Kirchenland in Bauernhand
Entdeckt die Kirche die Landwirtschaft als zentrales Thema wieder? Auf dem Kirchentag in Nürnberg wurde eine Resolution zur Verpachtung von Kirchenland verabschiedet.
Beim Kirchentag in Nürnberg ging es – nicht nur für Markus Söder – um die Wurst. Mit seinem Bekenntnis zur fränkischen Bratwurst orientierte sich der bayerische Ministerpräsident weniger am Angebot der örtlichen Imbissstände als an der Kampagne des Bayerischen Bauernverbandes und der Fleischer-Innung Mittelfranken-Mitte: Die lokale Interessensvertretung der Metzger:innen beklagte die „Bevormundung des mündigen Kirchentagsbesuchers“, beteiligte sich nicht am „Handwerker-Gottesdienst“ der Arbeitsgemeinschaft Handwerk und Kirche und wetterte schließlich, dass eine „ideologisch getriebene Kirchengemeinschaft […] mit Christentum nichts mehr zu tun“ habe.
Verglichen damit fiel Söders Frotzelei über die vegetarischen Angebote fast schon liebevoll aus – und lenkte etwas Aufmerksamkeit auf die Bemühungen des Kirchentages, das zentrale Thema des Klima- und Umweltschutzes nicht allein theologisch, sondern auch praktisch-kulinarisch zu bearbeiten.
Glücklicherweise ging es in den gelungeneren Gesprächsformaten zwischen Landwirt:innen und Kirche weniger lautstark zu: Ein fränkischer Biobauer berichtete von seiner Arbeit, eine Landwirtin diskutierte in einem halbwegs prominent besetzten Panel zur Frage „Wie hältst du es mit der Nachhaltigkeit?“ und verschiedene landwirtschaftliche Akteur:innen erläuterten den Zusammenhang zwischen gesunder Ernährung und nachhaltigem Umweltschutz. Denn natürlich sorgen sich Landwirt:innen berufsbedingt ebenfalls um das Klima, um die ausufernde Versiegelung von Bodenflächen durch Industrie und Autobahnen oder um ungerechte globale Handelspolitiken. Solche Fragen gehören zur DNA des Kirchentages. Schade, dass die Ohren Markus Söders solche Zwischentöne nicht hören können.
Klimagerechter Umgang mit Kirchenland
Doch auch aufmerksamen Ohren kann leicht entgehen, dass auf dem Nürnberger Kirchentag eine Resolution verabschiedet wurde, die das Verhältnis von Evangelischer Kirche und Landwirtschaft betrifft: „Schöpfung bewahren – Kirchenland gemeinwohlorientiert verpachten“ fordert ein Bündnis zwischen der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und dem Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) der Nordkirche.
Als Adressatin dieser Resolution eignen sich die EKD und ihre Gliedkirchen deshalb, weil sich rund 325.000 Hektar Agrarland in Kirchenbesitz befinden – immerhin knapp zwei Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland. Die Kirchen sitzen durch die Vergabe der Pacht somit an einem Hebel mit nicht zu unterschätzender Wirkungskraft: Wie und von wem wird dieses Land bewirtschaftet und gepflegt?
Der Antrag sieht vor, dass die zuständigen Gremien – meist der örtliche Kirchengemeinderat – sich bei der Landvergabe zukünftig von verschiedenen Kriterien leiten lassen. Dazu gehören neben ökologischen Zielsetzungen auch soziale Aspekte, beispielsweise die Bevorzugung von Junglandwirt:innen und Existenzgründer:innen, oder von landwirtschaftlichen Betrieben, die lokal eingebunden sind durch die direkte Vermarktung ihrer Erzeugnisse, Bildungsangebote oder soziale Leistungen für den ländlichen Sozialraum. Im Idealfall tragen die Kirchen so nicht nur zu einer ökologischeren Landwirtschaft, sondern auch zur Qualität dörflicher Gemeinwesen bei.
Anschauliche Beispiele gibt es bereits zuhauf, sie reichen von gelungenen Kooperationen einzelner Kirchengemeinden mit Solidarischen Landwirtschaftsprojekten bis zu den Leitlinien für die Landvergabe der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Auch damals ergriff die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft die Initiative, die nun ihr Konzept der Gemeinwohlverpachtung nicht nur in allen Gliedkirchen der EKD, sondern auch für jegliches Ackerland in öffentlicher Hand umgesetzt sehen möchte.
Am umfangreichsten beschäftigte sich bisher die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) mit ihren „Bodenschätzen“, weshalb die Resolution des diesjährigen Kirchentages auf den im Jahr 2017 veröffentlichten Kriterienkatalog dieser Landeskirche Bezug nimmt. Denn anders als es der trockene Titel („Leitfaden zum Umgang mit landwirtschaftlichen Flächen und deren Verpachtung“) vermuten lässt, beinhaltet die hessisch-nassauische Handreichung für Kirchengemeinderät:innen auch Ideen für die kirchliche Bildungsarbeit, praktische Anregungen für den Gemeindealltag und setzt sich mit den sozialen Folgen des landwirtschaftlichen Strukturwandels auseinander.
„Kirchliches Handeln sollte im Bereich der Landverpachtung eine Vorbildfunktion haben – u. a. aus Gründen der Schöpfungsverantwortung. Ein gerechter Umgang mit dem anvertrauten Land und die Wiederentdeckung als wichtiges Thema für die gemeindliche und übergemeindliche Bildungsarbeit gehören unbedingt dazu“ (EKHN 2017 im Vorwort des Leitfades zur Landverpachtung)
Acker an Acker, bis kein Platz mehr da ist?
Ist eine Wiederentdeckung der Landwirtschaft als wichtiges Thema für die Kirche notwendig? Mit dem Strukturwandel seit der Nachkriegszeit verringerte sich die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe von rund 1,8 Millionen im Jahr 1949 auf nur noch gut 260.000 – ein Rückgang um über 85 Prozent. Die drastischen Folgen für die kirchliche Arbeit im ländlichen Raum durch die damit zusammenhängende Migration vom Land in die Städte können nur schwer ermessen werden und sind bislang kaum wissenschaftlich erforscht.
Höchstens wird die Landflucht – wenn überhaupt – religionssoziologisch als Folge von gesellschaftlicher Modernisierung, funktionaler Ausdifferenzierung und Individualisierung beschrieben. Detlef Pollack folgt also eher dem Theoriegeländer seiner Disziplin als den Ergebnissen empirischer Forschung, wenn er schreibt, dass „aufgrund der zunehmenden regionalen Mobilität der Bevölkerung die Bedeutung von Nachbarschaft, Kommune und Gemeinschaft zurückgeht“ und „die gewachsenen konfessionellen Milieus abschmelzen“ (Pollack 2013: 322). Differenzierter untersuchte ab den 1960er-Jahren Pierre Bourdieu den Zusammenhang zwischen den ökonomischen Ursachen des ländlichen Strukturwandels und dessen sozialen Folgen (Wertewandel, neue Rollenbilder, Ehelosigkeit).
Der „Niedergang der bäuerlichen Gesellschaft“ (Bourdieu 2008) ging mit einer stetigen Zunahme der durchschnittlichen Betriebsgröße einher: Von 14 Hektar im Jahr 1949 stieg diese auf 68,6 Hektar im Jahr 2020. Das dies langfristig auch zu ökologischen Verwerfungen führt, zeigt sich spätestens seit den 2010er Jahren in aller Deutlichkeit: Die historische Dürre von 2018 bis 2020 führte die Anfälligkeit großer, monokultureller Ackerflächen vor Augen. Der niedrige Humusgehalt in den ausgelaugten Böden verschärft das Problem der Erosion durch Wind und durch die häufiger werdenden Starkregen. Fehlende Heckenstreifen, wachsende Zersiedelung und übermäßiger Pestizideinsatz beschleunigen das Artensterben. Anders gesagt: Die Feldhamster sterben aus. Fruchtbares Land wird weggeschwemmt. Pflanzen vertrocknen, wo Bäume keinen Schatten mehr spenden.
Freilich kann die Kirche diese Prozesse weder umkehren noch aufhalten, indem sie ihren Grundbesitz zukünftig ausschließlich an ökologische Hofgemeinschaften, soziale Landwirtschaftsprojekte der Diakonie oder traditionellere lokale Erzeuger verpachtet. Dennoch zeugen die Resolution des Kirchentages, die landeskirchlichen Leitlinien und die unzähligen örtlichen Initiativen von einer wiederentdeckten Einsicht in den Zusammenhang zwischen sozialer und ökologischer Gerechtigkeit; zwischen einer guten Verteilung des Landes und der darauf wachsenden Lebensmitteln; zwischen dem wertschätzenden Umgang mit den Tieren und dem wertschätzenden Umgang mit Landarbeiter:innen.
Themen also, die auch auf eine Neu- und Wiederentdeckung durch die Theologie warten – nicht zuletzt, weil sie sich durch die biblisch überlieferte Geschichte des Volkes Israel ziehen.
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