Entmachtet – Die #LaTdH vom 1. Dezember

Im Advent wird alles größer: Der Appetit, die Erwartungen und die Sehnsucht nach Ruhe. In der Katholischen Kirche wünscht man sich hingegen vor allem, die Sorgen mögen kleiner werden.

Debatte

Schon jetzt ist der „Synodale Weg“ ein großer Erfolg. Für die Kirchenpresse. Kein Tag vergeht ohne Einlassungen aller möglichen Personen zum Reformprozess in der röm.-kath. Kirche, der heute endlich (endlich!) beginnt. Zwei Jahre soll die Synode, die keine Synode ist, nun arbeiten. Stellvertretend für alle Zweifler hat das Werner Kleine (@WernerKleine) noch einmal in einem „Standpunkt“ auf katholisch.de problematisiert (auch nicht zum ersten Mal):

Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller hat Recht, wenn er feststellt, dass der synodale Weg ein kirchenrechtliches Nullum sei: „Man spielt Synode, aber es ist keine Synode.“

Spielen? Das hört sich dann doch nach Beschäftigungstherapie an. In noch keiner Krise hat ein „Vielleicht liebe ich dich ja doch“ geholfen. Jetzt gilt: Ja oder nein – tertium non datur! Oder mit den Worten Jesu: „Was darüber hinausgeht, stammt von Bösen.“ (Mt 5,37)

„Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen“, heißt es in der Bibel und im Faust:

Der Worte sind genug gewechselt,
Laßt mich auch endlich Taten sehn!

Die Tat des „Synodalen Weges“ wird natürlich die Papierproduktion sein und darum wird es in den kommenden beiden Jahren genug Anlass geben, erneut das Prozedere und einzelne Vorschläge bzw. Diskussionsstandpunkte zu kritisieren. Und doch zeugt das ganze Unternehmen von einigem Gottvertrauen: Ob sich der Heilige Geist auch so viel Zeit genehmigt?

Sehr viel ausführlicher schreibt auf feinschwarz.net Daniel Bogner über den „Synodalen Weg“ – für all diejenigen, die jetzt erst zuschalten. Eine Rezension seines Buches zum Thema von Claudia Danzer (@ClaudiaDanzer) findet sich auf y-nachten (@ynachten).

Bistum Münster

Es ist nicht leicht, in diesem Advent fröhlich Katholik*in zu sein. Wie muss es sich erst für die Münsteraner Katholik*innen anfühlen? Nicht nur gibt es Ärger um gleich mehrere Missbrauchsfälle, die nun – nach Jahrzehnten! – einen dunklen Schatten auf das leitende Personal des Bistums werfen, es soll auch massiv gespart werden. Fühlt sich so die Kirchendämmerung an? Ähnliches steht auch anderen deutschen Bistümern ins Haus, vielleicht schauen die sich wenigstens an, wie die Münsteraner in dieser Krise kommunizieren. So als mahnendes Beispiel.

Bistum Trier

Wie es der Vatikan mit Reformen in den Bistümern hält, wenn sie ihm nicht vollständig in den Kram passen, kann derzeit in Trier beobachtet werden. Wie in vielen katholischen (Erz-)Bistümern auch, hat man sich dort jahrelang mit einer Umstrukturierung der Kirchenlandschaft beschäftigt. Gerne wird dabei ein Euphemismen-Feuerwerk abgefeuert: Gemeindezusammenlegungen, Rückzug aus der Fläche und Einsparungen werden dann als „Konzentration auf das Wesentliche“ und „Pfarreien der Zukunft“ verbrämt und natürlich dürfen Schlagworte wie „Aufbruch“ und „Neuevangelisierung“ nicht fehlen.

Rom hat also den Trierer Reformprozess kassiert (mehr dazu hier) und nach einer Weile herumdrucksen hat sich nun auch Bischof Stephan Ackermann geäußert (in den #LaTdH sonst häufig in seiner Kapazität als Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) anzutreffen):

„Was keinem hilft, ist eine Polarisierung und ein Gegeneinander verschiedener Parteiungen, das ansatzweise leider schon zu spüren ist.

Mit Ackermann wurde nun einer der reformwilligen und gesprächsbereiten Bischöfe in Deutschland ausgebremst. Was das für den „Synodalen Weg“ und die Aufarbeitung der Missbrauchskrise bedeutet? Weit über die Grenzen des Bistums hinaus ist der Vorgang jedenfalls Wasser auf die Mühlen derer, die aus Angst vor Veränderungen lieber gleich alles beim Alten belassen wollen und sich argumentativ und kommunikativ in eine Wagenburg verschanzen. Etwas weiter nördlich denkt sich womöglich ein Kardinal: „Hab ich euch doch gleich gesagt!“

Connections

In Münster und Trier kann besichtigt werden, wohin der „Synodale Weg“ auch führen kann. Da dieser Tage alle möglichen Akteur*innen den Synodalen der Nicht-Synode „Synodaler Weg“ Botschaften bzw. Fragen mit auf den Weg geben, hier drei Reminder:

1) Ausgangspunkt ist der Skandal des Missbrauchs und hier vor allem die Vertuschung, die dazu geführt hat, dass Täter die Kirche als Schutzraum für ihre Verbrechen nutzen konnten. Kein Erfolg des „Synodalen Weges“, ohne dass die Machtstrukturen und Seilschaften geschliffen werden, die Vertuschung ermöglichen.

2) Endpunkt müssen konkrete Reformen in den Bistümern sein. Es braucht darum eine wirksame Selbstverpflichtung der beteiligten Bischöfe zur Umsetzung der Forderungen des Plenums des „Synodalen Weges“. Diese sollte man ihnen recht bald abfordern. Wer nicht mag, kann ja aussteigen und sich auf diesem Weg des Beifalls seiner Klientel sicher sein.

3) Die Bischöfe müssen sich von Rom emanzipieren, d.h. Papst Franziskus beim Wort nehmen, wenn dieser wieder von Synodalität und den Vorzügen der Kirche vor Ort spricht (mehr dazu hier).

nachgefasst

Gleich zwei Parteien haben an diesem Wochenende ihre Führung neu bestimmt. Zum einen gab es einen basisdemokratischen Prozess von erstaunlicher Tiefe und Länge (!), der erstmals zur Wahl einer gemischtgeschlechtlichen Doppelspitze der SPD geführt hat. So war das gewollt, auch wenn das Ergebnis überrascht. Zum anderen zementiert eine Partei, die sich als „Stimme des Volkes“ aufführt, ihre Stellung am rechten Rande desselben.

Eine Partei gibt sich eine Chance – Sebastian Puschner (Der Freitag)

Sebastian Puschner (@SPuschner) kommentiert im Freitag den Ausgang des Mitgliedervotums in der SPD: Zwei Menschen werden nun der Sozialdemokratie vorsitzen, die bis vor kurzem nur Wenige kannten. Oder kommen Sie auf Anhieb auf die Namen der Beiden? In der Abwendung vom bisherigen Partei-Establishment sieht Puschner die große Chance, die sich im Ergebnis des Mitgliederentscheids verbirgt. (Gewählt werden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans allerdings erst vom Parteitag nächste Woche.)

Insofern ist das Votum jetzt Ausdruck einer beachtlichen Entwicklung in der Partei, seit diese sich im März 2018 deutlich für den Eintritt in eine neuerliche Große Koalition entschieden hat. Die Mehrheit glaubt nicht mehr daran, was die Oberen verkünden: Dass eigentlich schon alles auf gutem Wege sei.

Die AfD hat sich im radikal rechten Bereich festgesetzt – Matthias Kamann (Welt)

Matthias Kamann (@Matthias_Kamann) kommentiert für die Welt das Ergebnis der Vorstandswahlen inkl. der beiden männlichen Parteivorsitzenden auf dem Parteitag der AfD. Er stellt fest: Die rechtsradikale Partei konsolidiert sich am rechten Rand und wird auf erstaunliche Weise den von ihr verhetzten „Altparteien“ ähnlicher.

In jenem hart rechten und zum größeren Teil rechtsradikalen Bereich, in den Gauland die Partei geführt hat, konsolidiert sich die AfD. Die Zeiten der irrlichternden Monomanen, die sich an jeder Ecke der Partei prügeln, geht zu Ende. Die AfD wird immer mehr zu einer geschlossenen politischen Kraft von eisern Entschlossenen.

Buntes

Der analoge Advent – Hanno Terbuyken (Confessio Digitalis, evangelisch.de)

Hanno Terbuyken (@dailybug) geht im Advent lieber Glühwein trinken als Online. Er begeistert sich für Schmalzgebäcke und Champignonpfannen, auf die Füße treten und halb richtig gesungene Refrains von Weihnachtsliedern. Penetrante Gerüche, crowded spaces und demonstrativ vorgetragener Dilettantismus finden sich gleichwohl auch in den Weiten des Netzes. Letzteres macht es zu einem fröhlichen Ort, auch im Advent. Zum Schluss seiner aktuellen Digital-Kolumne empfiehlt er noch das:

In diesem Jahr machen alle Landeskirchen mit beim Evangelischen Adventskalender und nehmen Sie jeweils mit in ihre Heimat! Wenn Sie die kleinen Videos jeden Tag bekommen möchten, können Sie sich hier anmelden. Kleiner Spoiler: Mein persönliches Lieblingsvideo läuft am 2. Dezember. 😉

Wenn die Debatte über Medizin zum Shitstorm führt – Thomas Kaspar (Frankfurter Rundschau)

Der Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Thomas Kaspar (@Bibliothomas), kommentiert die Aufregung um Homöopathie im Bayerischen Landtag. Sein Kommentar weist aber darüber hinaus: Es geht um die allgemeine Erregungsempfindlichkeit und darum, wie wir miteinander streiten wollen.

Wir haben keine Meinungsfreiheit, nur weil wir uns beleidigen dürfen. Wir sind erst frei, wenn wir die Zündschnur zwischen Reiz und Reaktion kappen und den Raum dazwischen nutzen, um zu entscheiden, was wirklich wert ist, nach außen zu treten.

Offline

Kaspar und Terbuyken haben ihren Finger am Puls der Zeit: Es muss und darf Auszeiten geben vom allgegenwärtigen Meinungs- und Nachrichtentohuwabohu. Nicht alles muss (mit-)geteilt werden. All das spielt sich nunmal besonders verschärft durch Algorithmen und Filterblasen Online ab. Warum also nicht den Advent – immerhin eine traditionelle Fastenzeit – nutzen, um im Netz einen Schritt kürzer zu treten? (Aber nicht zu kurz: Die Eule lesen!)

Wirklich etwas ändern aber wird sich nichts, wenn wir Verantwortung für Diskussionskultur und digitale Medienethik allein der Einzelnen zuschreiben. Eine individualethische Abladung gerade der digitalen Probleme sollten wir am Ende dieses Jahres vermeiden.

Vielmehr muss es darum gehen, zum Kern der Überlastung und zur Ursache der penetranten Gerüche vorzudringen. Das ist eine politische Aufgabe, auch für Christ*innen und die Kirchen. Politik ist mehr, als mit dem Finger auf den Andere*n zu zeigen.

Predigt

Medard Kehl SJ: Kritisch und trotzdem mit der Kirche – Interview von Mara Feßmann (Jesuiten erzählen, jesuitwerden.org)

Mara Feßmann (@marawandelbar) interviewt den langjährigen Theologieprofessor Medard Kehl. Darin finden sich folgende Sätze über die Bergpredigt, die als kleine Adventspredigt zureichen:

„Kümmert euch um das Reich Gottes und alles andere wird euch dazugegeben.“ Diese Sorge um das Kommen der Herrschaft Gottes, dass sich das Reich Gottes zeigt und sichtbar wird – diese Sorge relativiert alle anderen Sorgen, wenn man sie wirklich ernstnimmt und sie in die richtige Reihen- und Rangfolge bringt. Ein Mitbruder von mir hat das mal schön auf den Punkt gebracht: „Der Glaube entmachtet die Angst um sich selbst“. Entmachtet, das ist ein guter Begriff. Er nimmt uns die Ängste nicht weg, die sind noch da; aber sie beherrschen uns nicht mehr total.

Ein guter Satz

„Wir brauchen Selbstdistanz, um heilsam zu leben.“

– Thomas Kaspar, aus seinem Kommentar zur Meinungsfreiheit (s. Buntes)