Instagram: Zwischen „Reel me in“ und Bubble-Gefängnis

Wie können Christ:innen auf Instagram leben? Darüber diskutierten wir live mit der Bloggerin Kira Beer und Eule-Abonnent:innen. Für eine ehrliche Debatte über Social-Media-Nutzung in der Kirche.

Wir sind unseren Leser:innen noch etwas schuldig: Am 12. Oktober sprachen wir mit Kira Beer über Instagram als Lebensraum und Gefahrengebiet. Wie bei Eule-Live-Events inzwischen gewohnt, folgt hier noch ein Recap für diejenigen, die den Abend noch einmal rekapitulieren wollen oder es nicht zu „Reel me in“ geschafft haben. Und in dieser Woche veröffentlichte midi, die Evangelische Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung, eine Studie über die Communities von christlichen Influencer:innen auf der Plattform (wir berichteten). Die Erkenntnisse aus der Studie „passen“ zur Diskussion, die wir mit den Eule-Abonnent:innen und Kira Beer geführt haben:

Kira Beer ist als Bloggerin auf der Social-Media-Plattform unterwegs und sprach bei „Reel me in“ über die Freuden und Gefahren des Insta-Lebens. Als junge, progressive Katholikin mischt sie sich in zahlreiche Diskussionen ein, z.B. über Körperbilder, Feminismus und Kirchenreformen. An ihren Impuls schloss sich ein kurzes Referat von mir über die Gefahren von Instagram für junge Menschen an.

Im Mittelpunkt standen dabei die Ergebnisse der Studie „#StatusOfMind: Social media and young people’s mental health and wellbeing“ der britischen Royal Society for Public Health von 2017. Seit 2017 ist der Marktanteil von Instagram insbesondere bei Jugendlichen und jungen Menschen erheblich gestiegen. Weil Insta nun einmal so ist, wie es ist, steht zu befürchten, dass sich die von den britischen Autor:innen aufgezeichneten Phänomene sogar noch stärker ausgeprägt haben.

Seit einigen Jahren pendelt die Diskussion im Raum der Kirche über Social Media im Allgemeinen und Instagram im Besonderen um die Frage: „Gehen oder bleiben?“ Wie Kira Beer erklärte, ist die Präsenz von verantwortlich agierenden Kommunikator:innen auf der Plattform wichtig und birgt Chancen. Instagram bietet nach wie vor auch progressiven Stimmen aus den Kirchen und Religionsgemeinschaften, LGBTQI* und Feminist:innen Räume, um ihre Themen an digitale Öffentlichkeiten zu vermitteln, sich einzumischen, auch Gegenrede (counter speech) zu üben. Kira Beer berichtete in diesem Zusammenhang von den Diskussionen, die sich vor kurzem entwickelt hatten, weil sie sich bewusst als Christin gegen den „Marsch für das Leben“ positionierte. Instagram denjenigen zu überlassen, die reaktionäre oder rechtsradikale Inhalte im christlichen Gewand produzieren, kann keine Option sein. Vielmehr müssten die Kirchen sich sogar stärker für die Gegen-Gegenaufklärung engagieren!

Instagram als Lebensraum und Gefahrengebiet

Als Ergebnisse der beiden Impulsreferate und der anschließenden Diskussion können wir festhalten: (1) Instagram ist als digitaler Lebensraum der Generationen X und Y Bestandteil unserer Lebenswirklichkeit. Wie die midi-Studie gezeigt hat, nehmen auf Instagram überdurchschnittlich viele weibliche Nutzer:innen am Geschehen teil. Sie erleben die Plattform im Vergleich zu anderen Social-Media-Plattformen wie Twitter und Facebook als vergleichsweise angenehmen Ort. Das gilt es wahrzunehmen und wertzuschätzen.

Kirchliche Akteur:innen, christliche Influencer:innen und Blogger:innen und auch Christ:innen mit privaten Accounts können sich (2) aber auch nicht blind stellen: Instagram ist auch ein Gefahrengebiet, insbesondere für junge Menschen. Darum muss man Ideen wie einem Instagram für Kinder sehr skeptisch gegenüberstehen. Körperkult, Ästhetisierung und Algorithmisierung stellen Gefahren dar, sie bewirken bei nicht wenigen Nutzer:innen ein ungesundes Suchtverhalten. Umso anfälliger Individuen dafür sind desto heftiger fallen die psychischen und physischen Folgen aus. Die gesundheitlichen Belastungen nehmen ab einer Nutzungsdauer von über 2 Stunden am Tag massiv zu, zeigt „#StatusofMind“. Diese Erkenntnisse sollten Mediengestaltenden und -Nutzer:innen auf Instagram gleichermaßen zu denken geben.

Die technischen und soziologischen Gründe für den „Erfolg“ der Plattform sind (3) nicht ausreichend in der (kirchlichen) Diskussion. Nutzer:innen schließen von der eigenen Nutzung auf die Allgemeinheit und schreiben intentionale Effekte der Programmierung dem Zufall oder eigenen Präferenzen zu. Wissen um die Funktionalität von Social-Media-Plattformen ist auch unter Christ:innen zu wenig verbreitet. Dieser Mangel verhindert insbesondere geeignete Maßnahmen, um sicherer auf und mit den gegenwärtigen Social-Media-Plattformen zu leben.

Eine Alternative zu den realexistierenden kommerziellen Plattformen und zu „kirchlichen Eigenprodukten“ gleichermaßen ist (4) denkbar, aber unwahrscheinlich. Auch ein (europäisches) öffentlich-rechtliches Netzwerk müsste sich technischen Instrumenten der Nutzer:innensteuerung bedienen, die immer auch negative Folgen haben. Gleichwohl sollten sich Christ:innen und Kirchen politisch dafür einsetzen, dem Handeln der Plattform-Konzerne gesetzliche Schranken zu setzen und diese auch durchzusetzen.

Instagram für Christ:innen

Wie die „Digitale Communities“-Studie von midi zeigt, erreichen christliche Influencer:innen mit ihrem gegenwärtigen Angebot auf Instagram vor allem Menschen, die schon im Kontakt mit der Kirche stehen oder standen. 85,5 % sind Kirchenmitglieder und haben dies in der Befragung auch so angeben können. 69 % gaben an, im Kontakt mit einer Ortsgemeinde zu stehen. 90,8 % der Befragten bezeichnen sich als religiös.

Als ein driftiges Argument für den Verbleib kirchlicher Angebote auf prekären Plattformen wie Instagram oder Facebook wird immer wieder vorgebracht, nur dort könne man sich auch an Menschen wenden, die (bisher) nicht im engeren Sinne „dazugehören“. Im Lichte der midi-Studie muss daher kritisch gefragt werden, ob die bisherigen Angebote – auch die sog. „Sinnfluencer:innen“ – dieses Versprechen einlösen.

Dass die Communities der untersuchten Influencer:innen sich erheblich überschneiden, ist mit Sicherheit eine Folge der algorithmisierten Kommunikation. Nutzer:innen werden Kanäle anempfohlen, die ihren von der Plattform ermittelten Präferenzen entsprechen und die solchen Accounts ähneln, denen sie bereits folgen. Doch die Überschneidung der Communities ist auch Folge einer selbstverschuldeten Gleichförmigkeit der Inhalte und Formate, die von christlichen Sinnfluencer:innen ausgepielt werden.

Daniel Hörsch, sozial­wissen­schaft­licher Referent bei midi und Herausgeber der Studie, sieht trotzdem „ein nicht unerhebliches missionarisches Potential“ auf Instagram. 19,3 % der Follower:innen sind zwar Kirchenmitglied, geben allerdings an, keinen Kontakt zu einer Kirchengemeinde zu haben und immerhin 11,9 % „sind weder Kirchenmitglied, noch haben sie Kontakt zu einer Kirchengemeinde oder stufen sich selbst als religiös ein“. Um wie viel größer könnten diese Anteile sein, wenn Christ:innen und insbesondere kirchliche Akteur:innen sich kommunikativ stärker auf solche Nutzer:innen einstellen würden?

Raus aus der Bubble!

Wenn kirchliches Handeln auf kommerziellen, prekären Social-Media-Plattformen mit dem Argument verteidigt wird, dass man dort mit kirchenfernen Personen zum Zwecke der Mission oder Aufklärung oder Werbung kommuniziere, dann müssen das die kirchlichen Angebote auch einlösen. Im Grunde ist diese Schlussfolgerung eine kritisch akzentuierte Reformulierung des „Raus aus der Bubble!“-Mantras der Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, die selbst sehr aktiv auf Instagram kommuniziert.

„Raus aus der Bubble ist auch Arbeit“, erklärte Heinrich im Sommer gegenüber dem epd: „Bubble“ versteht sie als „Raum der Hochverbundenen“, die sich stark in der Kirche engagieren und die der „erste Resonanzraum sind“. Dass der erste nicht auch der einzige Resonanzraum bleibt, erfordert digital wie analog Anstrengungen. Diese Anstrengungen bedürfen auch weiterhin der fortlaufenden kritischen Überprüfung, an deren Ende auch die Erkenntnis stehen kann und darf, dass eine digitale Plattform zu toxisch ist, als dass man auf ihr noch sinnvoll das Evangelium kommunizieren könnte.

Oder anders formuliert: Auch auf dem Straßenstrich sind Christ:innen und Kirche präsent, aber nicht Beifall klatschend, sondern mit ihrer sozial-diakonischen Kompetenz und als kritisches Korrektiv. Wöllte man nach biblischen Geschichten suchen, die christliches Handeln auf Instagram inspirieren könnten, landete man zugleich bei der Areopag-Rede des Paulus‘ (Apostelgeschichte 17, 16-34) und beim Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10, 25-37). Wahrlich, Gott ist auch den Menschen auf Instagram nicht fern und Religionsvertreter:innen sollten sich hüten, an denen vorbeizugehen, die unter die Räder der Social-Media-Maschine geraten sind.

Mehr:

  • midi-Pilotstudie „Digitale Communities – Eine Pilotstudie zur Followerschaft von christlichen Influencer:innen auf Instagram“, u.a mit praktisch-theologischen Einordnungen von Sabrina Müller und Aline Knap, als PDF