Kirche

„Fiducia supplicans”: Segen zweiter Klasse?

Mit der Erklärung „Fiducia supplicans” wiederholt Papst Franziskus seine ablehnende Haltung zu Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare in der römisch-katholischen Kirche. Warum das Schreiben trotzdem ein Signal ist:

Sie kommt daher wie ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk: Das Glaubensdikasterium des Vatikan hat mit ausdrücklicher Zustimmung von Papst Franziskus eine Erklärung veröffentlicht, die Segnungen von nicht-verheirateten und gleichgeschlechtlichen Partner:innenschaften nicht ausschließt. Erste Pressemeldungen lassen aufhorchen und viele reformwillige Katholik:innen atmen auf: Hat der Vatikan tatsächlich seine Einstellung zu gleichgeschlechtlichen Partner:innenschaften überdacht? Wird es bald Segnungsfeiern für LGBTQI-Paare in den katholischen Kirchen geben?

Der Jubel über die Erklärung „Fiducia supplicans“ (Wortlaut) ist verständlich, insofern sich ihn ihm die gleiche Sehnsucht nach dem Segen der Kirche ausdrückt, die in der Erklärung „über die pastorale Sinngebung von Segnungen“ selbst als ausschlaggebend für die erneute Stellungnahme aus dem Vatikan zum Thema bezeichnet wird. Der (neue) Präfekt des Glaubensdikasteriums (vormals: Glaubenskongregation), Kardinal Víctor Manuel Fernández, stellt gleich in seinem Sendschreiben zur Erklärung fest, sie solle „auch ein Geschenk an das gläubige Volk Gottes sein, das den Herrn mit so vielen Gesten des tiefen Vertrauens in seine Barmherzigkeit anbetet und mit dieser Haltung immer wieder die Mutter Kirche um den Segen bittet“.

Die Sehnsucht von LGBTQI nach dem Segen ihrer Kirche ist also die Triebfeder hinter diesem erneuten kirchenamtlichen Schreiben, das an vielen Stellen auch Bezug zu den anderen jüngsten Veröffentlichungen zur Sache aus dem Vatikan und der Feder des Papstes nimmt. Die Kirche solle pastoral und seelsorglich, „in väterlicher Liebe“ mit den Segenswünschen von LGBTQI umgehen. Damit liegt die neue Erklärung ganz auf der Linie von Papst Franziskus, der sich seit Beginn seines Pontifikats vor zehn Jahren immer wieder in ähnlicher Weise geäußert hat.

Bahn frei für Segensfeiern?

Segensfeiern in Gottesdiensten oder als geplante Veranstaltung mit einem katholischen Geistlichen oder anderen Mitarbeiter:innen der Kirche erteilt die neue vatikanische Erklärung hingegen abermals eine Absage. Gleich mehrfach wird im Schreiben betont, dass eine Verwechslung mit der kirchlichen Trauung und dem Sakrament der Ehe unbedingt vermieden werden soll (besonders Nr. 37-41). Der persönlich ausgesprochene Segen wird „niemals im direkten Zusammenhang mit einer standesamtlichen Feier oder sonst in irgendeiner Verbindung damit erteilt werden können. Dies gilt auch für die Kleidung, die Gesten und die Worte, die Ausdruck für eine Ehe sind.“ Daher soll auch auf Segensformulierungen aus den Meßbüchern verzichtet werden.

Nicht-verheiratete und gleichgeschlechtliche Paare könnten, so die Erklärung, bei zahlreichen Anlässen den Segen ihrer Kirche erbeten und sollten dann nicht abgewiesen oder einer „moralischen Prüfung“ unterzogen werden. An vorbereitete Feiern – selbst nicht-öffentliche – ist dabei offenbar nicht gedacht, sondern an private, spontane Segnungen, denen ein kurzes Gebet vorausgehen kann: „Deshalb soll man die Segnung von Paaren, die sich in einer irregulären Situation befinden, weder fördern noch ein Ritual dafür vorsehen […].“ Der Vatikan und Papst Franziskus rücken also auch mit dieser neuen Erklärung nicht von ihrer Überzeugung ab, dass es eine der Trauung auch nur ähnliche Feier in der römisch-katholischen Kirche nicht geben kann und darf. Das wird an (mind.) fünf Stellen in der Erklärung ausdrücklich betont. Zunächst hatten Beobachter:innen angesichts von „Fiducia supplicans“ an die Möglichkeit von Segnungsfeiern jenseits der liturgischen Bücher der Kirche gedacht.

Auch in der Evangelischen Kirche hatten sich die meisten Landeskirchen zunächst für die Einführung einer Segnung von gleichgeschlechtlichen Partner:innenschaften entschieden, die dann aber in der Praxis kaum von einer kirchlichen Trauung zu unterscheiden war. Infolgedessen führten die meisten evangelischen Landeskirchen die ordentliche kirchliche Trauung für gleichgeschlechtliche Ehen ein. Noch heute allerdings zieren sich einige wenige Landeskirchen vor einer offiziellen Einführung der Trauung auch für gleichgeschlechtliche Ehepaare. In der Praxis finden solche Gottesdienste aber in allen evangelischen Landeskirchen in Deutschland statt. (Ein Überblick über die „Ehe für alle“ in der Evangelischen Kirche findet sich auf evangelisch.de).

Eine ähnliche Türöffner-Funktion erhoffen sich Reformer:innen auch von der Einführung von Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare und LGBTQI in den deutschen römisch-katholischen Bistümern. Gelegentlich finden solche Gottesdienste bereits statt, werden vom zuständigen Bischof entweder geduldet, ignoriert oder beteiligte Priester und Kirchenmitarbeitende sanktioniert. „Fiducia supplicans“ wiederholt das päpstliche Gebot, es solle für solche Segensfeiern keine ritualisierten Formen geben (Nr. 36+37): „Das heißt, es ist nicht angebracht, dass eine Diözese, eine Bischofskonferenz oder irgendeine andere kirchliche Struktur auf Dauer und offiziell Verfahren oder Riten für alle möglichen Angelegenheiten genehmigt.“

Papst Franziskus begründet seine Absage damit, die vielfältigen Formen der Volksfrömmigkeit nicht durch Überregulation einschränken zu wollen, „da das Leben der Kirche durch viele Kanäle neben den normativen fließt“. Kontraintuitiv zum Anliegen, der Sehnsucht von Menschen nach Segen zu entsprechen, bedeutet auch „Fiducia supplicans“ eine Absage an Bestrebungen wie die des Synodalen Weges der katholischen Kirche in Deutschland, auf dem Weg von Formularen für Segensfeiern eine Segensmöglichkeit für gleichgeschlechtliche (und wiederverheiratete) Paare zu schaffen.

Ein kirchenpolitisches Signal

Gleichwohl handelt es sich bei der neuen vatikanischen Erklärung um ein kirchenpolitisches Signal, eben weil sie mit der ausdrücklichen Zustimmung des Papstes versehen ist. Franziskus‘ Agenda des barmherzigen Umgangs mit Menschen, die nicht der Lehre der Kirche gemäß leben, wird in den Rang kirchlicher Lehre erhoben, wenn Fernández feststellt, dass die Arbeit des Glaubensdikasteriums „neben dem Verständnis der beständigen Lehre der Kirche die Rezeption der Lehre des Heiligen Vaters fördern“ muss.

Das wird konservativen und reaktionären KritikerInnen von Papst Franziskus übel aufstoßen: Sie werden – trotz aller Einschränkungen, die in „Fiducia supplicans“ enthalten sind – eine erneute Abweichung von der traditierten katholischen Lehre über das Ehesakrament und die „objektiv ungeordnete“ Lebensweise von Homosexuellen unterstellen.

Reformer:innen in Deutschland und weltweit hingegen werden „Fiducia supplicans“ als Zeichen der Unterstützung für ihren Weg auffassen, auch wenn eine solche Abweichung von der bisherigen kirchlichen Lehre im Schreiben de facto nicht enthalten ist. Das nächste Missverständnis zwischen Franziskus und den katholischen Christ:innen in Deutschland, deren überwältigende Mehrheit sich für die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen (und wiederverheirateten) Paaren ausspricht, kündigt sich an.

Papst Franziskus macht mit „Fiducia supplicans“ deutlich, dass er auch zum Ende seines Pontifikats hin nicht gewillt ist, von seiner „pastoralen“ Linie gegenüber LGBTQI abzuweichen. Im Gegenteil: Mit immer neuen kirchenamtlichen Verlautbarungen bindet er auch seine Nachfolger an eine solche Praxis. Aber Änderungen der kirchlichen Lehre oder des Kirchenrechts sind damit, wie auch bisher, nicht verbunden. Ob und wie in Zukunft gleichgeschlechtliche und wiederverheiratete Paare in der römisch-katholischen Kirche gesegnet werden dürfen, bleibt also in das Geschick und die Gewalt der Ortsbischöfe gestellt. Einige Bischöfe drücken heute schon ein Auge zu oder warten der Einführung eines Segensformulars für die Kirche in Deutschland zu. Andere disziplinieren Priester und Kirchenmitarbeiter:innen, die an Segnungsfeiern mitwirken. „Fiducia supplicans“ stellt klar, dass die Bischöfe sich so oder so auch in Zukunft nicht hinter einer (einheitlichen) liturgischen Ordnung für Segensfeiern verstecken können. Die soll es nämlich laut Franziskus nicht geben.

In einer ersten Stellungnahme würdigte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing (Limburg), das Schreiben des Glaubensdikasteriums am Montagnachmittag als ausgewogen und verantwortlich auch gegenüber der bestehenden kirchlichen Lehre über die Ehe, die auch Bätzing als „dauerhaften und unauflöslichen Bund zwischen einem Mann und einer Frau, der offen ist für Nachkommenschaft“, charakterisiert.

Bätzing hob ausdrücklich hervor, dass der Vatikan mit „Fiducia supplicans“ erklärt habe, dass „der hier gesetzte Rahmen klar genug [ist], um den geweihten Amtsträgern die nötige Handlungssicherheit zu geben“. Weitere offizielle Stellungnahmen auf Nachfragen (oder „Dubia“ von Kardinälen) sind offenbar nicht zu erwarten. Laut Bätzing werde in der Erklärung „ein pastoraler Handlungsspielraum umschrieben, der eine verantwortungsvolle kirchliche Praxis verdeutlicht“.


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