Foto: Ivan Radic (Flickr, CC BY 2.0)

„Gegen Rassismus und Intoleranz aufstehen“

Ein Jahr nach dem rassistischen Anschlag in Hanau laden auch die Kirchen zum Gedenken ein – und verbinden die Trauer um die Toten mit politischen Forderungen.

Mit gleich mehreren Aktionen erinnern die evangelischen Kirchen in Hessen an die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau vor einem Jahr. Hanau gehört mehrheitlich zur Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW), aber auch in der benachbarten Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) wird der Toten gedacht.

Die Bischöfin der EKKW, Beate Hofmann, wird am Freitag um 12 Uhr den Auftakt zu stündlichen Gedenkandachten (bis 20 Uhr) in der Hanauer Marienkirche machen. An den Andachten können sich Christ:innen auch auf Facebook beteiligen. Unter dem Motto „Mein Licht für Hanau“ wird für jedes geteilte, virtuelle Kerzenbild eine Kerze in der Marienkirche entzündet. Um 19:02 Uhr, dem Zeitpunkt des Anschlags, sollen schließlich die Glocken beider Landeskirchen in Stadt und Umgebung zu Gebet und Erinnerung rufen.

Am Sonntag laden EKKW und der Kirchenkreis Hanau zu einem zentralen Gedenkgottesdienst ein, der auf der Website der EKKW im Livestream übertragen wird. Der Gottesdienst steht unter dem Motto „Offen für Vielfalt – geschlossen gegen Ausgrenzung“, dem Namen eines zivilgesellschaftlichen Bündnisses „für Vielfalt, Toleranz und demokratische Werte in Kassel und Nordhessen“, dem die Landeskirche vor kurzem beigetreten ist.

„Gegen Rassismus und Intoleranz aufstehen“

Beide Landeskirchen sprechen in ihren Stellungnahmen zum Jahrestag konsequent von einem rassistischen Anschlag. Laut EKHN-Kirchenpräsident Volker Jung habe der Anschlag gezeigt, dass rassistisch motivierter Terror „in der Mitte der Gesellschaft wächst“. Daraus erwachse für die Kirchen der Anspruch, „aus dem Glauben heraus gesellschaftliche Ausgrenzung zu verhindern und jeder Form von Hass entgegenzutreten“.

Rechtsterroristen berufen sich immer wieder auch auf christliche Traditionen, stellen sich zum Beispiel wie die Attentäter von Halle und Utøya in eine Reihe mit den christlichen Kreuzrittern. Die christlichen Kirchen in Deutschland engagieren sich in regionalen, nationalen und internationalen Bündnissen gegen Rassismus und Intoleranz.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Rassismus-Geschichte führen die Kirchen in Deutschland bisher zögerlich. Der Religionswissenschaftler und Baden-Württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume, wies im Frühjahr 2020 darauf hin, dass der Rassebegriff keineswegs eine „biologische Theorie des 19. Jahrhunderts“ sei, sondern sich im 15. Jahrhundert im Kontext der „Reconquista“ auf der iberischen Halbinsel als Thema der christlichen Theologie etablierte.

Hanau: Gedenken und Konsequenzen

Zum Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau hat die ARD die eindrückliche und sehenswerte Dokumentation „Hanau – Eine Nacht und ihre Folgen“ produziert (Mediathek), die auf die Auswirkungen des Anschlags für Hinterbliebene und Stadtgesellschaft eingeht.

Im Spotify-Podcast „190220“ gehen die Journalistin Sham Jaff (@sham_jaff) und die Reporterin Alena Jabarine (@AlenaIsabelle) den Hintergründen des Anschlags nach und sprechen mit Angehörigen und weiteren Akteur:innen. Und die Multimedia-Redaktion der EKHN hat ein kurzes Video über die Arbeit der städtischen Opferbeauftragten Andreas Jäger und Robert Erkan gedreht.

Lilie: „Rasse“ aus dem Grundgesetz streichen

Anlässlich des Jahrestages des Anschlags in Hanau fordert der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, die Entfernung des Begriffs „Rasse“ in Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Gesetzgeber solle „den Willen zu strukturellen Veränderungen auch im Grundgesetz deutlich machen“ und den „durch Nazi-Gedankengut aufgeladenden Rassebegriff“ durch „rassistisch“ ersetzen.

Das sei ein überfälliger Schritt, denn eine Kultur der Toleranz und Wertschätzung von Vielfalt entstehe „in einer immer diverseren Gesellschaft nicht von selbst“. Lilie forderte in diesem Zusammenhang auch die langfristige und nachhaltige Förderung von „Formaten und Orten der Begegnung und breiter Aufklärung“, wie sie auch in der Diakonie angeboten würden.