Kirchenasyl in Nordrhein-Westfalen gewaltsam beendet

Ein kurdisches Ehepaar wird von der Polizei aus dem Kirchenasyl bei der Evangelischen Kirchengemeinde Lobberich/Hinsbeck (Kreis Viersen) geholt. Dagegen protestiert auch die Evangelische Kirche im Rheinland.

Am frühen Montagmorgen dieser Woche wurden bei einer unangekündigten Hausdurchsuchung in den Räumen der Evangelischen Kirchengemeinde Lobberich/Hinsbeck zwei kurdische Eheleute (43 und 34 Jahre alt) festgenommen. Das Ehepaar hatte seit Mai diesen Jahres bei der Kirchgemeinde im Kirchenasyl gelebt. Eine gewaltsame Auflösung eines Kirchenasyls ist sehr selten und widerspricht den Verabredungen, die zwischen den Kirchen und staatlichen Behörden bestehen.

Die beiden Personen sollten offenbar vom Flughafen Düsseldorf aus abgeschoben werden. Die Bundespolizei hat diesen Abschiebeversuch allerdings aus medizinischen Gründen abgebrochen, wie aus einer Pressemitteilung des Ökumenischem Netzwerks Asyl in der Kirche in NRW und des Abschiebungsreportings NRW hervorgeht. Die beiden Personen befinden sich nun in Abschiebehaft in Darmstadt. Das Ehepaar soll aber weiterhin nach Polen überstellt werden, obwohl die beiden dort „bereits in einem geschlossenen Lager über einen längeren Zeitraum inhuman behandelt“ worden seien und „seitdem unter massivem psychischem Druck“ stünden.

„Ich bin erschüttert, wie die Ausländerbehörde der Stadt Viersen hier vorgegangen ist“, erklärte Pfarrerin Elke Langer von der Ev. Kirchengemeinde Lobberich/Hinsbeck: „Unsere Mitarbeiter:innen sind alle fassungslos. Wir haben das Kirchenasyl aus humanitären Gründen gewährt – ein solcher repressiver Abschiebungsversuch zweier traumatisierter Menschen ist ein Skandal.“ „In der Kirchengemeinde hatte das Ehepaar einen stabilisierenden Schutzraum, um sich eine Perspektive aufbauen zu können“, erklärt Benedikt Kern. Der Theologe und Mitarbeiter im Ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche NRW hatte das Kirchenasyl in Lobberrich/Hinsbeck begleitet: „Das Kirchenasyl sollte grundlegende Rechte des kurdischen Ehepaars schützen, wie eine adäquate psychosoziale Unterstützung, medizinische Versorgung und eine menschliche Unterbringung. Den Zugang hierzu hätten beide Personen nicht durch eine sogenannte Dublin-Überstellung nach Polen.“

Auch die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR), zu der die Kirchengemeinde gehört, kritisiert das Vorgehen der Ausländerbehörde scharf. In einem Protestbrief richtete sich Oberkirchenrätin Wibke Janssen, Leiterin der Abteilung Theologie und Ökumene im Landeskirchenamt der EKiR und Mitglied der Kirchenleitung, an den Landrat des Kreises Viersen, Andreas Coenen (CDU).

(Aktualisierung, 13.7.2023, 18:25 Uhr: Zuständig für die Auflösung des Kirchenasyls war nicht die Ausländerbehörde des Kreises Viersen, sondern der Stadt Viersen. Der Protestbrief wurde daher „inzwischen auch der für die städtische Ausländerbehörde zuständigen Bürgermeisterin Sabine Anemüller (SPD, Anm. d. Red.) zugeschickt“, teilt die EKiR mit.)

In ihrem Brief schreibt Oberkirchenrätin Janssen: „Die Art und Weise des Vorgehens der Ausländerbehörde ignoriert alle Vereinbarungen zwischen der Evangelischen Kirche und dem Land NRW.“ Es habe vor dem unangekündigten Bruch des Kirchenasyls keinerlei diesbezügliche Kommunikation mit der Kirchgemeinde gegeben, kritisiert Janssen. Auch habe die Behörde nicht versucht, eine andere Lösung für die Situation dieses Kirchenasyls mit den Verantwortlichen zu sondieren: „Genau das ist in konflikthaften Situationen aber bewährte Praxis und mit dem Land NRW so vereinbart“.

Kirchenasyl: Schutz in der Not

Kirchenasyl wird von Kirchengemeinden dann gewährt, wenn eine Abschiebung geflüchteter Menschen in konkrete Gefahrensituationen droht. Während der Zeit des Kirchenasyls wird den staatlichen Behörden die Möglichkeit gegeben, den Fall der Geflüchteten erneut und sorgfältig zu überprüfen. Ein Kirchenasyl wird darum immer den zuständigen Behörden gemeldet, ist (zumeist) öffentlich und gewaltfrei. „Das Kirchenasyl schafft Zeit für weitere Verhandlungen, für die Ausschöpfung aller Rechtsmittel und für eine sorgfältige Überprüfung des Schutzbegehrens“, informiert die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Asyl in der Kirche.

Kirchenasyl wird Menschen gewährt, die ohne Gefahr für Leib und Leben nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, und zunehmend auch Geflüchteten, die nach dem sog. Dublin-Verfahren in das europäische Land ausgewiesen werden sollen, in dem sie zuerst registriert wurden. Neben den 27 EU-Mitgliedstaaten wenden auch Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz die Dublin-Verordnung an. In manchen Vertragsstaaten drohen Geflüchteten widrige Unterbringung und Gewalt innerhalb des europäischen Flüchtlingssystems.

Der BAG Asyl in der Kirche sind gegenwärtig 425 aktive Kirchenasyle in Deutschland bekannt, in denen mindestens 685 Personen (ca. 156 davon Kinder), untergebracht sind. 413 der Kirchenasyle seien sogenannte Dublin-Fälle. Im Jahr 2023 wurden laut BAG Asyl in der Kirche bereits 232 Kirchenasyle beendet. Das Abschiebungsreporting NRW spricht von rund 140 laufenden Kirchenasylen in Nordrhein-Westfalen. Kirchenasyle können häufig erfolgreich beendet werden, weil die schutzsuchenden Menschen nach erneuter Bewertung ihrer Fälle doch ein Bleiberecht oder eine Duldung erhalten oder sie doch als Flüchtlinge anerkannt werden.

Im Zuge der Verschärfungen der Flüchtlings- und Migrationspolitik seit 2015 wird auch das Kirchenasyl zunehmend angegriffen und von konservativen und rechten Politikern als „Rechtsbruch“ defamiert. Dabei kann der Staat selbstverständlich jederzeit auch aus einem Kirchenasyl heraus abschieben, denn die Asyl gewährenden Kirchgemeinden nehmen kein Sonderrecht für sich in Anspruch. Gleichwohl halten sich die Ausländerbehörden und die Polizei hier üblicherweise sehr zurück und es gibt sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene Absprachen zwischen Staat und Kirchen, wie kooperativ mit Kirchenasylen umgegangen werden kann.

„Abschiebungen um jeden Preis“

„Bei allen unterschiedlichen Einschätzungen von Kirchenasylen erwarten wir von den Behörden das Einhalten der vereinbarten Kommunikationswege“, erklärt darum Oberkirchenrätin Wibke Janssen von der EKiR. In ihrem Brief bittet sie darum, dass die Ausländerbehörde zu einer „vertrauensvolleren Zusammenarbeit“ zurückkehre: „Auf verlässliche Kommunikation zu setzen, ist der Tenor aller Verabredungen zum Kirchenasyl auf Bundesebene mit dem Bundesministerium des Inneren und dem BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Anm. d. Red.) sowie auf Landesebene mit der Landesregierung.“

Sebastian Rose vom Abschiebungsreporting NRW wird in seiner Einordnung des Kirchenasyl-Abbruchs grundsätzlicher: „Es ist offensichtlich, dass hier Abschiebungen um jeden Preis durchgeführt werden.“ Die Behörden schöpften ihre Ermessensspielräume nicht aus, ein solches Vorgehen dürfe es in Nordrhein-Westfalen nicht geben: „Das Kirchenasyl muss als ein wichtiger Akt der Humanität respektiert werden.“


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