EKD: Das Märchen vom Tempolimit

Was hat es mit dem „Tempolimit-Beschluss“ der EKD-Synode auf sich? Hier gibt’s die Fakten, um die aus dem Ruder gelaufene Berichterstattung und Diskussion zu erden:

Da haben wir den Salat! Allerdings ist er nicht einmal so frisch wie der, den es auf der EKD-Synode an jeder Ecke zu essen gab. tagesschau.de überschreibt einen Bericht über die EKD-Synode mit „Tempolimit für kirchliche Dienstfahrten“, andere Medien hauen noch weiter daneben. Aber der Reihe nach:

Die EKD-Synode hat sich an den vergangenen Tagen intensiv mit dem Klimaschutz in der Kirche und mit ihrer Position zu den etwas radikaleren Klimaprotesten der vergangenen Monate befasst. Beides ist zweifelsohne wichtig. Beide Debatten haben Eingang in einen längeren „Beschluss zu Frieden – Gerechtigkeit – Bewahrung der Schöpfung“ gefunden, der anstatt einer ordentlichen Kundgebung der Synode (wie früher) die Überlegungen der Tagung bündelt.

Beide Debattenstränge finden sich auch in einem sehr, sehr kurzen Beschluss wieder, in dem sich die Synode zur Unterstützung von „politische[n] Bemühungen um ein zeitnahes allgemeines Tempolimit von höchstens 120 km/h“ bekennt. Weder die EKD-Synode, noch die EKD, noch die Evangelische Kirche „fordern“ ein Tempolimit von 120 km/h. Die EKD will nur diejenigen, die eine solche Forderung vorbringen, in ihrem Mühen unterstützen. Politik ermöglichen, statt Politik machen.

Die Synode folgt der Ratsvorsitzenden

Dagegen, dass die Synode fordern sollte, wie es einige Synodale noch in der Aussprache am Mittwoch gefordert hatten, verwahrte sich unter anderem die EKD-Ratsvorsitzende, Annette Kurschus. Sie warnte davor, die Kirche würde sich so wieder zum Moralapostel aufschwingen. Allerdings enthielt der Antrag zu diesem Zeitpunkt schon gar keine Forderung an die Politik mehr.

Dabei war ja völlig klar, dass konservative Kommentator:innen und ihre rechten Mutanten auf den digitalen Autobahnen es sowieso so verstehen würden, egal wie windelweich ein tatsächlicher Beschluss ausfiele. Die Direktorin der Akademie zu Berlin, Friederike Krippner, hielt Kurschus entgegen, sie hätte jedenfalls von ihrem Glauben aus kein Problem damit, auch Forderungen an die Politik zu formulieren.

Die Synode aber folgte der Warnung der Ratsvorsitzenden. Übrigens ein ganz übliches Verfahren: Stets und ständig bitten EKD-Ratsvorsitzende die Synode darum, von ihr nicht brüskiert zu werden. Man müsse, so die Ratsvorsitzende, auf alle Fälle die Selbstverpflichtung vor die allgemeine politische Unterstützung stellen. Ein kluger Vorschlag, ganz im Sinne der „Zwölf Leitsätze zur Zukunft einer aufgeschlossenen Kirche“, die sich die EKD ja gerade erst verordnet hat (s. hier). So heißt es jetzt:

„Um dem Auftrag der Kirche für die Bewahrung der Schöpfung gerecht zu werden, hält sie [die Synode] es für geboten, bei allen PKW-Fahrten im kirchlichen Kontext ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen einzuhalten, um Treibhausgas-Emissionen spürbar zu reduzieren.“

Aus dieser Formulierung ist im Nachgang der Tagung nun in Presse und Social Media eine Verpflichtung für alle Kirchenmitarbeiter:innen, eine Pflicht für die Fahrer:innen von Leitenden Geistlichen, eine evangelische Grenzüberschreitung geworden. Doch der Reihe nach:

Erstens ist „hält sie es für geboten“ nicht einmal eine Soll-Vorschrift, von einem bindenden Beschluss oder Kirchengesetz für alle EKD-Gliedkirchen kann erst recht keine Rede sein. Im ursprünglichen Antrag hatte es noch gehießen*:  „[D]ie EKD verpflichtet sich, auch ohne Einführung einer gesetzlichen Regelung, sich bei Fahrten im kirchlichen Auftrag“ an ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen zu halten, „und ruft ihre Gliedkirchen, Werke, Verbände und Gemeindeglieder auf, dieser Selbstverpflichtung zu folgen“.

Wer also von einer „neuen Regelung“ schreibt, zeigt im freundlichsten Fall, dass er sich mit Kirchengesetzgebung nicht auskennt, in deren Verlauf Anträge eben auch mal deutlich entschärft werden. Ich jedenfalls halte den lieben langen Tag Dinge „für geboten“, ohne dass sich daraus eine Verpflichtung ergibt. In den 10 Geboten heißt es nicht umsonst „Du sollst nicht ehebrechen“ und nicht „Der HERR Zebaoth hält es für geboten, den Ehebruch spürbar zu reduzieren“.

Dieser Beschluss der EKD-Synode bindet niemanden, auch wenn er den Mitarbeiter:innen des EKD-Kirchenamtes, Teilnehmer:innen an Sitzungen der drei EKD-Leitungsorgane (Rat, Kirchenkonferenz, Synode) und in einem weitgefassten moralischen Sinne allen Leitenden Geistlichen gilt. Und die werden damit eher weniger ein Problem haben. Und wenn doch, dann gilt für sie, was bei der theologisch-inhaltlichen Befassung auf der Tagung festgestellt wurde: Man brauche angesichts der Klimakrise eine Ethik des Verzichts.

Das gilt im Übrigen auch für die zahlenmäßig ungleich größere Mitarbeiter:innenschaft der EKD-Gliedkirchen „in der Fläche“. Wer denkt, dass Dorfpfarrer:innen bisher mit 200 km/h von Bestattung zu Bestattung rasten, irrt. Hier haben wir es im Großen und Ganzen mit ethisch hoch reflektierten Menschen zu tun, die einem Tempolimit in etwa genauso zustimmend gegenüber stehen wie die restliche Bevölkerung.

Halbe Soli mit der „Letzten Generation“

Ein Tempolimit empfohlen hatte die EKD-Synode übrigens tatsächlich einmal, darauf wies die Synodale Henriette Greulich während der Aussprache hin. 2008 war es, als die Synode so von sich Reden machte:

„Zum Klimaschutz empfiehlt die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Tempo 130 auf Autobahnen. Über klimaschonende Mobilität müsse die Freisetzung von Treibhausgasen verringert werden, fordert das Kirchenparlament in einem Zehn-Punkte Appell, der am Mittwoch in Bremen einstimmig beschlossen wurde“

Und woher kommen die Zahlen aus der nicht bindenden „Selbstverpflichtung“ der Tagung von 2022: 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen? Die sind eine Forderung der „Letzten Generation“, der die Synode auf ihrer Tagung in Magdeburg aufmerksam zugehört hat. Die Aktivistin Aimée van Baalen hielt auf der Tagung am Dienstag eine bemerkenswerte Rede (Video, Text & Eule-Live-Blog). Immerhin die Hälfte der Synode erhob sich zu stehenden Ovationen nach ihrer Rede , die mit den Sätzen endete:

„Wir müssen uns jetzt trauen, etwas zu sagen, auch wenn es nicht einfach ist. Wir als junge Generation brauchen Sie als Institution Kirche und als Einzelpersonen. Brechen Sie ihr Schweigen! Wir brauchen Sie, helfen Sie uns bitte! Vielen Dank, dass Sie sich solidarisieren!“

Die Aufnahme der Tempozahlen ist also nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Fingerzeig darauf, dass man die „Letzte Generation“ gehört hatte. Davon, dass man ein solches Tempolimit für alle „befürworte“, wie es der ursprüngliche Antrag des Synodalen Frank Schürer-Behrmann, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Oderland-Spree (EKBO), forderte, ist im Beschluss keine Rede mehr. Der Tempolimit-Beschluss der EKD bleibt in seiner Gesamtheit deutlich hinter dem Mut der Aktivist:innen zurück.

Zum Schluss der Tagung erklärte die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, gegenüber der Eule, ein Impuls der Tagung in Magdeburg sei aber sicher, dass Christ:innen und Gemeinden vor Ort die „Vernetzung mit der Klimaprotestbewegung wagen“ sollen: „Wir stehen nicht mehr in der ersten Reihe, können aber gute Partnerin im Hintergrund sein“, gerade wenn es um Kontakte in die Politik gehe. Die evangelische Kirche könne heute bei vielen Themen nicht mehr allein handeln, aber gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Partner:innen, mit denen sie Anliegen teilt, doch noch viel erreichen.


* Ergänzt um den Wortlaut des ursprünglichen Antrages (10.11.2022, 21:30 Uhr)