„Hass ist krass!“
Das „Wort zum Sonntag“ von Magdalena Kiess von Sonnabend polarisiert. Sie sprach sich gegen den Hass aus, der sich derzeit auch an der CDU/CSU entlädt. Dabei war sie selbst einmal für eine CDU-Abgeordnete tätig.
Hunderttausende Menschen demonstrieren seit Wochen gegen den Rechtsruck in Deutschland. Seitdem die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP im Parlament eine gemeinsame Mehrheit mit der AfD gesucht haben, um Anträge zur Migrationspolitik zu beschließen, richten sich die Proteste auch und vor allem gegen die CDU/CSU und ihren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz. Die Union liegt obendrein im Clinch mit den Kirchen, weil sie sich zu Unrecht durch eine Stellungnahme und einen Brief der PrälatInnen der beiden großen Kirchen kritisiert sieht (wir berichteten), seitdem wird anhaltend über das Verhältnis von Kirchen und Union gestritten (s. #LaTdH-Newsletter vom letzten und vorletzten Sonntag).
In der aufgeregten Zeit des Wahlkampfs gute Worte zu finden und für ein friedliches Miteinander einzutreten, sehen die Kirchen als ihren Auftrag in der Gesellschaft. Das gilt auch für die Sendung „Wort zum Sonntag“, die im Auftrag der Kirchen jeden Sonnabend in der ARD ausgestrahlt wird. Im Herbst 2024 feierte die Verkündigungssendung, das zweitälteste Format im deutschen Fernsehen, ihren 70. Geburtstag. Die kurzen Kommentare aus christlichen Perspektiven sprechen wechselnde Sprecher:innen aus evangelischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche.
Das „Wort zum Sonntag“ vom vergangenen Sonnabend, dem 8. Februar, sorgt nun auf Social-Media-Plattformen für Aufregung. Unter dem Titel „Was uns jetzt trägt“ ging es in der Sendung um die Demokratie-Demos, insbesondere um die Großdemonstration in Berlin am Brandenburger Tor und an der Siegessäule. Gesprochen wurde das „Wort zum Sonntag“ von der Berliner Pastoralreferentin Magdalena Kiess. Die katholische Theologin gehört erst seit November 2024 zur Gruppe der „Wort zum Sonntag“-Sprecher:innen.
Der Politik- und Kulturwissenschaftler und Influencer Marc Raschke kritisierte auf mehreren Mikrobloggingdiensten, Kiess habe die Demos gegen die CDU kritisiert und empfohlen, „statt [einer] Brandmauer ein Haus zu bauen“. Es handele sich um einen „Skandal“. Der Faktenchecker-Blog Volksverpetzer postete u.a. auf Bluesky, Kiess habe „die Demos gegen Rechts mit 1,4 Millionen Menschen als ‚Demos des Hasses‘ bezeichnet“, und stellte die „Wort zum Sonntag“-Sprecherin in eine Reihe mit dem Kabarettisten Dieter Nuhr, der in seiner ARD-Sendung immer wieder mit rechtspopulistischen Botschaften auffällt.
„Puh. Hass ist krass!“
Tatsächlich thematisiert Kiess die Proteste, die sich gegen CDU und CSU richten: „Nicht weit von meinem Arbeitsplatz in Berlin wurde eine Partei-Geschäftsstelle von Vermummten gestürmt und verwüstet. Mitarbeiter wurden bedroht, hoher Schaden ist entstanden. Das hat mich erschüttert.“ Und Kiess kommentiert eine Aktion im Rahmen der großen Demo im Berliner Tiergarten, bei der der Slogan „Ganz Berlin hasst die CDU“ an die Siegessäule projiziert wurde: „Puh. Hass ist krass! Hass unter unserer Goldelse, dem FRIEDENSengel? Noch vor wenigen Jahren das Ziel der LOVEparade?“
In ihrem „Wort zum Sonntag“ bezieht Magdalena Kiess Stellung gegen Hass in der politischen Auseinandersetzung. Als Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag habe sie erlebt, „dass man auch mal mit harten Bandagen kämpft. Aber eben: mit Bandagen – nicht mit blankem Hass.“ Kiess zufolge dürfe die Kritik an der Union nicht selbst zu „Grenzüberschreitungen“ führen:
„Wenn es brennt, muss man löschen, nicht zündeln. Dieser Hass, der jetzt hochkocht, widerspricht allem, woran ich als Christin glaube. Er zerstört. Und meine Befürchtung: Nicht nur die Brandmauer ist eingerissen, vielleicht ist noch mehr kaputt.“
Von einer „Demo des Hasses“ hat Magdalena Kiess indes keineswegs gesprochen, sondern explizit Bezug auf den Slogan „Ganz Berlin hasst die CDU“ genommen, der auch von weiteren Kirchenvertreter:innen bei den Demos, die derzeit in ganz Deutschland stattfinden, zurückgewiesen wurde, zum Beispiel von Pfarrer Christian Wolff in Leipzig.
Über Besetzungen von Partei-Büros der CDU und Sachbeschädigungen im Wahlkampf berichteten in den vergangenen Tagen zahlreiche Medien. Der Berliner Tagesspiegel berichtet über die kurzzeitige Besetzung des CDU-Bürgerbüros in Charlottenburg-Wilmersdorf, auf die Kiess in ihrem „Wort zum Sonntag“ offenbar anspielt, bei der es zu leichten Sachbeschädigungen gekommen ist. Gewalt wendeten die Protestierenden nicht an, anwesende Mitarbeiter:innen der CDU fühlten sich jedoch eingeschüchtert.
Die CDU selbst teilt mit, in Hannover und Berlin seien Kreisgeschäftsstellen besetzt worden, die Protestierenden hätten sich gewaltsam Zugang verschafft. Das Konrad-Adenauer-Haus in Berlin, die Bundeszentrale der CDU, sei in der vergangenen Woche „zwischenzeitlich regelrecht belagert“ worden. Man habe den Mitarbeitenden empfehlen müssen, die Bundesgeschäftsstelle vorzeitig zu verlassen. Immer wieder führen Routen der Brandmauer-Demonstrationen direkt zu oder an CDU-Geschäftsstellen vorbei.
Gegen Gewalt im Wahlkampf
Magdalena Kiess würdigt in ihrem „Wort zum Sonntag“ die Demonstrationen für Demokratie und gegen den Rechtsruck: „Das Motto der Berliner Demo war ‚Wir sind die Brandmauer‘. Ein starkes Bild. Mir gefällt die Vorstellung, dass aus vielen Menschen gemeinsam etwas Großes entstehen kann.“ Sie hoffe aber, „wir sind nicht nur eine Mauer“. In Anknüpfung an ein Bibelwort – „Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen“ (1. Petrusbrief 2, 5) – ruft sie dazu auf, „an einem gemeinsamen Haus bauen“:
„Ein stabiles Bauwerk stelle ich mir vor. Sicher gegründet auf dem Fundament unserer gemeinsamen Werte: Auf Menschenwürde, Solidarität, Verantwortung und Gemeinwohl. Eins, in dem man sich nicht verschanzt, sondern zusammenkommt. Ein Schutzraum für Bedrängte. Also: Packen wir‘s an – es gibt genug zu tun. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.“
Die Antworten auf die Frage, ob nicht gerade die Union einen „Schutzraum für Bedrängte“, nämlich die sog. Brandmauer zur rechtextremen AfD, durch ihr parlamentarisches Agieren eingerissen hat, gehen in diesen Tagen weit auseinander. Friedrich Merz hatte im Herbst im Deutschen Bundestag versprochen, für Anträge keine Mehrheiten mit der AfD zu suchen. Nach der Gewalttat von Aschaffenburg sah er sich nach eigener Aussage jedoch dazu gezwungen, mit seiner Fraktion Anträge zur Migrationspolitik in den Bundestag einzubringen, die nur mit der AfD Aussicht auf eine Mehrheit im deutschen Parlament hatten. Vor diesem Vertrauensbruch warnten ihn auch die „KirchenbotschafterInnen“, die PrälatInnen Anne Gidion (evangelisch) und Karl Jüsten (römisch-katholisch), in einem Brief vor den Abstimmungen (wir berichteten).
Die Übergriffe auf CDU-Büros und Gewalt im Wahlkampf wurden in den vergangenen Tagen unisono von allen demokratischen Parteien verurteilt. Auch die beiden PrälatInnen sprachen sich in einem Gottesdienst zu Beginn des Bundesparteitages der CDU gegen „radikale Ablehnung“ aus, die nun auch CDU-Politiker:innen erfuhren. Dabei weitete Prälat Karl Jüsten den Blick auf die inzwischen fast alltäglich gewordenen Angriffe auf demokratische Parteien:
Die Kirche verurteile „aufs Schärfste, wenn Parteibüros attackiert und die dort Arbeitenden in Angst und Schrecken versetzt werden, wenn im Netz Politikerinnen und Politiker mit Mord bedroht werden, wenn der politische Gegner herabgesetzt und entwürdigt wird, ja, wenn Menschen Angst haben, überhaupt noch Politik zu machen, weil sie die ständige Bedrohungslage nicht mehr aushalten“.
Ein „Wort zum Sonntag“ im Wahlkampf
Mit ihrem „Wort zum Sonntag“ bewegt sich Magdalena Kiess also ganz im Rahmen dessen, was zahlreiche Akteur:innen von demokratischen Parteien und aus der Zivilgesellschaft in diesem Wahlkampf fordern. Dass das biblische Bild vom Hausbau mit „lebendigen Steinen“ in der politischen Debatte nicht mehr von allen Zuschauer:innen verstanden wird, ist ebenso deutlich geworden. Kiess aber hat keinen politischen Kommentar, sondern ein geistliches Wort in einer von den Kirchen verantworteten Verkündigungssendung gesprochen.
Dass sie in der Hochphase des Wahlkampfs ausgerechnet die Tagespolitik zum Thema machte, ist dabei so naheliegend wie kontrovers. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist auch in Wahlkampfzeiten „den Grundsätzen der Objektivität und Unparteilichkeit“ verpflichtet, erklärt die ARD, und soll „eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen“.
Im „Wort zum Sonntag“ werden üblicherweise überhaupt keine parteipolitischen Positionen kommentiert, jedoch beziehen die Sprecher:innen immer wieder Stellung zu aktuellen politischen Fragen (wir berichteten). Für das „Wort zum Sonntag“ sind redaktionell die Rundfunkbeauftragten der Kirchen bei den jeweiligen Sendern zuständig. Im Falle des „Wort zum Sonntag“ vom Sonnabend die Katholische Hörfunk- und Fernseharbeit des Erzbistums Berlin.
Ungebührliche Nähe zur CDU?
Dass Magdalena Kiess die Union gegen Angriffe von Protestierenden und „Hass-Botschaften“ in Schutz nimmt, liegt also keineswegs außerhalb der Grenzen des sonst im „Wort zum Sonntag“ üblichen. Die Sendung ist eines der reichweitenstärksten Formate, mit denen die Kirchen in Gesellschaft hineinwirken wollen, sich für ein friedliches Miteinanderung und „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ aussprechen. Ungünstig ist jedoch, dass Magdalena Kiess‘ Verbindung zur CDU weder im Beitrag noch im Begleittext online offengelegt wird.
Kiess war vor ihrer Tätigkeit als Pastoralreferentin im Erzbistum Berlin bis Ende August 2024 in verschiedenen Funktionen im Bundestagsbüro von Monika Grütters (CDU) beschäfigt. Die FAZ (€) berichtete im November 2024, Kiess sei „in einem früheren Leben“ als Leiterin des Büros tätig gewesen. Von 2013 bis 2021 war Monika Grütters Kulturstaatsministerin. Dem Deutschen Bundestag gehört sie seit 2005 und noch bis zur Konstituierung des nächsten Bundestages an. Die ehemalige CDU-Landesvorsitzende von Berlin kandidiert nicht wieder für den Deutschen Bundestag. Zuletzt war sie auch Vorsitzende des Stephanuskreises der CDU/CSU-Fraktion, einer Gruppe von Unions-Abgeordneten, die sich für Religionsfreiheit und gegen die Verfolgung von Christ:innen engagiert.
Grütters ist vielfältig in der römisch-katholischen Kirche engagiert, u.a. als Mitglied des Zentralkomitees der Katholiken in Deutschland (ZdK), wo sie Sprecherin für „Kultur, Bildung und Medien“ ist – und sich anders als ihre Parteifreundin Annegret Kramp-Karrenbauer auch weiterhin engagieren will. An den Abstimmungen zu den Anträgen zur Migrationspolitik im Deutschen Bundestag vor zwei Wochen nahm Grütters bewusst nicht teil. Damit gehörte sie zu einer kleinen Gruppe von Abgeordneten, die durch ihr Fernbleiben der Linie der Partei- und Fraktionsführung widersprachen. In einer Stellungnahme gab sie bekannt:
„Wenn wir unser Gemeinwesen auch an einem christlichen Menschenbild orientieren, kann es kein Zusammenwirken mit einer schon jetzt in Teilen gesichert rechtsextremen Partei wie der AfD geben, die Spaltung, Ausgrenzung von Andersdenkenden, Hass und Hetze schürt und unsere weltoffene demokratische Ordnung verändern will. Auch in Einzelfragen darf es keine Abhängigkeit von Stimmen aus diesem Lager geben.“
Eine fromme Katholikin
Wie auch ihre ehemalige Chefin Grütters ist Magdalena Kiess der katholischen Kirche tief verbunden. Als Pastoralreferentin in Berlin arbeitet sie vor allem mit Studierenden der Berliner Universitäten und Hochschulen. Ihre geistliche Heimat ist jedoch die Schönstatt-Bewegung, für die sie in den vergangenen Jahren auch publizistisch aktiv war. Ihre Familie engagiert sich in der Schönstatt-Familie München.
Im Zentrum der Schönstatt-Theologie steht die persönliche Glaubensentwicklung und das sog. „Liebesbündnis“. Die Schönstatt-Bewegung ist in zahlreichen deutschen katholischen (Erz-)Bistümern aktiv. In die Schlagzeilen gerät sie immer wieder, weil ihrem Gründer, Pater Josef Kentenich, Missbrauch vorgeworfen wird. Ein zwischenzeitlich gestartetes Seeligsprechungsverfahren ruht derzeit.
Dass mit Magdalena Kiess ausgerechnet eine ehemalige Mitarbeiterin einer CDU-Abgeordneten nun als Sprecherin im „Wort zum Sonntag“ dazu aufruft, die CDU nicht zu „hassen“, erregt online so manche Gemüter. Eine Aufregung, der man durch eine andere Besetzung oder deutliche Offenlegung der vormaligen Tätigkeit hätte vorbeugen können. Allzumal, weil Kiess in ihrem „Wort zum Sonntag“ ja selbst auf eine frühere Tätigkeit im Deutschen Bundestag zu sprechen kommt.
Darauf weist auch der Rundfunkbeauftragte des Erzbistums Berlin, Johannes Rogge, auf Anfrage der Eule hin. Kiess sei „transparent mit ihrer politischen Erfahrung im Deutschen Bundestag umgegangen“, die Tätigkeit für Monika Grütters sei obendrein bereits Bestandteil der Berichterstattung gewesen. Auf ihr „Wort zum Sonntag“ vom Sonnabend habe man „positive sowie kritische Rückmeldungen“ erhalten. Man bedauere, „dass einige Zuschauerinnen und Zuschauer den Inhalt gegen die für uns klar erkennbare Aussage interpretiert haben“.
Um Hass zu widersprechen, auch wenn er sich gegen den politischen Gegner richtet, braucht man gleichwohl nicht parteiisch auf Seiten einer politischen Partei zu stehen. Dafür reicht es, da hat Kiess in ihrer Andacht ganz recht, schon zu, Christ:in zu sein. Einen Skandal gibt dieses „Wort zum Sonntag“ nicht her.
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Dienstag, 11.2.2025, 14:00 Uhr: Ergänzt um Stellungnahme des Rundfunkbeauftragten des Erzbistums Berlin.