Grenzziehung – Die #LaTdH vom 1. Oktober

Diese Woche in der Debatte: Vielfältige Abgrenzungsbemühungen. Außerdem: Hygge, Apotheosen und was man sinnvoll gegen Arschlöcher unternehmen kann.

Die Analysen des Wahlergebnisses haben in der zurückliegenden Woche breiten Raum (auch) innerhalb der christlichen Blogosphäre eingenommen. Dabei immer wieder spürbar: Ein Bedürfnis nach Grenzziehungen. Für das Bedürfnis nach klarer Scheidung der Geister und einer Klärung des Verhältnisses von „wir“ und „die da“ ist die Bundestagswahl nicht ursächlich, aber ein willkommener Anlass.

Debatte

Bitte jetzt alle kopflos im Kreis rennen – Robin Urban (robins urban life stories)

Der beste Nach-Wahl-Text und ein Aufruf, die Grenzen des eigenen Resonanzraums hinter sich zu lassen:

Konkrete Lösungsvorschläge (abseits von netten Ideen wie der Adoption eines Stolpersteins) sucht man vergeblich. Die sind auch gar nicht möglich, wenn jeder Versuch, die AfD-Wähler zurück zu gewinnen, als Anbändeln mit Rassisten verstanden wird. „Jetzt sollen wir plötzlich deren Nöte ernst nehmen? Nö.“ Sind ja auch alles Nazis und Nazis sind unbelehrbar. Warum es dann trotzdem traditioneller Teil antifaschistischer Arbeit ist, Aussteigerprogramme zu ermöglichen, erschließt sich mir nicht, genauso wenig wie die Frage, warum bei 13 Prozent Vollblut-Nazis in Deutschland die NPD nicht schon seit Jahrzehnten im Bundestag sitzt.

Überhaupt fordert alle Welt jetzt mehr Diskurs und Debatte ein bzw. freut sich, dass durch das Ende der Großen Koalition kontroverse Diskussionen wieder möglich wären. Ich frage mich: Wenn euch diese Groko vom Diskutieren abgehalten hat, wie steht es dann um euren Willen zum Streit? Wer hat denn das Diskutieren und Disputieren bisher untersagt? Welchem Diskussions-Unterdrückungs-Narrativ sitzen wir da auf?

„Die Menschenwürde darf nie infrage gestellt werden“ – Ilse Junkermann (ekmd.de)

Als Maßstab für den (neuen) Streit empfiehlt Bischöfin Ilse Junkermann von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland die Orientierung an der Menschenwürde:

Die Demokratie ist neu gefordert: Wir brauchen eine Rückkehr aller zu einer respektvollen Auseinandersetzung. Und wir müssen insbesondere mit denjenigen das Gespräch suchen, die diese Partei aus Enttäuschung mit anderen Parteien gewählt haben. Dabei muss eines deutlich bleiben: Die Menschenwürde darf nie infrage gestellt werden, sie gilt, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion.

Anders als nach eigenem politischen oder theologischen Gusto vorgenommene Grenzziehungen hat die Orientierung an der Würde des Menschen (hier so GG Art. 1, na klar) den unabweisbaren Vorteil, dass es sich dabei wenigstens um einen positiv besetzten Begriff handelt, zu dem im Zweifel doch jedermann stehen will. Das – nicht ihre theologische oder politische Eindeutigkeit – qualifiziert sie zum Ausgangspunkt grenzüberschreitender Gespräche.

Oder in den Worten einer bekannteren Fernsehmoderatorin und Ikone der letzten Generation, die das Musikfernsehen als gemeinsames Lagerfeuer kannte:

Randständiges

Grenzschutz mit dem Rosenkranz – Anonym (kirchfahrter.wordpress.com)

Schwestern und Brüdern im Herrn, die es sich in ihrer kuscheligen (und garantiert nicht rechten!!!1elf!) Ecke gemütlich gemacht haben, sei ins Gedächtnis gerufen, dass innerhalb des eigenen europäischen Hauses unter Christen ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber bestehen, wozu so ein Glaube da ist. In Polen ganz offenbar auch zum Grenzschutz (vor den Fremden). Beifall dafür kommt aus toitsch-katholischen Kreisen:

Es ist ganz eindeutig, dass diese Initiative eine Reaktion auf die EU-Polemik gegen die Nicht-Aufnahme von „Migranten“ durch Polen ist, und dass der 7. Oktober (wie es die Organisatoren auch klar sagen) der Tag des Sieges der Christenheit über die Moslems in der Schlacht von Lepanto ist, „als so Europa vor der Islamisierung gerettet wurde“. Wir können uns gut vorstellen, dass jemand in Rom das nicht so ganz gut finden wird…

Das Scheitern der Fürsprecherin der Minderheiten – Felix Weise (theologiestudierende.de)

Ein weiteres Beispiel für die ökumenische Arbeit, die sich uns innerhalb oder außerhalb der Grenzen der Heimat (auch hier: Definitionssache) stellt, ist das Schicksal des slowakischen Universitätstheologen Ondrej Prostrednik, dem wegen eines Auftritts auf einer LGBTQ-Veranstaltung die kirchliche Lehrerlaubnis entzogen wurde. Das dreiköpfige Bischofskollegium des Landes entschied ohne Anhörung, öffentliche Diskussion und Berufungsmöglichkeit. Ein bedenkliches Licht wirft dieser Skandal nicht nur auf die Pluralitätsfähigkeit der Kirche in der Slowakei, sondern auch auf den Zustand der Wissenschaftsfreiheit im Lande, das nun ganz offensichtlich nicht an der Grenze, sondern im Zentrum Europas liegt. Achso: Die Rede ist übrigens nicht von der röm.-kath. Kirche, sondern von der Evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses.

Ich denke, es geht hier um die typische Minderheit-Mehrheit Dynamik, wo die Mehrheit ihr Verhalten, ihre Tradition für normativ hält und jede Verschiedenheit als eine Kritik oder sogar eine Gefahr für eigene Integrität interpretiert.

Im Risikomodus – Peter Otten (Theosalon)

Peter Otten ruft die katholische Kirche zum Diskurs auf. Ein lesenswerter, weil historisch grundierter Aufruf, der die Kirche an ihre Möglichkeiten gemahnt:

Eigentlich könnte nun die Kirche ein geeigneter Ort für exakt dieses [ein vertrauensvoller Raum, der Erfahrungen von Selbstbewusstsein und Selbstbehauptung ermöglicht] sein. Sie hat die Räume, mitten in den Metropolen, sie hat immer noch eine wenigstens in Teilen gesellschaftliche Anerkennung, sie hat eine ästhetische Kompetenz, sie verfügt über ein dichtes soziales Netzwerk und viel pädagogisches Rüstzeug.

Das freie Diskutieren aber sieht Otten durch die Kirchenobrigkeit behindert. Am Beispiel des Einspruchs gegen die gemeinsame Kommunion von Erzbischof Woelki (mehr dazu in der Süddeutschen Zeitung) macht er fest:

Aber eine Institution, die sich nicht auszusetzen traut und dadurch keine (Diskurs-)Räume eröffnet – wofür soll sie gut sein? Eine Kirche, die nur noch verteidigen, nicht aber mehr streiten will – was soll sie noch? Einen Tag nach dem Ergebnis der Bundestagswahl, nach der doch so notwendig wie nie deutlich wurde, dass es nun echte analoge, vertrauensvolle Begegnungsräume geben müsste ist dies ein zwar erwartbares, dennoch enttäuschendes Signal. Die katholische Kirche müsste jetzt alles auf Risiko setzen. Was hätte sie zu verlieren? Selbstbehauptung ist eben nur im Modus des Risikos möglich – oder eben nicht.

Also: Wir wollen alle mehr Risiko, Diskussion, Streit usw. – na dann, kann es ja nur besser werden. Weitere Aufrufe zum erneuten und erneuerndem Diskurs gibt es bei y-nachten.de (jetzt auch auf Twitter: @ynachten) („Keilerei statt Einheitsbrei!“), Rolf Krüger (@rolfkrueger) („Und nun bitte: Liebe, aber ohne Eierkuchen!“) und in jeder Tageszeitung zu lesen.

Zurück ans Lagerfeuer – Holger Pyka (Kirchengeschichten)

Wer es lieber überlegter, heimeliger, abgehangener haben möchte, dem empfiehlt Holger Pyka (@pastorpy) im Verbund mit Polly W. Wiessner das Gespräch ums Lagerfeuer. Wer gerade keins zur Hand hat, dem genügt vielleicht ein Abendgottesdienst oder Plausch bei Kerzenlicht. Die Hygge ist jetzt auch in der Eule angekommen! In Pastor Pykas Presbyterium werden keine Entscheidungen mehr nach 22 Uhr gefasst, der Abend ist fürs Geschichtenerzählen gedacht. Gemeinsam bitten wir: Herr, lass diese Botschaft in den Sozialen Netzwerken ankommen und reiche Frucht bringen!

Wiessners Gedanken beschäftigen mich schon eine ganze Weile, weil in der von ihr untersuchten Gemeinschaft am Lagerfeuer Dinge aufscheinen, die mir (und, wenn ich meinen Gemeindegliedern glauben kann, anderen auch) im kirchlichen Alltag fehlen: Das scheinbar ziel- und zwecklose Beisammensitzen, das Teilen von Geschichten und Erfahrungen, das gemeinsame Erleben des Ausgesetztseins und gleichzeitigen Gehaltenseins unter freiem Himmel.

Das Bild der um das Lagerfeuer versammelten Gemeinde macht deutlich: Es geht nicht um weitere, genauere Grenzziehungen, sondern darum das Zentrum neu zu entdecken. Darum, nicht negativ zu bestimmen, wer oder was man nicht ist, sondern positiv zu erklären, was oder wer man ist bzw. im Zentrum der eigenen (Glaubens-)Überzeugungen steht.

Bibel

Die mangelnde Believingness der abstrakten Allmacht – Tobias Graßmann (NThK)

Eine wohlmeinende Rezension der Bibelgeschichten von Shahak Shapira („I bims, d1 Gott“ – Die „Holyge Bimbel“ von Shahak Shapira) hat Die Eule vor einiger Zeit schon gebracht. Jetzt hat sich Tobias Graßmann (@luthvind) für das NThK an einer ausführlichen, theologischen Lektüre versucht. Er ist dabei allen Theologenfallen aus dem Weg gegangen. Ein besseres Kompliment im Angesicht der Satire kann es nicht geben. (Wenn möglich, erfüllen wir – wie hier – den dringenden Wunsch nach Aufnahme in die #LaTdH. Vorschläge gerne an redaktion@eulemagazin.de.)

Diese Gottesvorstellung könnte der geschulte Theologe als Apotheose der abstrakten Allmacht bezeichnen. Ein Gottesbild, bei dem eine schier unermessliche Machtfülle nicht durch die Selbstbindung an Moral, Bundestreue und Gerechtigkeit im Zaum gehalten wird. […] Ein Gott, der letztlich nur die in den Himmel projizierten Allmachtsphantasien unreifer Jungmänner bündelt.

Ein guter Satz

„Not giving a shit takes the wind out of an asshole’s sails.“

Von hier.


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