Schweigen ist keine Option

Der EKD-Ratsvorsitzende erhält wegen seines Engagements für die Seenotrettung Morddrohungen. Damit steht er nicht allein.

In einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen berichtet der EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm von „recht konkrete[n] Drohungen“, die er aufgrund seines Engagements für die Seenotrettung erhalten habe. Im Kontext der Morddrohungen gegenüber WDR-Journalist*innen, fordert Bedford-Strohm eine konsequente Verfolgung solcher Drohungen durch die Polizei.

Bedford-Strohm ist nicht der erste Bischof, der Morddrohungen erhalten hat. Für ihr Eintreten gegen Rechtextremismus wurde die damalige Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) zwar gelobt, doch wurde sie deshalb auch bedroht. Im ausführlichen Interview mit der Eule zum Ende ihrer Amtszeit wies Junkermann darauf hin, dass solche Drohungen die Dringlichkeit des Engagements gegen Rechtsextremismus umso deutlicher machen.

Inzwischen wurde dem Ratsvorsitzenden in den Sozialen Medien und von Politiker*innen Solidarität zugesichert. Morddrohungen sollten nicht verharmlost werden, egal ob sie per Brief oder online ausgesprochen werden. Die Polizei gewichtet trotzdem und nicht jede Hetze im Netz gilt als Anlass für erhöhte Vorsicht. Der Mord an Walter Lübcke im vergangenen Jahr hat gezeigt, dass hier ein Umdenken zumindest angeraten ist. Dass mit Bedford-Strohm ein prominenter Kirchenmann Drohungen gegen ihn öffentlich macht, ist vor allem deshalb wichtig, weil überall im Land weniger exponierte Menschen davon betroffen sind. Für die dringend notwendige Debatte darüber könnte Bedford-Strohm als Katalysator dienen.

Denn haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen der Kirchen, die sich in der Flüchtlingshilfe, im Kirchenasyl und/oder gegen Rechtsextremismus engagieren sind alltäglich Drohungen und Angriffen ausgesetzt. Manchmal reicht schon eine evangeliumstreue Predigt, um die Gemüter der Hater zu erhitzen. Einschüchterungsversuche bis hin zu konkreten Gewaltandrohungen sollen vor allem erreichen, dass sich Christ*innen und Kirchengemeinden aus dem Engagement für Flüchtlinge oder gegen Rechtsextremismus zurückziehen. Und wer will es Kirchenvorständen oder Eltern verdenken, die aufgrund von Drohungen davon abraten, Jugendliche auf Demos gehen zu lassen oder Menschen in ein Kirchenasyl aufzunehmen?

Gegen den Hass handeln

Die Einschüchterung beginnt oft subtil und intensiviert sich, wo kein Widerstand geleistet wird. Hakenkreuzaufkleber, die an Kirchentüren geklebt werden. Flyer, die in Gemeindebriefkästen landen. Drohbriefe und -Anrufe. Bürger*innen, die unverhohlen davor warnen „denen ein Dach über dem Kopf zu geben“. Pöbeleien auf offener Straße. All das ist nur möglich in einer Gesellschaft, die Täter durch ihr Schweigen und stille Zustimmung in Sicherheit wiegt.

Vier wichtige Einsichten:

1) Eine solidarische Community bauen

Von Einschüchterungsversuchen und Drohungen sind vor allem Menschen betroffen, die den Tätern als „leichte Opfer“ solcher Taktiken erscheinen. Das gilt on- wie offline. Frauen werden häufiger dumm angemacht. Dahinter steckt häufig Verachtung gegenüber Frauen, besonders gegenüber Frauen in religiösen Ämtern. Es ist aber auch taktisch motiviert, weil die Täter von Frauen geringeren Widerstand erwarten. Auch alleinwohnende oder gar isolierte Menschen werden gerne „herausgepickt“.

Menschen, die sich bedroht fühlen, sind nicht paranoid. Ihre Befürchtungen sollten von Kirchenvorständen, Dienstvorgesetzen und von der Polizei ernst genommenen werden. Was es vor allem braucht, ist öffentliche Solidarität und die Achtsamkeit der übrigen Community. Beides demotiviert viele Täter.

2) Vorfälle konsequent anzeigen

Beleidigungen, Verleumdungen und auch Drohungen sollten konsequent zur Anzeige gebracht werden. Dafür gibt es Online-Wachen der Polizei, die Meldestellen der Sozialen Netzwerke und die Polizeiwache vor Ort.

Auch vermeintlich kleine Vorfälle wie Aufkleber, Drohschreiben, Sachbeschädigungen sollten gemeldet werden. Nur so können sie von der Polizei mit anderen Vorfällen kontextualisiert werden. Wenn wirklich einmal etwas Schlimmes passiert, ist es wichtig, die Schritte bis zur Eskalation nachverfolgen zu können. Im besten Falle wird eine solche durch konsequente Nachverfolgung sogar verhindert.

3) Aufmerksamkeit schaffen

Nur hartnäckiges Anzeigen sorgt dafür, dass solche Drohungen und Angriffe als politisch motivierte Straftaten Eingang in die Polizeistatistiken finden. Helfen Sie den freundlichen Beamt*innen da gerne auf die Sprünge, denn die Scheu davor den Staatsschutz mit ins Boot zu holen gibt es nicht nur in Sachsen!

Über Drohungen und andere Vorfälle sollte auch in der Lokalpresse berichtet werden. Nur wenn der alltägliche Hass sichtbar gemacht wird, kann man sich dagegen gemeinsam wehren. Auch empfiehlt sich für Kirchgemeinden und Pfarrer*innen ein intensiver Austausch mit Lokalpolitiker*innen und Vertreter*innen von Vereinen und Feuerwehren. Die sind über mögliche Gefahrenherde häufig erstaunlich gut informiert.

4) Eigene Privilegien checken, Andere schützen

Haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen der Kirchen gehören trotz allem nicht zu einer besonderen „Risikogruppe“. Die Rede von einer „Christenverfolgung“ hierzulande ist darum fahrlässig. Vielmehr sind Christ*innen, vom Ratsvorsitzenden angefangen, in unserer Gesellschaft häufig privilegiert, solange sie biodeutsch sind.

Aufmerksame Christ*innen fragen darum auch nach der Sicherheit von Juden, Muslimen und anderen religiösen Minderheiten vor Ort. Synagogen und Moscheen, Jüdinnen und Juden und Muslima und Muslime werden in Deutschland fast täglich Ziel von Angriffen. Ähnliches gilt für antifaschistische Aktivist*innen, die aufgrund ihres politischen Engagements vielfach Anfeindungen ausgesetzt sind.

Schweigen ist keine Option

Hier sind es die Christ*innen, Kirchgemeinden und Landeskirchen, die als solidarische Community gefordert sind. Ilse Junkermann betont in ihrem Abschiedsinterview, dass ihr klares, öffentliches Votum die Initiativen gegen Rechts in ihrem Engagement bestärkt hat. Eine ähnliche Wirkung könnte jetzt davon ausgehen, dass vom Ratsvorsitzenden angefangen viele Christ*innen über Drohungen und Anfeindungen aufgrund ihres gesellschaftlichen Engagements sprechen. Für die Privilegierten gilt: Schweigen ist keine Option.

Das Schweigen nützt den Tätern, weil es der Angst jedes Ventil nimmt. Stattdessen verdienen die Bedrohten unsere laute Solidarität. Eine Gesellschaft, die sich offen über die allgegenwärtige Enthemmung des sozialen Miteinanders austauscht, gräbt den Hatern das Wasser ab. Täter wollen für ihre Verbrechen gelobt werden, sie handeln aufgrund einer vermuteten Zustimmung der schweigenden Mehrheit. Drohungen sollen die Betroffenen in Angst versetzen und sie aus der Community herauslösen. Gönnen wir ihnen diesen Erfolg nicht!