Mit Double Bind auf den synodalen Weg
An der Diskussion um das Ökumenische Abendmahl im Anschluss an Äußerungen von Kardinal Reinhard Marx lässt sich beobachten, wie die röm.-kath. Amtskirche Reformen meint.
Heute vor 16 Jahren, am 1. Juli 2003, erhielt Gotthold Nathan Ambrosius Hasenhüttl, emeritierter Professor für Systematische Theologie an der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes, einen Brief des „als Bischof Ihres Wohnorts“ für ihn zuständigen Oberhirten von Trier. Als römisch-katholischer Priester habe er während des Ökumenischen Kirchentags in Berlin einen Gottesdienst in der Evangelischen Gethsemane-Kirche gefeiert, bei dem es „zu Verstößen gegen kirchenrechtliche Normen“ gekommen sei.
Im Einzelnen werfe er Hasenhüttl Folgendes vor:
1.) Verstoß gegen c. 844 § 1 i.V.m. § 4 CIC
Es kam zu einem Verstoß gegen c. 844 § 1 i.V.m. § 4 CIC (Interkommunion). Gemäß c. 844 § 1 CIC spenden katholische Spender die Sakramente erlaubt nur katholischen Gläubigen. Ebenso empfangen diese die Sakramente erlaubt nur von katholischen Spendern. Ausnahmen werden in c. 844 §§ 2-4 CIC genannt. Der Gottesdienst in Berlin geht jedoch über diese Ausnahmen weit hinaus, da eine offene Kommuniongemeinschaft von vornherein vorgesehen und langfristig bereits öffentlich angekündigt war. (…) Somit handelt es sich bei der am 29. Mai 2003 in der Gethsemane-Kirche praktizierten Interkommunion um eine verbotene Gottesdienstgemeinschaft. Nach c. 1365 CIC soll derjenige, welcher sich einer verbotenen Gottesdienstgemeinschaft schuldig macht, mit einer gerechten Strafe belegt werden.
2.) Verstoß gegen c. 273 CIC
Nach c. 273 CIC sind die Kleriker in besonderer Weise verpflichtet, dem Papst und ihrem Ordinarius Ehrfurcht und Gehorsam zu erweisen. Die bewusste Missachtung der Anweisungen des Heiligen Vaters und der Bischöfe stellt einen Verstoß gegen c. 273 CIC dar. Nach c. 1371, 2° CIC soll mit einer gerechten Strafe belegt werden, „wer […] dem Apostolischen Stuhl, dem Ordinarius oder dem Oberen, der rechtmäßig gebietet oder verbietet, nicht gehorcht und nach Verwarnung im Ungehorsam verharrt“.
3.) Verstoß gegen c. 933 CIC
(…) Eine Erlaubnis des Ortsordinarius lag für den Gottesdienst in der Gethesemane-Kirche nicht vor. Zudem erregte der Gottesdienst und die praktizierte Interkommunion öffentlich Ärgernis. Der Verstoß ist ebenfalls gemäß c. 1371, 2° CIC zu ahnden.
4.) Verstoß gegen c. 846 § 1 CIC
Sie haben sich im Gottesdienst nicht an die liturgische Ordnung gehalten, u.a. kam es zu Änderungen im Hochgebet. Nach c. 846 § 1 CIC sind bei der Feier der Sakramente die von der zuständigen Autorität gebilligten liturgischen Bücher getreu zu beachten; deshalb darf niemand eigenmächtig etwas hinzufügen, weglassen oder ändern. Auch der Verstoß gegen c. 846 § 1 CIC ist gemäß c. 1371, 2° CIC zu ahnden.
In einer umfassenden Dokumentation des Vorgangs sind auch die weiteren Schritte dieser kirchenrechtlichen Eskalation festgehalten: die Suspendierung Hasenhüttls, sein Rekurs an Papst Johannes Paul II., die Bestätigung der Suspendierung durch Kardinal Ratzinger (damals Präfekt der Glaubenskongregation), erneuter Rekurs, endgültige Suspendierung durch die Glaubenskongregation, approbiert durch Papst Johannes Paul II..
Dann der Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis, Rekurs an Papst Benedikt XVI., Bestätigung des Entzugs der Lehrerlaubnis durch die Glaubenskongregation, erneuter Rekurs, endgültige Bestätigung des Entzugs der Lehrerlaubnis durch die Glaubenskongregation, approbiert durch Papst Benedikt XVI.. Schließlich der persönliche Brief an den Papst („außerhalb des Rechtswegs, der leider ausgeschöpft ist“) und Antwort des Staatssekretariats:
„Seine Heiligkeit hat von Ihren Zeilen Kenntnis erhalten.
Ich muß Ihnen jedoch mitteilen, daß kein Grund zu einer neuerlichen Prüfung Ihres Falles besteht.“
Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit …
Während Gotthold Hasenhüttl für die verbotene Einladung an evangelische Christen, mit ihm zusammen Eucharistie zu feiern, mit dem kompletten kirchenrechtlichen Instrumentarium an Beugestrafen und Sanktionen belegt wurde und inzwischen aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten ist, hat der 2003 zuständige Bischof von Trier, Reinhard Marx, in dieser Kirche eine fulminante Karriere gemacht:
Er ist inzwischen Erzbischof von München und Freising, Kardinal und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Papst Franziskus hat ihn 2013 sogar in den Kardinalsrat zur Kurienreform berufen. Sein Bischofsmotto „Ubi spiritus domini, ibi libertas“ stammt aus 2. Kor 3,17.
Geschmeidig hat sich Kardinal Marx inzwischen an das im Franziskus-Pontifikat veränderte Wording angepasst. So forderte er „auf dem Roten Sofa der Kirchenpresse“ während des diesjährigen Evangelischen Kirchentags in Dortmund etwa „mehr synodale Mitbestimmung“ oder „mehr Macht und Einfluss für Frauen in der katholischen Kirche“ – ohne allerdings auf einem „deutschen Sonderweg (…) Vorgaben der Weltkirche, etwa was das Verbot der Frauenordination oder den Pflichtzölibat angehe“, zu übergehen.
Nein! Doch! Ooh!
Beim Thema gemeinsames Abendmahl zwischen Protestanten und Katholiken bat Marx weiter um „Geduld“, beim 3. Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt am Main sei das noch nicht möglich. Marx warb unverbindlich „für kleine Schritte auf theologischer Ebene“ und stellte eine merkwürdige rhetorische Frage:
„Glaubst Du wirklich, Jesus steht an der Tür bei den Evangelischen, und dann setzen die sich zum Abendmahl zusammen und dann sagt Jesus: Nee, mit euch setz ich mich nicht hin. Das können wir uns doch nicht vorstellen, oder?“
Nee, mit Protestanten stellt man sich als römisch-katholischer Priester natürlich nicht an den Altar! Beim Abschlussgottesdienst des Evangelischen Kirchentags in Dortmund etwa stand der Limburger Bischof Bätzing konsequenterweise im Abseits:
Still thinking about this. Still heart breaking. 💔 pic.twitter.com/oeiUGxxpOy
— Maria Herrmann (@maerys) June 23, 2019
Kardinal Marx hingegen äußerte die Hoffnung, dass bis zum Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt „doch noch ein paar Signale gesetzt werden können“. Ohnehin sei man „in der gelebten Praxis an vielen Orten schon weiter“, wenn es um die gegenseitige Einladung zu Eucharistie oder Abendmahl gehe. Kein Wort verlor Marx jedoch darüber, wer genau welche „Signale“ voller „Hoffnung“ setzen dürfe und wieviel „gelebte Praxis“ denn erlaubt sei, ohne von ihm und seinen Mitbrüdern bestraft zu werden.
Anders als von wohlmeinenden Theologen vorgeschlagen oder von pastoral wirkenden Oberhirten suggeriert, ist der Kirchenleitung genau bewusst, wann und wie sie mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln ein Exempel gegen die drohende „normative Kraft des Faktischen“ statuiert. In seinem Standpunkt auf katholisch.de kommentierte Christoph Strack (@Strack_C) daher die Äußerungen von Kardinal Marx sarkastisch:
„Und ich ahne schon, was passiert, wenn am Main irgendein katholischer Priester zur Eucharistie einlädt, wenn KatholikInnen in großer Zahl zum Abendmahl gehen oder dazu von evangelischen Geistlichen unter Verweis auf eine Bibelarbeit beim Kirchentag 2019 ermuntert werden.“
Wer es nämlich wagt, bei Forderungen zur Kirchenreform darauf zu verweisen, man sei „in der gelebten Praxis an vielen Orten schon weiter“, oder gar „in vorauseilendem Ungehorsam“ bisher Verbotenes zu praktizieren, prallt auch heute noch gegen die Mauern des Kirchenrechts.
Als evangelische und katholische Christen in Oberschwaben sich etwa 2017 in der „Ravensburger Erklärung“ wechselseitig zu Eucharistie und Abendmahl in ihren Gottesdiensten eingeladen hatten, wies der zuständige Rottenburger Bischof Gebhard Fürst den Ortspfarrer im Oktober 2018 an, die Einladung zurückzunehmen:
„Ich habe klar gesagt, dass eine gegenseitige Einladung zu Abendmahl und Eucharistie derzeit nicht möglich ist.“
Double bind als Geheimnis des Glaubens
Dr. Werner Kleine (@WernerKleine), Referent für Citypastoral in der Katholischen Citykirche Wuppertal und Leiter des Arbeitsfeldes Kommunikation, Dialog, Öffentlichkeit der aktuellen Etappe des Pastoralen Zukunfsweges im Erzbistum Köln, zeigt sich im Interview mit dem Domradio erstaunt über die vermeintliche Wendung bei Kardinal Marx:
„Das ist eines der vielen Geheimnisse des Glaubens, die in der Gegenwart so wirksam sind. Plötzlich sind da solche Schwenks möglich. Denn theologisch hat sich seitdem substanziell noch nicht so viel geändert. Damals war es ein Riesenskandal. Hasenhüttl wurde von Marx in Trierer Zeiten gemaßregelt. Jetzt hören wir von Marx, dass er große Hoffnungen hege, in Frankfurt etwas tun zu können, was Hasenhüttl vor einigen Jahren schon getan hat.“
Dieses Kommunikationsmuster des „double bind“ ist weit verbreitet in der römisch-katholischen Kirche: „Wer bin ich, über ihn zu richten?“ – mit dieser viel zitierten Frage wandte sich Papst Franziskus auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Brasilien gegen die Diskriminierung und Ausgrenzung von Homosexuellen. Auf die Journalistenfrage, wie denn nun praktizierte Homosexualität zu bewerten sei und welche Rolle er als oberster Richter und Gesetzgeber der Kirche dabei spiele, ging der Papst nicht ein.
Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es entsprechend unverändert:
2358. Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen sind homosexuell veranlagt. Sie haben diese Veranlagung nicht selbst gewählt; für die meisten von ihnen stellt sie eine Prüfung dar. Ihnen ist mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen. Auch diese Menschen sind berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen und, wenn sie Christen sind, die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Veranlagung erwachsen können, mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen.
2359. Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen. Durch die Tugenden der Selbstbeherrschung, die zur inneren Freiheit erziehen, können und sollen sie sich – vielleicht auch mit Hilfe einer selbstlosen Freundschaft –‚ durch das Gebet und die sakramentale Gnade Schritt um Schritt, aber entschieden der christlichen Vollkommenheit annähern.
Kurz gesagt: „Keuschen“ Homosexuellen begegnet der korrekte Katholik also mit „Mitleid“, „unkeuschen“ hingegen mit „gerechter“ Zurücksetzung. Nach kirchlicher Weisung dürfen Personen „mit dieser tiefsitzenden Tendenz“ z.B. nicht zum Priesteramt oder den Ordensgelübden zugelassen werden.
Wer aktuelle Papst-Aussagen zur Homosexualität unter der Lupe betrachtet, stößt entsprechend auf Äußerungen zum Missbrauchsskandal in Chile, wo Franziskus „ernste Vorwürfe gegen Bischöfe und Ordensobere“ erhebt, die Priester, „die aktiv gelebter Homosexualität verdächtigt“ wurden, mit der Ausbildung betraut hätten.
Ähnliche Widersprüche gibt es auch in Sachen Ökumene: In seinem jüngsten „Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ lobt Papst Franziskus zunächst den „von Euch eingeschlagenen ökumenischen Weg“, der
„zu weiteren Initiativen im Gebet sowie zum kulturellen Austausch und zu Werken der Nächstenliebe (ermuntert), die befähigen, die Vorurteile und Wunden der Vergangenheit zu überwinden, damit wir die Freude am Evangelium besser feiern und bezeugen können.“
Gleichzeitig warnt der Pontifex aber davor, man könne „bei aller ernsthaften und unvermeidlichen Reflexion leicht in subtile Versuchungen geraten“ und „in einer komplizierten Reihe von Argumentationen, Analysen und Lösungen mit keiner anderen Wirkung, als uns von der wirklichen und täglichen Begegnung mit dem treuen Volk und dem Herrn fernzuhalten“, enden.
Einerseits, andererseits
Einerseits stellt Franziskus „gemeinsam mit euch schmerzlich die zunehmende Erosion und den Verfall des Glaubens fest mit all dem, was dies nicht nur auf geistlicher, sondern auch auf sozialer und kultureller Ebene einschließt“, andererseits meldet er vor dem Start des von den deutschen Bischöfen angekündigten „synodalen Wegs“ und den dort möglicherweise diskutierten Reformforderungen seine Bedenken an und verlangt „vom ganzen Volk Gottes und besonders von ihren Hirten eine Haltung der Wachsamkeit und der Bekehrung“:
„Die derzeitige Situation anzunehmen und sie zu ertragen, impliziert nicht Passivität oder Resignation und noch weniger Fahrlässigkeit; sie ist im Gegenteil eine Einladung, sich dem zu stellen, was in uns und in unseren Gemeinden abgestorben ist, was der Evangelisierung und der Heimsuchung durch den Herrn bedarf. Das aber verlangt Mut, denn, wessen wir bedürfen, ist viel mehr als ein struktureller, organisatorischer oder funktionaler Wandel.“
Einerseits warnt der Papst davor, „den Blick dafür zu verlieren, dass unsere Sendung sich nicht an Prognosen, Berechnungen oder ermutigenden oder entmutigenden Umfragen festmacht“, andererseits erklärt er, „das bedeutet nicht, nicht zu gehen, nicht voranzuschreiten, nichts zu ändern und vielleicht nicht einmal zu debattieren und zu widersprechen“.
Die Kirche hat immer recht …
Diese Methode hat System: Zum einen sollen sich die Gläubigen auch weiterhin nur unter wachsamer Führung ihrer Hirten auf den Weg machen, zum anderen soll der Eindruck vermieden werden, die Kirchenleitung habe in der Vergangenheit entscheidende Fehler gemacht.
In seinem gerade erschienenen Buch „Reform – Dieselbe Kirche anders denken“ weist Michael Seewald, Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Münster, auf den „Superlativ des eigenen Anspruchs“ (des Lehramts) hin, der „eine Atmosphäre mangelnder Fehlertoleranz und damit auch mangelnder Bereitschaft zur Selbstkorrektur“ kreiert. Falls unumgänglich, sind bestimmte Veränderungen aber durchaus möglich, Seewald unterscheidet dabei „drei Modi dogmatischer Entwicklung“:
„der explizite Autokorrekturmodus (ein seltenes Phänomen), der Obliviszierungsmodus, der versucht, einstmals Gelehrtes durch gezieltes Vergessen zu korrigieren, und der Innovationsverschleierungsmodus, der Neues schlicht als Altes ausgibt und dadurch den Anschein doktrinaler Kontinuität zu erzeugen versucht.“
Zu den Konsequenzen schreibt Seewald weiter:
Um die Illusion eigener Irrtumslosigkeit zu bewahren, ist das Lehramt also auf die Fähigkeit des Vergessens bei den von ihm Belehrten angewiesen. (…) Für das Lehramt ist es überlebenswichtig, dass beides angenommen wird: das von ihm Gesagte und das bewusst in der Hoffnung, es möge vergessen werden, von ihm nicht mehr Gesagte. Nähme man das Lehramt zu ernst, würde man vermutlich an ihm irre werden.
Offenlegung:
Der Autor hat im Ökumenischen Arbeitskreis der Initiative Kirche von unten und der KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“ den Gottesdienst mit Prof. em. Hasenhüttl mitvorbereitet und publizistisch begleitet.