Sej a Mensch! – Die #LaTdH vom 4. Februar

Die Evangelische Kirche versucht, aus der „ForuM-Studie“ zu lernen. Außerdem: Diskussionen über das Nihil Obstat, #WirSindDieBrandmauer und ein kotzender Jesus.

Herzlich Willkommen!

Am Samstag hat Kardinal Víctor Manuel Fernández, Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, wieder einmal eine von Papst Franziskus genehmigte Erklärung (bisher nur in italienischer Sprache) veröffentlicht. Als Anlass der Note „Gestis verbisque“ wird eine „Häufung von Fällen“ genannt, bei denen „die betroffenen Personen ausfindig gemacht werden mussten“. Mehr noch: „Eine beträchtliche Zahl von Gläubigen hatte zu Recht ihre Verärgerung darüber zum Ausdruck gebracht.“

Durch den „manipulativen Willen“ der Täter bestehe die Gefahr, „dem gläubigen Gottesvolk schweren Schaden zu(zu)fügen“, ein solcher „schwerwiegender unerlaubter Akt“ verdiene „eine exemplarische Strafe“. Bei der „Handlung, die den Körper in seiner Gesamtheit einbezieht“, gelte es, eine „Kunst“ zu entwickeln, „die sich einer ungezügelten Fantasie fernhält und zu einer Disziplin führt, die man respektieren muss, um authentische Jünger zu sein“, so Fernández, der sich vor vielen Jahren mit Veröffentlichungen über „die Kunst des Küssens“ oder unterschiedliche Geräusche beim Orgasmus profiliert hat.

Aber worum geht es eigentlich? Es geht um sog. „liturgischen Missbrauch“. Der Vatikan pocht bei der Spendung von Taufe, Eucharistie und Firmung, Beichte und Krankensalbung, Eheschließung und Weihe auf die strikte Einhaltung der kirchlichen Vorschriften in Bezug auf „Form und Materie“ der Sakramente. Auch ein geringfügiges Abweichen von den vorgeschriebenen Worten könne dazu führen, dass Gläubige „um das beraubt werden, was ihnen zusteht“, das Sakrament „ungültig“ sei und wiederholt werden müsse.  Oder treffend zusammengefasst: „It’s A Kind of Magic …“

Eine sicheren Start in die neue Woche wünscht Ihnen
Ihr Thomas Wystrach

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Debatte

Die in der vorvergangenen Woche veröffentlichte „ForuM-Studie“ über sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen in evangelischen Institutionen wurde hier in der Eule bereits umfassend gewürdigt und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. In der medialen Begleitung der Aufdeckung von Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche wurde häufig das Bild eines monolithischen Blocks finsterer „Brüder im Nebel“ gezeichnet, die eine strenge Sexualmoral predigen, sich selbst aber nicht daran halten, sich gegenseitig erpressen oder beim Vertuschen helfen.

Für den Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland, die lange im Windschatten des Skandals der Glaubensgeschwister segelte, wird nun auf das „föderale System der Landeskirchen“, die „unklaren Zuständigkeiten“ und eine Art „Verantwortungsdiffusion“ durch synodale Strukturen verwiesen. Während katholischerseits der „Synodale Weg“ als Reaktion auf die „MHG-Studie“ kirchliche Reformen einforderte, ist noch unklar, welche Konsequenzen das „Armutszeugnis“ für die Evangelische Kirche haben wird. Einige Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch.

Lektionen aus der Missbrauchs-Studie – Alexander Maßmann (evangelisch.de)

In der Kolumne „evangelisch kontrovers“ greift Alexander Maßmann zunächst die Einschätzung der „ForuM-Studie“ auf, man habe nur „die Spitze der Spitze des Eisbergs“ sichtbar machen können:

Welche unmittelbaren praktischen Konsequenzen sollen die Kirchen aus der Tatsache ziehen, dass die Studie nur einen Bruchteil der kirchlichen Personalakten einbeziehen konnte? Sie stellt ja die Gewalt noch nicht einmal in dem Ausmaß dar, welches man eigentlich kennen kann.

Wichtig sei nun ein „Kulturwandel“, um vorgesehene Präventionsmaßnahmen flächendeckend umzusetzen:

Das bedeutet, es sollen sich offizielle Prozeduren und Richtlinien ändern, aber auch Routinen, eingespielte Denkweisen und unbewusste Annahmen. In allen Verästelungen des Großunternehmens Kirche – ein ehrgeiziger Plan!

Es gelte, die bereits bestehenden Ansätze zu verstärken:

Wenn etwa die Präventionskonzepte es schon ins Kirchenrecht geschafft haben, dann müssen Gemeinden auch Mechanismen schaffen, die die stetige Umsetzung und Aktualität solcher Konzepte gewährleisten. Schlimmer als das Fehlen von Präventionsrichtlinien wären Richtlinien, die falsche Sicherheit versprechen, weil sie nicht umgesetzt werden.

„Jetzt müssen wir Konsequenzen ziehen“, fordert Rüdiger Schuch, der neue Präsident der Diakonie Deutschland, in seinem Gastbeitrag in der ZEIT. Das bedeute „Aufklärung, Anerkennung, Prävention und Mut zu tiefgreifender Veränderung“. Schuch verspricht:

Wir wollen unser System überprüfen. Es müssen gemeinsame Werte und Verfahren im gesamten Bereich der Kirche und Diakonie gelten. Sexualisierte Gewalt und verschleppte Aufklärung dürfen sich bei uns nicht mehr ereignen. Konsequenzen ziehen heißt auch: Machtmissbrauch stoppen und weitere Fälle aufklären.

Stellt die Pfarrhäuser zur Disposition! – Benjamin Lassiwe (Herder Korrespondenz)

Das evangelische Pfarrhaus ist eine Institution des deutschen Protestantismus, über Generationen „ein Ort der Bildung, der christlichen Erziehung, der Gemeinschaft – und des sexuellen Missbrauchs“, wie Benjamin Lassiwe in seinem „Einwurf“ in der Herder Korrespondenz feststellt. Für ihn ein Grund, die Residenzpflicht für Pfarrerinnen und Pfarrer in Frage zu stellen.

Die Argumentation, der Verzicht auf Dienstwohnungen vor Ort würde verhindern, „Berufliches und Privates miteinander zu vermischen – und das ist längst nicht nur im Kontext des sexuellen Missbrauchs relevant“, kommt eher unterkomplex daher. Der Hinweis darauf, das auch viele Bürgermeister es zu schätzen wüssten, „auf dem Nachhauseweg ein wenig Abstand von der Arbeit zu gewinnen“, mag den „Work-Life-Balance“-Erwartungen des studierenden Theolog:innen-Nachwuchs entgegenkommen, ersetzt aber weder Präventionskonzepte noch die konsequente Aufklärung von Vertuschung und Ignoranz gegenüber Betroffenen, die auch auf ganz anderen Ebenen stattgefunden hat.

Das Rollenproblem der evangelischen Kirche – Interview mit Reiner Anselm von Elena Hong (DLF)

Mit einem ausführlichen Radio-Interview im Deutschlandfunk hat sich der Münchener Theologieprofessor Reiner Anselm in die Debatte eingeschaltet. Ihm zufolge sei Grund für die mangelnde Aufarbeitung in der Evangelischen Kirche nicht „Verschleppung“, sondern die „Unprofessionalität“ in der Kirche, der Aufklärungswille sei sogar „enorm hoch“, weil viele Menschen sich unter „Generalverdacht“ gestellt sähen. Der epd zitiert im bayerischen Sonntagsblatt:

Der Theologe argumentierte für eine stärkere staatliche Verantwortung für die Aufarbeitung. Man müsse sich fragen, ob in der Vergangenheit „das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nicht überdehnt worden ist“. Es dürfe nicht zu einer „Betroffenheitskultur, die in eine Handlungsstarre führt“, kommen, sagte Anselm: „Dass man immer betont, wie furchtbar das alles ist, und sich entschuldigt, aber nachher passiert eigentlich gar nichts mehr.“

Evangelischer Missbrauch – Annette Behnken (feinschwarz.net)

Für Pastorin Annette Behnken, Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Loccum und „Wort-zum-Sonntag“-Sprecherin, stellt die „ForuM-Studie“ grundsätzliche Fragen zur Zukunftsfähigkeit der Evangelischen Kirche. In ihrem Beitrag für das Theologische Feuilleton feinschwarz.net weist sie auf den fließenden Übergang vom religiösem zum sexuellen Missbrauch hin, sowie auf „Harmoniezwang und Konfliktunfähigkeit“, die das Vertuschen von Taten ermöglicht hätten.

Behnken greift die Überlegungen des Soziologen Armin Nassehi auf, der im  jüngsten „Montagsblock“ des Kursbuches darauf hingewiesen hatte, dass beim Missbrauch in den Kirchen „neben der strukturellen Gefahr der organisatorischen Kombination aus exkludierenden Räumen und hierarchischen Abhängigkeitsverhältnissen“ und der „Suspendierung von Freizügigkeit und gegenwartsbezogenen Exit-Möglichkeiten“ auch die „Exklusivität religiöser Absolutheitsansprüche“ eine Rolle spiele.

Während Nassehi religionssoziologisch eher skeptisch darauf blickt, ob die Kirchen ihre „historische Funktion“, nämlich „die prinzipielle Wildheit des Religiösen organisatorisch einzufangen und zu befrieden“, noch erfüllen können, sieht Behnken für die Evangelische Kirche angesichts des eigenen Scheiterns eine Chance, wieder stärker ihrem Auftrag gerecht zu werden:

Kirche ist Kirche in der Spannung zwischen Ideal und Realität. Aus dem Scheitern am Ideal kann Erkenntnis wachsen. Vielleicht fängt die evangelische Kirche gerade an, die Trümmer ihres Scheiterns zu sortieren und neu zusammenzusetzen. Nicht, um die bessere Kirche zu sein, aber um eine bessere zu werden, als die, die sie war. Und das, indem sie jetzt nüchtern anerkennt, was ist und das Notwendige tut.

Schere im Kopf? – Roland Rosenstock (ROTUNDE)

Der von der „ForuM-Studie“ analysierte Umgang mit sexuellem Missbrauch werfe auch einen Schatten auf die evangelische Publizistik, so der Theologe und Medienpädagoge Roland Rosenstock in seinem Beitrag im Blog der Evangelischen Akademie Tutzing. Wie ist es mit Unabhängigkeit und kritischer Distanz des evangelischen Journalismus bestellt? Gab es eine „Schere im Kopf“, wenn es um das Thema der sexualisierten Gewalt im Raum der Kirche ging?

Das Paradigma der evangelischen Freiheit scheint besonders für die kirchliche Agentur- und Printpublizistik zu gelten. Doch die Funktion der evangelischen Publizistik, als kritisches Gegenüber zur verfassten Kirche, wurde in den vergangenen Jahren auch immer wieder in Frage gestellt. Denn die Vermeidung von Kritik, die Kirchensteuerfinanzierung imageförderlicher Magazine und Supplements, die Interessen kirchlicher Pressestellen und Kommunikationskampagnen und der Ruf nach Glaubensvergewisserung als Aufgabe der evangelischen Medienarbeit stellen die Freiheit der Redaktionen in Frage.

Über Sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche – mit Detlev Zander, von Sarah Vecera und Thea Hummel (Stachel & Herz)

Im „Stachel & Herz“-Podcast mit Sarah Vecera und Thea Hummel ist in einer Sonderfolge Detlev Zander zu Gast. Zander ist als Betroffenensprecher im Beteiligungsforum der EKD (BeFo) aktiv und hat auch im Beirat der „ForuM-Studie“ mitgearbeitet. Ein ausführliches Gespräch, das auch Gemeinsamkeiten beim Kampf um eine Kirche als safer space aufdeckt.

nachgefasst

Nach den Enthüllungen von „Correctiv“ über ein Treffen von Rechtsextremisten mit Unternehmern und AfD-Politikern haben Vertreter:innen von Kirchen und Religionsgemeinschaften zum Widerstand gegen Rechtsextremismus und für den Erhalt der Demokratie aufgerufen, jeden Tag finden überall in Deutschland Demonstrationen gegen Rechts statt, Hunderttausende gehen zur Verteidigung der Demokratie auf die Straßen – „Lagerfeuermomente“, die sich gegenseitig verstärken.

Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke warnt im Zusammenhang mit den Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus allerdings vor einer Blasenbildung in der Gesellschaft. Ihm sei wichtig, Wähler im rechten Spektrum in den Blick zu nehmen:

Ich würde jetzt voraussetzen, dass nicht jeder AfD-Wähler von einem braunen Sumpf erfüllt ist. Da ist sicher auch viel Protest dahinter. Da braucht es diesen therapeutischen, ja ärztlichen Blick, den Schmerz wahrzunehmen und zu analysieren.

Hankes größte Sorge:

… dass man nicht sich gegenseitig durch Beschimpfung hochschaukelt und wir dann am Ende in Blasen leben, die nicht mehr miteinander kommunizieren können, die sich nur noch gegenseitig bekämpfen.

Auch die Kirche hat ein Problem mit Rechtsradikalen – Simon Linder (katholisch.de)

Simon Linder hingegen hält die deutlichen Worte einiger Bischöfe gegen die AfD und die Teilnahme von Katholiken an den Demonstrationen gegen Rechtsradikalismus für ein gutes Zeichen, das aber nicht ausreiche. In seinem „Standpunkt“ bei katholisch.de fordert der Theologe, rechtsradikales Gedankengut auch in der Kirche zu bekämpfen:

Es gibt Katholik*innen, die – leider! – auch aus ihren Glaubensüberzeugungen heraus die AfD unterstützen. Anknüpfungspunkte sind etwa Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Antigenderismus. Besonders betroffen sind laut der Theologin Sonja Strube kirchliche Orte, an denen „Glaube geprägt ist von dualistischem Denken, rigidem Urteilen und Handeln, einer misstrauisch-feindseligen Grundhaltung“.

Wohlfeile Appelle – Christian Geyer (Communio)

In seiner Kolumne „Erkenntnis & Interesse“ im neuen Online-Auftritt der Zeitschrift Communio kritisiert Christian Geyer hingegen, die ostdeutschen Bischöfe blieben mit ihrem Gemeinsamen Wort „Eintreten für die Demokratie“ unter ihren Möglichkeiten zurück. Mit dem Hinweis der Oberhirten, „vor dem Hintergrund unseres eigenen Gewissens die Positionen extremer Parteien wie dem III. Weg, der Partei Heimat oder auch der AfD nicht akzeptieren“ zu können, bringe sich die römisch-katholische Kirche parteipolitisch ins Spiel – versäume es aber, die AfD theologisch zu stellen, die mit der angeblichen „Christlichkeit“ ihrer Positionen werbe, während ihre „völkische Substanz“ mit den Auftritten rechtsextremer Taktgeber beim klandestinen Potsdamer Treffen erneut in den Blick geraten sei:

Es interessiert doch nicht, was kirchliche Würdenträger persönlich für inakzeptabel halten, sondern was nach den Maßstäben christlicher Anthropologie zu sagen wäre, wenn sich schon die Kirche ins parteipolitische Spiel bringt. Warum wird nur stichwortartig die Menschenwürde aufgerufen, nicht aber inhaltlich argumentiert, was in den Programmen der genannten Parteien der Würde des Menschen, theologisch gesprochen: seiner Gottesebenbildlichkeit, zuwiderläuft? Statt Appelle auf Gewissensbasis hätte man sich davon durchaus einen Erkenntnisgewinn versprochen, wie er der katholischerseits beanspruchten Einheit von Glaube und Vernunft entspricht. (…)

Buntes

Kirchen digitaler als gedacht, aber KI noch kaum Thema (Braunschweiger Zeitung)

Kirchenmitglieder und -mitarbeitende in Deutschland sind viel digitaler als bisher oft angenommen, es gibt jedoch institutionell weiterhin viel Aufholbedarf – so das Fazit der Studie „Digitalisierung im Raum der Kirchen“ (DiRK 2023; PDF) der Hochschule Macromedia im Auftrag der Versicherer im Raum der Kirchen (vrk), deren Ergebnisse jetzt erstmals öffentlich vorgestellt wurden.

Kann Jesus zu schön sein? – Johanna Di Blasi (RefLab)

Bis Ostern ist es noch zwei Monate hin. Schon jetzt aber ist der Auferstandene ein großes Thema – und zwar quer durch die Medien. Zeitungen berichten über die Figur auf dem offiziellen Poster der Karwoche 2024 in Sevilla, das jetzt vorgestellt wurde. Auf Social Media wird über das sinnliche Werbemotiv gestritten, das manche an Unterwäschewerbung oder Bilder aus Homosexuellen-Magazinen erinnert. Johanna Di Blasi nähert sich aus einer reformierten Tradition, die das Bilderverbot ernst nimmt wie kaum eine andere Glaubensrichtung:

Wie soll ich mir Jesus vorstellen? Mir als Christin erscheint das als eine anspruchsvolle Herausforderung. Noch anspruchsvoller ist es, hinter die Bilder zu blicken und zu einem tieferen Verständnis zu gelangen. Und aus diesem heraus christlich zu leben und zu handeln.

Theologie

Auch der Seelsorge-Papst Franziskus manifestiert die Macht der Lehre – Markus Nolte (Kirche + Leben)

Während kirchliche Mitarbeitende in Deutschland endlich lieben könnten, wen sie wollen, müssten Theologie-Lehrende weiter vor römischer Überprüfung bangen. Für Markus Nolte, Chefredakteur von Kirche + Leben, zeigt sich, dass es mit dem Vorrang „Leben vor Lehre“, das Papst Franziskus gerne bemühe, nicht weit her sei.

Wir müssen weg von Intransparenz und Machtmissbrauch – Gunda Werner (katholisch.de)

Das Nihil obstat soll sicherstellen, dass Theologieprofessor:innen die Lehre der römisch-katholische Kirche vertreten. Doch das Verfahren sei belastend und intransparent, so Gunda Werner, die Vorsitzende des Theologinnen-Netzwerks AGENDA. Dies belege die jüngst veröffentlichte Studie nun erstmals mit Daten (s. #LaTdH von letzter Woche). Im Interview mit katholisch.de berichtet die die Bochumer Dogmatikerin von ihren eigenen Erfahrungen mit dem Nihil obstat – und welche Auswirkungen es in Forschung und Lehre hat. Ihre Reformvorschläge bleiben vorsichtig:

Transparenz braucht es auf jeden Fall, auf allen Ebenen. Die Verfahrensschritte müssten standardisiert werden, es muss klar sein, wie gerade der Verfahrensstand ist, welche Fristen es gibt, und was passiert, wenn eine Instanz die Fristen nicht einhält. Wer vor der Frage eines Nihil obstat steht, wurde schon mehrfach durchgeprüft. (…)

Das liegt alles in irgendwelchen Akten, auf die man zurückgreifen könnte, um dann das Nihil-obstat-Verfahren zu beschleunigen. Vermutlich wäre aber auch eine Offenheit mit einem Nihil-obstat-Problem ein Teil der Transparenz, um das Tabu zu brechen.

Respekt für alle, die kirchlichen Tätersystemen Widerstand leisten – Regina Nagel (katholisch.de)

Regina Nagel zollt in ihrem „Standpunkt“ bei katholisch.de der Münsteraner Theologin Regina Elsner Respekt für ihren Mut, ihre Erfahrungen mit dem „Nihil Obstat“-Verfahren offengelegt und das missbräuchliche System dahinter aufgedeckt zu haben (s. #LaTdH von letzter Woche).

Jede*r, der/die sich zu Wort meldet – und sei es aus Selbstschutz anonymisiert – trägt dazu bei, Täter*innen und Täterstrukturen zu entlarven. Manchmal gelingt es, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen und Veränderung bewirken. Ein Beispiel dafür ist seit zwei Jahren das unübersehbare Engagement von #OutinChurch.

Allzu oft jedoch bleibt der Aufschrei aus. Die Gefahr des spirituellen Missbrauchs, unter anderem in evangelikal-charismatischen Kreisen der katholischen Kirche, wird beispielsweise kaum wahr- und viel zu wenig ernstgenommen. Der auch von Regina Elsner vermisste „Aufschrei“ gegen zutiefst missbräuchliche Systeme kommt zu selten oder gerät viel zu schnell wieder in Vergessenheit.

Dass der Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Söding, angesichts dieser Situation darauf hinweist, der Weltsynode fehle noch „eine orientierende Theologie“ und der „Synodale Weg“ benötige „auch das römische Gütesiegel“, mag irritieren. Zum tieferen Verständnis dieser Mentalität sei daher die Lektüre des bereits 2009 veröffentlichten Beitrags des Bonner Kirchenrechtlers Norbert Lüdecke über „Kommunikationskontrolle als Heilsdienst“ empfohlen, in dem die „Konformitätsdisponierung der Autoren“ und die „Internalisierung von Selbstzensur durch Gesinnungsertüchtigung und -sicherung“ als Stützen des Systems der römisch-katholischen Theologie vorgestellt werden.

Statt einer Predigt

Rede bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus – Marcel Reif (Deutscher Bundestag)

In einer bewegenden Rede vor dem Deutschen Bundestag zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus hat der Sportjournalist Marcel Reif das vermeintliche Schweigen seines Vaters, des Holocaust-Überlebenden Leon Reif, über seine Erlebnisse als den Preis für die „zweite Chance“ bezeichnet, wieder in Deutschland leben, seinen Kindern ein behütetes, unbeschwertes Aufwachsen ermöglichen zu können

Ich erinnere mich nicht an den Anlass und nicht an den Zeitpunkt, aber mir wurde irgendwann beinahe schlagartig klar, dass mein Vater ja doch gesprochen hatte und mir all das gesagt und mitgegeben hatte, was ihm wichtig war; was er gerettet hatte, als Essenz destilliert aus all dem Unmenschlichen der Häscher und Mörder, aus dem Übermenschlichen eines so mutigen Berthold Beitz, aus dem, was er selbst geleistet hatte mit dem kleinen Jungen, der seine eigene Menschlichkeit abgefragt hatte.

Das alles hat er in einen kleinen Satz gepackt. Und ich erinnere mich täglich mehr daran, wie oft er mir diesen Satz geschenkt hat – mal als Mahnung, mal als Warnung, als Ratschlag oder auch als Tadel. Drei Worte nur in dem warmen Jiddisch, das ich so vermisse:

„Sej a Mensch!“ – „Sei ein Mensch!“

Ein guter Satz

„Faschisten missbrauchen das Narrativ vom christlichen Abendland für Hass und Hetze, Jesus würde kotzen.“

– Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), auf der #WirSindDieBrandmauer-Demo in Berlin am Samstag