Kirche unter Strom
In einer Woche tritt die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu ihrer ersten rein digitalen Tagung zusammen, die zugleich die letzte ihrer Legislatur ist. Was liegt an:
„Der Livestream wird von Anfang bis Ende dabei sein“, verspricht Irmgard Schwaetzer, die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), den per Zoom zugeschalteten Journalist:innen auf der heutigen Pressekonferenz zur EKD-Synode, die über das Wochenende vom 6. bis 9. November verteilt ausschließlich digital stattfinden wird.
Es ist ein buntes Potpourri, das diese digitale Synodentagung – die erste der EKD seit ihrer Gründung vor 75 Jahren – für die Synodalen und auch die professionellen Beobachter:innen bereithält. So ziemlich alles, was eine Synode schön macht, fällt aus. Der Tratsch auf den Gängen, der GEPA-Kaffee (gratis, aber nicht umsonst) und die abendlichen Empfänge wären auch bei der ursprünglich anvisierten verkürzten Präsenztagung in Berlin kleiner aus- bzw. weggefallen.
Die Entscheidung von vor zwei Wochen, auf eine Präsenzveranstaltung komplett zu verzichten (wir berichteten), ist durch das Pandemiegeschehen seither vollständig ins Recht gesetzt worden. Zweifel, ob die sonst vorbildliche Transparenz auch unter digitalen Bedingungen durchgehalten werden kann, versuchte Schwaetzer zu zerstreuen. Man werde sich auf diejenigen digitalen Werkzeuge verlassen, die sich in der Arbeit der Ausschüsse bewährt haben, kündigte Schwaetzer an (wir berichteten). Damit verbindet sich die Hoffnung der Organisator:innen, dass technisch alles reibungslos klappt.
Eine Synode mit stärkerer digitaler Partizipation „überlassen wir gerne der nächsten Synode, die im übrigen viel jünger zusammengesetzt sein wird als die jetzige“, spielt Schwaetzer nicht nur auf die vielen jungen Synodalen an, die im kommenden Jahr in die EKD-Synode einziehen (wir berichteten), sondern auch auf ihren eigenen Abschied als Synodenpräses. Die 78-jährige Politikerin verabschiedet sich mit der diesjährigen Tagung – und zwar durchaus mit Humor: „Angesichts meines Alters ist jeder Wechsel im Amt ein Generationenwechsel“. Das wird man nicht von allen anstehenden Personalwechseln behaupten können (s.u.).
„Es geht darum, die drei Vorschläge für die Zukunft auf die Reise zu schicken“, umreißt die Präses die Aufgabe dieser letzten Tagung der 12. Synode der EKD. Jahrelang hat man an drei parallel laufenden Zukunftsthemen gearbeitet: Einem inhaltlichen Zukunftsprozess („Elf-Leitsätze“), einer Neuorientierung der Finanzstrategie und zur „Kirche im digitalen Wandel“. Alle drei Prozesse kommen mit dieser letzten Tagung der Synoden-Legislatur zu einem Ende. Ein Ende, das typisch evangelisch nur ein Anfang sein kann. Die Themen der Synode im Überblick:
„Kirche auf gutem Grund“
Aus den Elf Leitsätzen vom Sommer sind Zwölf geworden und hinzugekommen sind noch viele weitere mehr, die das eigentlich knackige Papier – dem ohnehin keine gesetzgeberische Gewalt innewohnt – pastoral ausschmücken. Die EKD hat das überarbeitete Papier auf ihrer Website veröffentlicht. Eingeflossen ist vor allem jene Kritik, die sich an einer vermeintlichen Absage gegenüber der Ortsgemeinde als Sozialform festgemacht hat. Das Papier ist also weicher geworden, und deshalb auch ungefährer.
„Niemand hat jemals die Parochie in Frage gestellt“, begegnet Schwaetzer der Kritik frohgemut, „aber jede Gemeinde muss sich die Frage nach ihrer Zukunft stellen.“ Insbesondere junge Menschen leben Kirche heute ortsgebunden oder digital, auch daran müsse sich die Kirche orientieren, fordert die Präses. Eingedenk der Tatsache, dass die kirchengebundenen Menschen eher alt und parochial orientiert sind, sind die Gedanken der Präses zugleich von sehr viel Hoffnung geprägt und für die Zukunft der evangelischen Kirche dringend notwendig.
Viel mehr als um Pro und Contra Ortsgemeinde wird es in den kommenden Jahren allerdings um das Schicksal der anderen kirchlichen Werke und Einrichtungen gehen. Winter is coming.
Neue Finanzstrategie
Bereits im Vorfeld der Synode werden die erheblichen Kürzungen diskutiert, die im Haushalt der EKD bis 2030 vorgenommen werden müssen. Vorweg: Damit sind nicht die Haushalte der EKD-Gliedkirchen, also der evangelischen Landeskirchen, gemeint, die zum Teil um ein Vielfaches größer sind als der EKD-Haushalt, der dieses Jahr ca. 230 Millionen Euro umfasst.
„Wenn wir nichts tun, dann stehen wir 2030 mit einem Defizit da“, diagnostiziert Carsten Simmer, Leiter der EKD-Finanzabteilung, und gibt zu bedenken, „dass auch wenn die Lösungsvorschläge schmerzhaft sind“, sie doch notwendig sind, „weil wir sonst später überall kürzen müssten“. Statt einer solchen „Rasenmähermethode“ sieht die neue Finanzierungstrategie vor, das allgemeine Kürzungsziel von 30 % durch viel stärkere Kürzungen in Einzelbereichen zu erreichen, die den neuen Maßstäben nicht genügen.
Diese Maßstäbe, so Simmer, sind: Die besondere Bedeutung der EKD für die Erledigung der betreffenen kirchlichen Aufgabe (also in Stellvertretung oder als Service für die Gliedkirchen), Mitgliedergewinnung und -bindung und die Unterstützung der öffentlichen Präsenz der Evangelischen Kirche. Weniger freundlich formuliert: Bezahlt wird in Zukunft, was nicht anderswo oder in neuen Modellen kooperativ erledigt werden kann, was Leute hält oder dazuholt und was relevant für Öffentlichkeitsarbeit und Lobbyismus der Kirche ist.
Und diese Konzentration braucht es. Sie wird allerdings nur wenig bringen, wenn sich die evangelischen Landeskirchen (insbesondere im Süden und Westen des Landes) daran kein Beispiel nehmen – denn dort ist viel mehr Geld im Spiel. „In einigen Gliedkirchen werden sogar mehr als 30 % eingespart werden müssen“, gibt Simmer auf Nachfrage der Eule zu bedenken, weil deren Haushalte auch durch die gute Konjunktur der letzten Jahre viel stärker gewachsen sind als derjenige der EKD, „bei uns ist der Aufschwung gar nicht richtig angekommen“.
Streit ums Geld
Es wird also gestritten werden: Um einzelne Projekte wie das Zentrum für Frauen und Männer (s. #LaTdH vom vergangenen Sonntag), um inhaltliche und durchaus auch um regionale Schwerpunkte. So steht zum Beispiel die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte (EvAKiZ) an der LMU München zur Disposition, weil man in Zukunft Wissenschaft anders fördern will als durch Haushaltsmittel für konkrete Personalposten.
Auch die Reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek in Wittenberg will man gerne loswerden („Finanzierung auf andere Beine stellen“), ansonsten halte man aber an Wittenberg als einem „EKD-Standort“ fest, betont Simmer. Das sehe man auch daran, dass das Papier keine weiteren Vorschläge für Kürzungen in der Lutherstadt enthalte. Überhaupt habe der Osten, und hier noch einmal die starke regionale Bedeutung der Kirchenmusik, bei der Erstellung der Vorschläge große Beachtung erfahren. Gleichwohl gibt es hier natürlich auch ein wahnsinniges Gefälle, das niemals aufgeholt werden wird.
Missbrauchs-Aufarbeitung
Eine untergeordnete Rolle wird das Thema sexuelle Gewalt und deren Aufarbeitung auf der Synode spielen. Zwar wird der Beauftragtenrat seinen Bericht vorstellen (mehr und ausführlich dazu dann in der Eule), große Entwicklungen aber kündigen sich nicht an. Der neue Betroffenenbeirat (wir berichteten) wird auf der Synode nicht zugegen sein. Mit der „großen Besorgnis, die legitimen Bedürfnisse der Betroffenen in einer digitalen Sitzung nicht befriedigen zu können“, begründet Präses Schwaetzer ihre Nicht-Einladung.
Trotzdem bleibt das Thema für die evangelischen Kirchen und die EKD brandaktuell und es ist ein – vielleicht das größte – Ärgernis, dass zunächst durch die Verkürzung der Synode und nun durch die digitale Tagung dieses Thema unterzugehen droht. Dabei hat die EKD ihre Aufgaben in diesem Corona-Jahr seit der Synode 2019 nur unzureichend erfüllt, wichtige Vorhaben sind ins Stocken geraten. Derweil kündigt sich an der Spitze des Beauftragtenrates ein Wechsel an: Bischöfin Kirsten Fehrs (Hamburg / Nordkirche) könnte das Sprecherinnenamt nach zwei Jahren in dieser Funktion an ein anderes Mitglied des Gremiums weitergeben.
Personalien
Überhaupt stehen Personalfragen wieder einmal im Zentrum der Aufmerksamkeit, nachdem der EKD-Ratsvorsitzende, Heinrich Bedford-Strohm, unter der Woche wenig überraschend ankündigte, für eine zweite Amtszeit als Ratsvorsitzender nicht zur Verfügung zu stehen. Er will sich ab dem kommenden Jahr in seinen zwei verbleibenden Amtsjahren als bayerischer Landesbischof verstärkt seiner heimischen Landeskirche widmen, wo man, dem Vernehmen nach, seine Präsenz arg vermisst.
Anders als bei der Nachfolge für Präses Irmgard Schwaetzer, die sich schon irgendwie aus der im nächsten Jahr neugewählten Synode ergeben wird, kocht die Gerüchteküche über die Frage der Bedford-Strohm-Nachfolge über. Schwaetzer allerdings sorgt sich nicht, haben doch „sieben Gliedkirchen erst vor kurzem neue Leitende Geistliche gewählt“. Von denen sitzt allerdings bisher keine:r im Rat der EKD, in dem an möglichen Nachfolger:innen für den Ratsvorsitz sowieso Mangel besteht.
Gesucht wird ein:e profilierte:r Theolog:in (am besten eine Frau), die/der einer großen Landeskirche vorsteht, sich auf öffentliche Präsenz und kooperative Leitung versteht und – das ist auch in der Evangelischen Kirche wichtig – frei von Skandalen agiert. Alle möglichen Nachfolger:innen sind übrigens Mitte 50, ein Generationenwechsel fällt also aus. Die offizielle Suche nach Kandidat:innen für den neuen Rat startet erst nach dieser Synode, aber täte diese „im Fleische“ stattfinden, würde man auf den Gängen dazu schon einiges Unterhaltsames hören.
Kurz vor der Synode steht die Evangelische Kirche unter Strom. Und das nicht nur, weil die Synode über digitale Kanäle funkt. Die Eule wird dabei sein, wenn auch nicht vor Ort in Berlin, und im Vorfeld, während und nach der Tagung ausführlich berichten. Vom Anfang bis zum Ende – wenn der Stream es zulässt.