Noch ist Sachsen nicht verloren
In der Eule haben wir die Sächsischen Landtagswahlen intensiv begleitet. Wie haben sich Politik, Medien und Kirche geschlagen? Und was ist nun mit dem Ergebnis anzufangen? Ein Kommentar.
Das Ergebnis der Sächsischen Landtagswahl darf Demokrat*innen nicht erleichtert zurücklassen. Zu groß ist der Einfluss rechtsradikaler Kräfte innerhalb und außerhalb der AfD im Land geworden, als dass das glimpfliche Wahlergebnis beruhigen könnte. Bis weit in die Gesellschaft und Medien hinein diktieren Rechtsradikale Themensetzung und Spin der Debatten – ganz ohne Regierungsbeteiligung.
Das Ergebnis ist gleichwohl keine Überraschung. So mancher entsetzter Kommentar in Richtung der Sachsen (oder Ostdeutschen) kommt erneut naiv, bis gefährlich uninformiert daher. Das gilt für Beobachter*innen in den Sozialen Netzwerken und leider auch für Journalist*innen großer Medien, die sich bei der Begleitung des Wahlkampfs und Wahlabends nicht mit Ruhm bekleckerten.
Es gibt, nicht nur in Ostdeutschland, ein Wählerpotential für Rechtsradikale von 15 – 25 %. Das zeigen seit Jahren wissenschaftliche Untersuchungen, z.B. die „Mitte-Studien“ der Universität Leipzig und der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die AfD sammelt die Wähler*innen dieses Spektrums effizient ein. Dass rechtsextreme Einstellungen von einem signifikanten Teil der Bevölkerung (in Ost und West) geteilt werden, aber kann nur diejenigen überraschen, die diese Erkenntnisse bisher „in ein anderes Land“ abgeschoben haben.
Es gilt, was der Soziologe und Rechtsextremismusforscher Matthias Quent in seinem neuen Buch „Deutschland rechts außen“ schreibt: „Die rechtsradikale Minderheit war schon immer da und unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Stimmungen und Einstellungen erheblich vom Rest der Bevölkerung.“
Die Aufgabe, die sich Politik, Medien und Zivilgesellschaft nach den Wahlen nun stellt, ist darum sich noch stärker von Themen und Stil der AfD abzugrenzen. Nur so können vielleicht die wenigen noch berührbaren AfD-Wähler*innen für die Demokratie zurückgewonnen werden. Vor allem werden so die zahlreichen Kämpfer*innen gegen Rechtsradikalismus konsequent gestärkt. Es braucht eine neue Brandmauer gegen den Einfluss der Rechtsradikalen.
Und die Kirchen?
Auf dem Eule-Podium zur Landtagswahl in Sachsen „Kirche hat die Wahl“, schätzte Christoph Seele, Beauftragter der Sächsischen Landeskirchen beim Freistaat, die Lage treffend ein: Die Kirchen hätten eventuell sogar zu viel zur Wahl gesagt, es sei ihnen aber nicht gelungen, so zu kommunzieren, dass ein Statement auch hängen geblieben wäre.
Es stimmt: Die Kirchen haben nicht geschwiegen. In längeren und kürzeren Statements haben sich die Bischöfe, kirchenamtliche Stellen, Diakonie und Caritas, Kirchgemeinden und Studierende positioniert. Den Wortmeldungen aus den Kirchen ist – bis auf Ausnahmen – dabei eine luftige Unbestimmtheit zu eigen.
Bisweilen verkehren manche Äußerungen auch die Situation im Freistaat in ihr Gegenteil, etwa wenn in einer Antwort des sächsischen Landesbischofs auf eine Frage der Leipziger Volkszeitung die AfD als eigentlich Ausgegrenzte erscheint. Dabei ist es die rechtsradikale AfD, die Andersdenkende und Migranten ausgrenzt.
Darum hätte es auch deutlicher Einsprüche aus den beiden großen Kirchen gegen jene AfD-Hetze bedurft, die sich gegen die Religionsfreiheit und die jüdischen und muslimischen Minderheiten richtet. Das wurde versäumt.
Die Positionierung der Kirche als Vermittlerin in gesellschaftlichen Konflikten ist durch die Ergebnisse der Wahl erneut in Frage gestellt worden. Sie muss sich zukunftig stärker als eine Akteurin neben anderen im Zusammenspiel der pluralen Gesellschaft begreifen. Die Kirche muss klar artikulieren, wo sie vom Evangelium herkommend politisch steht.
Dabei muss sie andere Bündnisse zur Wahrung ihrer Interessen und politischen Ziele in den Blick nehmen. Seele erinnerte auf dem „Kirche hat die Wahl“-Podium an die Kernforderungen des konziliaren Prozesses nach „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“. Wenn es der Kirche damit ernst ist, muss sie sich auch in der politischen Praxis neu ausrichten.
Noch ist Sachsen nicht verloren
Die Landtagswahl in Sachsen am symbolträchtigen 1. September, 80 Jahre nach dem Angriff des nationalsozialistischen Deutschlands auf seinen Nachbar Polen, ist kein Menetekel der Demokratie, wie manche Kommentator*innen behaupten. Sie ist aber ganz sicher das, was man in der politischen Kommunikation floskelhaft eine „Richtungswahl“ nennt.
Den demokratischen Parteien ist nun aufgetragen, aus dem komplexen Ergebnis etwas Gutes zu machen. Sie müssen eine Regierung zustande bekommen, die mehr als eine Notlösung gegen die Rechtsradikalen ist. Eine Regierung, die Zukunftsfragen wie den Strukturwandel in der Lausitz, das Gefälle von Land und Stadt und den Klimaschutz ernsthaft angeht.
Die demokratischen Parteien müssen auch gewichtige Schritte gehen, um diejenigen Bürger*innen von sich zu überzeugen, die sich 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer als „Bürger zweiter Klasse“ wahrnehmen. Nicht nur, um dem AfD-Zug den Strom abzustellen, sondern vor allem, um die eklatante Gerechtigkeitslücke zu schließen, die als Wunde des Osten noch immer offen steht.
Für Medien, Kirchen und Zivilgesellschaft gilt wie für die Politik eine zentrale Erkenntnis, die Matthias Quent aus seiner Forschungsarbeit gezogen hat: „Wir müssen andere Wege finden, die offene Gesellschaft zu verteidigen, und wir müssen lernen, mit einem relevanten Teil völkisch-nationalistischer Pessimisten zu leben, ohne dabei den Weg des Fortschritts und der Freiheit zu verlassen.“