Abschied von der Bubble?
Bei „Unbubble/13 Fragen“ wird ein Kompromiss zwischen Christfluencer*innen inszeniert, die politische Gegner sind. Was lernt man in der ZDF-Talkshow für junge Menschen tatsächlich?
Um sogenannte Christfluencer*innen geht es im Moment gefühlt überall. Jedes Medium, das etwas auf sich hält, hat einen Beitrag zu diesem Thema im Angebot. Gerade solche, die abseits eines Konklaves kaum Platz für Berichterstattung über Religionen und Kirchen finden, scheinen sich dieser kleinen Gruppe besonders gerne zu widmen.
Das Zusammentreffen von vermeintlich alter Religion, den häufig fragwürdigen Ansichten der Protagonist*innen und frischer Digitalkultur verspricht Klicks. Und nicht zuletzt einfache Antworten auf die Frage, warum rechtsradikales Gedankengut auch unter jungen Menschen immer mehr Anklang findet. Daher verwundert es nicht, dass das ZDF eine Folge seines jungen Talkformats „Unbubble/13 Fragen“ dem Thema widmet: „Jesus Glow und Bibelverse – sind Christfluencer gefährlich?“
Die Regeln der Sendung sind schnell erklärt: Auf einem quadratischen Spielfeld stehen sich sechs Personen gegenüber. Sie sollen anhand von 13 Fragen zu einem meist kontroversen Thema ins Gespräch kommen. Wer einem Argument der Gegenseite zustimmt, darf sich nach vorne bewegen. Teilnehmer*innen, die eine Meinung ablehnen, treten zurück. Das Ziel von „Unbubble/13 Fragen“ ist erreicht, wenn die Beteiligten gemeinsam in das Kompromissfeld vorstoßen.
Im Unterschied zu anderen Talkshows stehe bei „Unbubble/13 Fragen“ nicht die Polarisierung, sondern das Suchen nach Gemeinsamkeiten im Vordergrund, erklärte Moderator Jo Schück 2021 gegenüber dem Tagesspiegel. Das Format wurde mehrfach ausgezeichnet. Im Jahr 2023 zum Beispiel in der Kategorie „Online“ mit dem Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). „Unbubble/13 Fragen“ sei ein „herausragendes Gesprächskulturformat“, das unserer „tief gespaltenen Gesellschaft“ durch „anspruchsvolle Gedankengänge, Konzentration, Respekt und Brückenbauen“ das gelingende Streiten lehre, lobte die Jury.
Leider erschweren die Verantwortlichen der „Jesus Glow und Bibelverse“-Folge von „Unbubble/13 Fragen“ bereits durch die Auswahl der Gäste einen gelingenden Austausch. Die Teilnehmer*innen werden nicht als Diskutant*innen, sondern als Vertreter*innen bestimmter Positionen eingeladen. Aus der Gegenüberstellung dieser Haltungen wird ein Konflikt inszeniert, der für Kennerinnen der Christfluencer*innen-Szene obendrein leicht vorherzusehen ist.
Zwischen Online-Shop und Erprobungsraum
Auf der einen Seite versammeln sich drei „konservative“ Christfluencerinnen. Davon entspricht Jonathan Albrecht (@jonathan__albrecht) wohl am ehesten dem Klischee. Sein Instagram-Kanal ist in gedeckten Farben gehalten. Bedeutungsschwere Botschaften – „Wir planen unsere Karriere…aber nicht unsere Ewigkeit!“ – wechseln sich mit Videos ab, in denen Albrecht das Zeitgeschehen aus seiner Sicht kommentiert. In einem eigenen Online-Shop verkauft er gemeinsam mit seiner Frau Kaffee und Lifestyle-Produkte.
Neben ihm steht Toni Dreher-Adenuga (@oluwatonilobaa), die im Jahr 2018 die 13. Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ gewann. Hin und wieder spricht Dreher-Adenuga auf ihrem Instagram-Kanal unter der Überschrift „Bible Tea“ über biblische Themen wie die Geschichte von Königin Ester. Laut ZDF gehört sie den Freikirchen Body of Christ Church und Amen Berlin an. Als Dritte ist die Rapperin Rubi (@dieserubi) dabei, die syrisch-orthodox aufgewachsen ist. Ihr Glaube habe sich jedoch in den „letzten zwei, drei Jahren“ maßgeblich durch Christfluencerinnen in den sozialen Medien verstärkt.
Auf der anderen Seite stehen zwei „progressive“ Christfluencer*innen: Die Freikirchenaussteigerin Daniela-Marlin Jakobi (@danielamarlinjakobi) und der evangelische Pfarrer Tim Lahr (@amen_aber_sexy). Während Jakobi auf Social-Media-Plattformen aus Betroffenenperspektive über Gefahren des Evangelikalismus aufklärt, ist Lahr vor allem als queerer Aktivist unterwegs und als Pfarrer der Queeren Kirche in Köln, einem Erprobungsraum der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR). Jakobi und Lahr sind Teil des evangelischen Content-Netzwerks „yeet“ des Gemeinschaftswerkes der evangelischen Publizistik (GEP).
Zu diesen fünf „Christfluencer*innen“ gesellt sich Adrian Rosetta (@the_adrian_reason), ein „atheistischer Content Creator“, der den „atheistischen Podcast“ „Lost & Found“ produziert. Er scheut die Auseinandersetzung mit Religion nicht. Zum Beispiel nahm Rosetta bereits eine Podcast-Folge mit Jakobi auf, in der die beiden ebenfalls über Christfluencer*innen sprechen. Auch der evangelische Pfarrer und Influencer Nicolai Opifanti war schon bei ihm zu Gast. Warum genau Rosetta für „Unbubble/13 Fragen“ ausgewählt wurde, erschließt sich im Laufe der Sendung jedoch nicht.

Moderator Jo Schück mit den Teilnehmer*innen auf dem Spielfeld von „Unbubble/13 Fragen“ (Foto: ZDF)
Nur auf den ersten Blick vielfältig
Die Zusammensetzung der religiösen Teilnehmer*innen fällt damit wenig repräsentativ aus. Die Mehrheit definiert sich als irgendwie evangelisch. Davon stellt die Sendung wiederum nur Lahr als dezidierten Vertreter einer Landeskirche vor. Obwohl es inzwischen auch in der katholischen Kirche Christfluencer*innentum gibt und diese mit knapp 20 Millionen Mitgliedern noch immer die größte christliche Einzelkonfession in Deutschland ist, fehlen sie vollständig.
Zu den in der Sendung häufig erwähnten Freikirchen gibt es dagegen kaum belastbare Zahlen. Statistiken in Deutschland fußen auf den Selbstauskünften der Gemeinden und Freikirchen, anders als bei der römisch-katholischen oder evangelischen Kirche liegen keine belast- und überprüfbaren Mitgliedsstatistiken vor. Auch für das von den Gemeinden verkündigte und infolgedessen häufig in den Medien kolportierte starke Wachstum der Szene(n) gibt es keinen Nachweis.
Eine Analyse des freikirchennahen Forschungsteams „Kirchengründung Schweiz“ machte zuletzt deutlich, dass diese Gruppierungen in der Schweiz sogar schrumpfen. Bei „Unbubble/13 Fragen“ wird die Rolle, die evangelikale bzw. charismatische Freikirchen in der Religionslandschaft spielen, aufgrund der medialen Präsenz der Christfluencer*innen deutlich überschätzt. Ähnlich wie in der medialen Öffentlichkeit insgesamt.
Subjektive Meinungen statt fachlicher Informationen
Schwerer noch wiegt der Verzicht der Produzent*innen auf wissenschaftliche Expertise. Fast alle Teilnehmer*innen sind selbst auf ihre je eigene Weise Christfluencer*innen. Vermutlich absolvierte nur Lahr jedoch ein wissenschaftliches Theologiestudium. Auch die gelegentlich eingeblendeten „Infos“ übernehmen weitgehend kritiklos die Selbstbeschreibungen der Akteur*innen. Zum Beispiel heißt es da, dass Freikirchen „extrem bibelorientiert“ seien und „die Heilige Schrift wörtlich“ nähmen. Belege für diese im Blick auf die Vielfalt von christlichen Freikirchen einerseits und Konflikte innerhalb der evangelikalen Bewegung andererseits anfechtbare These bleibt „Unbubble/13 Fragen“ schuldig.
Eine Szene der Sendung zwischen Albrecht und Lahr verdeutlicht, warum dieser nachlässige Umgang mit Theologie problematisch ist: Bei der fünften Frage „Sind Homosexuelle deiner Meinung nach Sünder?“ spricht Moderator Schück zunächst Albrecht direkt an. Der verweist auf den Römerbrief des Apostels Paulus. Es gäbe dort eine Stelle, die „relativ deutlich“ mache, dass die Bibel Homosexualität als Rebellion gegen Gott und gegen die Schöpfungsordnung verstehe.
Moderator Schück verlangt von Albrecht weder die konkrete Passage noch eine haltbare Auslegung. Wahrscheinlich bezieht sich der Christfluencer auf Römer 1, 24–27 (mehr dazu hier in der Eule). Diese Stelle ist jedoch keineswegs „deutlich“. Vielmehr ist umstritten, was Paulus jeweils unter „natürlichem Verkehr“ und „Unzucht“ verstand. Expert*innen wie der katholische Moraltheologe Martin M. Lintner betonen deshalb, dass die Bibel vor dem Einsatz von Sexualität als „Mittel der Macht- und Kontrollausübung“ warne, aber nicht moralisierend den Zeigefinger erhebe.
Statt auf diese komplexe Diskussion hinzuweisen, fragt Schück Albrecht, wie seine Aussage mit der Existenz des schwulen Pfarrers Lahr zusammenpasse. Allerdings folgt darauf keine Antwort: „Dafür muss ich jetzt keine Rechenschaft ablegen.“ Der Moderator solle Lahr fragen, wie er diese Sache biblisch einordne. Doch auch der Pfarrer verweist nicht auf die theologische Debatte, sondern sagt schlicht: „Gott hat mich schwul gemacht.“ Bei den Zuschauer*innen bleibt so der Eindruck zurück, dass die Bibel Homosexualität eindeutig verurteile und Albrecht recht habe.
Schlussendlich macht sich „Unbubble/13 Fragen“ damit die evangelikale Argumentationsweise zu eigen. Alle diskutierten Fragen werden als subjektive Meinungsfragen behandelt, die einen eigentlich eindeutigen Urtext betreffen. Moderator Schück greift die mehrfachen Hinweise von Dreher-Adenuga und Rubi auf die Interpretationsbedürftigkeit der Bibel nicht auf.
Kulturkrieg statt Theologie
Dass die Teilnehmer*innen dieser Folge kaum theologische Diskussionen führen, wirft eine grundlegendere Frage auf: Sind die sogenannten Christfluencer*innen überhaupt Christfluencer*innen? Oder geht es ihnen doch mehr um ihre jeweiligen Geschäftsinteressen oder gar Politik, die mit den Mitteln der Religion transportiert werden soll? Im letzten Drittel der Sendung spricht Lahr Albrecht auf die Inhalte seines Accounts an. Dort fänden sich, so der Pfarrer, „viele rechte Narrative“.
Lahr greift sich als Beweis ein Reel des Christfluencers vom August dieses Jahres heraus, das im Stil rechtsradikaler Medien wie NiUS und Junger Freiheit vor der „Frühsexualisierung“ von Kindern durch Drag-Queens bei einem Sommerfest im Botanischen Garten Berlin warnt: „Das ist Kindeswohlgefährdung. Punkt.“ Albrecht versteht die Kritik des Pfarrers nicht. Er habe sich lediglich in der Verantwortung gesehen, auf eine Gefahr hinzuweisen. Selbst als Lahr betont, dass dort keine „halbnackten Menschen“ zu sehen seien, weicht Albrecht aus. Letztlich habe jede Person ihre eigene Messlatte: „Wenn es aus deiner Sicht irgendwie rechtsradikal ist, dann ist es aus deiner Sicht eben dementsprechend tatsächlich so.“ Gleichzeitig wolle er sich „nicht zu sehr in die Politik einmischen“.
Ein genauer Blick auf seinen Account zeigt anderes. Dort finden sich zahlreiche Reels gegen Homosexualität („Liebe ist Liebe – der größte Betrug unserer Generation“), queere Menschen, Klimaschutz und die angeblich dem „Zeitgeist“ verfallenen Kirchen. Ähnliches lässt sich bei anderen Christfluencer*innen wie Jasmin Friesen, deren Name in der Folge mehrfach fällt, oder Jana Hochhalter beobachten. Das Themenpotpourri rechter, evangelikaler Christfluencer*innen ist seit Jahren ziemlich konstant. Man fragt sich, womit die immer wiederkehrende mediale Aufmerksamkeit für die Akteur*innen eigentlich begründet wird. Einen Neuigkeitswert haben ihre Botschaften sicher nicht.
Ein Kompromiss ohne Erkenntnisgewinn
Jonathan Albrechts Statements erschüttern die Sendung jedoch nicht nachhaltig, auch weil ihnen nicht journalistisch-kritisch nachgegangen wird. Sie bleiben als vage Positionierungen im Debattenraum hängen. Am Ende finden die Diskutant*innen den ersehnten Kompromiss: Zentral sei die Nächstenliebe. Wie das in letzter Konsequenz mit dem zuvor Gesagten und der politischen Seite der Christfluencer*innen zusammenpassen soll, wird nicht weiter erörtert.
„Unbubble/13 Fragen“ stellt demzufolge keine Ausnahme vom bundesdeutschen Talkshow-Betrieb dar. Die Sendung ist kein Mittel gegen die allseits diagnostizierte „Polarisierung“ oder gar „Spaltung“ der Gesellschaft. Im Gegenteil: Indem „Unbubble/13 Fragen“ wie andere Gesprächsformate auch den Blick vor allem auf radikale Randerscheinungen lenkt, diese in der Entgegensetzung als gleichwertig inszeniert und vor einer wissenschaftlich fundierten Kritik zurückschreckt, trägt das Format selbst zur Wahrnehmung einer „Polarisierung“ oder gar „Spaltung“ der Gesellschaft bei.
Der Soziologe Nils C. Kumkar schreibt in seinem jüngst erschienenen Buch „Polarisierung“, dass nicht die Polarisierung an der Stärke der radikalen Rechten schuld sei. Vielmehr habe sich die „extreme Rechte […] erfolgreich als eskalierend-negativer Pol der Polarisierung in Stellung gebracht“. Diese Erkenntnis lässt sich auf die Christfluencer*innen übertragen. Ihre Bedeutung rührt daher, dass die Öffentlichkeit sie gewähren lässt oder ihnen sogar zur Hand geht. Vielleicht ist deshalb der Abschied von einem der zentralen Ideologeme unserer Zeit überfällig: Der Bubble. Und damit auch vom ersehnten „Unbubble“-Moment, dem Platzen der eigenen Blase.
Die Christfluencer*innen und ihre Anhänger*innenschaft sind keine Vertreter*innen einer anderen Meinung, mit denen man sich beim Austausch religiöser Argumente in der Mitte treffen kann. Erst wenn die vorwiegend politische Strategie der Christfluencer*innen verstanden wird, ist Besserung in Sicht. Dabei könnte ein Religionsjournalismus hilfreich sein, der sich dieser Schwierigkeiten bewusst ist. Das wäre allerdings das Gegenteil von „Unbubble/13 Fragen“.
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