Im Anfang war das Wort – Die #LaTdH vom 20. Januar

Weist die Wahl zum Unwort des Jahres auf einen Rechtsruck in unserer Gesellschaft hin? Und: Katholische Ketzer, flüchtiger Friede und 1 tanzender Erlöser.

Debatte

Die „Sprachkritische Aktion“ hat in dieser Woche den Ausdruck „Anti-Abschiebe-Industrie“ als „Unwort des Jahres 2018“ präsentiert. Die Formulierung wurde im Mai 2018 durch Alexander Dobrindt, den Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag (@csu_bt), als Kampfbegriff in die politische Diskussion eingeführt. Die Begründung der Jury für die Wahl:

Der Ausdruck unterstellt denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützen und Abschiebungen auf dem Rechtsweg prüfen, die Absicht, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen und damit in großem Maßstab Geld verdienen zu wollen. Der Ausdruck Industrie suggeriert zudem, es würden dadurch überhaupt erst Asylberechtigte „produziert“. […] Als das Unwort 2018 gilt es uns, weil die Tatsache, dass ein solcher Ausdruck von einem wichtigen Politiker einer Regierungspartei prominent im Diskurs platziert wird, zeigt, wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie in bedenklicher Weise verändern.

Dobrindt des Jahres – Anja Maier (taz)

„Der CSU-Politiker bekommt für sein ‚Unwort des Jahres‘ die, naja, Ehrung“, kommentiert die taz-Parlamentsredakteurin Anja Maier (@frau_maier). Mit „Anti-Abschiebe-Industrie“ setzte sich Dobrindt übrigens gegen Boris Palmer durch:

Es gibt bisher keine Information darüber, wie traurig der grüne Tübinger Oberbürgermeister ist, dass er im Gegensatz zu Dobrindt keinen Preis für menschenverachtende Sprache gewonnen hat. Man darf aber davon ausgehen, dass er sich riesig gefreut hätte. Wer weiß, vielleicht klappt’s ja 2019?

Die sprachlich besonders kreative und trotz jahrzehntelanger Kritik ungehindert agierende BILD mischt kräftig mit in der Debatte:

Als Unwort geadelt – Ludwig Ring-Eifel (katholisch.de)

Ins gleiche Horn bläst ausgerechnet auch der Chefredakteur der Katholischen Nachrichten-Agentur (@KNA_Redaktion). In seinem „Standpunkt“ auf dem Portal @katholisch_de kritisiert @LudwigRingEifel die Nominierung:

Klarer hätte die Unwort-Jury gar nicht sagen können, dass sie sich selbst in der Rolle des Sprachpolizisten sieht, der die Grenze des Sagbaren festlegt und ihre Übertretung öffentlich anprangert. Die Grenze verläuft „rechts“, und wer sie übertritt, gefährdet die Demokratie. Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die beklagen, dass man in Deutschland jenseits des linksliberalen Mainstreams nicht mehr frei reden dürfe.

Anstatt darauf hinzuweisen, dass ein privater Verein einen aktiven Spitzenpolitiker einer Regierungspartei zwar kritisieren, ihm aber nicht den Mund verbieten kann, bedient Ring-Eifel mit seinem Kommentar gerade das rechte Narrativ vom „Mainstream“-Journalismus. Der „angeprangerte“ Bundestagsabgeordnete hat keinerlei rechtliche Konsequenzen seiner Wortwahl zu fürchten – auch der Beitrag des hochrangigen Kirchenjournalisten ist geradezu der performative Widerspruch zur wirren These, „man“ dürfe in Deutschland „nicht mehr frei reden“. Worin genau der „Erfolg“ der angeblichen „Zensur“ liegen soll, bleibt auch in Ring-Eifels eigenem Blick auf „Unwörter“ vergangener Jahre schleierhaft:

Gutmensch, Herdprämie und Kollateralschaden erfreuen sich anhaltender Beliebtheit, weil sie Sachverhalte oder Verhaltensweisen polemisch auf den Punkt bringen.

Groteskerweise fühlt sich Ring-Eifel auch noch an Zeiten erinnert, in denen es in der römisch-katholischen Kirche noch den „Index der verbotenen Bücher“ gab:

Eine bessere Werbung als den Index konnte es für ein gut geschriebenes Buch nicht geben. In den Bücherregalen freier Geister waren solche Titel ein „must have“.

Statt solcher Verharmlosung der Inquisition sei Ring-Eifel die Beschäftigung mit der systematischen „Kommunikationskontrolle als Heilsdienst“ empfohlen, die der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke bereits 2009 in seinem instruktiven Beitrag über „Sinn, Nutzen und Ausübung der Zensur nach römisch-katholischem Selbstverständnis“ vorstellte.

„Solche Begriffe befeuern rechtsradikale Diskurse“ – Interview mit Anatol Stefanowitsch (Bayerischer Rundfunk)

Der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch (@astefanowitsch) hält die Bezeichnung „Unwort des Jahres“ für Dobrindts Spruch hingegen für gerechtfertigt:

Zum einen wird damit zivilgesellschaftliches Engagement de-legitimiert. Hier geht es ja um Leute, die dafür sorgen wollen, dass abgelehnte AsylbewerberInnen Zugang zum Rechtsstaat bekommen und dafür werden sie von einem gewählten Politiker als Industrie verunglimpft. Das ist in gewisser Weise ein Angriff auf die Demokratie. Und zum anderen ist dieser Begriff von den rechten Parteien wie AfD und NPD ganz begeistert aufgegriffen worden. Damit zeigt dieser Begriff auch wie gefährlich es ist, wenn Politiker demokratischer Parteien sich zum Stichwortgeber machen, um rechtsradikale Diskurse zu befeuern.

In seinem Sprachlog weist Stefanowitsch außerdem darauf hin, der Begriff füge sich „nahtlos in ein allgemeines Framing ein, das jeden Einsatz für Schwächere als Handeln mächtiger Akteure im Hintergrund darstellt“.

nachgefasst

Darum braucht es die klassische Pfarrei weiterhin – Volker Resing (katholisch.de)

Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat bei der Tagung „Bistümer im epochalen Umbruch“ kürzlich das „Ende der klassischen Ortsgemeinde“ ausgerufen. In seinem „Standpunkt“ widerspricht ihm Volker Resing (@Volker_0409), Chefredakteur der Herder Korrespondenz (@HK_Aktuell): Lasst die Kirche im Dorf!

Die meisten Menschen in Deutschland leben mit einem festen Wohnsitz und so ist es auch für die Kirche und den Glauben gut, feste und beständige Orte des kirchlichen Lebens anzubieten. Vielleicht muss man künftig, um zu solchen lebendigen geistlichen Orten von Gemeinde und Gemeinschaft zu gelangen, länger fahren. Aber bitte, man möge aufhören, dies mit einem pastoralen oder theologischen Zuckerguss auch noch zu feiern. Präsenz in der Fläche ist ein Schatz der Kirche, das sollte die (Amts-)Kirche in den für die meisten Menschen unwichtigen Bischofssitzen nicht vergessen.

Wider die verbalen Ausgemeindungen! – Andreas Püttmann (katholisch.de) 

Wenn nur zehn Prozent der Katholiken sonntags den Gottesdienst besuchen, dann heißt das noch lange nicht, dass der Rest nur noch „formal“ katholisch ist, schließt sich Andreas Püttmann (@Puettmann_Bonn) der Kritik an Bischof Kohlgraf an:

Populisten mögen „Politik für die Mehrheit“ propagieren. Der Kirche ist es auch die kleine Schar wert, ihr Bestes zu geben. Den Glutkern katholischen Glaubens mögen heute nur noch drei bis vier Millionen hoch identifizierte Kirchenmitglieder bilden. Aber Millionen kirchlich „randständiger“, kulturell katholisch geprägter Menschen leisten auch einen Beitrag zur sozialen Präsenz des Christentums.

‏Es geht ums Ganze – Michael N. Ebertz (feinschwarz.net)

Was für den Protestantismus Programm war, wird für den Katholizismus Schicksal: der Zerfall eines überkommenen Systems legitimer religiöser Ordnung. Das mag noch nicht das Ende der römisch-katholischen Kirche sein, aber ganz bestimmt das Ende ihrer herkömmlichen Kultur- und Sozialgestalt, schreibt der Freiburger Religionssoziologe Michael N. Ebertz (@EbertzN) in seinem Beitrag im Theologischen Feuilleton @feinschwarz_net:

Derzeit ist in der römisch-katholischen Kirche weltweit ein heftiger Kampf um die Definition der Heilswahrheiten und der Heilsgüter entstanden. Es ist ein Kampf um die Kirche in der Kirche. Sichtbar gemacht, nicht verursacht durch Papst Franziskus, dreht er sich ganz zentral um das Verständnis von Sünde und Heil, damit um basale Wertorientierungen zur kulturellen Legitimation der normativen Ordnung der Kirche.

Bischof Wilmer soll sich nicht einschüchtern lassen – Interview mit Eugen Drewermann (katholisch.de)

Eugen Drewermann wurde als Priester suspendiert, verlor seine Predigt- und Lehrerlaubnis und trat schließlich aus der römisch-katholischen Kirche aus. Für den Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer ist Drewermann dennoch ein Prophet. Madeleine Spendier (@spendier1) hat mit dem Paderborner Theologen über Klerikalismus, Missbrauch und die Krise der Kirche gesprochen:

Die autoritäre Rede von oben nach unten funktioniert in der Kirche nicht mehr. Die Heiligkeit des Klerikerstandes ist vorbei. Wenn ein Bischof diese Überlegungen ernst nimmt, dann hat das weitereichende Konsequenzen. Bischof Wilmer wird es nicht leicht haben, wenn er sich mit kirchlichen Strukturen anlegt.

Buntes

Kirche lebt vom Internet! – Hanna Jacobs (DIE ZEIT)

Der frühere EKD-Ratsvorsitzende und Altbischof Wolfgang Huber (@Prof_Huber) hatte in der Vorwoche (ausgerechnet auf Twitter) vor der „Twitter-Falle“ gewarnt (s. #LaTdH vom 13. Januar) und sich in beredtes Schweigen gehüllt, als ihm im Social-Media-Kanal Spott und Widerspruch entgegenschlug.

In der Christ & Welt (@christundwelt) hat Pfarrerin Hanna Jacobs (@hannagelb) Huber jetzt mit einer fulminanten Gegenrede geantwortet:

Ich habe einmal geguckt, wem Sie bei Twitter so folgen: den Accounts von evangelischen Landeskirchen und Akademien, Chefredakteuren sowie vier verschiedenen Accounts der FAZ. Sie folgen nicht der Pastorin im Probedienst mit den fünf Kirchen auf dem Land. Sie folgen nicht dem katholischen Laientheologen, nicht der Mutter mit dem gehbehinderten Sohn, die sich ehrenamtlich in einer Freikirche engagiert. Sie folgen keiner Transgender-Christin und keinem gläubigen Muslim. An keiner theologischen Fakultät und in keinem Kirchgebäude bin ich so unterschiedlichen Menschen begegnet und wurde ich derart inspiriert wie in dieser Community aus suchenden Glaubenden. Fürchten Sie sich nicht vor der Twitter-Falle!

Bibel

Suche Frieden und jage ihm nach! – Sebastian Dittrich (IKvu)

Im Neujahrsgruß 2019 des Ökumenischen Netzwerks Initiative Kirche von unten (@_IKvu) kritisiert Sebastian Dittrich die gängige Übersetzung der Jahreslosung (Psalm 34, 15), sei es durch Luther oder die römisch-katholische „Einheitsübersetzung“:

Selbst in der längst selbst historischen „Verdeutschung der Schrift“ von Buber & Rosenzweig wird dem Frieden nachgejagt. Aber was soll das „Nachjagen“ sein, was soll damit heute assoziiert werden? Frieden als fernes Ziel, als ewige, unerreichbare Beute? Kein Geschenk Gottes? Nichts zum Annehmen, Anfassen und Gestalten?

Angesichts der Bedrohung der offenen Gesellschaft durch rechte Populisten, „vermeintlich bibeltreue ‚evangelikale‘ Gemeinschaften, so genannte Lebensschützer, traditionalistische katholische Zirkel im Westen, die Brücken zur Orthodoxie im Osten schlagen“, lenkt Dittrich den Blick auf die Kraftquellen bunter Christentümer:

Da finden sich Verbindungen zwischen den Kreisen des Urchristentums, weiblich-intelligenter Mystik, sozial engagierter Befreiungstheologie, demokratischer Teilhabe und Widerstandsgebot im evangelisch-reformierten Christentum Westeuropas. Wir erinnern uns an die Bekennende Kirche, Kirchen als Schutzraum im DDR-Sozialismus, im besten Sinne katholische Solidarnosc in Polen. Praktizierte, tolerante Nächstenliebe, die das Christentum auch heute nach außen erkennbar und erst respektabel macht.

Predigt

Das Wunder der Verwandlung: Unser Kana hier und heute – Jozef Niewiadomski (Innsbrucker Leseraum)

In seiner Predigt zum heutigen Tagesevangelium (Joh 2, 1-12) deutet der Innsbrucker Theologe Jozef Niewiadomski den banal wirkenden und gleichzeitig theologisch sperrigen Bibeltext von der Hochzeit zu Kana:

Die Logik dieser Hochzeitsfeier beherrscht unser aller Leben. Sie strukturiert auch das Leben unserer vermeintlich so gottlosen Welt. Der menschgewordene Sohn Gottes tanzt auch auf der Hochzeit des global village. Er tanzt auch auf der Hochzeit unseres Lebens: hier und heute, unaufdringlich und anonym freilich. Als einer der unzähligen Gäste mischt er sich ein und verwandelt Wasser in Wein, ohne dass die Menschen es merken. Er inspiriert und ermutigt die unzähligen Diener, dass sie das tun, was zu ihren Pflichten gehört. Dass sie sich in den Dienst der anderen stellen, dass sie also zu Akteuren der Wandlung, zu Akteuren des Wunderbaren werden.

Ein guter Satz