Markus Söders Kreuz mit den Würstchen

Kein Fleisch auf dem Kirchentag? Während seiner Bibelarbeit auf dem Kirchentag in Nürnberg irritiert der bayerische Ministerpräsident Markus Söder mit Bekenntnissen zu Kreuz und Bratwürsten. Eine Intervention.

Die Halle 4A der Messe Nürnberg ist zur Bibelarbeit des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) mit 4.000 Personen voll. Gerade so knapp nicht „überfüllt“, wie es auf den Schildern der Helfer:innen heißt, wenn ein weiterer Zutritt zu den Messehallen, Kirchen oder Plätzen des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentages vom 7.-11. Juni in Nürnberg und Fürth nicht mehr gestattet war, was trotz gesunkener Gesamtteilnehmer:innenzahl sehr häufig vorkam.

Söder ist ein demokratischer Populist, der Säle für sich einnehmen kann – auch wenn es kein Freibier gibt. Auf dem Kirchentag in seiner fränkischen Heimat genügte es außerdem zu betonen, er selbst sei ja evangelisch und daher sowieso mit von der Partie. Söder und sein Parteikollege im Amt des Nürnberger Oberbürgermeisters, Marcus König (katholisch), der übrigens mehrere Dutzend Veranstaltungen des Kirchentages besuchte, haben ihre Rolle als Gastgeber emphatisch ausgefüllt: Werbung für Stadt und Land zu machen, ist einer der Gründe, eine Großveranstaltung wie den Kirchentag überhaupt auszurichten. Eben darum beteiligten sich die Stadt mit 3 Millionen Euro (+ bis zu 1 Million Sachkosten) und der Freistaat mit 5,5 Millionen Euro am Gesamtbudget des Kirchentages von 20,5 Millionen Euro.

Auf zwei von Söders Aussagen während der Bibelarbeit lohnt es sich doch noch einmal einzugehen. Für beide Positionierungen erhielt er von den Teilnehmer:innen seiner Bibelarbeit übrigens herzlichen Applaus. Der Blick zurück lohnt auch deshalb, weil seine Einlassungen zum Fleischkonsum auf dem Kirchentag immer wieder in den Nachrichten auftauchten – ja, zu einem der nicht gerade wenigen Fehlinformationsgeschehen rund um den Kirchentag beitrugen.

Söders Kreuzerlass

Zunächst einmal sprach Söder sich dafür aus, das Kreuz als christliches Symbol offensiv in der Öffentlichkeit zu zeigen. Als ob irgendwer von Rang und Namen gefordert hätte, Christ:innen dürften sich nicht auch durch das Tragen eines religiösen Symbols zu ihrem Glauben in der Öffentlichkeit bekennen. Was den Applaudierenden vielleicht nicht präsent war: Söder meinte damit nicht allein Kirchentagschals und Kreuz-Kettchen, sondern auch Kreuze in staatlichen Foyers und Amtsstuben sowie Gerichtssälen. Scheinbar ist Söders Kreuzerlass von 2018, obwohl das ja erst fünf Jahre her ist, in Vergessenheit geraten. Damals kritisierten u.a. Beatrice von Weizsäcker, Jörg Alt und Burkhard Hose Söder scharf. Hose sagte im Eule-Interview:

„Erhebt eure Stimmen und nehmt das nicht einfach so hin! Wir wollen ein Stopp-Signal setzen, weil wir erleben, z.B. beim Kreuz-Erlass, dass religiöse Themen immer häufiger politisch verzweckt werden. Wir wollen nicht mehr zuschauen, wenn das Kreuz als Abwehrwaffe gegen Muslime und Zuwanderer missbraucht wird.“

Ich hätte gedacht, dass eine solche Haltung eher auf der Linie der Kirchentagsteilnehmer:innenschaft liegt. Nicht der einzige Moment auf dem Nürnberger Kirchentag, an dem eine konservative Verschiebung spürbar wurde. Kreuze in staatlichen Einrichtungen und vor allem Gerichtssälen sind aber in einer Gesellschaft ein Problem, in der Bürger:innen mit gleichem Recht auch Kippa und Hidschāb tragen dürfen. Na, vielleicht hat Söder sich diesen Applaus auch durch die Unbestimmtheit seines fränkisch-fröhlichen Vortrags ermogelt.

Söders Würstchen-Mogelei

Wo wir schon beim Mogeln sind: Applaus erhielt Söder auch für sein Bekenntnis zur Nürnberger Bratwurst, die es ja leider auf dem Kirchentag nicht gäbe. Keine 100 Meter von seiner morgendlichen Kanzel entfernt konnte man an einem Messe-Imbiss aber selbstverständlich „3 im Weggla“ kaufen (direkt hinter dem Gebäude, in dem sich auch Halle 4A befindet). Im Übrigen sind drei Mini-Bratwürstchen aus der Fabrik in einem trockenen Brötchen für 4 Euro einfach auch nicht der Burner, den Söder meint anpreisen zu müssen. Viel besser schmeckten Bratwürste und andere Gerichte mit und ohne Fleisch überall in der Stadt, wo sich die Kirchentagsteilnehmer:innen vor allem in den Abendstunden versorgten.

Söder bezog sich mit seinem Bekenntnis zur Wurst während der Bibelarbeit natürlich auf Meldungen in der Presse über das fleischlose Frühstück in den Gemeinschaftsunterkünften und über das „Gläserne Restaurant“ des Kirchentages in Halle 4. Halle 4 und 4A? Genau! Die Bio-Küche des Kirchentages befindet sich ebenfalls in Rufnähe von Söders Bibelarbeitsvenue. Gekocht wurde dort übrigens mit Zutaten aus der Region und aus fairem Handel – und ja, es gab kein Fleisch. Dafür aber zum Beispiel „Bayerischen Reis aus Urgetreidemix, mit Spargel, Rhabarber und Bergkäse“. Ich habe dort im Verlauf des Kirchentages leider nicht gegessen. Die Schlangen von Hungrigen waren dort – wie an allen Imbissen auf dem Messegelände – immer zu lang, als dass ich mir die Zeit einräumen konnte. Übrigens auch für Familien mit Kindern und ältere Besucher:innen eine sichtbare Tortur – wenn man denn hinschaute.

Dass es im „Gläsernen Restaurant“ kein Fleisch gab, hat dem Andrang während der drei Messetage keinen Abbruch getan. Auch Beschwerden über das fleischlose Frühstück habe ich nicht gehört. Und ich habe bei den vor allem jungen Menschen nachgefragt, die überhaupt noch in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind. Bekanntlich enthalten Schokocreme und Honig ja auch kein Fleisch.

Nun kann Söder ja meinetwegen über Würstchen scherzen wie er lustig ist, aber bei den Fakten könnte er schon bleiben. Allzumal, weil das Essen auch ein sehr ernstes Thema ist. In unserem Land werden tagein, tagaus Millionen von Menschen in Kindergärten, Schulen, Universitäten, Krankenhäusern, in der stationären und ambulanten Pflege, auch in Kirchenämtern, Behörden und Ministerien mit Kantinenessen versorgt. Dazu kommen gut 10 % der Werktätigen, die mehrmals in der Woche in ihrem Betriebsrestaurant essen. Deutschland wird in der Mensa satt.

Das bedeutet auch: Der Klimaschutz beim Essen hat im Mensa- und Kantinenessen einen riesigen Hebel. Und genau damit befassten sich während des Kirchentages 60 Küchenmitarbeiter:innen während ihrer Live-Fortbildung im „Gläsernen Restaurant“. Dort erprobten sie an den täglich rund 1.000 Gästen, ob und wie sie die Hungrigen „nur mit saisonalen, regionalen, ökologisch angebauten und fair gehandelten Lebensmitteln versorgen können“. Da nun wirklich alle Kantinen, Mensen und Betriebsrestaurants vor der Herausforderung stehen, unter starkem Kostendruck (s. Inflation) nachhaltig und klimaverträglich und lecker zu kochen, keine schlechte Idee, oder?

Söder meint, darüber nur scheinbar harmlose Witzchen machen zu können. Am darauffolgenden Tag hat er in Erding erleben können, wohin die grassierende Unernsthafigkeit und Faktenschwäche von Demokrat:innen auch führt: Dann übernehmen nämlich Trumpisten wie der stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und die rechtsradikale AfD, die von Diskursverschiebungen wie solchen allein profitieren. Applaus, Applaus.


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Bisher zum Kirchentag 2023 in der Eule erschienen:


Dieser Artikel ist eine erweiterte Fassung eines „Splitter“ vom Kirchentag 2023.