Während ich laufe, gehen mir unzählige Gedanken durch den Kopf: Was wird mich hinter den Türen erwarten? Werde ich jemanden kennen? Werde ich etwas falsch machen? Wird es auffallen, dass ich zum ersten Mal da bin? Wie viele Menschen werden da sein?
Du kannst jetzt immer noch umdrehen oder später versuchen unauffällig rauszugehen, beruhige ich mich. Am besten du setzt dich ganz hinten hin. Die Glocken beginnen zu läuten. Ich laufe schneller, denn ich möchte auf keinen Fall zu spät kommen. Nicht heute, wenn ich zum ersten Mal alleine in einen regulären Sonntagsgottesdienst gehe, in einer Gemeinde, in deren Gebiet ich zwar aufgewachsen bin, aber mit der ich trotzdem kaum Kontakt hatte.
Seit ein paar Monaten gehe ich mit meinem Freund hin und wieder in den Gottesdienst seiner Gemeinde. Am Anfang bin ich einfach nur so mitgegangen, aber mit der Zeit ist mein Interesse am christlichen Glauben gewachsen und deswegen gehe ich jetzt zum ersten Mal alleine in den Gottesdienst.
Ich betrete die Kirche. Ein älterer Mann begrüßt mich und drückt mir ein Gesangbuch in die Hand. Das erstaunt mich, denn in der Gemeinde meines Freundes liegen die Gesangbücher einfach da. Ich setze mich in eine der hinteren Reihen und atme erst mal durch.

Foto: Karl Fredrickson (Unsplash)
Mein Blick wandert durch die Reihen vor mir. Ich suche mir eine Person aus, die so wirkt, als würde sie regelmäßig den Gottesdienst besuchen. An dieser Person werde ich mich orientieren, was aufstehen oder Gesangbuch aufschlagen angeht.
Aufregung, trotz allem
An den folgenden Gottesdienst habe ich jetzt, drei Jahre später kaum noch Erinnerungen. Was das Thema der Predigt war, habe ich schon lange vergessen. Aber an das Gefühl, dass ich auf dem Weg zum Gottesdienst und während des Anfangs des Gottesdienstes hatte, kann ich mich erinnern, als wäre es gestern gewesen.
Das liegt daran, dass mir noch alles fremd war. Ich kannte die Liturgie nicht, wusste nicht, was in dieser Gemeinde bei den Fürbitten gesprochen wird, kam beim Vaterunser durcheinander, konnte das Glaubensbekenntnis nicht und die Lieder hatte ich fast alle noch nie gehört.
Natürlich war mir klar, dass meine Aufregung und Sorge etwas falsch zu machen eigentlich unnötig waren, aber trotzdem war ich aufgeregt.
So ähnlich wie mir damals geht es auch anderen Besucher*innen von Gottesdiensten, vor allem bei Tauf- oder Konfirmationsgottesdiensten. Manche von ihnen sind als Kinder hin und wieder in den Gottesdienst gegangen, aber in den letzten Jahren nicht mehr, andere waren nie Mitglied einer Kirche.
Und wer als Protestant*in in den Gottesdienst einer anderen Gemeinde oder gar einer anderen Landeskirche geht, der erlebt dort auch, dass manches ein bisschen anders ist, als man es sonst gewohnt ist.
Ein herzliches Willkommen
Was kann man tun, damit Menschen, die sich mit dem Ablauf des Gottesdienstes nicht auskennen, es einfacher haben?
Ich habe dazu nicht die perfekte Lösung. Aber stellen Sie sich einmal vor, eine Person, die noch nie in einem christlichen Gottesdienst war, kommt in einen normalen Gottesdienst Ihrer Gemeinde. Was würde dieser Person helfen?
Gibt es jemanden, der die Gottesdienstbesucher*innen begrüßt? Gibt es Ansprechpartner*innen für Menschen, die neu sind? Gibt es Hinweise zum Ablauf des Gottesdienstes, z.B. durch eingeklebte Blätter vorne im Gesangbuch oder bei der Begrüßung durch die Pfarrer*in?
Das sind Kleinigkeiten? Nein, vielmehr Zeichen dafür, dass sich die Gemeinde auf Neulinge und Gäste einstellt. Ein herzliches Willkommen in der Kirche ist keine Selbstverständlichkeit. Würden Sie eine Freund*in, die fast nichts mit Kirche zu tun hat, wenn sie Interesse daran hat, einladen mit in den Gottesdienst zu kommen? Wenn Ihre Antwort „Nein“ ist, was müsste sich ändern?
Unsere Gesellschaft wird immer vielfältiger, der Anteil der Kirchenmitglieder sinkt, da wird es wichtiger, dass Gottesdienste so gestaltet sind, dass sie auch kirchenferne Menschen willkommen heißen.
9 Kommentare zum Artikel
Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber ich finde es immer sehr unangenehm, besonders, wenn ich in einer Gemeinde neu bin, wenn mir jemand an der Tür den Weg versperrt und die Hand aufdrückt. (Ich weiß, es klingt jetzt schlimmer als es gemeint ist, es fühlt sich nur so an.) Besonders, wenn er oder sie offensichtlich diese Aufgabe hat. Es erinnert mich nur noch mehr daran, dass ich fremd bin, wenn mich jemand von Amts wegen begrüßt. Außerdem empfinde ich es nicht als authentisch. Vielleicht geht es ja anderen anders.
Aber vor einigen Jahren war ich mal in einer Gemeinde, in der es üblich war, am Anfang des Gottesdienstes einen Smaltalk mit dem Sitznachbarn zu halten. Der Moderator hat gesagt „Begrüßt mal bitte euren Nachbarn und tauscht euch über euer Lieblingsessen/euren Lieblingsfilm/euer Lieblings-irgendwas aus.“ Dafür wurden dann 2 Minuten geopfert, aber ich habe mich sofort integriert und nicht mehr alleine gefühlt. Außerdem hat man am Ende des Gottesdienstes jeder seinen Stuhl weg geräumt, damit besser geputzt werden kann. Das klingt jetzt banal oder nach einen Vereinnahmen der Besucher, aber ich hab es so empfunden, dass ich sofort eingebunden wurde und auf gewisse Weise dazu gehöre.
Ich mache manchmal Trainings zur Gewaltprävention. Und dabei ist mir in letzter Zeit etwas aufgefallen, was vielleicht auch für Gemeinden interessant ist. Es ist nicht ganz einfach, Teilnehmer zu finden, die sich für soziale Themen interessieren, obwohl alle danach schreien. Und wenn man mal die Teilnehmer hat, und der Kurs stattfinden kann, habe ich manchmal den Eindruck, dass sie sich für dieses allgemeine zur Gewalt etc. kaum interessieren. Aber sie lechzen danach, ihre Geschichte erzählen zu können und dass ihnen jemand zuhört. Dass sie an dem arbeiten können, was sie ganz persönlich betrifft. Da geht es nicht darum, Menschen auf der Straße helfen zu können, die angegriffen werden, sondern die eigenen Gewaltanteile kontrollieren zu können, um die Person, die man liebt nicht zu verletzen oder es geht nicht darum, gegen rechte Propaganda argumentieren zu können, sondern darum, mit dem eigenen Bruder, der in die rechte Szene abgerutscht ist, umgehen zu können. Vielleicht ist das auch etwas, das Kirchen oder Gemeinden bedenken könnten.
Ja, ein bisschen komisch empfinde ich diese beauftragte Begrüßung auch, aber wenn es zum Beispiel mit dem Verteilen von Liedzetteln, Gesangbüchern oder ähnlichem verbunden ist, dann empfinde ich es nicht als komisch.
Ich finde du sprichst etwas wichtiges an, Menschen möchten ihre Geschichte erzählen können und sie möchten, dass ihnen jemand zuhört. Eine Gemeinde ist eigentlich ein guter Ort für so etwas, aber in vielen Gemeinden ist das ausbaufähig. Eine echte Gemeinschaft, die sich gegenseitig wertschätzt und auch in schweren Zeiten trägt wäre gut, aber so eine Gemeinschaft braucht auch Menschen, die bereit dazu sind, Zeit in sie zu investieren.
Bitha85:
Nein, das geht nicht nur Dir so. Als ich als Jugendlicher aus Interesse am Glauben anfing, in Gottesdienste zu gehen, war das noch nicht so, meistens konnte man frei und unbehelligt reingehen (und theoretisch auch wieder raus, das war mir wichtig). Diese Freiheit ohne „Türsteher“ empfand ich als sehr angenehm. Auch theologisch wird dadurch etwas vermittelt: Der Einladende, Veranstalter oder Hausherr ist nicht die Gemeinde als Organisation oder Gemeindeleitung oder irgendein Komitee oder Kreis, sondern Gott und alle Gottesdienstteilnehmer sind gleichermaßen seine Gäste bzw. zu Hause und nicht die einen sind die Gäste der anderen.
Besonders unangenehm finde ich es, wenn noch mehrere Bekannte des amtierenden Begrüßers mit an der Tür herumstehen und mit ihm tratschen und man als Ankömmling erst herausfinden, wen genau von der Gruppe man nun begrüßen und sich erst seinen Weg hindurch bahnen muss.
Stefan
Liebe Selina, danke für deine Eindrücke. Als ich vor zwei Jahren das Bundesland gewechselt habe und damit meine heimische kirchliche Tradition, habe ich mich in der Kirche ebenso unsicher gefühlt und das obwohl ich zwei Jahre Pfarrerin war. Mir scheint das besonders ein Problem der evangelischen oder protestantischen Tradition, weil wir sehr uneinheitliche Gottesdienstformen allein in Deutschland haben. Orthodoxe erleben das beispielsweise meist anders, weil die Traditionen hier selbst länderübergreifend sehr ähnlich sind und weil während eines orthodoxen Gottesdienstes ohnehin ständig jemand hereinkommt und ein anderer hinausgeht.
Deshalb müsste es bei uns immer einen Ablauf geben, den man schriftlich vor sich hat, indem auch Vater unser und alles, was gemeinsam gesprochen wird, abgedruckt ist, damit keiner sich peinlich berührt fühlt, denn es gibt kaum etwas, was mehr vom Innehalten und Besinnen ablenkt als die Angst, im falschen Moment das falsche Wort zu sagen oder gar zu singen oder zu husten. Auch eine moderne Leinwand mit Beamer ist da eine super Lösung.
Aber: In einer leeren Kirche fällt man eben viel mehr auf. Bei uns sind wir unter durchschnittlich zehn Besuchern (!) schon am ersten Tag allen vom Sehen bekannt gewesen. Und nein, ich würde derzeit niemanden meiner Freunde mitnehmen. Die Kirche befindet sich in einer tiefen Krise. Dazu reicht es nicht, nur die Form zu verändern, dazu muss sie den Menschen das geben können, wonach deren Seele und Geist hungert und das tut sie ganz offensichtlich nicht, sonst wäre sie brechend voll.
Liebe Sandra,
ein schriftlicher Ablaufplan ist definitiv hilfreich.
Was deinen letzten Punkt angeht, glaube ich, dass der christliche Glaube so vielseitig ist, dass er die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen in Bezug auf unterschiedliche Arten zu glauben, gut erfüllen kann. Die großen Kirchen haben so vielfältige Angebote, von Schweigeauszeiten bis Technogottesdienst, aber davon erfähren ja häufig nur Menschen, die sowieso schon Kontakt mit der Kirche haben.
Sich fremd zu fühlen ist, glaube ich, nicht das wirkliche Problem, denn dieses Gefühl befällt mich auch, wenn ich irgendwo anders zum ersten Mal bin. Entscheidend ist, ob meiner Sehnsucht, die mich hierher gebracht hat, begegnet wird. Kann ich Gott finden im Gottesdienst? Kann ich sehen, dass andere Besucher eine Beziehung zu Gott haben? Leider findet man oft nur teilnahmslose ältere Frauen, die sich aus dem Seniorenkreis kennen, aber im Gottesdienst wie Statisten wirken. Das klingt jetzt lieblos, ist aber wirklich schon häufig mein Eindruck gewesen. Ich gehöre zu einer Freikirche. Da geht es nicht so förmlich zu. Es gibt auch keine Liturgie und Gäste werden vom Moderator begrüßt und nach dem Gottesdienst immer von irgendjemandem angesprochen.
Ja Gaby Wegener, ich gehöre auch zu einer Freikirche und da ist es definitiv anders. Bei uns ist der Gottesdienst immer gut besucht und wir haben eigentlich jeden Sonntag Gäste. Allerdings haben wir auch jemand der die Gottesdienstbesucher persönlich begrüßt. Als ich vor 10 Jahren das erstmal dort war, und ich war auch allein und kannte niemand, fand ich es schon nett, begrüßt zu werden. Aber sofort angesprochen zu werden war mir persönlich eher unangenehm. Ich wollte erstmal in Ruhe schaue. Da ist aber jeder anders und ich weiß von vielen, dass sie das gut fanden. Ich denke, hier das richtige Maß zu finden, ist nicht einfach.
Hallo,
Ich gehe seit einiger Zeit auch in eine methodistische Freikirche. Dort wird man am Eingang auch begrüßt und man bekommt ein Gottesdienstprogramm.
Ich kenne mich mit Gottesdiensten auch nicht aus und hatte auch immer Angst etwas falsch zu machen. Da ich nicht getauft bin, habe ich mich immer ein Bisschen gefühlt, wie der Wolf im Schafspelz.
Die Begrüßung und das Programmblatt helfen aber sehr, sich zurecht zu finden und auch aufgenommen zu werden.
Während des Gottesdienstes werden die Liedtexte, Passagen aus der Bibel und das Vaterunser auch auf Bildschirme projeziert. Das finde ich zum einen angenehm modern und zum anderen kann man auch besser Mitsingen, weil man sich nicht so im Liedbuch verstecken kann/muss. Insbesondere wenn es mal nicht genug Bücher gibt, ist so ein Bildschirm super, weil dann auch die ohne Buch mitsingen können.
Das Vater Unser wir auch oft in einer anderen Sprache abgebildet, da es in dieser Gemeinde auch viele Perser gibt. Finde ich auch sehr schön, da es ja egal ist in welcher Sprache gesprochen wird. Solche Kleinigkeiten fördern in meinen Augen, dass sich Besucher, Suchende und potentiel neue Gemeindemitglieder schneller zurecht finden.
In katholischen Kirchen habe ich das bisher noch nicht gesehen (soll nicht heißen, dass es da noch nicht gibt) und ich finde die Bildschirme tatsächlich richtig gut.
Hallo Selina!
Vielen Dank für Deine Eindrücke, die Du als damals Fremde im Gottesdienst erlebt hast. Ich kann Dir nur zustimmen, denn ich bin oft in verschiedenen Gottesdiensten zu Gast (aus privaten und beruflichen Gründen) und fühle mich im Moment tatsächlich etwas heimatlos. Es sind ja moderne Zeiten, man ist immer unterwegs, sich mobil, flexibel in der Welt zu bewegen, ist eine Selbstverständlichkeit. Bei mir führt es aber eben zu dem besagten Gefühl und dem Bedürfnis, wieder ganz altmodisch wie zu meiner Jugendzeit eine Gemeinde zu finden, an die ich mich gewöhne (und sie sich an mich ;-)). Die Ausdauer fehlt mir im Moment. Und das Unwohlsein über die verschiedenen Willkommenskulturen der Gemeinden.
Mein Zwischenfazit:
Es muss sich dahingehend noch ganz viel tun (bzw. wieder tun, es gab schließlich mal Zeiten, in denen schon aus Höflichkeit ein Willkommen ausgesprochen wurde), damit man sich als Gast wohl fühlt, aber nicht überrollt oder aber nicht missachtet wird.
Herzlich,
AnnaElbe (Kirchenbotschafterin)