Missbrauch hoch 2 – Die #LaTdH vom 16. September

Mit dem Missbrauch in der katholischen Kirche wird Politik gemacht. Außerdem: Erweiterte Widersprüche, perfekte Geschenke und eine frisches Jahreslosungsmotiv.

Debatte

Die vorfristige Veröffentlichung der wichtigsten Zahlen aus dem Bericht über Missbrauchsfälle in der röm.-kath. Kirche in Deutschland bestimmt die Kirchennachrichten. Die Wochenzeitung Die Zeit war am Mittwoch mit den Erkenntissen aus dem von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in Auftrag gegebenen Dokument an die Öffentlichkeit gegangen.

Die DBK bedauerte dieses Leak und führte mit einer einzigen, kurzen Pressemitteilung vor, worin das zentrale Problem der Kirche im Umgang mit Missbrauchsfällen besteht: Statt über den Fakt der ungelegenen Veröffentlichung souverän hinweg zu gehen und sich in einem Statement ganz den Opfern und Tätern zu widmen, beginnt die Mitteilung so:

„Ich bedauere, dass die bisher vertraulich gebliebene Studie und somit das Ergebnis vierjähriger Forschungsarbeit zur Thematik ‚Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz‘ […] heute durch Medien veröffentlicht worden ist. Der Vorgang ist umso ärgerlicher, als bislang noch nicht einmal den Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz die Gesamtstudie bekannt ist.

Ja, die Bischöfe haben die Kontrolle über das Verfahren verloren. Nun ist doppelt dokumentiert, was schon die bekannt gewordenen Zahlen belegen: Die Bischöfe haben ihre Kirche nicht unter Kontrolle. Entweder das, oder sie dulden den Missbrauch. Wer Macht behauptet, der muss Verantwortung übernehmen; wer sich ohnmächtig präsentiert, muss nicht leichtfertig aus ihr entlassen werden. Die Missbrauchsskandale der Kirche stellen die Machtfrage.

BDKJ-Chefin: „Männerbünde“ in der Kirche aufbrechen (katholisch.de)

In die Krise der Kirche hinein formuliert vor allem der Bund der deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) Ideen für eine Kirchenreform mit Hand und Fuß. Die BDKJ-Vorsitzende Lisi Maier (@l_lisimaier) zu den Ursachen der Missbrauchsfälle:

Das sind etwa Karrierenetzwerke, bei denen sich die Teilnehmer gegenseitig unterstützen. Diese Netzwerke verhindern Aufklärung, also muss man sie aufbrechen“, sagte Maier der „Welt“ (Freitagsausgabe). Außerdem forderte sie, die „größere Macht der Geistlichen in der Kirche im Vergleich zu den Laien“ zurückzudrängen.

Und ihr Kollege im Amt des Bundesvorsitzenden Thomas Andonie (@derwahreDon) erklärt im Interview (ebenfalls auf katholisch.de), was getan werden kann, indem er das Forderungspapier der kath. Jugendverbände erläutert, das im Vorfeld der anstehenden Jugendsynode in Rom erarbeitet wurde:

Bei vielen Problemfeldern in der Kirche, etwa der Geschlechtergerechtigkeit oder beim Missbrauch, erkennen wir immer die Machtverhältnisse in der Kirche als Problem. Wir müssen Transparenz schaffen an den Stellen, an denen wir Machtmissbrauch durch Klerikalismus in der Kirche bemerken. In der Jugendverbandsarbeit üben Jugendliche mit Klerikern die Leitung gemeinsam aus. […] Wir müssen auch in Pfarreien, Bistümern und anderen kirchlichen Institutionen gemeinsam Verantwortung übernehmen und überkommene Strukturen und Leitungsämter überdenken.

Deutungskampf statt Konsequenzen – Christiane Florin (Deutschlandfunk)

Christiane Florin (@ChristianeFlori) sagt, was zur Veröffentlichung der Missbrauchszahlen zu sagen ist: Notwendig ist die Konzentration auf das Schicksal der Opfer, darauf Missbrauch in Zukunft zu verhindern und darauf, Gerechtigkeit zu schaffen. Der Missbrauch des Missbrauchs für andere Agenden, der innerhalb der Kirche und von ihren Feinden betrieben wird, muss enttarnt werden. Soll es Konsequenzen geben, dann muss man das Versagen der Kiche persönlich nehmen:

„Wir“. Dabei wäre „Ich“ das Wort der Stunde. Ich übernehme die Verantwortung. Ich war Täter. Ich war Vertuscher. Ich habe Akten verschwinden lassen. Ich habe mich für die betroffenen Kinder und Jugendlichen keinen Deut interessiert. So etwas von einem geweihten Mann ausgesprochen – das wäre ein Schock. Vermutlich ein heilsamer.

Liebe katholische Kirche, man möchte schreien – Birgit Kelle (Welt)

Hellsichtige Gedanken aus unerwarteter Richtung: Birgit Kelle (@Birgit_Kelle) schreibt in der Welt über die nur scheinbar zufällige Koinzidenz des EuGH-Urteils zum kirchlichen Arbeitsrecht („Chefarzt“-Urteil, mehr dazu im Verfassungsblog) und der Veröffentlichung des Missbrauchs-Berichts der Deutschen Bischofskonferenz. Die Doppelmoral der Kirche steht allen Beobachter_innen vor Augen:

Während der geschiedene Arzt beharrlich neun Jahre lang durch alle Instanzen juristisch verfolgt wurde, sind laut Bericht zu den Missbrauchsfällen Priester, die sich an Kindern sexuell vergangen haben, nicht selten einfach nur in neue Gemeinden versetzt worden, anstatt dass man sie rauswirft oder wenigstens vor ein ordentliches Gericht stellt. Und am schlimmsten ist: Die Vorwürfe reichen bis in die aktuelle Zeit, es geht offenbar immer noch weiter, es müssen sehr, sehr viele Mitwisser in den Bistümern absichtlich wegschauen, man möchte schreien.

Die Kirche wird eine andere sein: Wir müssen reden – Bernd Hagenkord (Laudetur Jesus Christus)

Bernd Hagenkord (@BerndHagenkord), Priester und Leitender Redakteur von Vatican News, stellt in seinem Blog die Frage nicht nur nach notwendigen kirchenrechtlichen Reformen, sondern dringt noch tiefer ins Eingemachte der Kirche vor. Es wird theologisch:

Das Ideal von Kirche wird es nicht mehr geben. Nicht nur weil es zunehmend schwerer wird, vor anderen und auch vor sich selbst zu begründen, weswegen man noch dabei ist. Sondern auch, weil wir einsehen müssen, dass das Sprechen vom Ideal vieles verdeckt und vielleicht sogar möglich gemacht hat, was so gar nicht zum Ideal passt. „Durch Christus gegründet“, „Braut Christi“, „Leib Christi“, all das sind theologische Aussagen, die dringend ins Gespräch gehören. Die kann man nicht mehr immunisieren, sie hätten nichts mit dem anderen Thema zu tun. Das glaubt kein Mensch mehr.

Von Hirten und Herden. Ein ungesundes Framing – Daniel Konnemann (Medium)

Ebenfalls theologisch wird Daniel Konnemann (@pfarrverweser, hier im taz-Porträt) in seinem Beitrag zur Debatte. Ausgehend von seinem eigenen Amtsverständnis als Pfarrer der katholischen Kirche, fragt er sich, ob mit der Gegenüberstellung von Herde (Gemeinde) und Hirte (Pastor) nicht schon der Same missbräuchlicher Strukturen gesät ist:

Ist das Reden und Denken von “Hirt und Herde”, so biblisch, theologisch und geistlich es auch ist, nicht bereits übergriffig und missbräuchlich am Volk Gottes, an den Menschen und ihren eigenen Talenten, Fähigkeiten, dem ureigenen Geliebtsein von und der direkten, unvermittelten Beziehungsfähigkeit zu Gott? Erschaffen wir durch solche Bilder nicht selbst Kirche als ein System und tradieren es durch den ständigen Sprachgebrauch, der Ausbildung und Weihe zu solchen Diensten, in dem Missbrauch leicht ermöglicht wird, weil die Geistlichen sich nicht nur als anders und besser, sondern auch verantwortlich und befähigt zur Bevormundung fühlen können?

nachgefasst

Zur aktuellen Diskussion um die Organspende – Manfred Rekowski (Präsesblog)

Schon vergangene Woche konnte aufgrund der anhaltenden röm.-kath. Kirchenskandalnachrichten Daniel Fetzer (@danufetz) in den #LaTdH nur zum Schluss der Debatte kurz auf ein anderes wichtiges Thema hinweisen: Die Initiative des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (@jensspahn, CDU), die Organspende in Deutschland anders zu regeln. Statt der sog. „Entscheidungslösung“ soll es nach seiner Vorstellung bald eine sog. „erweiterte Widerspruchslösung“ geben. Eine spannende, lohnende Debatte.

Manfred Rekowski (@ManfredRekowski), Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), hat sich auf seinem Blog in die Debatte eingemischt. Bei aller grundsätzlichen Sympathie für eine Neuregelung, die zu mehr Spendenbereitschaft führen könnte, sieht der Organspender Rekowski beim Spahnschen Vorschlag auch Probleme:

Bei einer Lösung, in der Menschen aktiv widersprechen müssen, ist es unabdingbar, dass auch alle ausreichend informiert werden – das ist eine große organisatorische Herausforderung. Denn es kann ja nicht sein, dass Teile der Bevölkerung nicht ausreichend informiert sind und nur deshalb automatisch zu Organspenderinnen und –spendern werden. Die Informationspflicht ist dann größer als bei der jetzt bestehenden Entscheidungslösung. Positiv an dem Verfahren ist aus meiner Sicht, dass sich alle mit dem Thema auseinandersetzen müssen.

Eine solche Auseinandersetzung ist nicht voraussetzungslos. Es braucht Interesse klar, aber auch grundlegende Fertigkeiten, überhaupt Informationen suchen und verwerten zu können: In Sachsen-Anhalt leben z.B. ca. 200 000 funktionale Analphabeten (9,1 % der Gesamtbevölkerung, Quelle). Wie sichern wir, dass nicht zum Organspender wird, der es nicht wirklich will?

Buntes

Die evangelikalen Missverständnisse über progressive Christen – eine Replik auf Markus Till – Rolf Krüger (Auf’n’Kaffee mit Rolf Krüger)

Evangelikale Theologen fragen sich schon länger, was es mit den Progressiven auf sich hat; erst recht, seitdem sich die eigenen Kinder als Post-Evangelikale so positionieren. Die Gedanken, die sie sich so über die Welt, Gott und ihren Glauben machen (z.B. Christoph Schmieding in unserer Kolumne Post-Evangelikal), fordern evangelikale Theologen immer wieder zur Gegenwehr („Apologetik“) heraus. Dabei gehen sie fast immer von eigenen Vorurteilen über progressive/liberale Christen aus. Solche hat Rolf Krüger (@rolfkrueger) auch in einem aktuellen Text von Markus Till (Blog) gefunden, und setzt sich in seinem Artikel konstruktiv mit ihnen auseinander. Lesenswert für alle, die am Dialog mit Evangelikalen Interesse haben.

Wie kolonialistisch sind Naturkundemuseen? – Andreas Kilb (FAZ)

Andreas Kilb berichtet von einer Tagung an der TU Berlin zum Thema „Politics of Natural History“. Was soll mit dem sog. „kolonialen Erbe“ geschehen, das hierzulande einen nicht kleinen Teil naturwissenschaftlicher Sammlungen ausmacht? Es geht also eigentlich nicht nur um Elefantenfüße und Haifischzähne, sondern um unseren Umgang mit Geschichte.

Bibel

„Suche Frieden und jage ihm nach!“ Motiv zur Jahreslosung 2019 – Jonathan Schöps (undarstellbar)

Verlässlich liefert Jonathan Schöps (@jonathanschoeps) unter dem Motto @undarstellbar spannende Motive zu den jeweiligen Jahreslosungen: Sie sind nicht orange, sie sind nicht überschaubar und sie sind nicht (nur) dekorativ. Für die Jahreslosung des kommenden Jahres „Suche Frieden und jage ihm nach!“ aus Psalm 34 hat Jonathan Schöps ein neues Motiv entworfen, über das nachgedacht, ja, sogar gestritten werden kann. Wer mag das von typischen Jahreslosungsmotiven behaupten?

Predigt

The Perfect Gift – Diane Roth (faith in community, englisch)

Eine Weihnachtspredigt.

He was not what we asked for, not what we wanted, or at least, not what we think we wanted. In the end we rejected him, in one way or another. He is a baby who will create peace, and make a lot of trouble. He will bring new life, in a world that mostly wants to stay the same.

Ein guter Satz

„Jesus wollte diese Kirche nicht!“

– Eugen Drewermann, 1991