Foto: Alex Folguera (Unsplash)

Mit gebotener Vorsicht

In den kommenden Tagen erwarten wir Schlagzeilen aus dem Vatikan. In Zeiten von Framing und Journalismusskandalen sollten diese mit besonderer Vorsicht aufgenommen werden.

Die Eule ist kein Insidermagazin aus dem Vatikan. Ich bin kein Vatikanexperte. Das gilt für viele Journalist*innen, die in den kommenden Tagen das Geschehen in der röm.-kath. Kirche und im Vatikan beschreiben und kommentieren werden. Selbst Journalist*innen, die ganz nah dran sind, laufen Gefahr, sich für die Agenda unterschiedlicher Akteur*innen einspannen zu lassen.

„Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache …“

Die Vatikanberichterstattung ist ein journalistisches Feld mit besonderen Herausforderungen. Da wäre einmal die Vielsprachigkeit des Katholizismus. Es braucht zumindest einmal gute Italienisch-, Latein- und Englischkenntnisse, um Meldungen aus der weiten Welt und der Zentrale des Katholizismus richtig zu verstehen. Spanisch kann auch nicht schaden. Häufig genug finden sich je nach Gusto und eigener kirchenpolitischer Präferenz für die Leser*innen wie von Zauberhand Übersetzungen an, die vor allem die eigene Meinung bestärken.

Die vatikanische Medienabteilung zumindest veröffentlicht natürlich auch auf Deutsch, alle wichtigen Dokumente werden ebenfalls auf Deutsch ausgegeben – aber manchmal eben nicht sofort. Und wer die schnellste und pfiffigste Schlagzeile bringen will, der übersetzt halt schnell mal selbst.

Es tropft unablässig

Ein zweites Problem sind die permanenten Durchstechereien, die im Vatikan und in der röm.-kath. Kirche traditionell zahlreich vorgenommen werden. In stark hierarchischen Organisationen wie der röm.-kath. Kirche gibt es immer jemanden anzuschwärzen, um selbst einen Vorteil davon zu tragen. Ein gut gesetztes Leak ist manchmal auch die einzige Möglichkeit für Mitarbeiter*innen, Missstände überhaupt an die Öffentlichkeit zu bringen.

Durchstechereien oder eben Leaks sind nicht per se zu verachten. Ohne sie wären die vatikanischen Finanzgebaren nie bekannt geworden. Und auch so mancher Missbrauchsfall wäre nie zu dem geworden, was die katholische Kirche fürchtet wie der Teufel das Weihwasser: Zu einem handfesten Missbrauchsskandal.

Im besten Falle sorgen Leaks dafür, dass Journalist*innen ihnen hinterherrecherchieren, auf Pressekonferenzen kritische Fragen stellen, Amts- und Würdenträger mit den neuen Erkenntnissen herausfordern, in Hintergrundgesprächen nachbohren. Manchmal bleiben sie aber, was sie zu Anfang immer sind: Die einzige Quelle.

Das trifft insbesondere auf Durchstechereien zu, die von irgendwoher aus dem Schiffsrumpf der leckgeschlagenen MS Vatican stammen. Dort tropft es verlässlich. Die offiziellen Pressesprecher*innen haben es da denkbar einfach: „No comment.“ Zudem haben die lieben Informant*innen in den meisten Fällen ihre eigene Agenda. Geübte und schlaue Vatikankorrespondent*innen haben den Dreh raus: Wer ist vertrauenswürdig? Welches Ziel verfolgt dieser oder jene*r Informant*in? Wie sieht der Kontext aus?

Doch sorgt auch hier der Zeitdruck, unter dem der Journalismus unserer Tage operiert, nicht selten dafür, dass man mit einem knackigen Zitat schnell an die Öffentlichkeit geht. Und ist es erst einmal „in der Welt“ bleibt bestimmt auch etwas hängen. Damit rechnen Informant*innen. Journalist*innen stehen immer in der Gefahr, sich zu Handlangern einer Kirchenpartei zu machen.

Ich mach‘ mir die Welt, wie sie mir gefällt

Das ist besonders offensichtlich bei Pressekonzernen, die sich ganz einer Kirchenpartei verschrieben haben, wie das us-amerikanische EWTN-Netzwerk. Von dort aus werden erz-konservative bis reaktionäre Botschaften in die Welt des Katholizismus gerufen. Akteure wie Kardinal Raymond Burke oder Erzbischof Carlo Maria Viganò und die Riege der EWTN-Kommentatoren spielen sich geübt die Bälle zu. In letzter Zeit erreicht das Netzwerk mit seinen deutschsprachigen Ablegern, darunter vor allem die Nachrichtenagentur CNA Deutsch, auch hierzulande immer mehr Leser*innen.

Das soll nicht heißen, dass von EWTN– und CNA-Journalist*innen nur Propaganda betrieben würde, es lohnt sich aber ganz sicher der prüfende Blick danach, woher eine Nachricht stammt und wer sie übermittelt. Nicht nur in den konfessionellen Printmedien, sondern auch im Netz steht vor oder nach dem Text häufig genug ein Agenturkürzel.

Und es ist bei weitem nicht so, dass sich das Misstrauen nur auf zweifelhafte Medien wie kath.net oder eben CNA erstreckt. Die katholische Rechte schaut auf Meldungen der hießigen Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) ebenso skeptisch – halt nur aus der entgegengesetzten Richtung. Der von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) betriebene Onlineauftritt katholisch.de, der sich zum veritablen Nachrichtenmagazin gewandelt hat und vor allem KNA-Inhalte verbreitet, gilt unter den Erzreaktionären in der Wutblase der Blogozese als wahre Ausgeburt der Hölle.

Der „Medienwandel“, d.h. Ressourcenknappheit bei immer schnellerem Tempo der Berichterstattung, und die Freiheit des Internets haben Folgen: Nachrichtenaffine Katholik*innen haben sich häufig längst entschieden. Sie wählen nicht nur die Nachrichten, die sie zu sehen wünschen. Nicht allein die Kommentator*innen, die ihnen nach dem Mund reden. Sie wiegen auch die Fakten danach, ob sie in das eigene Weltbild passen.

Ungeübtere Leser*innen, die zu Großwetterlagen wie dem Bischofstreffen zum Missbrauch reinzappen, haben sich demgegenüber häufig noch nicht festgelegt. Sie sind darum die Hauptzielgruppe der reißerischen Überschriften. Sie als neue Leser*innen zu gewinnen, sie in die eigene Bubble zu ziehen, ist das ureigenste Interesse von Medienmacher*innen, die sich zugleich als Akteur*innen verstehen.

Lobbyisten am Mikrofon

Journalist*innen und Publizist*innen mit Dienstort Rom und Vatikan gelten in deutschen Medien sowieso als Vatikanexperten, dazu kommen dann noch Stimmen aus der Wissenschaft und den zahlreichen vatikanischen Kongregationen, katholischen Kommissionen, Laienorganisationen, Vereinen, Parteien, Think Tanks. Leute vor Ort braucht jede ordentliche Berichterstattung. Von Ereignissen wie dem Bischofstreffen allein von Redaktionen aus Berlin oder Hamburg zu berichten, ist schwierig bis unmöglich. Trotzdem leisten sich immer weniger Medien die Journalist*in vor Ort. Günstiger ist, man bestellt sich eine Expert*in ins Studio, oder?

All die Experten können unmöglich zugleich recht haben, wenn sie auch gleichzeitig in die Mikrofone sprechen oder in die Blöcke flüstern. Ergebnis ist ein auf windschnittige Kommentare zusammengesurrter Journalismus, der wenig nach dem schaut „was ist“, sondern vor allem nach dem Unterhaltungswert der kostbaren Sendeminuten fragt. Zuschauer*innen und Leser*innen profitieren nicht selten von einer schnellen Internetsuche, um z.B. herauszufinden, was die so überzeugende Expert*in eigentlich zum Brotberuf hat bzw. mit wem sie sich sonst so assoziiert. Informationen, die seriöse Medien viel häufiger als derzeit gleich mitliefern sollten. Erfahrung als Lobbyist*in macht eine*n noch längst nicht zur geeigneten Gesprächspartner*in.

Sprachverwirrung, Durchstechereien, Medien mit starkem Bias und eigener Agenda, stupide Marktmechanismen und Expert*innen-Schwemme – die Vatikanberichterstattung ist ein vermintes Gelände. Aber was weiß ich schon? Ich bin ja kein Vatikanexperte.

#PBC2019: Hintergründe zur Missbrauchskonferenz im Vatikan

In einem fortwährend aktualisierten Artikel wollen wir unsere Leser*innen mit ausgewählten Meldungen von und Hintergrundinformationen zum Bischofstreffen versorgen. Dazu haben wir bereits in den vergangenen Tagen Lesenswertes zusammengetragen. Über Updates informieren wir auf Twitter (und gelegentlich auch Facebook). Hier entlang.