Newsletter Re:mind (7)

Papst Leo: Der Anti-Trump

Papst Leo XIV. tritt gegen den Tech-Faschismus an und solidarisiert sich mit den Armen und Migrant:innen. Außerdem: Reform des Theologiestudiums und ungewöhnliche Kirchenkarrieren.

Liebe Eule-Leser:innen,

in den Wochen und Monaten nach der Wahl von Robert Francis Prevost zu Papst Leo XIV. im Mai überstürzten sich die (katholischen) Medien nicht nur mit Wasserstandsmeldungen zur Übernahme der Amtsgeschäfte und Stories aus Prevosts Vergangenheit, sondern schwelgten auch in Vermutungen darüber, wie Leo sein Pontifikat profilieren würde. Im Sommer erschienen gleich mehrere Papst-„Biografien“, die diesen Spekulationen weiten Raum gaben. In den vergangenen vier Wochen ist nun überdeutlich geworden, wie sich Leo seinen Dienst als Bischof von Rom und Oberhaupt der römisch-katholischen Christenheit vorstellt:

Wie von ihm bereits nach seiner Wahl angekündigt, wandelt er in den Fußstapfen seines unmittelbaren Vorgängers Franziskus. Das heißt: Innerkirchliche Reformen, insoweit sie Veränderungen der römischen Kirchenlehre und Anthropologie bedürften, wird es mit ihm nicht geben, wie seine Ablehnung von Segensfeiern für lgbtqi+-Paare eindrücklich zeigt (s. „Re:mind“-Newsletter vom 19. September). Franziskus‘ Anwaltschaft für die Armen und für Migrant:innen sowie dessen scharfe Kritik am Kapitalismus („Diktatur einer Wirtschaft, die tötet“) führt er kräftig fort. Das zeigt seine erste Apostolische Exhortation „Dilexi te“ („Ich habe dich geliebt“, Text), die er ausgerechnet am Gedenktag des heiligen Franz von Assisi unterzeichnete und gestern veröffentlicht wurde, berichtet u.a. Christoph Strack für die Deutsche Welle.

Bemerkenswert ist außerdem die Fortschreibung der franziskanischen Agenda durch eine fundierte und überaus kritische Kommentierung des Hypes um „Künstliche Intelligenz“, die Leo nun bereits mehrfach vorgetragen hat. Sein erstes ausführliches Schreiben als Papst, „eine von seinem verstorbenen Vorgänger Franziskus begonnene Arbeit“, hat er nun ausdrücklich dem „Dienst an den Armen“ gewidmet, der allen Bürger:innen und nicht nur den Regierungen geboten ist. Das Echo auf „Dilexi te“ ist in der Heimat des Papstes deutlich vernehmbarer als in Deutschland (s. Artikel der Associated Press und des National Catholic Reporter, beide auf Englisch). Und das ist wohl auch kein Zufall.

Wenn Leo Journalist:innen mahnt, der Wahrheit und nicht der Lüge zu dienen, oder seine Bischöfe in den USA dazu auffordert, der Migrationspolitik der Trump-Regierung lautstark zu widersprechen, zeigen sich die Konturen dessen, was die Kardinäle im Mai mit der Wahl eines – des ersten – US-Amerikaners auf den römischen Bischofsstuhl wenn schon nicht beabsichtigt, dann doch wohl einkalkuliert haben.

In der zweiten Amtsperiode Donald Trumps und inmitten eines weltweiten Aufschwungs von nationalistischen, rassistischen und rechtsextremen Autokraten haben sie der katholischen Kirche und der Welt einen Papst verpasst, der sich nicht zu fein ist, auf dem Wege der massenmedialen Kommunikation dem Tech-Faschismus unserer Tage die Stirn zu bieten, einen richtigen Anti-Trump.

Was Leo sagt, weicht inhaltlich nicht von Franziskus‘ ab, aber zwei Unterschiede sind doch bemerkenswert: Erstens spricht mit dem siebzigjährigen Prevost nun ein Mann im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, der sich offenbar einer robusten Konstitution erfreut. Leo wird reisen – zunächst in die Türkei und den Libanon, auch das ein Zeichen – und ist in der Lage, das fordernde Arbeitspensum eines Papstes zu absolvieren. Zweitens hat sich Leo mit seinem Standpunkt der Moderation von „Extremen“ innerhalb seiner Kirche – Reformer:innen auf der einen Seite, Traditionalisten auf der anderen – kirchenpolitisch frei gemacht. Sein Pontifikat soll sich nicht um Strukturen und Probleme seiner Kirche drehen und unter den Erblasten der Missbrauchs- und Klerikalismuskrisen ersticken, sondern ein Dienst an der Welt sein. Ob diese Rechnung aufgehen wird?

Entscheidend für den Erfolg der politischen Anwaltschaft des Papstes wird sein, ob seine Allyship von möglichen Partner:innen weltweit, in den reichen Industrienationen und besonders in den USA überhaupt wahr- und aufgenommen wird, über manche ideologische Gräben hinweg. Zu denken ist, gut römisch, natürlich an Jakobus 2, 17: „So ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot in sich selber“. Aber man muss gar nicht neutestamentlich werden, um danach zu fragen, welche Früchte die starken Worte Leos denn nun tragen werden.

Die Trump-Regierung bläst im Nachgang des Charlie-Kirk-Attentats zur Jagd auf eine von ihr selbst konstruierte „Antifa-Bewegung“, die – natürlich – „transgender Ideologie“ verbreite und das Land destabilisieren wolle. Dahinter steht die Strategie, jede Kritik an der Regierung als „linksextrem“ zu framen und damit in den Augen zahlreicher Menschen in den USA zu delegitimieren. „Die“ Antifa wolle man, so kündigte United States Attorney General Pam Bondi auf einer Pressekonferenz an, so bekämpfen wie man auch südamerikanische Drogenkartelle bekämpfe.

Meint die US-Justizministerin damit illegale Mordanschläge durch das Militär? Will die Regierung protestierende Menschen, unter ihnen immer wieder auch Geistliche verschiedener Religionsgemeinschaften und Kirchen, nicht nur mit Tränengas beschießen, sondern kurzen Prozess mit ihnen machen?

Papst Leos Widerspruch jedenfalls läuft der Trump-Progaganda zuwider, bei seinen Kritiker:innen handele es ich ja nur um Linke und LGBTQI+-Aktivist:innen. Beides ist dieser Papst nun wahrlich nicht. Was passiert, wenn die Trump-Regierung – mit ihrer Vielzahl an katholischen Kulturkrieger:innen – Front gegen den Papst macht und ihm nicht nur lauwarm widerspricht?

Wie kann prophetische Distanz zur Macht heute ausbuchstabiert werden? Katholische Bischöfe, die sich den Häschern der US-Migrationswächter (friedlich) entgegenwerfen? Ein Sit-in der Gläubigen und ihrer Hirten auf den Stufen des Kapitols?

Aktuell im Magazin:

Gedenken an die Opfer des 7. Oktober: „Ein drittes Kriegsjahr darf es nicht geben“

Am zweiten Jahrestag des Pogroms vom 7. Oktober erinnern Vertreter:innen von Kirchen und Religionsgemeinschaften an das Leid der Opfer des Massakers und des Gaza-Krieges. Kardinal Parolin warnt vor dem „Krebsgeschwür des Antisemitismus“ in Europa. Die Präsidentin von Brot für die Welt, Dagmar Pruin, stellt Forderungen für den Fall eines Waffenstillstands.

Eule-Podcast (49): Macht in der (digitalen) Kirche mit Theresa Brückner (45 Minuten)

Wie sieht eine machtsensible Kirche aus? Im „Eule-Podcast“ diskutieren Influencerin Theresa Brückner und ich über Macht und Ohnmacht in der Kirche und auf Social-Media-Plattformen. Reproduziert und aktualisiert #digitaleKirche nicht sogar überkommene und patriarchale Bilder von Kirche?

Theologie: Christlicher Realismus statt evangelikaler Faschismus

Der Christliche Nationalismus in den USA fordert Kirchen und Theologie heraus. Jan Lucas Dietrich, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Bergischen Universität Wuppertal, schreibt über eine Alternative zum Macht-Fetisch der „Make-America-Great-Again“-Bewegung: Reinhold Niebuhrs Christlicher Realismus.

„Niebuhr skizziert den „American Messianic dream“, der – gepaart mit dem Selbstverständnis der Amerikaner, sie seien „God’s American Israel“ – ursächlich für die ironische Unvereinbarkeit zwischen den Illusionen und Realitäten sei, die Amerika zu seiner Zeit durchlebte. […] Folglich beschreibt Niebuhr Amerikas politische Haltung in seinem Buch von 1952 unverblümt als hegemonial und imperialistisch.“


Bleiben wir in Gedanken noch ein bisschen in den USA: In der Evangelical Lutheran Church in America (ELCA), der größten lutherischen Kirche der USA, wurde mit Yehiel Curry der erste schwarze Bischof zum Leitenden Bischof (Presiding Bishop) gewählt, berichtet auf Englisch npr. Der ELCA gehören zu 95 Prozent weiße US-Amerikaner:innen an. Curry folgt auf Elizabeth Eaton, die seit 2013 als erste Frau in dieser Funktion tätig war. Seit 2009 ist er Pastor der Kirche in Chicago, seit 2019 ist er Bischof der Metropolitan Chicago Synod.

Curry hat als Sozialarbeiter und Lehrer gearbeitet, bevor er auf dem Weg über ein neues Outreach- und Studienprogramm für vielfältige Gemeinden der ELCA zum Theologiestudium fand. In seiner Gemeinde gibt es offenbar einen wilden Mix aus lutherischer Kirchlichkeit, Schwarzer Gottesdienstkultur und Fresh Expressions. Ein Zeichen dafür, was möglich ist, wenn sich die überwiegend Weißen Mainline-Churches gegenüber Minderheiten und Migrant:innen öffnen.

Ebenfalls einen ungewöhnlichen Weg ins geistliche Amt ist Sarah Mullally gegangen, die ab Januar 2026 als erste Frau überhaupt Erzbischöfin von Canterbury und damit Primas von ganz England und Leitende Geistliche der Church of England (CofE) sowie Ehrenoberhaupt der weltweiten anglikanischen Kirchengemeinschaft sein wird. Ihre Berufung zur Nachfolgerin des wegen Versäumnissen in einem Missbrauchsskandal zurückgetretenen Justin Welby wurde am vergangenen Freitag bekanntgegeben, u.a. der epd und auf Englisch die BBC berichteten. Für die anglikanische Weltkirche, die ohnehin über die Berufung von Frauen und lgbtqi+ Personen in geistliche Ämter zerstritten ist, ist die Wahl Mullallys ein mutiger Schritt, der bereits zu Kontroversen mit sehr konservativen Kirchenvertretern geführt hat.

Mullally ist studierte Pflegefachfrau, die als (leitende) Krankenschwester in mehreren Krankenhäusern gearbeitet hat, bevor sie zur Jahrtausendwende fünf Jahre lang die Labour-Regierung als Chief Nursing Officer beriet. Zur gleichen Zeit absolvierte sie nebenberuflich ein Theologiestudium und die kirchliche Ausbildung zum geistlichen Amt. 2002 wurde sie zur anglikanischen Geistlichen ordiniert. Seit 2004 war sie hauptamtlich für die Kirche und nebenbei in weiteren akademischen Funktionen tätig, seit 2015 als Bischöfin von Crediton und seit 2018 als Bischöfin von London.


Heute und morgen wird auf dem Evangelisch-theologischen Fakultätentag in Göttingen über die Reform des Theologiestudiums beraten, das den Zugang zum Pfarramt in der Evangelischen Kirche ermöglicht. Die Zahl der Theologiestudent:innen ist in den letzten Jahren drastisch eingebrochen. Die vollständige Umstellung auf das Bologna-System, eine Reform des Spracherwerbs – Hebräisch, Griechisch und Latein, aber vernetzter mit anderen Studieninhalten und nicht geballt zu Beginn des Studiums – und ein Update des Curriculums sollen das Studium wieder attraktiv machen.

Wie Reinhard Bingener bereits Ende August in der FAZ (€) beschrieb, gibt es allerdings auch Kritik an dem in einer „Gemeinsamen Kommission“ erarbeiteten Konzept – und inzwischen auch einen Gegenvorschlag, der die „Freiheit der Theologie“ dadurch retten will, möglichst viel beim Alten zu belassen.

In der Eule hatten wir uns in diesem Jahr bereits mit zwei Beiträgen mit der Reform des Theologiestudiums befasst: Im „Eule-Podcast“ gab Fabian Reinboth vom Studierendenrat Evangelische Theologie (SETh) Auskunft über die gegenwärtigen Herausforderungen für Theologiestudent:innen. Und Carlotta Israel („Sektion F“) und Aneke Dornbusch aus dem Vorstand der Interessenvertretung des Wissenschaftlichen Mittelbaus an ev.-theol. Fakultäten und Instituten für ev. Theologie (IVWM) formulierten „Vier Thesen aus dem Mittelbau“ zur Reform des Theologiestudiums.

Als dem Unibetrieb recht abständig gegenüberstehender Beobachter bin ich mal gespannt, ob bei den Beratungen, denen auch noch ein Thinktank-Prozess und vielfältige Eingaben von Kirchenvertreter:innen, Theolog:innen und allen Statusgruppen vorausgegangen sind, ein großer Wurf bei raus kommt oder ob am Ende des zwei Jahre währenden Weges doch ein Kompromiss steht, der durch evangelische Offenheit glänzt, d.h. je nach Fakultät so oder auch ganz anders zur Anwendung kommt. Ich fand die Vorschläge zur Reform (PDF) jedenfalls in ihrem Optimismus recht ansteckend, ohne dass man sich von einer Studienreform allein einen Run auf die Studienplätze erhoffen sollte.

Die Kirchenkarrieren von Yehiel Curry und Sarah Mullally zeigen doch recht anschaulich, dass es vielfältige Berufungen und Wege zum geistlichen Amt geben sollte. Auch und gerade, weil sich die Anforderungen an das Pfarramt ständig wandeln und Interessent:innen – Gott sei Dank! – nicht mehr nur aus bildungsbürgerlichen und kirchlich vorgeprägten Milieus stammen.

Der Ermahnung, Pfarramtskandidat:innen müssten doch durch herausragende Selbstorganisation während eines sehr herausfordernden Studiums den Nachweis führen, später als „Hirten“ der Gemeinde anderen Menschen Orientierung bieten zu dürfen, wie sie in der FAZ von Gegnern der Reform formuliert wurde, kann ich wenig abgewinnen. Unsere Lehrer:innen werden schon seit Jahren im Bachelor/Master-System ausgebildet, werden im Berufsalltag genauso gut (oder schlecht?) bezahlt wie Pfarrer:innen, sie wie alle Berufstätigen zum Weiterlernen im laufenden Betrieb genötigt – und wir vertrauen ihnen ja trotzdem unsere Kinder und Jugendlichen an.

Vielleicht steckt hinter manchem Vorbehalt gegen eine Modernisierung des Studiums also auch Wehmut, die der Abschied von der Zentralstellung der Theologie an der Universität und im Geistesleben auslöst.

Ein schönes Wochenende wünscht
Philipp Greifenstein


Ein guter Satz

„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

– das „Gelassenheitsgebet“ (Serenity Prayer) nach Reinhold Niebuhr


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