Foto: Janko Ferlič (Unsplash)

Ein fulminanter Koloss

Der Roman „Das achte Leben (Für Brilka)“ von Nino Haratischwili ist ein europäisches Drama und meisterlich geschrieben. Seine Geschichte scheint heute aktuell wie nie.

Welch ein fulminanter Koloss wälzt sich da auf uns zu, ein Epos von der Wucht einer antiken Tragödie, wortgewaltig, schier ohne Ende, ein Lindwurm von mehr als tausend Seiten, der einen von Anfang an in den Bann zieht. Die verzweigte Geschichte einer georgischen Großfamilie über ein Jahrhundert von Kriegen, Bürgerkriegen, Revolutionen, Vertreibungen, eingebunden in eine hochdramatische Spiegelung verschlungener Biografien an der Grenzfläche von großer Sowjetunion und kleinem Georgien.

Los geht es mit dem Ururgroßvater der Erzählerin, einem wohlhabenden Unternehmer aus Tiflis am Ende des 19. Jahrhunderts, der mit seiner Familie bald in die Wirren von Weltkrieg und Oktoberrevolution gerät, aus der sich bald eine Geschichte voller Wildheit und Brutalität, kleinen und großen Katastrophen, ungezügelter, besinnungsloser Vitalität und Destruktivität, Mord und Totschlag entwickelt, aber auch voller Zartheit und Sensibilität, voll Hass und voll Liebe in allen Variationen – ein Chaos aus hochfliegenden Träumen, die allesamt nicht in Erfüllung gehen, aus archaischen, irrationalen Episoden und Träumen, Glück und Unglück im Übermaß.

Nino Haratischwili, Foto: ©danny merz / Sollsuchstelle*

Ein europäisches Drama

Stalin und Beria – beide Georgier – spielen ihre unheilvollen Rollen im Leben dieser Familie, aber auch Breshnew und Gorbatschow am Ende der Sowjetunion. Längst wird die georgische, dann die russische Szene gesprengt, am Schluss wird es ein europäisches Drama, aber immer auf dem Hintergrund der georgischen Empfindung und Geschichte.

Die Schicksale und Ereignisse sind dicht, manchmal zu dicht gepackt, überschlagen sich, grenzen ans Unwahrscheinliche, zum Teil Groteske. Dass eine einfache Krankenschwester eine gynäkologische Operation auf Befehl einer GPU-Agentin durchführt, ist schlechterdings unmöglich. Hier kommt die Geschichte in gefährliche Nähe zur Räuberpistole und man hätte man der Autorin, die an anderen Stellen exzellent recherchiert hat, eine kurze Anfrage bei irgendeinem x-beliebigen Arzt aus dem georgischen Hinterland gewünscht. Auch wird das überflüssige Geheimnis eines schokoladenartigen „Zaubertranks“, der die ganze Story durchzieht, nie aufgeklärt.

„Die Katze und der General“, der neue Roman von Nino Haratischwili erscheint am 31. August in der Frankfurter Verlagsanstalt. In ihm spürt die Autorin  den Abgründen nach, die sich zwischen den Trümmern des zerfallenden Sowjetreichs aufgetan haben. Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2018.

„Nino Haratischwili hat das Zeug zur neuen Heldin der zeitgenössischen deutschen Literatur.“ – Literarische Welt

Ein bewusst parteiliches Werk

Die Sprache changiert unbekümmert zwischen lyrischer Innigkeit und übelstem Straßenjargon, bewegt sich jedoch auf hohem und höchstem Niveau. Meisterliche deutsche Literatur von einer Georgierin.

Insgesamt eine kräftige, authentische Geschichte aus der Feder einer Georgierin der ehemaligen Elite, ohne die geringsten Sympathien für die Visionen des Kommunismus nebenan. Die Gedankenwelt eines Gorki, eines Scholochow oder Aitmatow fehlt völlig. Aber das tut dem leidenschaftlichen, bewusst parteilichen Werk keinen Abbruch, das jetzt wieder aktuell zu werden scheint.


Das achte Leben (Für Brilka)
Nino Haratischwili
Frankfurter Verlagsanstalt
1280 Seiten
34 € (Hardcover)