Neuer Kulturkampf? – Die #LaTdH vom 12. Dezember

In einer religiös und weltanschaulich pluralen Gesellschaft wird das Verhältnis von Staat und Kirchen neu bestimmt. Außerdem: Viel Geld für Sünden und ein Ruf zur Umkehr.

Herzlich Willkommen!

„Freut euch im Herrn zu jeder Zeit!“ – lateinisch „Gaudete in Domino semper“ (Phil 4,4), so heißt es in der zweiten Lesung des heutigen Sonntags, der daher auch den Namen „Gaudete“ trägt und an dem – konfessionskundlicher fun fact – abweichend vom Violett der anderen Adventssonntage nach katholischer Tradition auch die liturgische Farbe Rosa verwendet werden darf.

Zwar mag angesichts der vierten Welle der Corona-Pandemie und der drohenden Omicron-Variante die richtige „Vorfreude auf Weihnachten“ nicht aufkommen. Nach einer aktuellen Studie fühlt sich nur eine Minderheit der Gläubigen von den Kirchen „gut betreut“, auch wenn diese für die Advents- und Festtage zahlreiche Gottesdienst-Übertragungen im Fernsehen, Radio und Internet anbieten. Und während es seiner stabilen digitalen Fanbase gelungen ist, den „Heilsbringer“ @Karl_Lauterbach ins Amt zu twittern – der Start der Ampelkoalition trifft in manchen kirchlichen Kreisen auch auf Skepsis und Irritation.

Da hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass Paulus seinen Brief an die Gemeinde in Philippi vermutlich aus dem Gefängnis schreiben musste. „Freude im Herrn“ – nicht als aufgesetzte Heiterkeit, sondern gegründet in der Hoffnung auf seine Wiederkunft – trägt durch Bedrängnisse und Herausforderungen des Alltags.

Den „Frieden Gottes, der alles Verstehen übersteigt“,
wünscht Ihnen Ihr Thomas Wystrach


Debatte

Der am Mittwoch gewählte neue Bundeskanzler Olaf Scholz (@OlafScholz) und fast die Hälfte der Minister:innen seiner Bundesregierung haben den nach Art. 64 GG vorgesehenen Eid (Text unter Art. 56 GG) ohne den religiösen Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ abgelegt.

Und wie alle Jahre wieder (vgl. etwa die Aufregung um den multireligiös verstandenen Amtseid der CDU-Politikerin Aygül Özkan als niedersächsische Sozialministerin 2010 oder die Frage, warum Angela Merkel 2018 zum vierten Mal vereidigt werden musste) wird auch 2021 die jeweils persönliche Entscheidung in einen größeren Rahmen von Religions- und Identitätspolitik eingeordnet – auch von Philipp Greifenstein (@rockToamna) hier in der Eule. In seinem Beitrag geht er auch der Frage nach, wie gut und mit welchen AkteurInnen die Kirchen in der neuen Regierung personell repräsentiert sind.

Kanzler ohne Konfession: Wie religiös ist die neue Regierung? –  Veronika Wawatschek (BR24)

Für Veronika Wawatschek (@PendaAndika) spiegelt das „Fortschritts-Kabinett“ in seinen unterschiedlichen Spielarten der Religionszugehörigkeit die „religiös vielfältige Gesellschaft“ und „den schwindenden gesellschaftliche Einfluss der Kirchen“ wider. Im Koalitionsvertrag seien entsprechend eigene Akzente in der Religionspolitik zu finden, etwa bei der Ablösung von Staatsleistungen, der „reproduktiven Selbstbestimmung“ oder der Erweiterung des bisherigen Staatskirchenrechts zu einem „Religionsverfassungsrecht“.

Hoffnung auf mehr Vielfalt – Susanne Kahl-Passoth und Angelika Weigt-Blätgen (zeitzeichen)

Durchaus zufrieden mit den „unerwartet deutlichen“ Formulierungen des Koalitionsvertrages zeigen sich Susanne Kahl-Passoth und Angelika Weigt-Blätgen vom Präsidium der Evangelischen Frauen in Deutschland (EfiD). In ihrem Beitrag für das Magazin zeitzeichen (@zeitzeichenNET) freuen sie sich darauf, sich „an den Aushandlung- und Umsetzungsprozessen zu beteiligen“, und ziehen ein optimistisches Fazit ihrer Lektüre:

Den Koalitionsvertrag durchzieht in allen Politikfeldern ein Bewusstsein für Diversität, für Gerechtigkeitslücken zwischen den Geschlechtern, für überkommene Rollen- und Familienbilder. In diesem Jahrzehnt soll/muss Gleichstellung, muss Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden. Ein hehres Ziel, das Im politischen Alltag immer wieder, meist unbewusst, vernachlässigt wird. Dass es ebenfalls ohne eine gleichstellungsorientierte Jungen- und Männerpolitik nicht geht, macht Hoffnung, dass die neue Bundesregierung es ernst meint.

Das Kabinett der Konfessionslosen: Was folgt daraus? – Malte Lehming (Tagesspiegel)

Olaf Scholz ist der erste konfessionslose Bundeskanzler, in seinem Kabinett stellen Konfessionslose mehr Minister:innen denn je. Das muss nichts heißen – kann aber, meint Malte Lehming (@MalteLehming) in seinem Kommentar im Tagesspiegel (@tagesspiegel):

Religion sei Privatsache, heißt es oft, woran jemand glaube – ob an Gott oder ein fliegendes Spaghettimonster –, gehe die Öffentlichkeit nichts an. Andererseits beziehen sich immer mehr Deutsche positiv auf Prägungen durch das Christentum und christliche Werte. Religion stiftet offenbar immer noch Identität und ermöglicht kulturelle Selbstbehauptung.

Auch Bundeskanzler Scholz betone, er sei stark von Glaube und Kirche geprägt worden:

Sein Wertegerüst, seinen Kompass, beziehe er aus seinen protestantischen Wurzeln. Tief verankert sei bei ihm das christliche Arbeitsethos. Ob einer „Solidarität“ sage oder „christliche Nächstenliebe“, das mache für ihn keinen Unterschied.

Ohne Gottes Hilfe: Was Scholz‘ Verzicht über das Verhältnis von Staat und Kirche aussagt – Christian Wolff (Vorwärts)

Nachdem mit Olaf Scholz bereits der zweite Bundeskanzler bei seiner Vereidigung auf den religiösen Zusatz verzichtet hat, habe „in konservativ-reaktionären kirchlichen Kreisen“ ein Wehklagen über eine „gottlose“ Bundesregierung eingesetzt, stellt der evangelische Theologe und SPD-Politiker Christian Wolff (@Chriwo49) in seinem Beitrag im Vorwärts (@vorwaerts) fest.

In der Tat werde sich das Staat-Kirche-Verhältnis in der kommenden Legislaturperiode wohl merklich verändern, es befinde sich „angesichts der multireligiösen Wirklichkeit in unserer säkularen Gesellschaft“ allerdings längst in einem tiefgreifenden Wandel.

Minister*innen ohne göttlichen Beistand? – Antje Schrupp (Gott und Co.)

„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“

Dass die meisten Kabinettsmitglieder diesen Eid ohne Anrufung Gottes abgelegt hätten, sei zwar plausibel, allerdings sieht Antje Schrupp (@antjeschrupp) in dem „Hammer-Versprechen“ eine Überforderung eines „normalen Menschleins“.

Es sei keine gute Lösung, „Minister*innen gleich bei ihrem Amtsantritt dazu zu zwingen, Dinge zu versprechen, von denen schon von vornherein klar ist, dass sie sie nicht halten können“. Der religiöse Zusatz sei eigentlich dazu gedacht gewesen, „die Großspurigkeit des Schwurs zu relativieren“, das funktioniere aber nicht mehr:

Aber den Satz einfach wegzulassen, ist halt auch keine Lösung. Stattdessen müssten wir eine zeitgemäße, säkulare Alternative oder Variante dafür finden. Irgend eine Formel, die deutlich macht, dass man sich hier einer Aufgabe verschreibt, die eigentlich übermenschliche Kräfte verlangt. Dass man etwas anstrebt – immer das Richtige tun, allen jederzeit Gerechtigkeit widerfahren lassen – was ein normaler Mensch eigentlich gar nicht schaffen kann.

Kein Gott beim Amtseid? Kein Skandal sondern Realität! – Tilmann Kleinjung (BR Kulturbühne)

Dass Bundeskanzler Scholz bei der Vereidigung auf den religiösen Zusatz verzichtet habe, sei kein Skandal, so Tilman Kleinjung (@TilmannKk). Der Koalitionsvertrag allerdings berge Konfliktpotential für das eingespielte Verhältnis von Staat und Kirchen, etwa bei der Ablösung von Staatsleistungen, der Streichung von § 219 a StGB oder der Überprüfung des kirchlichen Arbeitsrechts.

Unsere Verfassung kennt anders als laizistische Länder wie Frankreich keine aseptische Trennung von Staat und Kirche. Religion ist nicht Privatsache. Sie kann, sie soll im öffentlichen, auch im politischen Raum eine Rolle spielen.

Regieren „ohne Gott“? – Andreas Püttmann (Domradio)

Der Verzicht auf den Gottesbezug im Amtseid sei sogar ein Schritt, der Respekt auch von Christen verdiene, meint Andreas Püttmann (@Puettmann_Bonn) in seinem Gastkommentar für das Kölner Domradio (@domradio):

Was erwarten Christgläubige in einer nur noch zur Hälfte nominell christlichen Gesellschaft mit nicht mal zehn Prozent Gottesdienstbesuch an „normalen“ Sonntagen und wachsender religiöser Pluralität von ihren Politikern? Auch Gläubige können sich Vereidigungen nicht ernsthaft als Leitkultur-Demonstration mit Heuchelfaktor wünschen, wenn sie die Freiheiten des Artikels 4 und das Gewissen als maßgebliche Instanz politisch-ethischen Entscheidens zu schätzen wissen. (…)

Nicht zuletzt der Missbrauchsskandal oder die schmutzigen Maskendeals „christlich-demokratischer“ Abgeordneter, aber auch die Angriffe angeblich superfrommer Christen auf die verfassungsmäßigen Ordnungen der USA oder Polens sollten Christen Realismus und Demut gelehrt haben: Religiöse Lippenbekenntnisse darf man nicht mit moralischer Integrität kurzschließen und ostentative Rechtgläubigkeit nicht mit dem Geist des Evangeliums.

„So wahr mir Gott helfe“: Ist diese Eidesformel noch zeitgemäß? – Roland Czada (Universität Osnabrück)

Ob es zeitgemäß ist, einen Eid auf Gott zu schwören, kann die Wissenschaft so wenig beantworten wie die Frage, ob Frauen heute noch Kleider tragen oder Männer mit Hut diesen beim Grüßen lüften sollen –

so der Politikwissenschaftler Roland Czada (@ro_czada) in einem bereits 2010 gehalten Kurzvortrag. Verfassungspolitisch problematisch sei es jedoch, wenn eine religiöse Eidesformel erzwungen, vielleicht auch, wo sie Gläubigen verwehrt werde, da hier das Recht auf Religionsfreiheit tangiert wäre. Interessanterweise sei das Schwören auch in Theologie und Kirchengeschichte umstritten – seit 1978 verzichteten selbst die Päpste auf ihren Amtseid.

Was soll eine moderne Wissenschaft dazu mehr sagen als: Wer bei Gott schwören will, tue es und wer nicht, soll – wie der Papst – darauf verzichten dürfen.

nachgefasst

Das Erzbistum Köln (@Erzbistum_Koeln) hat am 4. Dezember dem Kirchensteuer- und Wirtschaftsrat die Kosten der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs vorgelegt. Demnach betrug der Aufwand für die „Unabhängige Untersuchung“ zwischen 2019 und 2021 rund 2,8 Mio. Euro. Darin enthalten sind Kosten für die zwei juristischen Hauptgutachten von gut 1,27 Mio. Euro, für weitere rechtliche Beratung von 588.000 Euro sowie die Kosten für Krisenberatung von knapp 820.000 Euro.

„Für Anwälte und Krisenkommunikation scheint dem Erzbistum Köln kein Geld zu schade. Für Betroffene hat man weniger übrig“, stellt Daniel Deckers in seinem Artikel „2,8 Millionen Euro Lehrgeld“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fest.

Moral ist nur was für arme Schlucker – Christiane Florin (Deutschlandfunk Kultur)

Fast drei Millionen Euro hat das Erzbistum Köln also für juristischen Beistand und PR-Beratung bezahlt. Die Opfer sexualisierter Gewalt erhielten etwa die Hälfte – ein krasses Missverhältnis, findet Christiane Florin (@ChristianeFlori) in ihrem Beitrag im Deutschlandfunk Kultur (@dlfkultur):

So viel juristisches Gewese war nötig, um von schlichten Fakten abzulenken: Kleriker haben Kindern und Jugendlichen sexualisierte Gewalt zugefügt, die Täter wurden gehätschelt, die Opfer ignoriert, gedemütigt, eingeschüchtert, ruhiggestellt. Die Vertuscher reden sich bis heute heraus.

Gutachten und Gutachten der Gutachten könnte sich die Kirche sparen, wenn die Männer an der Spitze aus freien Stücken ehrlich sagten, was los ist, was sie getan und was sie unterlassen haben. Entschädigungen werden bis heute nicht gezahlt.

„Transparenz fundamental wichtig“ – Interview mit Gordon Sobbeck (Domradio)

Bei den Ausgaben für die „Unabhängige Aufarbeitung“ steht auch der Vorwurf im Raum, dass die zuständigen Gremien bei der Auftragsvergabe nicht korrekt beteiligt wurden. Im Interview stellt sich Gordon Sobbeck, Finanzdirektor und Ökonom im Erzbistum Köln, den Fragen des Domradio:

Ich fühle mich ein wenig wie in einer Zeitmaschine. In Limburg habe ich ja schon einmal erlebt, wie sensibel die Öffentlichkeit auf Fragen der Bistumsfinanzen reagiert und das ist ja auch richtig so. Deswegen ist mir Transparenz fundamental wichtig. (…)

Ich habe dem Apostolischen Administrator und seinem Delegaten dringendst empfohlen, die drei größten Aufträge im Zusammenhang mit der Unabhängigen Untersuchung zivil- und kirchenrechtlich prüfen zu lassen. Das ist von beiden auch umgehend in die Wege geleitet worden.

Kardinal Woelkis Vergabepraxis und das Kirchenrecht – Interview mit Thomas Schüller (katholisch.de)

Kardinal Rainer Maria Woelki und sein Generalvikar, der jetzige „Delegat“ Markus Hofmann, sollen bei der Auftragsvergabe weder den Vermögensrat noch das Domkapitel einbezogen haben. Aber wieso war das überhaupt nötig? Und welche Konsequenzen könnten drohen? Diese Fragen klärt Felix Neumann (@fxneumann) im Interview mit dem Kirchenrechtler Thomas Schüller bei katholisch.de (@katholisch_de):

Bei nüchterner Betrachtung würde man vermuten, dass in Köln das Maß voll ist: der schwierige Umgang mit den Mitgliedern des Betroffenenbeirats, die sehr unglückliche Kommunikation, der enorme Vertrauensverlust im Volk Gottes – und jetzt auch noch eine schwere Verfehlung im Umgang mit dem erzbischöflichen Stuhlvermögen.

Das ist so ein langes Sündenregister, das müsste reichen. Aber sicher ist das nicht, ich würde nicht auf den einen oder den anderen Ausgang wetten. So oder so ist die Situation desaströs, das Vertrauen ist komplett verspielt, weit über das Erzbistum hinaus.

Die Kirche und das Geld – Werner Kleine (Dei Verbum)

Wenn es um Geld geht, hört der Spaß auf – auch in der Kirche, das konnte man im Bistum Limburg unter Bischof Tebartz-van Elst sehen und jetzt im Erzbistum Köln. Geld ist Vertrauenssache und das Vertrauen schwindet, wenn nicht sauber damit umgegangen wird. Auch und gerade in der Kirche entscheidet sich nicht zuletzt im Umgang mit den Finanzen, ob eine vertrauensvolle Zusammenarbeit überhaupt noch möglich ist.

In seinem Beitrag im Bibel-Blog Dei Verbum (@Verbum_Dei) weist Werner Kleine (@WernerKleine) darauf hin, dass schon das Neue Testament dem Geld große Aufmerksamkeit gewidmet habe:

Die Grundübel unserer Zeit scheinen wieder Geiz und Neid zu sein, wie damals schon in Korinth. Es wird einem nicht nur schwindelig bei den Summen man heutzutage in den Medien hört, wenn über die Wirtschaftskrise berichtet wird. Wieviel Geld ist da nicht verbrannt worden? Wieviel Geld bringen Superreiche in Steueroasen unter, um hyperreich zu werden? Geld, das sie im Leben nicht ausgeben können und eigentlich nicht zum Leben brauchen.

Vielleicht sollten wir deshalb auch wieder lernen, Geldverwaltung als Gottesdienst zu sehen: Das kann das Stoßgebet „Gott hilf“ sein, wenn wir auf unser Konto schauen, oder wir könnten sagen: „Herr, was kann ich mit diesem Geld anstellen, um deinen Namen auszurufen in dieser Welt?“

Buntes

„Nach Canossa gehen wir nicht“ – Christoph Arens (KNA)

Mit dem sogenannten „Kanzelparagraphen“, der am 10. Dezember 1871 in das Strafgesetzbuch des gerade gegründeten Deutschen Reiches eingefügt (und in der Bundesrepublik Deutschland übrigens erst am 4. August 1953 aufgehoben) wurde, begann vor 150 Jahren die als „Kulturkampf“ bezeichnete Auseinandersetzung von Reichskanzler Otto von Bismarck mit der römisch-katholischen Kirche und ihrem politischen Arm, der Zentrumspartei. Die einzelnen Stationen dieses Versuchs einer autoritär durchgesetzten Trennung von Staat und Kirche zeichnet der Beitrag von Christoph Arens (@ChristophArens) nach.

Antisemitische Feindbilder im Katholizismus – Olaf Blaschke (Podcast „Zugehörig oder ausgegrenzt?“)

Vom „Kulturkampf“, der Auseinandersetzung des Kaiserreiches mit der römisch-katholischen Kirche, blieb auch das jüdische Leben in Deutschland nicht unberührt, denn auch antisemitische Feindbilder prägten diesen Streit, wie der Historiker Olaf Blaschke anhand einer Karikatur von 1872 zeigt – in einer aufschlussreichen Folge der Podcast-Reihe „Zugehörig oder ausgegrenzt?“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ (@religionpolitik) der Universität Münster:

Antisemitismus war identitätsstiftend, war ein wichtiges funktionales Element der katholischen Weltanschauung, die sich um die katholische Minderheit kümmerte, um deren Freiheiten und Handlungsspielräume, aber nicht die der Juden. (…)

Antijüdische Vorurteilsmuster von Katholiken (…) machten es schwer, sich mit Juden in Diskriminierungssituationen zu solidarisieren. Das gilt für das Kaiserreich bis weit in die 1930-er Jahre hinein.

Unsere toten Schwestern und Brüder in der Ferne – Johann Hinrich Claussen (Chrismon)

In Deutschland wird die Debatte um die Corona-Pandemie immer provinzieller. Die Opfer im globalen Süden werden kaum oder gar nicht zur Kenntnis genommen. Höchstens, wenn von dort eine neue Variante des Virus zu uns kommt, wenden wir den Blick dorthin. Aber auch dann gehe es nur um uns selbst, kritisiert Johann Hinrich Claussen in seinem Blog „Kulturbeutel“ bei chrismon (@chrismon_de):

Statistische Erhebungen über Todesfälle gibt es nicht. Wie auch? Aber es wird immer deutlicher, dass die Kirchen im globalen Süden hart von der Pandemie getroffen werden. Impfdosen sind nicht erhältlich, angemessene Medizin auch nicht. Zudem müssen die dortigen Bischöfe viel reisen, um ihre Gemeinden zu erreichen. Das erhöht ihr Risiko. Zudem gibt es viel Unwissenheit und Falschpropaganda.

Zur Wahrheit aber gehört auch, dass viele Regionen im globalen Süden ganz andere Sorgen haben als ausgerechnet dieses Virus. Man denke nur an den Bürgerkrieg in Äthiopien, den Staatszusammenbruch in Venezuela oder an all die anderen totbringenden Krankheiten oder gar an den Klimawandel.

Theologie

Das Relevanzproblem der Theologie – Thorsten Dietz (Das Wort und das Fleisch)

Die wissenschaftliche Theologie der Gegenwart hat für viele Menschen außerhalb der universitären Forschung stark an Bedeutung verloren – selbst in der Kirche und auch unter denen, die sie einmal studiert haben. Martin Hünerhoff und Thorsten Dietz (@DietzThorsten) diskutieren in der neuen Episode ihres Podcasts „Das Wort und das Fleisch“ die Gründe dieser Entwicklung. Kann Theologie wieder an Relevanz gewinnen? Und wie müsste sie dann aussehen? Wie immer hilfreich ist auch das kommentierte Literaturverzeichnis zu den wichtigsten Themen der Folge.

Predigt

Prophetische Ahnung – Klaus Müller (Universität Münster)

Im heutigen Tagesevangelium (Lk 3, 10-18) wird das Auftreten des Täufers Johannes geschildert: Ohne diplomatische Rücksichtnahme, „unbeeindruckt vom Rang und Ruf und Sitte, reißt er verlogene Fassaden nieder und schleudert den Leuten ins Gesicht, wie wenig Grund sie haben, mit sich, – gar mit sich vor Gott zufrieden zu sein“, so Klaus Müller, emeritierter Professor für Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie in Münster, in seiner Auslegung.

Auf die Frage der von seiner Umkehrpredigt beeindruckten Zuhörer:innen – „was sollen wir tun?“ – gibt der Wegbereiter Jesu eher pragmatische Antworten, fordert die Einhaltung der gesetzlichen Regeln und den Verzicht auf Machtmissbrauch. Doch Johannes „tauft nur mit Wasser“, der Appell, „ein anständiger Mensch zu sein“, reicht nicht aus. Er verweist auf die Frohe Botschaft von Jesus, der „euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen“ und die Spreu vom Weizen trennen wird:

In der Tiefe seiner Seele angerührt und so der Bekehrung zum Guten fähig werden kann ein Mensch nur durch das Nicht-Geforderte, das Unverhoffte, frei Geschenkte, das buchstäblich Über-Flüssige. Theologinnen und Theologen sagen „Gnade“ dafür, lateinisch gratia – da kommt unser „gratis“ her, griechisch charis, das kann man mit Charme, also „gewinnender Zuneigung“ übersetzen. Nur die Gnade kann wirklich heilen, was angeschlagen, sie kann richten, was verbogen ist. Und sie nur gibt einem die Kraft, neu anzufangen mit sich.

Ein guter Satz

„Dass es gerade ein weltanschaulich neutraler Staat ist, der sich der Gläubigkeit seiner wichtigsten Amtsträger bedient, um diese sich weit über die Rechts- und Verfassungsbindung hinaus binden zu lassen, entbehrt nicht jeder Pikanterie.“

Roman Herzog, Bundespräsident 1994-1999; Quelle: @SZ