Ratswahl und neue Ratsvorsitzende: Ein anderer Ton
Die EKD hat einen neuen Rat und mit Annette Kurschus eine neue Ratsvorsitzende. Ihr Erneuerungsversprechen hat die Kirche gehalten, andere Zusagen sind noch offen. Ein Kommentar.
Noch nie bildete ein Rat der EKD die Vielfalt des Protestantismus in Deutschland besser ab, wie der gestern neu gewählte. Das soll nicht heißen, dass in ihm nun alle Menschen und Gruppen repräsentiert sind, die das kirchliche Leben hierzulande mitgestalten, aber es sagt schon ziemlich viel.
Drei gebürtige Ostdeutsche gehören dem neuen Rat an. Immerhin vier Mitglieder, allesamt weiblich, sind unter 50 Jahren alt. Berufstätige Mütter sind im Rat stark vertreten. Vier Leitende Geistliche sind noch Mitglied im Rat, vor zehn Jahren waren es noch sechs. Durch eine mutige Wahl insbesondere im letzten Wahlgang führt der neue Rat eine bunte Palette unterschiedlicher, zeitgemäßer Kompetenzen und Netzwerke zusammen. Neben einer SPD-Politikerin und einem CDU-Politiker gehört nun mit Anna von Notz auch eine erklärte Grüne dem Rat an (hier im Synoden-Podcast der Eule).
Natürlich ist der Rat immer noch durchgehend weiß, weil auch die EKD-Gliedkirchen schrecklich weiß sind. Zwar gibt es reichlich Evangelische mit Migrationshintergrund und Zuwanderungsgeschichte, Muttersprachler:innen aus allen Ländern der Erde, aber in den (kirchenleitenden) Gremien der evangelischen Kirchen sind sie unterrepräsentiert. Eine Ratswahl, auf deren Wahlvorschlag obendrein nicht eine einzige PoC zu finden war, kann daran nichts ändern. Aber diese Ratswahl ist ein Impuls dazu, überall in der Kirche mehr lebensweltliche Vielfalt zu wagen. Beginnen muss das nun auch in den Landeskirchen mit ihren Kirchenvorständen, Kreis- und Landessynoden sowie Kirchenleitungen.
Ein Rat, von dem man viel fordern kann
Auf Instagram und unter jungen Menschen war die Freude über die Wahl der „Sinnfluencerin“ Josephine Teske besonders groß. Teske, von Notz und die dem Rat als Präses der Synode angehörende Anna-Nicole Heinrich gehören zur Generation der digital-affinen Millennials (Generation Y). Dabei bringt Teske noch mehr ein als die Aussicht auf Insta-Stories von den Ratssitzungen, die im übrigen als eine neue Form der Kirchen-PR auch gründlich gewürdigt und kritisiert werden müssten. Als Gemeindepastorin bringt sie auch die Perspektiven der ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter:innen aus der Fläche mit.
Mit Heinrich und Teske hat der Rat ein starkes Standbein in den „neuen Medien“. Für Beobachter:innen im Netz brachte diese Tagung auch einen Aha-Effekt mit sich, auf welche Repräsentations-Ziele neben und jenseits der Bedeutung in den Medien und Sozialen Netzwerken in der evangelischen Kirche auch geachtet wird. Und sei es nur, dass Süddeutschland nicht vollends abgehängt wird.
Das ist ein kirchenjunger, frischer und kompetenter Rat: Vielfältig vernetzt. Eine gute Mischung aus bewährten Ratsmitgliedern (9) und neuen Kräften (5). Lebensweltlich so offen wie noch nie. Ein Rat, von dem man viel wird fordern müssen und können.
Missbrauchs-Aufarbeitung als „Chefinnen-Sache“
Das gilt auch für die neue Ratsvorsitzende, die westfälische Präses Annette Kurschus, und ihre Stellvertreterin Kirsten Fehrs. Insbesondere auf dem Feld der Missbrauchs-Aufarbeitung, die zu „Chefinnen-Sache“ zu machen sie versprochen haben.
Am Montagnachmittag hatten Missbrauchs-Betroffene kaum ein gutes Haar an den Bemühungen der EKD um Aufklärung, Aufarbeitung und Anerkennung sexualisierter Gewalt gelassen. Insbesondere den Bericht des „Beauftragtenrates zum Schutz vor sexualisierter Gewalt“, dem Fehrs von 2018 bis 2020 als Sprecherin vorstand, zerpflückten sie ruhig, sachlich, würdigend und „schmerzlich direkt“.
Was die Betroffenen hier zum Bericht des Beauftragtenrates zum Schutz vor sexualisierter Gewalt berichten, muss viele Menschen in und um die Synode verstören. Sie erklären: Die Zusagen der evangelischen #Kirche wurden nicht eingehalten. #EKDSynode #EKD
— Philipp Greifenstein (@rockToamna) November 8, 2021
Der EKD-Betroffenen-Beirat Detlev Zander (hier im Synoden-Podcast der Eule) nahm in der letzten Wortmeldung der Aussprache Kirsten Fehrs ausdrücklich in Schutz: Ihre KollegInnen in den Landeskirchen hätten sie bei vielen Bemühungen „im Stich gelassen“. Zum KollegInnen-Kreis gehörte auch die neue Ratsvorsitzende, die ihrer westfälischen Kirche seit 2012 vorsteht und seit 2015 im Rat der EKD als stellvertretende Ratsvorsitzende aktiv war.
Nicht nur rettete Zander mit seiner Intervention Fehrs – sie hatte sich wenige Minuten zuvor merklich angefasst für Fehler entschuldigt – ein gutes Ergebnis bei der Ratswahl, er lenkte damit auch den Blick auf diejenigen, die verschleppen und verzögern.
Kein(e) Leitende(r) Geistliche(r) in den evangelischen Landeskirchen, kein(e) leitende(r) Jurist(in), keine Kirchenleitung und keine Landessynode kann sich aus der Verantwortung nehmen. Auch wenn auf deren Tagungen wahrscheinlich niemals ein solches Waterloo stattfinden wird, wie es die Betroffenen-Berichte auf der EKD-Synode für die evangelische Kirche bedeuten. Man wünschte den Landessynoden die gleiche Aufmerksamkeit und Transparenz, die der EKD-Synode, auch wegen ihrer digitalen Tagungen, inzwischen zukommt, und man müsste sie ihnen auch zumuten.
Darum sei den ehren- und hauptamtlichen Verantwortungsträger:innen auf allen Ebenen der Kirche dringend das Video des Plenums zum Tagesordnungspunkt „Schutz vor sexualisierter Gewalt“ ans Herz gelegt:
Wollen Kurschus und Fehrs das Thema zur Chefinnen-Sache machen, dann müssen sie wohl zumindest den Beauftragtenrat reformieren und auch die „Fachstelle sexualisierte Gewalt“ im Kirchenamt der EKD anders konzeptionieren. Vor allem aber müssen sie in Rat und Kirchenkonferenz endlich ihre KollegInnen in den geistlichen und juristischen Leitungsämtern der EKD-Gliedkirchen auf einen einheitlichen Kurs bringen. Ein „abgestimmtes Agieren“ und „Einigkeit in den Konzepten“ versprach Kurschus in der Pressekonferenz im Anschluss an ihre Wahl.
Drei Frauen an der Spitze
Für diese Einigkeit im Vorgehen, für die Aussicht auf weniger Voranstürmen und Alleingänge hat man die Reformierte ins Amt gewählt. Mit feinem Humor hatte sie sich selbst am Sonntag in ihrer Bewerbungsrede eindeutig für den Spitzenjob empfohlen. Nach ihrer Wahl sprach sie davon, man müsse für die EKD nun ein neues Wort erfinden, da drei Frauen an der Spitze ja kein Triumvirat (lat. vir = Mann) bilden könnten. Mit solchen Formulierungen meldet sie trotzdem Führungsanspruch an.
Drei Frauen an der Spitze der #EKD. 2021. #EKDSynode #Ratswahl #GNRV
— Philipp Greifenstein (@rockToamna) November 10, 2021
Darunter versteht Kurschus vor allem theologische und geistliche Führung. Klare politische Botschaften sind von ihr keine zu vernehmen. Im Gegenteil, sie schätzt „einfache Erklärungen“ ausdrücklich nicht. Ihr Ratsvorsitz steht unter anderem Vorzeichen: Es ist ein binnenkirchliches. Zwar spricht auch sie davon, die Kirche würde „einen Ton einbringen, den sonst keiner einträgt“, aber die Absetzbewegung von ihrem Vorgänger Heinrich Bedford-Strohm ist klar.
„Wir sind nicht die, die Politik machen, sondern aus gutem Grund auf Missstände hinweisen“, erklärte sie heute, wie er in der Vergangenheit. Aber dies geschieht bei Kurschus nicht in politischer, sondern theologischer Sprache (wie Reinhard Bingener in der FAZ beobachtet) und derart abgewogen, dass man die klaren Botschaften ihres Vorgängers vermissen lernt. Wer nach einer deutlichen, medienaffinen gesellschaftspolitischen Positionierung sucht, wird von Kurschus enttäuscht sein.
So blieb die neue Ratsvorsitzende am Tag ihrer Wahl bei den Themen Missbrauchsaufarbeitung, Klimaschutz, Schuldbekenntnis gegenüber LGBTQ* und Gewalt an den EU-Außengrenzen zwar keine Antwort schuldig, die bestand aber häufig darin, man müsse sich das „noch einmal genau anschauen“. Und mit dem „man“ sind bei Kurschus ausdrücklich der ganze Rat und auch die Kirchenkonferenz gemeint.
Einzig bei der Frage danach, was ihre Wahl ins höchste Amt der EKD für die Ökumene mit den römischen Katholiken und den Orthodoxen bedeutet, wurde sie deutlich: „Das ficht mich nicht an“, sie sei sich der völlig gleichwertigen Berufung von Frauen und Männer sicher, und: „Ich wünsche mir sehr, dass die katholische Kirche den Mut findet, die Vielfalt, auch der Geschlechter, in unserer Gesellschaft stärker abzubilden.“
Alles pendelt, und nun hat die EKD nach HBS eben AK. Statt einen „öffentlichen Theologen“, eine erklärte Moderatorin. Doch sollte man Kurschus nicht an ihren VorgängerInnen messen, sondern an ihren eigenen Zusagen. Dazu wird in den kommenden sechs Jahren genügend Gelegenheit sein.