Newsletter Digital Tutorial

Die analoge Negativfolie der digitalen Kirche

Eule-Redakteur Philipp Greifenstein kritisiert den Gebrauch von Negativfolien in der Kommunikation der Kirchen auf Social-Media-Plattformen: Arbeitsauftrag nicht verstanden! Eine Analyse aus dem „Digital Tutorial“-Newsletter.

Nach drei Jahren Pause setzen wir den „Digital Tutorial“-Newsletter von Philipp Greifenstein unter veränderten Vorzeichen fort. Nicht nur hat sich #digitaleKirche seither gewandelt, auch der Newsletter wird ein wenig anders ausschauen. In jeder Ausgabe wird es eine Analyse eines digitalen Formats oder eines wichtigen Debatten-Themas geben. Dabei soll, ganz im Sinne eines Tutorials, das gemeinsame Lernen im Vordergrund stehen.

Im Newsletter gibt es zusätzlich dazu Empfehlungen von #digitaleKirche-Beiträge der Eule und anderer Medien sowie von analogen und digitalen Veranstaltungen. Das „Digital Tutorial“ soll einmal im Monat erscheinen.

Zum „Digital Tutorial“-Newsletter kannst Du dich hier anmelden.

Um Dir zum Neustart des „Digital Tutorial“ einen Eindruck von den Inhalten des Newsletters zu verschaffen, kannst Du unten die Analyse aus der Ausgabe für Oktober 2024 lesen.


Digital Tutorial Nr. 4 – Die Negativfolie

Ein Eule-Newsletter von Philipp Greifenstein

Für das Social-Media-Trends-Update der Eule bin ich in den vergangenen Wochen wieder außerordentlich häufig und intensiv auf den Social-Media-Plattformen unterwegs gewesen. In der Eule habe ich bereits fünf Megatrends nebst Konsequenzen für #digitaleKirche-Akteur:innen beschrieben und in einer weiteren Analyse erklärt, warum es wichtig ist, nicht auf rage bait hereinzufallen und kein virtue signalling zu betreiben.

Das Thema dieser Ausgabe des „Digital Tutorial“ ist mit dem virtue signalling verwandt. Heute soll es um Negativfolien gehen. Die Negativfolie ist die harmlosere und weniger demokratieschädigende Cousine der Tugendprahlerei.

Ich benutze den Begriff nun schon seit Jahren und hatte bisher immer den Eindruck, mich in Gesprächen und vor Publikum (!) gut verständlich zu machen, indem ich ihn benutze. Bei der Vorbereitung dieser Newsletter-Ausgabe aber habe ich festgestellt, dass er gar nicht geläufig ist. Jedenfalls kann Google so richtig nichts mit Negativfolien anfangen. Also: In der Fotografie und beim Film enthalten Negativfilme Farben in den umgekehrten Tonwerten. Um die Farben wieder „richtig“ darzustellen, benötigt es eine erneute Belichtung. Eine Folie ist laut Duden auch ein „geistiger Hintergrund, von dem sich etwas abhebt“, gemeint sein kann.

Negativfolien sind Bilder von der Kirche, die in der digitalen Kommunikation vor die Linse der Zuschauer:innen geschoben werden und durch die das Handeln oder die Botschaften der Sprecher:in als besonders vorteilhaft erscheinen. Der positive Effekt auf die Wahrnehmung verdankt sich der Kontrastbildung durch die Evozierung von negativen Bildern von Kirche.

Die Negativfolie ist schnell zur Hand

Ein gängiges und absolut abgetragenes Beispiel ist die Darstellung, in „der“ Kirche würde ausschließlich Orgelmusik gespielt und gehört. Demgegenüber präsentieren sich dann Kirchenleute und Christenmenschen vor der Social-Media-Linse als Menschen, die auch Pop- oder Rockmusik hören oder sogar selbst (Luft-)Gitarre spielen, singen und tanzen – womöglich sogar zu Eurodance, Blümchen oder Coldplay. Krass!

Das Spiel mit der Negativfolie ist zu so etwas wie einer Default-Position für das Influencen im Auftrag der Kirche geworden. Mir begegnen fast ausschließlich Influencer:innen in Kirchendiensten, die diese Technik (oder Taktik) permanent gebrauchen. Andere Menschen haben offenbar mit der real-existierenden Kirche kein so großes Problem. Tatsächlich verweist die aktuelle Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU 6) darauf, dass viele Menschen bereits heute so wenig über konkrete Formen von Kirchlichkeit wissen, dass sie auch kaum Negativbilder der Kirche mit sich herumschleppen. Aus meiner ostdeutschen Lebenserfahrung kann ich das nur bestätigen. Wer mit Negativfolien arbeitet, läuft Gefahr, negative Bilder von der Kirche zu aktualisieren – oder gar erst zu etablieren.

Gute Gründe für ein Negativ

Der größte Vorteil des analogen Negativfilms liegt darin, dass er im Vergleich mit anderen Verfahren einen größeren Belichtungsspielraum bietet. Poetisch gesagt: Mit Hilfe von Negativfilmen kann ich Licht und Dunkelheit, Schatten und Leuchten besser wiedergeben.

Natürlich gibt es in unseren Kirchen genügend Schatten, die dringend durchleuchtet werden müssen. Es gibt Fehler, strukturelle Probleme und sogar Verbrechen, die dringend ans Licht gebracht werden müssen. Nichts liegt mir ferner, als notwendige Kritik in Abrede zu stellen. Ich freue mich über jede:n Influencer:in, die es in Angriff nimmt, nicht nur die schönen, sondern auch die komplizierten oder gar dunklen Seiten des Glaubenslebens und der Kirchen in den Blick zu nehmen.

Gute Gründe gegen die Negativfolie

Welche Musik Pfarrer:innen hören, welche Klamotten in der Kirche getragen werden oder was sonst noch typisch an Kirchgemeinden und Gottesdiensten sein soll, das wird im Netz häufig memefiziert kommuniziert. Ich kann die Lust nachvollziehen, sich daran – gerade als Kirchenkommunikator:in – zu beteiligen. Aber wie häufig will man der eigenen Community noch mitteilen, dass man selbst so viel cooler und krasser und slay ist als die anderen Leute, die in der Kirche arbeiten – womöglich sogar nur analog?

Die Negativfolie ist auch eine (Selbst-)Distanzierung von der Kirche, die dann bedenklich wird, wenn sie von Menschen vorgetragen wird, die im Kirchendienst beschäftigt sind. Natürlich dürfen auch Kirchenmitarbeitende kritische Meinungen vertreten (s.o.). Darum geht es nicht. Es geht darum, sich mit einer Geste der Distanzierung eben auch ein Stück weit aus der Mitverantwortung für Missstände in der Kirche zu nehmen. Die aber kann man als Haupt- und gelegentlich auch als Ehrenamtliche:r nicht einfach abstreifen.

Wie ich im „Windhauch“-Podcast bei Tobias Sauer erklärt habe, finde ich den Einsatz der Negativfolien vor allem auch respektlos gegenüber den vielen ehren- und hauptamtlichen Menschen, die sich – häufig unter sehr viel widrigeren Umständen als digitale Akteur:innen – um Gemeindemitglieder, Veranstaltungen und Gottesdienste kümmern. Mir gefällt auch nicht jedes Blumengesteck und ganz sicher nicht jede Predigt. Aber muss ich das Engagement anderer Menschen deshalb dazu gebrauchen, um mein eigenes Wirken besser oder größer wirken zu lassen?

Vollends albern wird es dann, wenn im Brustton der Überzeugung vermeintlich neue Gedanken vorgetragen werden, die aber von vielen anderen Menschen in unseren Kirchen bereits geteilt oder sogar von Generationen von Kirchenleuten vorangetrieben wurden. Ja, tipptopp, dass auch Du Pfarrer:in bist, aber Du hast weder die „liberale“ noch die feministische Theologie oder die historisch-kritische Exegese erfunden! (Du bist sicher auch nicht der:die erste Pfarrer:in mit Klampfe, langen Haaren, Turnschuhen, bunten Socken etc. etc.) Es ist sehr wohl möglich, ernsthafte und schwierige Themen zu bearbeiten, ohne sich selbst als Aktivist:in der ersten Stunde hinzustellen.

Nicht zuletzt stärkt ein bewusster Verzicht auf simplifizierende und verallgemeinernde Negativfolien auch die eigene Kreativität. Wenn man einmal den Standardsituationen der Content-Produktion ausweicht, wird es notwendig, andere Formen des Erzählens zu finden. Und das kann nur bedeuten, zu größerer Authentizität und (dare I say it ..) Wahrhaftigkeit vorzudringen.

Eine Frage der Mentalität?

Meine Vermutung ist übrigens, dass neben der Angleichung an weit verbreitete Memes, die nach dem Schema von Negativfolien funktionieren, auch eine Grunddisposition (evangelischer) deutscher Kirchlichkeit für den grassierenden Einsatz der Negativfolien verantwortlich ist:

Gut über die Kirche zu sprechen, hat den Geruch der Werblichkeit, ist womöglich nicht edgy genug und entspricht nicht der (weit verbreiteten und gar nicht so originellen) Mentalität evangelischer Pfarrer:innen. Man ist sich am liebsten doch selbst die:der härteste Kritiker:in. Wehe, wenn dem dann mal nicht so ist, dann ist es mit der viel beschworenen Kritikfähigkeit auch schnell vorbei.

ELKB didn’t understand the assignment

Ein wirklich richtig gelungenes Beispiel für den Einsatz von Negativfolien hat die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) vor ein paar Tagen geliefert. Mit einem Werbefilm will man zur Teilnahme an den Kirchenvorstandswahlen motivieren. Das allerdings erfährt man erst am Ende des Videos (YouTube). Zuvor werden schöne Drohnen-Aufnahmen gezeigt wie bei „Deutschland von oben“-Dokus im Dritten Programm, es gibt mehrfach Farbexplosionen, am meisten Sendezeit erhalten die „Heiligen Orte“. Aber diese – bemerkenswerte – Schwerpunktsetzung ist nicht mein Problem mit dem Film.

Mein Problem ist, dass die ELKB bereits ab der 10. Sekunde verkündet, Kirche sei doch nichts für mich. Mit Ausrufezeichen. Gezeigt werden eine leere Kirchenbank und mehrere gähnende Menschen und Tiere nacheinander. Kirche, echt langweilig! Es folgt ein kleiner Hinweis darauf, dass die Kirchenmitgliedschaft auch wirklich sehr teuer ist. Geldscheine rauschen über den Bildschirm und ich werde gefragt: „Kirchensteuer? Wozu eigentlich?“

Ein Mann im Talar steht auf einem Stand-Up-Paddle-Board inmitten eines Sees und breitet die Arme aus (Screenshot ELKB-Film von YouTube)

Und dann bemüht sich das ELKB-Video über eine Minute lang, mir zu beweisen, dass die Kirche doch nicht langweilig und überflüssig ist („mehr als du denkst“). Gezeigt werden schöne Bilder von der Jugendarbeit, der Arbeit mit alten Menschen, von Kasualien („Von der Taufe bis zur letzten Ruhe“, wirklich gut!) und viele Kirchen. Warum das Abarbeiten an einem negativen Kirchenbild, das zu Beginn erst evoziert wird? Warum will die ELKB wissen was ich über Kirche „denke“? Warum die Negativfolie?

Wenn es die Kirche nicht hinbekommt, in ihren eigenen Werbefilmen darauf zu verzichten, sich selbst schlecht zu reden, kann man nur sagen: Aufgabenstellung verfehlt! Demgegenüber fällt dann kaum noch ins Gewicht, dass sich der Film, der offenbar dazu aufrufen soll, sich als Kirchvorsteher:in zu engagieren, einer Sprache bedient, die vorgeblich kirchenferne Menschen adressiert. Ein typischer Adressat:innen-Clusterfuck.

Very demure, very mindful

Wie man es besser macht, hat wenige Tage vor der ELKB übrigens die Schwedische Kirche auf Instagram gezeigt: In einem kurzen Clip streift Bischof Johan Dalman durch eine Kirche und beschreibt jede kleine Eigenheit so, wie es in den viralen „Very demure, very mindful“-Führungen üblich ist, die auf TikTok ihren Ausgang nahmen und selbst schon eine Weiterverarbeitung dieses digitalen (feministischen) Trends sind. Eigentlich macht der Bischof nur nach, was z.B. dieser Mitarbeiter des Royal Armouries Museum vorgemacht hat. Das Bücherregal („very mindful“), die Heiligendarstellungen („very demure“, „hits different“) und das Gesangbuch („slay“) – alles wird gewürdigt.

Bischof Johan Dalman sitzt in einer Kirchenbank und verspricht „relaxation“ durch einen Besuch in der Kirche (Screenshot von Instagram)

Der production value des Clips ist wesentlich geringer als der des ELKB-Imagefilms, der Erfolg auf Social-Media-Plattformen dafür umso größer. Die Schwedische Kirche macht vor, wie man zur rechten Zeit ein Meme oder einen digitalen Trend aufnehmen kann, ohne sich lächerlich zu machen. Das wird sicher auch dadurch erreicht, dass sich ein älterer, weißer Mann aktueller jugendsprachlicher Begriffe bedient, der durch seinen Auftritt in Berufskleidung eine Aura der Ernsthaftigkeit und Professionalität hat.

Zugleich ist das Schauspiel des Bischofs ironisch gebrochen. Er nimmt sich selbst nicht zu ernst und zeigt dadurch, was ihm tatsächlich ernst ist. Es wird deutlich, dass er sich nicht anbiedert, sondern tatsächlich Übersetzungsarbeit leistet. Vor allem macht der Bischof aber Werbung, mal wieder in eine Kirche zu gehen und sich auf die liebenswerten Eigenheiten des Ortes einzulassen. Immerhin gibt es da „relaxation“: Aufgabenstellung verstanden!


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