicht in der Lage, die gegenwärtige Krise zu bewältigen; zumal seine Amtsführung – unter Anspielung auf den „Dubia-Brief“ der vier Kardinäle – ernsthaft in Zweifel gezogen werde und dies von „traditionell propäpstlich eingestellten und eine Gesundung der Kirche erwartenden Kreisen. Gegenwärtig ist der Papst selbst Gegenstand prinzipieller Kontroversen.“

Milcarek sieht Papst Franziskus nicht nur in einem Gegensatz zu Johannes Paul II. und Benedikt XVI., sondern gleichfalls zu Paul VI.. Teile der Kirche, die sich heute um Papst Franziskus scharen, seien der Überzeugung, die volle Umsetzung des II. Vatikanums sei durch Paul VI. und Johannes Paul II. verhindert worden.

„Das was heute geschieht, ist die Verwirklichung ihrer Träume und ihrer Überzeugung, dass gewisse negative Prozesse die Folge angeblicher ‚Unvollendung‘ des II. Vatikanums sind. Vielleicht vollzieht sich vor unseren Augen gerade die institutionelle Erfüllung dieser Erwartungen. Meiner Meinung nach sind dies Schritte in die Katastrophe.“

Bewältigung der Kirchenkrise aus der Sicht von Konservativen

Was Milcarek zur Überwindung der Kirchenkrise anführt, ist wenig und wenig überzeugend. Verwunderlich ist das nicht, möchten die Konservativen doch am liebsten die jetzige Krise ungeschehen machen und zu den Verhältnissen zurückkehren, wie sie vor ihr bestanden. Entsprechend fallen denn auch seine Vorschläge aus.

Für ihn ist die Tradition das den christlichen Alltag gestaltende Element: „Katechismus, Messe, Brevier“. Man solle, was immer dies heißen mag, „bis in die Monotonie des Alltags hinein authentische Erfahrungen machen.“ Dabei schließt er ausdrücklich „pentekostale“, charismatische aus. Nicht um eine subjektive, stark emotionale Gläubigkeit geht es ihm, sondern um eine Gottesbeziehung aufgrund der „liturgischen Zeichen und in einer mit diesen Zeichen verbundenen Gemeinschaft.“

Was Milcarek hier für sich und die konservativen Katholiken in Anspruch nimmt, das gilt schließlich für alle Gläubigen, auch für jene, die auf eine Reform der Kirche drängen. Der Chefredakteur der Christianitas hofft auf die Überwindung der von ihm diagnostizierten Krise durch einen künftigen Papst.

Die Zeit werde kommen, in der ein solcher Papst ein Konzil einberufen werde, um die in Unordnung geratenen kirchlichen Verhältnisse neu zu regeln. Bezeichnenderweise ist für ihn nicht das Zweite Vatikanum Vorbild eines solchen Konzils, sondern das von Trient, das sich nicht darauf beschränkt habe, die Irrlehre zurückzuweisen, sondern dem es um die Vertiefung der kirchlichen Lehre gegangen sei.

„Eine ähnliche Arbeit wird man nach den zahlreichen Experimenten unserer Zeit leisten müssen. {…] Es kommt der Tag, an dem wir feststellen, dass alle diese Experimente hinter uns liegen und man Bilanz ziehen wird – und man wird nach den unterbrochenen Pfaden erneut suchen.“


  1. Alarm dla Koścoła. Nowa reformacja?, Denart 2019
  2. Czy kościołowi grozi nowa reformacja (Droht der Kirche eine neue Reformation), Tygodnik Powszechny v. 15. Juni 2016, S. 30-34.