Laienhaft – Die #LaTdH vom 22. November

Welche Rolle spielen die Laien bei der Aufarbeitung des Missbrauchs? Außerdem: Kölner Desaster finden kein Ende, Pastor Latzel vor Gericht und eine Verteidigung der Religion.

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In den „Links am Tag des Herrn“ stellen unsere Autor:innen die wichtigen Kirchennachrichten der Woche zusammen, kommentieren diese kritisch und ordnen sie in den größeren Zusammenhang ein. Aus vielen positiven Rückmeldungen wissen wir, dass die #LaTdH für viele engagierte Christ:innen zur unverzichtbaren Lektüre geworden sind. Damit die Eule und die „Links am Tag des Herrn“ auch in Zukunft für alle Leser:innen frei zugänglich bleiben, brauchen wir Eure Unterstützung!

Eure Eule-Redaktion
Eva Kramer-Well, Max Melzer und Philipp Greifenstein


Debatte

Erst letzte Woche ging es in den #LaTdH um den ziemlich stillen Zuschauerraum beim Thema Missbrauch, den u.a. Christiane Florin (@christianeflori) diagnostiziert. Wo stehen die Laien in diesem Katholischen Desaster? Freitag und Samstag fand die erste digitale Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK, @zdkonline) statt – und auch sonst brodelt es ordentlich.

Was heißt hier Aufarbeitung? – Daniel Deckers und Thomas Jansen (FAZ)

In der FAZ schreiben Daniel Deckers und Thomas Jansen über die Vollversammlung, das Ringen um eine Erklärung derselben zur Missbrauchs-Aufarbeitung und den Streit um den bisherigen Geistlichen Assistenten des ZdK, den unter Vertuschungsverdacht stehenden Hamburger Erzbischof Stefan Heße.

Das ist bestes Synodentheater, das nur deshalb ein wenig an Dramatik verliert, weil es den Bischöfen gepflegt egal sein darf, was das ZdK auf seiner Vollversammlung so beschließt. Heße lässt sein Amt als Geistlicher Assistent jetzt ruhen. Ob er als Erzbischof Hamburgs bleiben kann, soll seinem Wunsch nach der Vatikan entscheiden. Bei der Geschwindigkeit, mit der man in Rom arbeitet, bleibt uns das Thema also noch eine Weile erhalten.

Vom Erwachen des ZdK auf der Vollversammlung weiß Annette Zoch in der Süddeutschen Zeitung zu berichten:

So chaotisch zeitweise während der rein digital stattfindenden Sitzung die Abstimmung über den Antrag verlief, so leidenschaftlich war vorher die Debatte: Bislang sei das Thema sexualisierte Gewalt von Laien lieber verdrängt worden, sagte Tim-O. Kurzbach vom Diözesanrat im Erzbistum Köln. In der nun verabschiedeten Erklärung heißt es selbstkritisch, man habe nicht genug hingeschaut: „Wir bekennen, dass auch wir das Leid der Betroffenen oft nicht an uns herangelassen haben und diesbezüglich noch Lernende sind.“ Das ZdK habe auch einen Kontrollauftrag, sagte Claudia Nothelle. „Wir müssen immer wieder den Finger in die Wunde legen.“

Hamburger Erzbischof nach Vorwürfen in der Defensive – Florian Breitmeier (NDR)

Für den NDR kommentiert Florian Breitmeier (@breitmeierf) die Vorgänge und rückt sie in den größeren Kontext:

Der Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt ist für die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche das zentrale Thema. Wenn sie hier scheitert, Betroffene hinhält, billig abspeist, für eigene Zwecke instrumentalisiert, Gutachten unter Verschluss hält, sich juristisch mit sich selbst beschäftigt, dann scheitert die Kirche als Institution insgesamt. Dann kann die katholische Kirche mit Blick auf ihre Glaubwürdigkeit einpacken.

Dann endet auch der Synodale Weg, bevor er richtig begonnen hat. Der Reformprozess, den die Deutsche Bischofskonferenz als Reaktion auf den Missbrauchsskandal gemeinsam mit den Laien ins Leben gerufen hat. Aber ruhende Ehrenämter und folgenlose Schuldbekenntnisse werden nicht ausreichen, wenn nach wie vor so viele Fragen im Raum stehen: in Hamburg, in Köln und andernorts.

Die Gründe für die zögerliche Kritik des ZdK-Vorsitzenden Thomas Sternberg an den Bischöfen und überhaupt des ohnehin vorsichtigen Umgangs miteinander in den Bistümern muss man gar nicht erst in persönlichen Beziehungen oder Ansichten der Protagonist:innen suchen, wie es der FAZ-Aufschlag insinuiert.

Es reicht völlig, darum zu wissen, dass Wohl und Wehe des „Synodalen Weges“ in der Hand der Bischöfe liegt, die zukünftige Beschlüsse dieses Reformprozesses umsetzen müssen. Sonst hat man viele Jahre umsonst beraten. Und auch ein Blick in die Finanzen des ZdK ist erhellend: 2,45 Millionen Euro, das sind 91,57 % des ZdK-Haushaltes, erhält die Laien-Vertretung vom Verband der Diözesen Deutschlands (VDD), also den (Erz-)Bistümern.

Auf einen weiteren Grund für das „Schweigen der Lämmer“, nämlich die eigene Mitschuld in Vergangenheit und Gegenwart, die Worte versiegen lässt, weist der Münstersche Kirchenrechtler Thomas Schüller (@tschueller61) bei feinschwarz.net hin:

Das Volk Gottes hat sich unwissentlich oder wissentlich mitschuldig gemacht durch Verschweigen, Wegducken und Ignorieren dessen, was doch oft so offenkundig war, dass es jede und jeder wusste.

Billige Macht statt Souveränität – Markus Nolte (Kirche + Leben)

Doch sollte man sicher der Illusion nicht hingeben, die – wie es katholisch heißt – Laien oder Schafe würden nicht längst Stellung beziehen. In seinem lesenswerten Kommentar zur Gesamtlage (s.u.) der katholischen Kirche entwirft Markus Nolte, Chef von Kirche + Leben, eine Prognose, die längst Realität ist:

Was sich hier zeigt, ist billige Macht, die gleichwohl viele teuer zu stehen kommt. Nämlich die Kirche selbst in jenen, die sich mal wieder enttäuscht und getäuscht sehen nach dem Motto: Über Macht, Machtmissbrauch und Machtverzicht reden können wir ja – aber zu mehr lassen wir uns nicht herab. Dabei ist längst klar: Unsouveräne Machthaber werden leicht und folgenschwer entmachtet – von jenen, die sie ganz souverän einfach allein lassen.

Völlig aus der Zeit gefallen wirkt da ein Kommentar wie der von Wolfgang Picken, Stadtdechant in Bonn und Sprachrohr des Erzbistums Köln auf dem „Synodalen Weg“, im Domradio. In Sprache, Haltung und Winkelzügen wird deutlich: Die Zeichen der Zeit scheinen in Köln nicht erkannt zu werden.

Was für das ZdK gilt, gilt auch für die zahlreichen Synoden der evangelischen Landeskirchen, die sich in diesen Wochen zu ihren ersten digitalen Tagungen treffen. Auch die evangelischen Christ:innen müssen sich mit dem Scheitern ihrer Kirche bei der Aufarbeitung befassen, soll es wirklich voran gehen. Auf den diesjährigen Tagungen spielt das Thema – alles nur wegen der Digitalisierung aufgrund Corona? – kaum eine Rolle.

nachgefasst

„Wir müssen in den Abgrund schauen“ – Interview von Georg Löwisch und Raoul Löbbert mit Franz-Josef Overbeck (Christ & Welt)

Auch in dieser Woche beschäftigen sich Georg Löwisch (@georgloewisch) und Raoul Löbbert (@RaoulLoebbert) in der Christ & Welt wieder mit der Missbrauchs-Krise, u.a. mit einem Interview mit „Ruhrbischof“ Franz-Josef Overbeck aus Essen. Der schlägt, anders als sein Hamburger Amtsbruder vor ein paar Wochen an gleicher Stelle, neue Töne an:

Overbeck: Ich habe die Verantwortung am Anfang meiner Zeit als Bischof nicht richtig wahrgenommen. Ich hätte die Unterlagen lesen müssen, um dann Konsequenzen daraus zu ziehen. Deshalb ja: Ich habe Schuld auf mich geladen.

Frage: Hamburgs Erzbischof Stefan Heße meinte letztens im C&W-Interview, er trage als ehemaliger Personalchef und Generalvikar Verantwortung, aber keine Schuld. Auch Sie haben das Wort „Verantwortung“ in diesem Gespräch öfter verwendet. Unterscheiden Sie diese Begriffe?

Overbeck: Nur wenn ich meine Schuld eingestehe, übernehme ich wirklich Verantwortung.

Katholische Studierendengemeinde Köln wird eingenordet

Bleiben wir noch in Köln: Dort hat sich das Generalvikariat der örtlichen Studierendengemeinde „angenommen“. Begleiterscheinung dessen war die Entfernung eines – eigentlich verjährten – Positionspapiers der Gemeinde von deren Website (die darauf hin nicht erreichbar war). Sowas geht im digitalen Zeitalter nicht, ohne Aufmerksamkeit zu erwecken. Es berichtete u.a. der Kölner Stadt-Anzeiger. Das Positionspapier zu Macht und Sex – zwei Themen auch des „Synodalen Weges“ immerhin – wurde derweil von der Evangelischen Studierendengemeinde in Solidarität auf ihrer Website veröffentlicht.

Auf die verlinkt dann sogar katholisch.de, das offizielle katholische Nachrichtenportal, und listet eine Reihe von Organisationen auf, die sich mit den Kölner Studierendenseelsorger:innen solidarisieren. Vielleicht darf man an dieser Stelle nochmals daran erinnern, dass das Kölner Erzbistum unter allen Bistümern mit Abstand die meisten Mitarbeiter:innen für die „strategische Kommunikation“ beschäftigt.

„Politischer Islam“

Wir irreführend die Verwendung dieses Schlagwortes ist, habe ich bereits in der Eule geschrieben. Fabian Goldmann (@goldi) empfiehlt nun, Autor:innen, Politiker:innen und Journalist:innen, die derart vom Islam sprechen, als Verschwörungstheoretiker:innen zu bezeichnen.

Im Zentrum der angeblichen Islam-Verschwörung: Eine kleine Clique größtenteils ehrenamtliche Verbandsfunktionäre. Die sind in der echten Welt zwar schon damit überfordert, zeitnah nichtssagende Pressemitteilungen zum gerade anstehenden Shitstorm zu veröffentlichen. Doch in der Wahnwelt der „Kritiker des Politischen Islams“ stehen sie kurz vor der Machtübernahme.

Was dem Osmanen-Heer vor Wien und den Terrorbrigaden des IS noch verwehrt blieb, drohen einige islamische Vereinsvorstände mit Konferenzteilnahmen, Pressemitteilungen und interreligiösen Arbeitskreisen zu erreichen. Partner in Crime wie bei jeder Verschwörung: Die Naivität der Mehrheitsgesellschaft, die „die größte Herausforderung unserer Zeit“ (CSU) einfach nicht erkennen will und nur von einer Handvoll Truther vor dem Untergang bewahrt wird.

In der Schweizerischen Republik gibt es derweil ein sehr interessantes Interview von Daniel Binswanger (@DBinswanger) mit dem französischen Islamismus­experten Olivier Roy zu lesen. Fazit dort:

Frage: Sie glauben also, man muss der Religiosität – ganz besonders der islamischen – mehr Raum geben.

Roy: Die Reaktion des französischen Staats auf den Terrorismus besteht darin, zu sagen: Es gibt zu viel Religion. Das ist ein schwerer Fehler. Die Wahrheit ist: Es gibt zu wenig Religion, zu wenig Raum für Religiosität in unseren Gesellschaften. Das fördert die Gewalt.

Buntes

Aus für eine kirchliche Parallelgesellschaft – Christoph Renzikowski (KNA, Domradio)

Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, hat die Integrierte Gemeinde aufgelöst. Die geistliche Gemeinschaft war durch einige Skandale hervorgetreten. Den kompletten Bericht des Erzbistums findet man hier.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hatte die KIG in seiner Zeit als Münchner Erzbischof 1978 kirchlich anerkannt und galt seither als ihr wichtigster Protektor. Auch er scheint dieser Faszination lange erlegen zu sein. Erst vor wenigen Wochen ging er öffentlich auf Distanz zu der Gruppe, erklärte, er sei wohl über manches in ihrem Innenleben nicht informiert oder gar getäuscht worden. Was er nicht dementierte: Dass auch ihm die Vorwürfe aus den Reihen Ehemaliger offenbar lange bekannt waren.

Ausländerfeindlichkeit sinkt, aber neue Radikalität – Leipziger Autoritarismus-Studie (Universität Leipzig)

Die neue Leipziger Autoritarismus-Studie gibt Auskunft über den Stand des „Extremismus der Mitte“ im Lande. Viel Neues ist nicht dabei, aber das braucht es nicht, sind doch die Herausforderungen, die sich aus den Forschungen immer wieder aufs Neue ergeben, noch nicht bearbeitet.

Rund 26 Prozent der Befragten halten die Bundesrepublik „durch Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ – ein Minus von zehn Prozentpunkten. Während der Anteil verfestigt rechtsextrem eingestellter Personen in Westdeutschland weiter sank (auf drei Prozent), stieg er in Ostdeutschland nochmals an. Fast jeder Zehnte dort Befragte hat ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild.

Pfarrer Olaf Latzel wegen Volksverhetzung vor Gericht – Mechthild Klein (Deutschlandfunk)

In Bremen hat der Prozess wegen Volksverhetzung gegen Pastor Olaf Latzel aus der Bremischen Landeskirche begonnen. Über den Fall berichtet zu diesem Anlass Mechthild Klein (@mechthild_klein) im Deutschlandfunk:

Dieser Konflikt erhält so viel Aufmerksamkeit, weil die Bremer St. Martini-Gemeinde keine Freikirche ist, sondern Teil der Bremischen Evangelischen Landeskirche – also Teil der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). […] Das kirchliche Disziplinarverfahren der Landeskirche ist während der Verfahrensdauer vor Gericht ausgesetzt. Und selbst wenn Pastor Latzel wegen Volksverhetzung verurteilt würde, er hätte nicht viel zu befürchten, er könnte in seiner Kirche wohl weitermachen wie bisher.

Theologie

‚Glücklich ist, wer vergißt…‘? Warum theologische Vergesslichkeit zum strategischen Instrument kirchlicher Debatten wird – Johanna Rahner (feinschwarz.net)

Im Theologischen Feuilleton feinschwarz.net schreibt die Theologin Johanna Rahner, Professorin für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen, über die Vergesslichkeit gegenüber kirchlichen Traditionsbeständen, die die Pluralität von Überzeugungen und Deutungen einebnet.

Die Kirche sei keine Demokratie, so hört man heute allenthalben, weil das Mehrheitsprinzip dem Wahrheitsprinzip entgegenstünde und so dem Wesen der Kirche widerspräche. Diese (falsche) Alternative verstellt indes den Blick auf das theologisch Entscheidende. Spiegelt sich in der Ablehnung des Demokratiegedankens nicht vielmehr ein elitäres Bewusstsein, das die Wahrheit eher bei den wenigen sucht, und dabei die egalisierende Dimension der Pneumatologie als Strukturprinzip von Kirche theologisch vernachlässigt bzw. machtstrategisch rigoros ‚vergisst‘, ja verdrängt?

Sind die zentralen Wesensbestimmungen von Kirche in ihrem Grundsatz wirklich so wenig anschlussfähig an demokratische Prinzipien, wie dies von manchen behauptet wird? Oder ist dies nicht vielmehr das Ergebnis verdrängter Alternativen? ‚Glücklich ist, wer vergißt…‘?

Ein guter Satz